Hells Angels Interview:
«Wir hatten ja nichts zu verstecken»
Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit viereinhalb Jahren gegen die Zürcher Hells Angels, unter anderem wegen des Verdachts, die Hells seien eine kriminelle Organisation. Der heutige Präsident nimmt erstmals Stellung.
Was sind die Hells Angels?
Alois B.: Wir sehen uns ganz klar als Motorradklub. Wir sind aber auch eine Familie. Wir leben hier einfach unseren Stil. Unsere Philosophie ist das Biken, das Zusammenleben. Man ist 24 Stunden am Tag ein Hells Angel, nicht nur sieben Stunden. Wir leben unsere Welt.
Den Hells Angels wird vieles nachgesagt: dass sie mit Drogen zu tun haben, mit Prostitution, mit Gewalt
Wenn man mich mit Respekt behandelt, dann kommt auch Respekt retour. Wirft man aber mit Scheisse auf mich, dann kommt Scheisse retour. Das möchte ich dazu sagen.
Drogen, Prostitution, Gewalt?
Mit Drogenhandel, mit harten Drogen, haben wir nichts zu tun. Sicher gibt es den einen oder anderen, der mal einen Joint raucht, wie der andere ein Bierchen trinkt. Das ist nicht verboten bei uns.
Gegen die Hells Angels wird seit der Razzia im März 2004 ermittelt. In den Ermittlungsakten ist zum Beispiel von Hanfhandel im grossen Stil die Rede, von einer Indoor-Anlage, in die auch Sie als damaliger Vizepräsident Geld investiert haben sollen.
Ich verstehe nicht, weshalb ein derartiges «Gschiss» wegen einem Hanfgarten gemacht wird. Jeden zweiten Tag kann man in der Zeitung lesen, dass irgendwo ein Hanfgarten aufgeflogen ist. Das hat mit einer kriminellen Organisation aber nichts zu tun. Es stimmt, einer von uns hatte einen Hanfgarten. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Auch gegen Sie wird ermittelt.
Ja. Es geht um diesen Hanffall. In den Einvernahmen musste ich immer wieder hören: Sie sind Vizepräsident, sie müssen von allem gewusst haben – mich versucht man überall irgendwie hineinzudrücken.
Das ist ein Stück weit nachvollziehbar. Als Vizepräsident, der Sie damals waren, muss man doch wissen, was läuft.
Sollte man, ja. Ich wusste aber von vielem, was da lief, nichts.
Welchen Bezug haben Sie zum Rotlichtmilieu?
Mit Prostitution haben wir überhaupt nichts zu tun. Das kann ich mit gutem Gewissen sagen. Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Klub. Es hat früher sicher einzelne Mitglieder gegeben, die Freundinnen hatten, die anschafften. Heute ist das nicht mehr verboten. Deshalb sehe ich keinen Grund, weshalb das ein Problem sein sollte.
Sie leugnen also nicht, dass es Kontakte zum Milieu gibt?
Wenn man im Kreis 4 oder 5 aufgewachsen ist und dort heute noch lebt, dann kennt man viele Leute. Auch solche, die dem Milieu zuzuschreiben sind.
Aber spielen die Hells Angels eine aktive Rolle im Milieu?
Nein. Wir haben mit Zuhälterei und Prostitution nichts zu tun.
Was ist mit den aktenkundigen Buttersäureanschlägen auf Bordelle? Das riecht doch nach Verdrängungskampf im Milieu?
Das betrifft mich nicht.
Für den Anschlag war aber ein Hells Angel verantwortlich.
Ja.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Einzeldelikten – aber auch wegen Verdacht auf eine kriminelle Organisation.
Diesen Vorwurf weisen wir zurück. Das Bundesgericht hat den Begriff kriminelle Organisation definiert. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass wir weit davon entfernt sind.
Das schliesst aber nicht aus, dass einzelne Mitglieder durchaus kriminell sein können.
Ja.
Und dürfen?
Ich sehe das nicht so eng. Es hat Vorfälle gegeben, die eher unschön waren. Aber die müssen auch erst bewiesen werden.
Vor der Razzia wurde zwei Jahre lang verdeckt ermittelt. Haben Sie nie Verdacht geschöpft?
Es hat sicher Hinweise gegeben. Wir haben diese aber zu wenig wahrgenommen.
Welche Hinweise hatten Sie?
Es hat ab und zu geknackt im Telefon. Und wir haben auch gemerkt, dass die Ermittler uns gelegentlich nachgefahren sind, dass uns auf die Finger geschaut wurde.
Haben Sie diese Hinweise nicht Ernst genommen?
Nein. Wir hatten ja nichts zu verstecken.
Damals war es eher ruhig um die Hells Angels. Wie erklären Sie sich die gross angelegte Razzia?
Im Nachgang zum 11.September schnürten viele Länder Pakete gegen Terrorismus, gegen Geldwäscherei und gegen organisierte Kriminalität. Auch unsere Bundesanwaltschaft wurde mit viel Geld und mit politischem Segen aufgerüstet. Diese musste der Politik im Gegenzug natürlich versprechen, auch entsprechende Fälle zu liefern. Diese blieben aber aus.
Die Razzia brachte einiges an den Tag. Die Hells Angels sind nicht nur die Unschuldslämmer, als die sie sich gelegentlich darzustellen versuchen.
Wie gesagt, wir sprechen hier von Einzeldelikten. Und diese müssen vom Gericht erst noch bewiesen werden. Sollte dies gelingen, werden die einzelnen Mitglieder zur Rechenschaft gezogen und dafür auch geradestehen. Es ist aber so: Die Hells Angels sind eine Gruppe von Leuten, die versuchen, die mögliche Freiheit, die man in der Schweiz noch hat, voll und ganz auszunützen. Und ich habe auch nichts dagegen, wenn es mal ein bisschen mehr ist.
Es wurden Waffen beschlagnahmt. Gehört das zur Freiheit?
Das ist nichts Atypisches. 80 Prozent der Waffen in der Schweiz sind in Privatbesitz. Wir besitzen sie legal. Und: Alle Waffen wurden einem ballistischen Test unterzogen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass eine unserer Waffen im Zusammenhang mit einem Verbrechen gebraucht wurde.
Laut den Ermittlungsprotokollen sollen einige Hells-Mitglieder einen Raub auf einen Geldtransporter geplant haben.
Ich kann dazu nicht näher Stellung nehmen, weil ich nicht involviert war. Nur so viel: Geredet wurde viel, ausgeführt wurde schlussendlich aber nichts.
Aber ist es alltäglich, dass am Rockerstammtisch über einen Raub diskutiert wird?
Wenn man so zusammensitzt, wird doch viel erzählt. Wem ist das nicht auch schon passiert. Der eine hat vielleicht Schulden oder braucht Geld, und dann dreht sich das Gespräch schnell einmal um einen Banküberfall. Und was unterscheidet einen Banküberfall von einem Überfall auf einen Geldtransporter? Nicht viel, finde ich.
Beides sind kriminelle Taten.
Wenn man es ausführt, ja.
Harleys, Luxusautos, Schmuck, mit dem ihr kokettiert: Viele Besitztümer der Hells Angels deuten auf einen gewissen Reichtum hin. Der Link zu krummen Geschäften ist schnell gezogen.
Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin Geschäftsmann, habe zehn Angestellte, verdiene gutes Geld, versteuere auch gutes Geld. Aber: Die Geldbeschaffung an sich hat mit dem Klub nichts zu tun.
Die Geldbeschaffung hat nichts mit dem Klub zu tun, die kriminellen Taten sind Einzeldelikte und haben auch nichts mit dem Klub zu tun – ihr tut alles, um den Verdacht vom Klub zu lenken. Kann man das trennen?
Ja. Das kann und muss man sogar trennen. So ist es auch in unseren Statuten beschrieben. Das war immer so. Und wird immer so bleiben.
Wie sind die Hells Angels aber organisiert? Handelt jeder einzelne letztlich autonom?
Ich bin froh, wenn ich weiss, dass neue Leute nicht kriminell sind, wenn sie in den Klub wollen. Zudem muss sich jeder gut überlegen, ob er etwas tun will, was den Klub schlussendlich negativ belasten könnte. Kommt irgendetwas auf den Klub zurück, muss der Einzelne mit Konsequenzen rechnen.
Mit welchen?
Mit dem Ausschluss zum Beispiel.
Im Ausland geht die Loyalität den Hells Angels gegenüber sehr weit, gelegentlich bis hin zum Mord.
Es ist richtig, dass wir alle die gleiche Jacke und das gleiche Emblem tragen, dass wir von einer Familie sprechen, und zwar weltweit. Aber: Wenn es zum Beispiel in Kanada Tote gibt oder wenn anderswo mit harten Drogen gehandelt wird, dann heisst das nicht, dass wir das hier in der Schweiz gutheissen.
Wie weit geht die Loyalität hier?
Sicher nicht bis zu Mord.
Es ist noch keinem Land gelungen, den Hells Angels den Stempel einer kriminellen Organisation aufzudrücken.
Deshalb frage ich mich auch, warum die Bundesanwaltschaft nicht gegen die wirklich kriminellen Organisationen ermittelt, zum Beispiel gegen die Ostblockorganisationen. Hier kann ich mit Bestimmtheit sagen: Die gibt es. Und: Da ist Fleisch am Knochen. Wieso also ermittelt die Bundesanwaltschaft nicht in diesen Kreisen und versucht, dort ein Resultat hinzubekommen? Dieses Resultat würde auch die Politik befriedigen – anders als die Ermittlungen gegen uns.
Interview: Martin Kaiser
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