Ökonomie der Sexarbeit

Hier können SexarbeitInnen ihren Arbeitsplatz bzw. ihre Arbeitsbedingungen beschreiben. Was erlebt Ihr alles in Eurem Beruf?
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Marc of Frankfurt
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Neue Konzepte für Wirtschaft

#481

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Bei den Wirtschaftswissenschaften gibt es derzeit die Dekonstruktion der alten Lehren zu beobachten, die zur Welt-Finanzkrise II. geführt haben in der wir uns immer noch befinden (double dip) bzw. die von der Wissenschaft nicht erkannt wurde (s.o.).


Eine diese heterodoxen Schulen ist die Ökonophysik / Econophysics (Symbiose/Kofferwort/Portmanteau aus Ökonomie & Physik). Dort wird mit den bewährten und experimentell bestätigten Werkzeugen der Physiker versucht, die Modelle der Ökonomen zu überarbeiten und ihre Fehler rauszuschmeißen... Die physikalischen Modell haben sich im sehr kleinen und sehr großen gut bewährt - d.h. sie sind besten "operationalisiert".





Oben war schon ein Ökonophysik-Beispiel: komplexes Marktverhalten führt zu Mehreinnahmen ganz ohne Kartellbildung (der Trick ständiger Tankstellen-Preisänderungen).

Einer der intl. bekanntester Vertreter ist vmtl. Prof. Steve Keen aus Sydney, Buch: "Debunking Economics" (s.o.).

Prof. Hörmann, Buch: "Das Ende des Geldes", ehemals Wirtschaftsuni Wien (da wo die Stadt einen Straßenstrich vorgesehen hatte) hält Ökonomie und Jura für reines Herrschaftswissen bzw. Machtpropaganda. Er wurde aus dem Wissenschaftsbetrieb rausgemobbt.

Hier ein Beispiel wie ein Ökonophysiker die Wohlstandsentwicklung (Wirtschaftswachstum) mit Hilfe von globalem Energieverbrauch berechnet:
  • "The current rate of energy consumption or power of civilization, and its total economic wealth, is a fixed constant of 9.7 ± 0.3 milliwatts per inflation-adjusted 1990 dollar = about 300 kiloJoules per year per 1990 dollar."

    10 Milli-Watt (Leistung in mW) = 300 Kilo-Joule (Arbeit, Energie in kJ) pro Jahr = Wohlstand im Wert von ca. 1 Euro pro Jahr.
Das heist es kann nur lineares (langsames) Wachstum geben, aber es kommt regelmäßig zu Wirtschaftskrisen, weil unser Geldsystem basierend auf privatisierter Geldschöpfung (Giralgeld = Kredit/Schuld-Geld) und Zinseszins (exponentiell) phasenweise explosiv wächst (pro zyklisch verschärfend) und zur Blasenbildung verführt oder zwingt, die dann regelmäßig platzen müssen (K. Marx und andere vorher nannten sie bereits "Überschußkrisen"). Und die Ökonomen ziehen in ihrer Modellbildung ihre Bilanzgrenzen falsch und anders als Physiker.
engl. www.positiveMoney.org/2013/01/money-and-ecology/
www.inscc.utah.edu/~tgarrett/Economics/ ... onomy.html





Auch zur sich prinzipiell verstärkenden Schere zwischen Arm und Reich gibt es Ansätze, so daß der sozial-politische Konflikt erstmals verständlich wird wie ein "Naturgesetz"

Einkommen hängt nicht nachweisbar von Leistung und Erfolg ab so wie es unser Gesellschaftsmythos predigt (Pareto-Verteilung ist Propaganda und gilt nur für die Reichen. D.h. Leistung und Erfolg sind notwendige Eintrittskarten, aber nicht hinreichend eine Garantie). Es gibt eine Vergleichbarkeit zwischen Energie und Geld und es können die Boltzmann-Gesetze der statistischen Thermodynamik angewendet werden. Dann ergeben sich zwei Bereiche, wobei die Seite der Reichen mit einem Carnot-Prozess beschrieben werden kann, also mit einer Energiemaschine oder Motor, der quasi automatisch und permanent ein höheres Niveau erzeugt (Autopoiesis?). Dieser Dampfmaschine der Wohlstandsproduktion entspricht in der realen Ökonomie ein wirtschaftliches Unternehmen (Corporation oder juristische Person i.Gs. zu natürlicher Person oder Arbeiter). Firmen maximieren ständig die Verkaufspreise und minimieren die (Lohn-)kosten um Profit = Unternehmerlohn zu erzeugen und um zu existieren. Ungleichverteilung wird so systemimmanent produziert und heute gibt es bereits Konzerne mit größerem Umsatz als ganze Staaten. Für den ärmeren Massen-Bereich der Gesellschaft (in den U.S.A. sind das empirisch 97-99%) gilt die Boltzmann-Statistik (flache Exponentialfunktion) und für das obere reiche Ende von 1-3% die superthermale Pareto-Verteilung (Potenzgesetz). Bisher war es so, dass alle offiziellen oder großen Einkommenstudien die Daten der Superreichen einfach weggelassen haben (Diskretionsbedarf oder wissenschaftlich blinder Fleck?). Ab einem Einkommen von ca. 100.000 Eur p.a. beobachte man eine Verselbständigung...
  • Lohnarbeit also auch Sexarbeitseinkommen ist ein additiver = linearer = stationärer Prozess. Das Arbeitseinkommen hängt im wesentlichen von nur 1 Eigenschaft oder Kernkompetenz ab (Arbeitskraft, Sexappeal, Berufsfachwissen). Räumliche und soziale Mobilität ist geringer bzw. wird eingeschränkt (Migrationsprobleme).
    (Boltzmann-Verteilung, flache Exponentialfunktion für 97-99% der Menschen)
  • Vermögensverwaltung oder Kapitaleinkommen ist ein multiplikativer = exponentieller = superthermaler = nicht-stationärer Prozess. Globale Mobilität des digitalen Geldes bereits im Nanosekundentakt (Algotrading). Einkommen hängt ab von Einfluß und Verantwortung z.B. der Anzahl der Mitarbeiter, Aktien, Verwertungsrechte.
    (Pareto-Verteilung, Potentialfunktion für die restlichen 1-3%)
    Praktische Rechenformeln zu diesem Gegensatz stehen z.B. hier: "Sexualität des Geldes". Der Konflikt findet sich auch zwischen gesetzlicher Rente und privater Kapitalanlage.
Quelle: Econophysics Konferenz Kolkata 2005:
engl. www.saha.ac.in/cmp/econophysics/abstracts.html

Sexworker als "Unternehmer_innen ihrer selbst" (alleinselbständige Solounternehmen, siehe oben Seite 1) sind bezüglich des Gegensätzes von Arbeiter und Unternehmer ein Lösungsmechanismus, wenn sie es lernen clever zu investieren und somit eine nachhaltige Existenz aufzubauen. Dann können sie diese zwei entgegengesetzten Mechanismen oder Welten überbrücken und den wirtschaftlichen Konflikt zwischen den Klassen befrieden (durch Befriedigung im doppelten Sinne;-) bzw. in einem Menschen, in der eigenen Person vermählen. Das wäre jetzt meine zugegebenermaßen eigenwillige Interpretation der übertragenen Bedeutung von "Hiros Gamos" dem Heiligen Koitus zwischen Sexworker (Prinzip Arbeit) und Kunden (Prinzip Kapital).





.

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Sex & Geld

#482

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Was es früher einmal gab ...

... Kranzgeld

... „Jus primae Noctis“

...



http://de.wikipedia.org/wiki/Kranzgeld

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Wachstum von kooperativem Verhalten

#483

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Wissenschaftliche Forschungsarbeit wie Solidarität entsteht:
Wird das auch für Prostitution gelten, wo die Konkurrenz so hoch ist wie im frühen Manchester-Kapitalismus?



Bedingungen:
- Lokaler Zusammenhalt muß vorhanden sein
(Migration und Reisetätigkeit d.h. Apartment-Wechsel bei Sexworkern steht dem im Wege)

- Idealisten (Sex Worker Aktivisten?) können Kooperations-Verhalten bei vielen anderen auslösen


Bild



Economic theory of sex worker solidarity formation:

High levels of intergenerational MIGRATION promote the evolution of a ‘homo economicus’ (selfishness, egoism), whereas low levels of intergenerational migration promote a ‘homo socialis’ (solidarity, other-regarding agents, networked minds, social capital), even under ‘Darwinian’ conditions of a survival of the fittest and random mutations.

The significance of LOCAL REPRODUCTION (family?, local sex worker coming-out peer group?) for the evolution of other-regarding preferences is striking.


www.bit.ly/sexworker-solidarity
= www.nature.com/srep/2013/130319/srep014 ... 01480.html


Kin (="traditional family values") or group selection would create solidarity (social control), but it only works when groups do not mix and people do not move workplaces or migrate as sex workers often do.

But an idealist born in a hostile competitive environment may trigger a cascade of cooperative behavior.

In sex work MORAL HAZARD is high, due to discretion & clandestineness because of stigma & criminalization.





Further reading:
Nobel prize 2009 "common goods" / "Allmende-Economics"
(German) "Allmende-Forschung" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=2288&start=149

Oppenheimer Law of Transformation 1896:
"All cooperatives not in the field of consumption but production or service will transform into capitalist corporations sooner or later, since with more members, the dividend or roi has to be divided and will decrease."
(German) "Genossenschaftliches Transformationsgesetz" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=4508&start=118

Iron law of wages by Ferdinand Lassalle (1825-1864):
"in perfect competition wages will decrease to the level of poverty, since workers try to work harder and more to even get some money for food... = market failure of labor market"
http://en.wikipedia.org/wiki/Iron_law_of_wages
(German) "Ehernes Lohngesetz" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=39353#39353

Sex worker cooperatives
(German) "Sex Worker Kooperativen" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=4508&start=39
Dateianhänge
Rechnerisches Modell für soziales Verhalten.
Rechnerisches Modell für soziales Verhalten.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 19.03.2013, 21:30, insgesamt 1-mal geändert.

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RE: Ökonomie der Sexarbeit

#484

Beitrag von Aoife »

Ich will einmal versuchen dazu zu kommentieren, auch wenn mir das auf Deutsch extrem schwer fällt - ich habe weder den Wortschatz noch bin ich gewohnt solche Dinge auf Deutsch zu durchdenken ...

Zunächst fällt auf, dass das Rechenmodell sich *nur* auf Darwin'sche Theorien beschränkt ... von daher ist es von vornherein falsch, da der Darwinismus nicht auf beobachteter biologischer Realität beruht, sondern von Ideologen erfunden wurde um die soziale Realität biologistisch zu untermauern ... so zeichnet das Ergebnis, dass "selbst unter Darwin'schen Voraussetzungen" unter gewissen Rahmenbedingungen ganz menschliche Verhaltensformen sich entwickeln können keine tatsächliche historische oder lokale Entwicklungsmöglichkeit auf, sondern beweist nur, dass selbst die Falschannahme "Sozialdarwinismus" nicht immer so funktioniert, wie die Sozialdarwinisten sich das wünschen würden.

Schon die Anwendung eines solchen Rechenmodells zeigt, dass unkritisch von einer sozialistischen Ideologie ausgegangen wird - was aber eigentlich eine Tautologie darstellt, denn die sozialistische Ideologie ist ja via The Fabian Society aus dem Sozialdarwinismus entstanden. Was ich eigentlich sagen will: Die Annahme menschliches Verhalten auf solche Rechengrößen reduzieren zu können ist realitätsfremd - es zeigt nur wie Menschen sich in einer irrealen, virtuellen Welt verhalten könnten, die durch beispielweise ökonomische Migrationszwänge künstlich geschaffen wird.

"homo economicus" stellt einmal ganz klar gesagt eine psychiatrische Störung dar, den Prototyp der psychopathischen Persönlichkeitsstörung - und somit ist es klar, dass in einer Gesellschaftsordnung, in der homo economicus als Modell für den Mensch an sich genommen werden kann gilt "scum rises til the top" - Abschaum steigt ganz nach oben ... und kann in diesem verdrehten Wertesystem auch einen Großteil der Bevölkerung anstecken.

Die hier als "Idealisten" Bezeichneten hingegen habe ihre psychische Gesundheit bezüglich ihrer Empathiefähigkeit erhalten oder wiedergewonnen und sind somit als "Realisten" zu betrachten. "Idealisten" hingegen, die Ideen über Alles stellen und dafür auch reale Menschen opfern, können niemals einen positiven Einfluss entwickeln, sonst hätte die mit Idealisten zum Platzen angefüllte Sowietunion niemals untergehen können. Es ist einfach ein Fehler im mathematisch-ideologischen Grenzbereich, wenn ein Verhalten als dem gesunden Mensch entsprechend programmiert und dann "idealistisch" genannt wird.

Die aus diesem Rechenspiel abgeleiteten "Lösungs"vorschläge sind somit IMHO nicht tragfähig, die zugrundeliegenden Annahmen sind einfach realitätsfremd - was nicht bedeuten soll, dass nicht Migrationszwänge dazu dienen das pathologische System zu stabilisieren ... aber dass selbst unter streng Darwinistischen Vorannahmen die Mathematik unter manchen Grenzbedingungen in Richtung psychischer Gesundheit läuft zeigt wie stark Gesundheit ist - unter realen Bedingungen können sich noch ganz andere Wege dorthin auftun. Schließlich ist die Störung, die zu "homo economicus" geführt hat in unseren Breitengraden erst wenige Dutzend Generationen alt.

Liebe Grüße, Aoife
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Re: Wachstum von kooperativem Verhalten

#485

Beitrag von Aoife »

Für diejenigen die English verstehen können hier die historische Widerlegung exemplarisch folgender Behauptung:

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Kin (="traditional family values") or group selection would create solidarity (social control), but it only works when groups do not mix and people do not move workplaces or migrate as sex workers often do.
[youtube][/youtube]

Vermischung schadet keinesfalls - sofern die sich mischenden Gruppen als gemeinsame Basis haben, dass nicht ein Mensch (Bürger) dem anderen Menschen (Staatsvertreter) gehören kann.

Erst der Irrglaube an einen Souverän, gleich ob Einzelperson oder Gremium (wie z.B. Parliament), führt zu so schlechten Bedingungen, dass viele sich gezwungen sehen als homo economicus jedes Mitempfinden über Bord zu werfen - während die kleine Minderheit, die diesbezüglich einen natürlichen Defekt aufweist, das für sie ideale Umfeld geboten bekommt.

Auch wenn das Problem somit offensichtlich nicht in Rahmenbedingungen wie "kinship versus Migration" liegt, wie das auf falschen Voraussetzungen aufbauende Rechenmodell glauben macht (auch die Blut und Boden Mystik der NAZIs beruht ja auf dieser Sozialdarwinistischen Grundannahme, ein praktischer Versuch dies zur Stärkung der Gruppe umzusetzen), sondern im Bewußtsein, so liegt es mir doch fern hieraus eine mind over matter philosophy ableiten zu wollen - es geht nicht um einen Plato'schen Idealismus, sondern um die ganz praktische Tatsache, dass das Problem auf Bewußtseinsebene geschaffen wurde und deshalb nur dort beseitigt werden kann. Eine Aussage über das Verhältnis von Bewußtsein zu Materie erübrigt sich daher.

Liebe Grüße, Aoife
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Re: Wachstum von kooperativem Verhalten

#486

Beitrag von Aoife »

Vielen Dank Marc für dein Kommentar, ich habe mir erlaubt es in dieses thread zu kopieren:

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Das erinnert mich an eine politische Grundfigur z.B. an die historische Ent-Tarnung und Aufarbeitung, dass US-Präsident Nixon die französischen Friedensverhandlungen sabotiert hatte um seine Wiederwahl abzusichern. Er hat also den Vietnamkrieg verlängert und damit unzählige Tote akzeptiert und Menschen und Soldaten -sogar des eigenen Vaterlandes- geopfert, um seine politische Karriere zu verfolgen.
weil es super geeignet ist meine trockene Bemerkung:

          Bild
Aoife hat geschrieben:... - während die kleine Minderheit, die diesbezüglich einen natürlichen Defekt aufweist, das für sie ideale Umfeld geboten bekommt.
mit Leben zu füllen.

Das brauchen weder diejenigen, die trotz widrigen Umständen zur menschlichen Realität stehen, noch die vielen, die nur aufgrund dieser Umstände ihre Empathie abspalten und sich verhalten "als ob" sie natürlicher Teil des Systems wären.

Deshalb ist es mir so wichtig zu zeigen, dass "homo economicus" alles Andere als ein "normales" menschliches Verhaltensmuster ist. Leider sind die absolut meisten Soziologen, Psychologen und auch Philosophen keine Kritiker sondern Apologeten des Systems, so dass insbesondere staatlich geförderte "Wissenschaft" leicht den Eindruck erwecken könnte, dass Fälle wie Nixon (als Beispiel weil du ihn erwähnt hast, andere Politiker nicht weniger) unvermeidliche Folge der menschlichen Natur wären. Das Gegenteil ist der Fall: Es sind vermeidbare Unfälle unmenschlicher Natur - allerdings nur vermeidbar wenn wir uns nicht länger über die grundsätzlich einfühlende menschliche Natur täuschen lassen, und begreifen lernen, dass Idealismus und Ideologien nur den ganz wenigen dienen, die "anders" sind.

Liebe Grüße, Aoife
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Re: Wachstum von kooperativem Verhalten

#487

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Es ist erstmal schön festzuhalten, wenn es Modell-Simulationen und Konzeptbildung gibt,
die sich mit den neuen alten Idealen wie Solidarität und Kooperation befassen,
und damit ein Gegengewicht liefern,
zu den bisherigen Denknormen,
die uns in die heutige Misere geführt haben
(Gedankenfiguren: Neoliberalismus, Homo Economicus, Neutralität des Geldes, Wachstumsfetsch ... verantwortlich für Finanz- und Weltwirtschaftskrise II, Krise des Kapitalismus, Peak Everything, Klimawandel...).




__
Ganz schön anstrengend, wenn du bei einem mühsam zusammengestellten Posting was Gedanken anregen soll und wissenschaftliche Quellen für uns Sexworker aufbereitet und verfügbar machen will, direkt auf die dich persönlich so stark interessierenden negativen Aspekte fokussierst und dich gezwungen siehst dekonstruieren zu müssen.

(Exkurs: Sorry, evt. bin ich nur genervt und ent-täuscht, dass hier keine breiten Diskussionen angestoßen werden können, die weite Kreise im Sexworker Land A - CH - D erreicht, weil das Forum nicht als Allmende oder zentraler Ort der Sexworker-Community gesehen wird, sondern nur als private Geschichte, als eine "Plattform" aus Wien. Somit ist jede Posting Interaktion zwischen einigen hier immer auch mit der Differenz Gast-Inhaber belastet. Das ist sicher ein Grund warum viele Leute nicht mehr hier aktiv sind, sich also nicht mehr gratis mit ihrer Lebenszeit in etwas ihnen letztlich fremden engagieren wollen.)

__


Aber da hatte ich die allerletzten 2 Kommentare hatte ich noch nicht gelesen.


Evt. hilft es schon weiter, wenn man Parlament nicht als Herrschaft der wenigen Deligierten versteht, sondern als beauftragtes Erkenntnisorgan, welches die optimalen Lösungen und Kompromisse zur Regelung des Gemeinswesens zu erarbeiten hat...

...aber dass ist off-topic im Ökonomie-Sammelthema.

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Re: Wachstum von kooperativem Verhalten

#488

Beitrag von Aoife »

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:(Exkurs: Sorry, evt. bin ich nur genervt und ent-täuscht, dass hier keine breiten Diskussionen angestoßen werden können, ...)[/i]
Nichts gegen breite Diskussionen ... nur verstehe ich dann nicht ganz wieso es dich nervt und enttäuscht, wenn zumindest ich mich an der Diskussion beteilige ...

Die Kritik richtet sich auch nicht gegen deine Aufarbeitung, Marc, sondern gegen die wissenschaftliche Originalarbeit, die ich zuvor gelesen habe. Wobei es schön wäre, wenn wirklich auch andere hier mitschreiben würden, "wissenschaftlich" ist keine heilige Kuh, jeder soll sich seine eigenen Gedanken machen, wie ja auch das Motto der Royal Society schon besagt: "Vertraue auf keines Menschen Wort!" Auch nicht auf meines - denkt bitte selbst ;)

Vielleicht habe ich mich ja auch nur zu unverständlich ausgedrückt, deshalb nochmals zur Klarstellung:

Solidarität und Kooperation sind keine Ideale, sondern ganz normales menschliches Verhalten.

Diese schönen Verhaltensweisen als Köder zu benutzen um Idealisten auf den Darwinismus einzuschwören, weil ein auf diesem beruhendes theoretisches Rechenmodell auch diese Eigenschaften sich entwickeln lassen kann ... wo bleibt da die Geschichtskenntnis? Immerhin hatten wir mit dem Nationalsozialismus und dem Sowjetkommunismus bereits zwei große Feldversuche die zeigen wohin Ideologien auf dieser Basis führen. Können wir ein neues Rechenmodell auf ebendieser Grundlage wirklich als "schön" empfinden, weil es ebenfalls die Möglichkeit von sich entwickelnder Solidarität und Kooperation unter gewissen Rahmenbedingungen in Aussicht stellt?

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Evt. hilft es schon weiter, wenn man Parlament nicht als Herrschaft der wenigen Deligierten versteht, sondern als beauftragtes Erkenntnisorgan, welches die optimalen Lösungen und Kompromisse zur Regelung des Gemeinswesens zu erarbeiten hat...
Ja - es wäre schön, wenn wir das Parlament als "beauftragtes Organ" verstehen könnten.

Geht aber nicht, weil ich mit etwas das mir selbst verboten ist auch keinen anderen beauftragen kann. Das ist das moralische Problem des Profikillers und seines Auftraggebers. Wenn ich meinem Nachbarn kein Geld abnehmen darf, dann darf ich auch das Parlament nicht damit beauftragen Steuergesetze zu erlassen. Auch Millionen, die alle etwas nicht dürfen, können nicht irgedwelche Vertreter wirksam damit beauftragen. Ähnlich mit Strafgesetzgebung - ich kann im Schadensfall Wiedergutmachung verlangen, aber nicht einen Menschen "bestrafen" der die gleichen Rechten hat wie sie mir zustehen ... und ein "beauftragtes Erkenntnisorgan" kann das ebensowenig.

Hier zeigt sich, dass das Parlament nicht nur historisch, sondern auch in seiner aktuellen Funktion ein fossiler Überrest des Feudalismus ist, es übt Funktionen aus, mit denen es nicht durch Wahlen legitimiert beauftragt werden kann, die stattdessen von Feudalherren "geerbt" wurden.

Und auch wenn das wirklich als Exkurs erscheinen mag - es hat schon mit dem Thema zu tun, insofern die "Berechnung" unter welchen Umständen Solidarität und Kooperation auftreten können keine erfolgversprechenden Handlungsanweisungen geben kann, wenn sie vom Menschenbild einer Gesellschaftsform ausgeht, in der diese normalen menschlichen Eigenschaften durch rein geglaubte, logischer Analyse nicht standhaltenden Machtstrukturen unterdrückt werden.

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#489

Beitrag von Lycisca »

Ganz so "falsch" ist die Arbeit von Grund et al nicht, dann wäre sie in Nature nie untergekommen, aber sicherlich reichlich übertrieben: Die Modellierung von Menschen durch Automaten, die ihren Lebenssinn darin finden, permanent das gleiche "Gefangenen-Dilemma-Spiel" gegeneinander zu spielen, ist eine sehr eindimensionale Sicht auf die Gesellschaft.

Die Grundaussage des Artikels ist es, dass nicht einmal die von @Aoife zu Recht kritisierte Annahme der "Ideologie vom Überleben des Stärkeren" immer verhindern kann, dass sich Kooperation durchsetzt. Diese Aussage ist allerdings mit unterschiedlichen Zusatzannahmen schon seit vielen Jahren nachgewiesen worden (z.B. Automatenwettbewerbe im Gefangenen-Dilemma-Spiel, wo sich Tit-for-Tat als beste bekannte Strategie erwiesen hat). Der Ansatz des Artikels ist es nun, Menschen durch Tit-for-Tat artige Strategien zu modellieren, wo der Nutzen der Anderen bei der Bewertung des Eigennutzens unterschiedlich stark berücksichtigt wird.

Die Schlussfolgerung des Artikels, dass die Wirtschaftswissenschaften ebenfalls mehr den Nutzen der Anderen in ihren Modellen berücksichtigen sollen, ist dabei zu unterstützen. Damit lassen sich reale Situationen oft erstaunlich einfach erklären - sogar auf Sexarbeiter-Probleme gibt es Anwendungen, wenn auch nur im Kontext der Migration und mit a-priori negativer Einstellung zur Sexarbeit (Oded Stark und Simon Fan vom ZEF Bonn: Why would some migrants choose to engage in degrading work? Antwort: Der Erfolg der Anderen in der Sexarbeit im Ausland führt zu Neid und dazu, ihnen nachzueifern. Je mehr dabei von der eigenen Gemeinschaft in der Sexarbeit sind, umso weniger wiegt die soziale Ächtung der anderen. Im Ergebnis können dann in einem Dorf alle Frauen in die Sexarbeit wandern, in einem Nachbardorf keine, weil dort die Ächtung noch von niemandem durchbrochen wurde.)

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#490

Beitrag von Aoife »

          Bild
Lycisca hat geschrieben:Die Schlussfolgerung des Artikels, dass die Wirtschaftswissenschaften ebenfalls mehr den Nutzen der Anderen in ihren Modellen berücksichtigen sollen, ist dabei zu unterstützen.
Absolut - nur wenn wir einen Schritt weiter gehen, nicht nur den Nutzen für andere befürworten, sondern auch überlegen, wie das praktisch aussehen könnte: Zumindest einer der Lösungsvorschläge, den die reine Berechnung nahelegt, nämlich Solidarität und Kooperation zu fördern indem Migration und "Vermischung der Gruppen" möglichst unterbunden werden, macht mir Bauchschmerzen ... und hier denke ich kann eine kritische Betrachtung des zugrundegelegten Darwinistischen Modells davor schützen diesen "Lösungsweg" als wissenschaftlich abgesichert anzusehen.

Wobei: Dass ich den Versuch Migration zu unterbinden ablehne bedeutet nicht, dass ich eine kultureller-Einheitsbrei-Gesellschaftsideologie und Migration um jeden Preis propagiere - jedoch bin ich überzeugt dass Migration aus Interesse/Neugier/Abenteuerlust stattfinden sollte und nicht als wirtschaftlich erzwungene Massenbewegung von Menschen die das eigentlich gar nicht wollen ... und hier regulatorisch gegenzusteuern um "Solidarität und Kooperation" zu fördern anstelle die Ursache für solche Migration, nämlich die Armut, zu beseitigen, würde nur noch weitere Opfer schaffen.

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#491

Beitrag von Lycisca »

Dass Migrationsaspekt im Artikel auf menschliche Migration angewandt wurde, ist eine Überbeanspruchung des Modells, die den Autoren als Effekthascherei vorzuwerfen ist.

Das Modell sichert nämlich durch die besonders hohe Belohnung der Kooperation, dass sich bildlich gesprochen eine Herde von Schafen auch unter Wölfen halten kann. Sobald aber ein einzelnes Schaf unter Wölfe gerät (Migration) wird es gefressen. Das ist eigentlich so banal, dass daraus kein Argument für oder gegen Migration zu konstruieren wäre.

Was sich durch ökonomische Modelle mit Kooperation allerdings teilweise erklären lässt (z.B. wieder von Stark und Fan), ist die Tendenz von Migranten, im Ausland Gemeinschaften zu bilden (siehe Iren, Italiener in New York, Deutsche in Südamerika, usw.) und ihre Kultur zu konservieren.

Überhaupt sollten Ökonomen viel mehr darauf achten, bestehende Phänomene zu erklären, und ihre Modelle bei Abweichungen davon zu verwerfen, als auf der Basis von "Gleichgewichtstheorien" Ratschläge zu erteilen, wie die Politik handeln soll. Wie die letzten Jahre gezeigt haben, taugen die allesamt ungeprüften Wirtschaftstheorien ohnedies nichts. Sie sind nämlich im Kern ähnlich primitiv, wie die hier diskutierte Simulation des Gefangenen-Dilemma-Spiels.

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#492

Beitrag von Aoife »

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Lycisca hat geschrieben:Überhaupt sollten Ökonomen viel mehr darauf achten, bestehende Phänomene zu erklären, und ihre Modelle bei Abweichungen davon zu verwerfen, als auf der Basis von "Gleichgewichtstheorien" Ratschläge zu erteilen, wie die Politik handeln soll.
:danke

Und nehmen wir zu den bestehenden auch noch die historisch bestanden habenden Phänomene hinzu, so würden sinnvolle ökonomische Theorien wahrscheinlich kaum mehr von sinnvollen psychologischen Theorien zu unterscheiden sein.

Oder denkt jemand, dass ein solcher Vergleich über die Zeit nicht zulässig ist? Der Mensch beispielsweise unter dem Selektionsdruck der Inquisition völlig anders geworden ist als er vorher war? Wäre schön verschiedene Meinungen hier zu haben :001

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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#493

Beitrag von Aoife »

Und "wie gerufen" kommt, solange das Thema noch einigermaßen frisch ist, das praktische Beispiel zur theoretischen Ausführung :002 :

          Bild
Aoife hat geschrieben:"homo economicus" stellt einmal ganz klar gesagt eine psychiatrische Störung dar, den Prototyp der psychopathischen Persönlichkeitsstörung - und somit ist es klar, dass in einer Gesellschaftsordnung, in der homo economicus als Modell für den Mensch an sich genommen werden kann gilt "scum rises til the top" - Abschaum steigt ganz nach oben ... und kann in diesem verdrehten Wertesystem auch einen Großteil der Bevölkerung anstecken.
Hier die normal menschlich solidarisch und kooperativ handelnden Prostituierten:

          Bild
Kasharius hat geschrieben:Die Prostituierten hätten vielmehr den Karton in der Küche als Sammelstelle verwendet, um es diebstahlsicher zu lagern. Am Ende des Tages seien dann die Einnahmen aufgeteilt worden. Entsprechendes gelte auch für die „einheitliche Preisgestaltung“. Die Prostituierten hätten ein Agreement getroffen und einheitliche Preise vereinbart, um gemeinsam zum Geschäftserfolg zu gelangen und nicht einen „Dumpingkampf“ führen zu müssen.
Und hier der hochneurotische (um nicht zu sagen psychotisch-entwurzelte) Richterspruch in Folge des gleichlautenden Vortrags der Finanzbehörde:

          Bild
Kasharius hat geschrieben:Die Einlassung der Prostituierten, sie würden diese Einnahmen am Ende des Arbeitstages wieder untereinander aufteilen, ist allerdings nicht schlüssig und ergibt keinen wirtschaftlichen Sinn. Würden die Prostituierten als selbständige Unternehmerinnen behandelt, wäre es widersinnig, wenn sie die Tageseinnahmen zunächst zusammenführten, um sie am Ende des Tages wieder untereinander aufzuteilen.
Mathematische Modelle wann und unter welchen Umständen Solidarität und Kooperation auftreten können helfen uns hier nicht weiter - diese Verhaltensweisen treten von alleine und natürlicherweise auf, erstaunlich ist das nur wenn man vom falschen Modell ausgeht.

Um etwas in Richtung Verbesserung zu bewirken müssten wir vielmehr wissen, wie es kommt, dass (beispielsweise) Finanzbeamte und Richter die öffentlich/amtlich erklären dass solidarisches und kooperatives Verhalten "nicht schlüssig" seien ihren sozialen Status und Einfluss behalten können? Was fehlt uns allen, dass wir eine solche Aussage nicht als das sehen was sie ist, eine seltene Abweichung von normalem menschlichen Empfinden? Wieso können wir uns nicht ganz offen von der zugrundeliegenden Annahme "der Mensch muss konkurrieren, Kooperation gibt es nur unter der Fuchtel eines Chef's, alles Andere ist unglaubwürdig" distanzieren?

Letztlich lebt ein solches System, das "Kooperation ohne Chef" als im Widerspruch zu den Steuergesetzen stehend sanktioniert doch nur von unser Aller Glauben daran ...

Liebe Grüße, Aoife
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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#494

Beitrag von Jupiter »

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Aoife hat geschrieben: Um etwas in Richtung Verbesserung zu bewirken müssten wir vielmehr wissen, wie es kommt, dass (beispielsweise) Finanzbeamte und Richter die öffentlich/amtlich erklären dass solidarisches und kooperatives Verhalten "nicht schlüssig" seien ihren sozialen Status und Einfluss behalten können? Was fehlt uns allen, dass wir eine solche Aussage nicht als das sehen was sie ist, eine seltene Abweichung von normalem menschlichen Empfinden? Wieso können wir uns nicht ganz offen von der zugrundeliegenden Annahme "der Mensch muss konkurrieren, Kooperation gibt es nur unter der Fuchtel eines Chef's, alles Andere ist unglaubwürdig" distanzieren?
Aoife, es ist ein zentraler Punkt unseres kapitalistischen Systems, dass jeder nur auf seinen persönlichen Eigennutz / Geldwert bedacht ist. Etwas anderes gibt es in dieser Gedankenwelt nicht.

Diese Gedankenwelt macht es in einer Gemeinschaft auch immer schwerer, Interesse am Gemeinwohl zu wecken.
Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#495

Beitrag von Aoife »

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Jupiter hat geschrieben:Aoife, es ist ein zentraler Punkt unseres kapitalistischen Systems, dass jeder nur auf seinen persönlichen Eigennutz / Geldwert bedacht ist. Etwas anderes gibt es in dieser Gedankenwelt nicht.
Ja richtig - und meine Frage ist: "Wie wird dieses Gedankenwelt in uns installiert - wo sie doch offensichtlich ein malware ist, das auf unserer naturgegebenen hardware nur unter massiven Schädigungen läuft?"

Und diese Frage kann nicht im akademischen Elfenbeinturm für uns Alle gelöst werden - um eine Veränderung zu bewirken muss ein Großteil der Menschen hier ihre eigene Lösung finden. Was ich grundsätzlich für durchaus möglich halte, das zentrale Problem dabei ist IMHO die Frage so zu formulieren, dass ihre Brisanz verstanden wird.

Um es vielleicht an obigem Beispiel zu erklären:

Ich kann (mal nur als Beispiel) extrem auf Eigennutz und Geldgewinn bedacht sein, trotzdem hindert mich das nicht daran zu sehen, dass andere andere Prioritäten setzen. Umgekehrt kann jemand extremem group think verfallen sein, wirklich überzeugt sein von "du bist nichts, dein Volk/Land/Religion ist alles", und andere Auffassungen moralisch zutiefst ablehnen, das wird ihn aber nicht daran hindern können zu sehen, dass es (in seinen Augen "leider") auch Menschen mit anderen Beweggründen gibt.

Das ist die Regel, mindestens 99% der Menschen haben genügend Einfühlungsvermögen um zu erkennen, dass es möglich ist dass ein anderer andere Motivationen hat als sie selbst.

Nun haben wir hier einen Richter, der dazu nicht in der Lage ist. Das Argument ist ja nicht "das ist in unserem Kapitalismus unerwünscht und kann deshalb nicht berücksichtigt werden" - er schließt die Möglichkeit einer solidarischen und kooperativen Einstellung von vornherein aus, weil sie in seinen Augen keinen wirtschaftlichen Sinn macht. Damit stellt er sich in Gegensatz zu dem Wissen von mindestens 99% der Bevölkerung, dass es sehr wohl möglich ist dass jemand aus anderen als rein wirtschaftlichen Gründen handelt ... oder auch nur andere Vostellungen als sie selbst davon haben könnte was "Sinn" macht.

Richter sind sehr schwer zu kritisieren, da der einzige an sie zu stellende Anspruch ist "so gut zu entscheiden wie sie es können" - wenn's falsch war, dann konnte er es eben nicht besser und bleibt schuldfrei. In diesem Fall ist aber der Widerpruch zur wahrnehmbaren Realität so groß, als sei das Urteil auf der Behauptung aufgebaut Gras sei normalerweise rosa - die Unfähigkeit wahrzunehmen dass es solidarische und kooperative Motivationen geben kann ohne dass diese durch einen übergeordneten "Chef" erzwungen wurden, stellt ein massives Defizit dar.

Mein Vorwurf geht also nicht an den Richter - das wäre, als wollte man einen Farbenblinden dafür kritisieren, dass er keine Farben erkennen kann .... meine Frage ist vielmehr was bringt *uns* dazu in einer Scheinwelt zu leben, die solche offensichtlichen Defizite als "Recht"sprechung anerkennt?

Sind es Ideale? Oder Ängte? Etwas ganz anderes? Oder individuell verschiedene Mischungen daraus?

Liebe Grüße, Aoife
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RE: Ökonomie der Sexarbeit

#496

Beitrag von Jupiter »

Also ich halte Juristen für eine Sorte, welche meist nicht mit normalen Maßstäben messen kann. Sie erhalten während ihres Studiums m.E. eine Gehirnwäsche und denken nur noch in Paragraphen. In diesen gibt es keine Schublade für Gemeinwohl. Das ist m.E. auch ein Hauptgrund für die allgemeine Politikverdrossenheit, weil dort vorzugsweise Juristen sitzen.

Nun was kann ich persönlich ändern. Ich lebe hier in einem Dorf, in der die Dorfgemeinschaft noch funktioniert. Also bringt man sich so weit es geht ein und spilt damit auch Beispiel für die Kids. Jetzt sind die Kids erwachsen und bringen sich dort, wo Studium, Job, usw. sie hinverschlagen hat auch ein.

Gruß Jupiter
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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#497

Beitrag von Aoife »

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Jupiter hat geschrieben:Sie erhalten während ihres Studiums m.E. eine Gehirnwäsche und denken nur noch in Paragraphen. In diesen gibt es keine Schublade für Gemeinwohl.
Nun, als Generalverurteilung würde ich das nicht unterschreiben :002 - als statistische Tendenz ist wohl etwas daran :009

Trotzdem, ich mache mir weniger Gedanken um Einzelne, bei denen "etwas nicht stimmt", sondern frage mich vielmehr wo unser aller Problem ist, dass wir diesen Absurditäten so viel Macht über unser Leben einräumen ...

Liebe Grüße, Aoife
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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#498

Beitrag von Jupiter »

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Aoife hat geschrieben:  Trotzdem, ich mache mir weniger Gedanken um Einzelne, bei denen "etwas nicht stimmt", sondern frage mich vielmehr wo unser aller Problem ist, dass wir diesen Absurditäten so viel Macht über unser Leben einräumen ...

Ja, auch da kommen auch bei mir ungute Gedanken auf, immer wieder Absurtistan vor der Haustür.

Gruß Jupiter
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Re: RE: Ökonomie der Sexarbeit

#499

Beitrag von fraences »

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Jupiter hat geschrieben:Nun was kann ich persönlich ändern. Ich lebe hier in einem Dorf, in der die Dorfgemeinschaft noch funktioniert. Also bringt man sich so weit es geht ein und spilt damit auch Beispiel für die Kids. Jetzt sind die Kids erwachsen und bringen sich dort, wo Studium, Job, usw. sie hinverschlagen hat auch ein.

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@Jupiter
Dazu ein tolles Video die zu deine Aussage sehr gut passt.



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RE: Ökonomie der Sexarbeit

#500

Beitrag von Jupiter »

Danke Fraences, das Video ist nett gemacht, aber die Realität ist doch oft das "Wegschauen".

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