ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
marlena
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#121

Beitrag von marlena »

Danke lieber Marc,

ehrlich, dass habe ich jetzt sehr nötig gehabt...

LG
Marlena
--- Allüren sind was für Unfertige ---

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nina777
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Keine Prostitution im Wohn- und Geschäftshaus

#122

Beitrag von nina777 »

10.02.2009

Keine Prostitution im Wohn- und Geschäftshaus

"Eigentumsstörung"Keine Heimarbeit für Huren

In einem Wohn- und Geschäftshaus müssen Wohnungseigentümer keine Prostitution dulden. Das geht aus einer jetzt veröffentlichten Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichtes (OLG) hervor. Im konkreten Fall gehen in einem Haus in Neustadt Prostituierte in drei Wohnungen ihrem Beruf nach. Dagegen hatten die Eigentümer der anderen Wohnungen und zweier Betriebe geklagt. Mit Erfolg: Die Damen müssen ihre Arbeit nun einstellen. (Az.: 3 W 182/08)

In dem Gebäude, das in einem Gewerbegebiet liegt, sind weitere Wohnungen, ein Kfz-Sachverständigenbüro und eine Autowerkstatt untergebracht. Wegen der Prostitution, die auch heute noch mit einem "sozialen Unwerturteil" verbunden sei, ließen sich erfahrungsgemäß die anderen Wohnungen und Geschäftsräume schwieriger vermieten oder verkaufen, so das Gericht. Darin liege eine "Eigentumsstörung", die die Betroffenen nicht hinnehmen müssten.

Für die Prostituierten bedeutet das nach Angaben eines OLG- Sprechers nicht, dass sie ausziehen müssen. Aber sie dürfen in dem Haus nicht mehr ihre sexuellen Dienste anbieten. Mit seinem Spruch bekräftigte das OLG eine Entscheidung der Vorinstanz.

http://www.n-tv.de/1100559.html

http://www.jurion.de/login/login.jsp?go ... d=1-307114





Urteil:
viewtopic.php?p=50611#50611
[ergänzt Marc]
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Jason
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Harter Tobak aus dem Ministerium BMFSJ

#123

Beitrag von Jason »

Do 12.02.2009
Prostitution

Zur Anzahl der Prostituierten in Deutschland gibt es keine zuverlässigen Angaben aus einer Statistik oder auf wissenschaftlicher Grundlage. Die Angaben werden vor allem dadurch erschwert, dass viele Frauen dieser Tätigkeit nur nebenbei, gelegentlich oder für einen kurzen Lebensabschnitt nachgehen.

Der Anteil der Migrantinnen in der Prostitution wird dabei unterschiedlich eingeschätzt und variiert regional. Fachberatungsstellen gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der Prostituierten ausländischer Herkunft ist. Die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa.

Die freiwillige Ausübung der Prostitution durch Erwachsene sowie die Nachfrage nach solchen sexuellen Dienstleistungen sind in Deutschland bereits seit langem grundsätzlich zulässige Tätigkeiten.

Seit 2001 gilt in Deutschland das Prostitutionsgesetz (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten), dessen Ziel es war, die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern und das kriminelle Umfeld wirkungsvoller zu bekämpfen.

Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere. Empirische Befunde zeigen, dass die in diesem Bereich Tätigen erheblichen psychischen und physischen Gefährdungen ausgesetzt sind. Es ist darüber hinaus eine soziale Realität, dass viele Prostituierte sich in einer sozialen und psychischen Situation befinden, in der es fraglich ist, ob sie sich wirklich frei und autonom für oder gegen diese Tätigkeit entscheiden können.

Ein wichtiges Ziel der Gleichstellungspolitik muss es daher sein, Frauen und Mädchen in der Prostitution andere Optionen der Lebensgestaltung zu eröffnen und einem Abgleiten in Abhängigkeiten, die Prostitution als scheinbar kleineres Übel oder akzeptablen Ausweg erscheinen lassen, entgegenzuwirken.

Außer Frage steht, dass Zwangsprostitution, Menschenhandel und sexueller Missbrauch Minderjähriger sowie sonstige Kriminalität im Umfeld von Prostitution mit allen Mitteln des Rechtsstaats, das heißt mit den Mitteln des Strafrechts, durch ordnungsbehördliche Überwachung, durch präventive und repressive Maßnahmen sowie durch Schutz und Hilfe für die Opfer bekämpft werden müssen.

Aus Sicht der Bundesregierung bedarf es künftig eines insgesamt breiteren Ansatzes für den Umgang mit Prostitution, der konsequent die Bekämpfung von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Minderjährigenprostitution integriert, der auf einen größtmöglichen Schutz von Prostituierten vor Gewalt und Ausbeutung abzielt und der die Verantwortung der Nachfrager klar benennt, nicht zuletzt durch die Einführung der Strafbarkeit für Freier von Zwangsprostituierten.

Zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes hat die Bundesregierung im Januar 2007 einen Bericht vorgelegt, der auch den diesbezüglichen Handlungsbedarf im Einzelnen darlegt.

Quelle:Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/B ... 97962.html
> ich lernte Frauen zu lieben und zu hassen, aber nie sie zu verstehen <

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Re: Harter Tobak aus dem Ministerium BMFSJ

#124

Beitrag von ehemaliger_User »

BMFSFJ hat geschrieben: ...erheblichen psychischen und physischen Gefährdungen ...Ein wichtiges Ziel der Gleichstellungspolitik muss es daher sein, Frauen und Mädchen in der Prostitution andere Optionen der Lebensgestaltung zu eröffnen und einem Abgleiten in Abhängigkeiten, die Prostitution als scheinbar kleineres Übel oder akzeptablen Ausweg erscheinen lassen, entgegenzuwirken.
Gilt das nicht auch für die Tätigkeit als PolitikerIn? Nur mit dem einen Unterschied, dass PolitikerInnen nicht stigmatisiert werden? Warum betrifft das nur Frauen in der Prostitution? Dieser Bericht des Ministeriums wird von den Fachleuten, die sich wirklich mit (und nicht über) den Menschen in der Prostitution beschäftigen, in weiten Teilen abgelehnt. Kritische Stimmen wurden gar nicht erst zugelassen, ihre Stellungnahme vom Ministerium abgelehnt (weil da wesentlich mehr von selbstbestimmt drinstand und die Ursachen vieler Probleme nicht in der Prostitution selbst, sondern im Umgang der Gesellschaft mit der Prostitution liegen).

Unsere Familienministerin hüpft ja lieber öffentlichkeitswirksam in einen Mülltonne anstatt mal wirklich mit den betroffenen Frauen zu reden und nach Lösungen zu suchen, die nicht vom Diktat bestimmter Frauenrechtlerinnen geprägt sind. Und sie will den Prostituerten "helfen", indem sie im Einklang mit den Kirchen das Ziel verfolgt, die Prostitution abzuschaffen.

Wo ist die Ministerin, wenn es darum geht, Frauen zu helfen, die nur in der Prostitution mangels anderer Möglichkeiten einen Ausweg sehen, ihre persönliche Notlage zu lindern?
BMFSFJ hat geschrieben: nicht zuletzt durch die Einführung der Strafbarkeit für Freier von Zwangsprostituierten.
Erst waren die Huren die Bösen, jetzt sind es die Freier. Zu diesem Thema hat Dona Carmen ein Papier verfasst:

http://www.donacarmen.de/?p=153
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annainga
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#125

Beitrag von annainga »

" ..... anstatt mal wirklich mit den betroffenen Frauen zu reden"

leider sieht es so aus: die betroffenen, selbstbestimmten sexarbeiterinnen wollen nicht reden. ein teil des erfolgrezepts ist diskretion und anonymität.

jeder schritt nach außen gefährdet den geschäftserfolg.

hilfreich wäre es, sexarbeiterinnen und deren kunden bei dem outing zu unterstützen.

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Marc of Frankfurt
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Mein Kommentar zum Schand-Urteil

#126

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Zum Urteil des OLG Zweibrücken:

"Vermieter muss Prostitution im Haus nicht dulden,
weil das Sozialunwerturteil Prostitution eine Eigentumsstörung verursacht"


http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=50611#50611 (Baurecht..) und s.o. #122

hatte ich kommentiert bevor mir das Urteil vorlag.


@ Umher
Danke für den Link zum Urteil
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=50634#50634


Das ist aufschlußreich und von grundsätzlicher Bedeutung und deshalb springe ich wieder zurück hier in dieses Thema sexworker.at/prostg.





Im Urteil wird argumentiert unter Gründen II.2.b:

Egal was der Gesetzgeber mit dem ProstG für Sexworker gutes tun wollte, Prostitution ist mit einem sozialen Unwerturteil behaftet.


"Dabei kann dahin stehen, ob die Ausübung der Prostitution im Einzelfall in weiten Bevölkerungskreisen nicht mehr als sittenwidrig angesehen wird. Trotzdem ist sie mit einem sozialen Unwerturteil behaftet."

So kann man Putophobie, die Prostitutionsfeindlichkeit auch zementieren.


Den Nachweis führt das Gericht über die Analyse der herrschenden Gesetzeslage
[wörtl. aus dem Urteil zitiert, mit Anm.]:
  • Ausbeutung von Prostituierten (§ 180a StGB - hierunter fällt u.a. das Gewähren von Wohnung und Anhalten zur Prostitution) und die
  • Zuhälterei (§ 181a StGB) [stehen] unter Strafe.
  • Prostitution ist häufig und in der Bevölkerung bekanntermaßen mit weiteren anderen strafbaren Handlungen eng verknüpft [vgl. das jur. Konstrukt der sog. Begleitkriminalität und], z.B dem
  • Menschenhandel (§ 232 StGB) und dessen
  • Förderung [des Menschenhandels] (§ 233a StGB) oder sie dient der
  • [Beschaffungsprostitution] Beschaffung von Geld im Zusammenhang mit einer Drogenabhängigkeit und geschieht deshalb innerhalb des Drogenmilieus.
  • [Werbeverbot Sexwork] Nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG handelt ordnungswidrig, wer durch das Verbreiten von Schriften, Ton- oder Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen oder Darstellungen Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt.
Und das Gericht folgert:

"Prostitution ist deshalb weder nach dem Gesetz noch nach der Werteordnung der Gesellschaft eine erwünschte oder auch nur eine wertneutral einzuordnende Tätigkeit."





Hier wird also die Legislative (Parlament/Gesetz) durch die Judikative (Gericht/Urteil) ausgespielt.

Die Judikative hält der reformwilligen Legislative die noch nicht reformierten Gesetze als Gegenargument für die Reform entgegen. Toll! :-((






Später im Prozessverlauf hat wohl die Verteidigung der Wohnungsprostituierten versucht sich zu verteidigen, mit Hinweis auf das Prinzip der Diskretion in allen Abläufen der Sexarbeit und daß es keinen Kontakt zwischen Prostituierten ... und Mitbewohnern gäbe.

Dazu heißt es im Urteil:
"Die erschwerte Vermietbarkeit und Verkäuflichkeit der anderen Wohnungen hängt nicht davon ab, ob und in welchem Maß es in der Vergangenheit zu solchen direkten Konfrontationen gekommen ist. Die betroffenen Verkehrskreise - Miet- und Kaufinteressenten - machen ihre Entscheidung nämlich nicht von solchen, von ihnen regelmäßig nicht überprüfbaren Verhältnissen des Einzelfalles, sondern alleine von der Tatsache abhängig, dass in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird."





Das Gericht beschwört damit eine mir mythisch anmutende Rechts-Theorie vergleichbar der widerlegten Miasmenlehre der Medizingeschichte.

Es wird wie zu Zeiten der großen Syphilis-Epidemien argumentiert, die in Europa bekanntlich ganze Landstriche entvölkerte und damit die historische Ursache der damals aufkommenden Prostituiertenverfolgung darstellte.

Vor Entdeckung des heute bekannten und medizinisch bekämpfbaren bakteriellen Syphilis-Erregers Treponema pallidum, ging man damals als Seuchenursache von schädlichen Ausdünstungen, ansteckenden Gerüchen und sogenannten Miasmen aus, die irgendwie aus dem Untergrund aufstiegen und womöglich auch von Prostituierten und Sexwork ausgingen.

Das ist in meinen Augen tiefstes juristisches Mittelalter.

Und zudem ein logischer Teufelskreis, so als würde man sagen:
Allein die Tatsache daß es Prostitution ist spricht gegen Prostitution.

Aus dieser Zwangsprostitutions-Falle, die die Gerichte da aufstellen, wie soll da eine SexarbeiterIn sich nicht verfangen?





.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 17.02.2009, 18:59, insgesamt 1-mal geändert.

Umher
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Re: Mein Kommentar zum Schand-Urteil

#127

Beitrag von Umher »

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Die Judikative hält der reformwilligen Legislative die noch nicht reformierten Gesetze als Gegenargument für die Reform entgegen. Toll! :-((
Nein, das tut das Gericht nicht. Das Gericht hatte eine Sachfrage zu entscheiden: Droht den anderen Wohnungseigentümern eine Wertminderung ihrer Wohnungen, wenn in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird?
Das ist eine Sachfrage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist, völlig unabhängig davon, wie man selbst zur Prostitution steht.
Das Gericht hat auch kein eigenes Werturteil über Prostitution abgegeben, sondern festgestellt, dass es objektiv ein soziales Unwerturteil gibt. Dass es dieses Unwerturteil gibt, ist nicht zu leugnen. Schließlich ist auch das Forum sexworker.at eine Plattform, auf der nicht zuletzt gegen dieses Unwerturteil angekämpft wird. Man wird dem Gericht nicht vorwerfen können, dass es feststellt, dass es ein soziales Unwerturteil bezüglich Prostitution gibt, wenn man selbst dieses soziale Unwerturteil ständig beklagt.
Das Gericht hat zum Beispiel keinen Zusammenhang zwischen Prostitution und Kriminalität hergestellt, sondern argumentiert, dass dieser Zusammenhang in der Gesellschaft hergestellt wird. Ob das so ist, hängt nicht davon ab, ob man das für berechtigt und begründet hält. (Ob der Mond aus Käse ist, hängt nicht davon ab, ob man Käse mag.)
Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Dazu heißt es im Urteil:
"Die erschwerte Vermietbarkeit und Verkäuflichkeit der anderen Wohnungen hängt nicht davon ab, ob und in welchem Maß es in der Vergangenheit zu solchen direkten Konfrontationen gekommen ist. Die betroffenen Verkehrskreise - Miet- und Kaufinteressenten - machen ihre Entscheidung nämlich nicht von solchen, von ihnen regelmäßig nicht überprüfbaren Verhältnissen des Einzelfalles, sondern alleine von der Tatsache abhängig, dass in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird."





Das Gericht beschwört damit eine mir mythisch anmutende Rechts-Theorie vergleichbar der widerlegten Miasmenlehre der Medizingeschichte.
Keine Miasmenlehre. Das Gericht begründet die Entscheidung nicht damit, dass die Belästiung der anderen Wohnungseigentümer unmittelbar in der Ausübung der Prostitution zu sehen wäre, sondern damit, dass die Belästigung der anderen Wohnungseigentümer in der drohenden Wertminderung ihres Eigentums (erschwerte Verkäuflichkeit oder Vermietbarkeit) zu sehen ist. Ob es die Nachfrage nach Wohnungen in einem Gebäude verringert, wenn bekannt ist, dass in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird, ist eine Sachfrage, die unabhängig davonzu beantworten ist, welche Einstellung man selbst zur Prostitution hat. (Würde in den Wohnungen Bier gebraut, wäre die Frage, ob dadurch der Wert der umliegenden Wohnungen vermindert wird, unabhängig davon zu beurteilen, ob man selbst gerne Bier trinkt.)

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Wert-Urteil oder Schand-Urteil?

#128

Beitrag von Lycisca »

Umher hat geschrieben:  Das Gericht hatte eine Sachfrage zu entscheiden: Droht den anderen Wohnungseigentümern eine Wertminderung ihrer Wohnungen, wenn in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird? Das ist eine Sachfrage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist, völlig unabhängig davon, wie man selbst zur Prostitution steht.
Klar ist dies eine Sachfrage, doch ob die Entscheidung wirklich unabhängig von der Haltung zu Prostitution ist? Zum Beispiel gibt es in der Gesellschaft mannigfaltige andere Gründe, eine Wohnung weniger gerne zu kaufen oder zu mieten. Zu fragen wäre, ob in allen diesen Fällen die Gerichte den anderen Wohnungseigentümern ebenso pauschal eine Wertminderung zubilligen. Konkret z.B. beim Vermieten der Wohnung an eine Musikstudentin (Lärmerregung durch Übungsbetrieb); ist es da nicht eher zu erwarten, dass die anderen Mieter eine Lärmbelästigung innerhalb eines gewissen Rahmens tolerieren müssen?

Umher
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Re: Wert-Urteil oder Schand-Urteil?

#129

Beitrag von Umher »

          Bild
Lycisca hat geschrieben:
Umher hat geschrieben:  Das Gericht hatte eine Sachfrage zu entscheiden: Droht den anderen Wohnungseigentümern eine Wertminderung ihrer Wohnungen, wenn in dem Gebäude der Prostitution nachgegangen wird? Das ist eine Sachfrage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist, völlig unabhängig davon, wie man selbst zur Prostitution steht.
Klar ist dies eine Sachfrage, doch ob die Entscheidung wirklich unabhängig von der Haltung zu Prostitution ist? Zum Beispiel gibt es in der Gesellschaft mannigfaltige andere Gründe, eine Wohnung weniger gerne zu kaufen oder zu mieten. Zu fragen wäre, ob in allen diesen Fällen die Gerichte den anderen Wohnungseigentümern ebenso pauschal eine Wertminderung zubilligen. Konkret z.B. beim Vermieten der Wohnung an eine Musikstudentin (Lärmerregung durch Übungsbetrieb); ist es da nicht eher zu erwarten, dass die anderen Mieter eine Lärmbelästigung innerhalb eines gewissen Rahmens tolerieren müssen?
1. Mir geht es nicht darum, die Entscheidung zu verteidigen. Es wird nur in der Berichterstattung und der Diskussion über die Entscheidung der Eindruck erweckt, das Gericht habe ein (Un-)Werturteil über Prostitution ausgesprochen. Tatsächlich hat das Gericht nur festgestellt, dass es dieses Unwerturteil in der Gesellschaft gibt.
2. Im konkreten Fall geht es nicht nur um § 1004 BGB, sondern es gibt eine Teilungsvereinbarung, in der festgehalten ist, dass eine gewerbliche Nutzung der Wohnungen nur gestattet werden muss, wenn es dadurch zu keiner erheblichen Belästigung anderer Wohnungseigentümer kommt.
Man könnte das Urteil anhand folgender Fragen kritisieren:
1. Gibt es das behauptete soziale Unwerturteil gegenüber Prostitution?
2. Wenn es dieses soziale Unwerturteil gibt oder unabhängig davon, ob es das gibt: Droht tatsächlich ein signifikanter Wertverlust anderer Wohnungen, wenn in dem Gebäude die Prostitution ausgeübt wird?
3. Ist der Begriff "Belästigung" in der Teilungsvereinbarung so auszulegen, dass die mögliche Wertminderung eine solche Belästigung darstellt?

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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

#130

Beitrag von annainga »

"Tatsächlich hat das Gericht nur festgestellt, dass es dieses Unwerturteil in der Gesellschaft gibt"

in dem denkwürdigen urteil über das cafe psst wurde festgestellt, dass die prostitution nicht mehr als sittenwidrig anzusehen ist, weil es eine veränderung in den wertvorstellungen der gesellschaft gibt.

bei den richtern ist es nicht angekommen. ich begreife nicht, dass man sich darüber hinwegsetzt.

von ablehnung wegen sittenwidrig kommt man jetzt zu ablehnung wegen "sozial unwert" bzw "wertmindernd".

sehr schade, dass angemeldeter sexarbeit selten eine chance gegeben wird.

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#131

Beitrag von ehemaliger_User »

Es ist mir neu, dass in der deutschen Rechtssprechung schon nicht eingetretene Nachteile bewertet werden.

Wenn ich richtig gelesen habe hat keiner der betroffenen Mieter / Wohnungseigentümer einen konkreten Schaden erlitten bzw. geltend gemacht.

Bei Klagen gegen Flughafenausbau, Landesmesse etc, haben die Gerichte genau dies als Begründung nicht zugelassen, da den Eigentümern ja nur ein vermuteter Schaden entstanden sei.

Einige der oben genannten Punkte aus dem Urteil könnten auch für Grossbaustellen gelten: Menschenhandel, Bestechung, Betrug (zu wenig Zement im Beton), ... und dann kommt noch jahrelange Lärmbelästigung dazu: Vielleicht kann ein Anwohner in der Stuttgarter Stadtmitte so gegen Stuttgart 21 erfolgreich klagen?
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#132

Beitrag von annainga »

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ehemaliger_User hat geschrieben:Es ist mir neu, dass in der deutschen Rechtssprechung schon nicht eingetretene Nachteile bewertet werden.
ich kenne ein urteil, in dem ist die befürchtung "es könne sich ein innerdörfliches Rotlichtmilieu herausbilden" (es handelt sich um ein Dorf mit 850 einwohnern) maßgelich beteiligt an der entscheidung, sexarbeit nicht zu erlauben.

doch , ich denke, urteile dieser art gibts öfter :-(

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#133

Beitrag von ehemaliger_User »

In BaWü geht unter 35.000 Einwohner gar nichts....
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#134

Beitrag von malin »

ich denke bei allem für und wider hätte eine eindeutige stellungsnahme des gerichts a la "prostitution ist seit 2002 genausowenig sittenwidrig wie ein kfz betrieb und deshalb in einem wohn/gewerbekomplex hinzunehmen, basta" tausendmal mehr gebracht als jedes politische herumgeeiere (schreibt man das so?).

sehr schade dass wir noch immer in dieser scheinheiligen doppelmoral feststecken.
liebe grüsse malin

eventuell fehlende buchstaben sind durch meine klemmende tastatur bedingt :-)

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#135

Beitrag von ehemaliger_User »

Dazu braucht es mutige Richter mit gesundem Menschenverstand.

Bei uns im Dorf wurde auf Richterbeschluss eine Wiese an einem Spielplatz so umgestaltet, dass niemand mehr Ball spielen kann - weil das Ruhebedürfnis der Nachbarn höher zu bewerten sei als der Bewegungsdrang von Kindern.

Und dann soll sich ein Richter ausgerechnet in diesem Fall aus dem Fenster lehnen? Der würde sich doch gleich dem Verdacht aussetzen, selbst Kunde zu sein!

Es geht auch anders:

Filderzeitung vom 30.11.2007:

Den Einspruch eines Anwohners gegen die Baugenehmigung am Standort Stetten hatte übrigens das Stuttgarter Verwaltungsgericht im Jahr 2006 mit der bemerkenswerten Begründung zurückgewiesen, die Ausstattung des Clubs (Bar, Sauna, Poolbereich) ziele nicht unmittelbar auf die reine Befriedigung des Sexualtriebs ab. Auch die vom Nachbarn ins Feld geführte Zunahme des Verkehrs – wohlgemerkt: des Autoverkehrs – ließen die Richter seinerzeit nicht gelten. ...
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Marc of Frankfurt
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Bundesinfopool Sexwork-Regelungen fehlt

#136

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Andere Länder andere Sitten.

oder wie man früher sagte:
Kleinstaaterei





.

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#137

Beitrag von Umher »

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malin hat geschrieben:ich denke bei allem für und wider hätte eine eindeutige stellungsnahme des gerichts a la "prostitution ist seit 2002 genausowenig sittenwidrig wie ein kfz betrieb und deshalb in einem wohn/gewerbekomplex hinzunehmen, basta" tausendmal mehr gebracht als jedes politische herumgeeiere (schreibt man das so?).

sehr schade dass wir noch immer in dieser scheinheiligen doppelmoral feststecken.
Man muss im Auge behalten, dass bei der Entscheidung nicht das Vorgehen einer Behörde in Streit stand, sondern dass es um eine rein privatrechtliche Auseinandersetzung innerhalb einer Wohnungseigentumsgemeinschaft ging. Es ist nicht eine Behörde, die die Ausübung der Prostitution in dem Gebäude unterbinden wollte, sondern es waren die Miteigentümer auf rein privatrechtlicher Basis. Es geht in der Entscheidung weder um Sittenwidrigkeit noch um Moral, sondern letztlich nur darum, ob Miteigentümer in der Ausübung der Prostitution zurecht eine "erhebliche Belästigung" sehen, wie es in der von allen Mitgliedern der Wohnungseigentumsgemeinschaft zu akzeptierenden Teilungsvereinbarung heißt.
Es hängen sich jetzt alle an dem schönen Begriff "soziales Unwerturteil" auf, aber das ist ein Nebenschauplatz, zumal - wie gesagt - nicht das Gericht dieses Unwerturteil ausgesprochen, sondern nur objektiv festgestellt hat, dass es dieses Unwerturteil in der Gesellschaft gibt. Das Gericht muss in seiner Entscheidung von Tatsachen ausgehen. Die Frage für das Gericht war daher nicht, "Ist das soziale Unwerturteil berechtigt?", sondern: "Gibt es das soziale Unwerturteil?"
Dieses soziale Unwerturteil ist auch nicht der Grund, warum die Miteigentümer die Prostitution nicht dulden müssen. Der Grund ist, dass die Miteigentümer insofern erheblich belästigt werden, als die Ausübung der Prostitution im Gebäude die wirtschaftliche Verwertbarkeit ihrer Anteile am Gebäude verringert. Das soziale Unwerturteil begründet nur, warum mit dieser Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertbarkeit tatsächlich zu rechnen ist. Das heißt, wenn man die Entscheidung des Gerichtes kritisiert, müsste man bestreiten:
- dass die Ausübung der Prostitution im Gebäude den Wert der anderen Anteile am Gebäude verringert, oder
- dass dieser Wertverlust eine "erhebliche Belästigung" darstellt.

Du beklagst politisches Herumgeeiere. Tatsächlich ist das, was Du von einem Zivilgericht hier forderst, eine politische Stellungnahme, dass es ein soziales Unwerturteil gegenüber Prostitution nicht geben soll. Das Gericht hat aber nicht darüber zu entscheiden, was es geben soll, sondern darüber, was es gibt. Dass es ein soziales Unwerturteil gegenüber Prostitution gibt, ist nicht die Schuld des Gerichtes oder der Streitparteien.

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#138

Beitrag von Marc of Frankfurt »

"Im Gericht ... auf hoher See ..."
d.h. es gibt Entscheidungsspielraum in fast allen von Menschen zu treffenden Sachfragen.

Und da kommt das politische, die Zivilcourage, das Gewissen, der kulturelle Hintergund ... ins Spiel.


- Schwarze Bürger durften früher auch vieles nicht aus formal sicher ähnlich lupenreinen Gründen.
- Ganz zu schweigen von Mitgliedern anderer als der Mehrheitsreligionsgemeinschaft, wie die historische Erfahrung in D und A uns alle bitter gelehrt hat ...


Manche sind zu idealistisch und andere zu sachlich ;-(
Hoffentlich gibt einen humanen Kompromiss, wo kein Sündenbock gebraucht wird (win-win).

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#139

Beitrag von malin »

@umher: na klar verlange ich eine politische stellungnahme, oder würde sie mir zumindest wünschen.
und zwar eine die eindeutig position gegenüber diskriminierung bezieht.

natürlich ist auch mir klar dass man ein friedliches miteinander nicht gegen den willen der anwohner realisieren kann, in der praxis wäre dies wohl gescheitert.
aber zumindest ein dahingehendes urteil wäre wünschenswert gewesen.
wie soll sich in den köpfen der menschen je etwas verändern, wenn selbst die gerichte mit ihren urteilen solcherlei diskriminierung untermauern?
liebe grüsse malin

eventuell fehlende buchstaben sind durch meine klemmende tastatur bedingt :-)

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#140

Beitrag von Umher »

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:"Im Gericht ... auf hoher See ..."
d.h. es gibt Entscheidungsspielraum in fast allen von Menschen zu treffenden Sachfragen.

Und da kommt das politische, die Zivilcourage, das Gewissen, der kulturelle Hintergund ... ins Spiel.


- Schwarze Bürger durften früher auch vieles nicht aus formal sicher ähnlich lupenreinen Gründen.
- Ganz zu schweigen von Mitgliedern anderer als der Mehrheitsreligionsgemeinschaft, wie die historische Erfahrung in D und A uns alle bitter gelehrt hat ...


Manche sind zu idealistisch und andere zu sachlich ;-(
Hoffentlich gibt einen humanen Kompromiss, wo kein Sündenbock gebraucht wird (win-win).
Noch einmal:
Wenn man die Entscheidung des Gerichtes kritisiert, müsste man bestreiten:
- dass die Ausübung der Prostitution im Gebäude den Wert der anderen Anteile am Gebäude verringert, oder
- dass dieser Wertverlust eine "erhebliche Belästigung" darstellt.

Ich sage nicht, dass man das nicht bestreiten kann.
Z. B. stützt sich das Gericht auf die Erfahrung, dass Prostitution zu einer erschwerten Vermietbarkeit und Verkäuflichkeit der anderen Wohnungen führt. Man könnte einwenden, dass das nicht auf alle Formen der Prostitution zutrifft oder dass das je nach Standort oder Nutzung des Gebäudes nicht auf alle Gebäude zutrifft. Man muss auch dem Gericht nicht darin folgen, dass "Belästigung" in sinngemäßer Auslegung alle Nachteile für Wohnungseigentümer umfasst und man könnte darüber streiten, ab welchem Ausmaß eine Belästigung oder Beeinträchtigung erheblich ist.
Zuletzt geändert von Umher am 19.02.2009, 16:42, insgesamt 1-mal geändert.

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