Verbrechen katholischer Priester

Abgesehen vom Fehlen der nötigen Hilfsinstitutionen für Sexworker findet hier auch alles Platz, was ihr an bestehenden Einrichtungen auszusetzen habt oder loben wollt
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Aoife
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#21

Beitrag von Aoife »

Danke, Marc!

Und ich möchte aus Herrn Drewermanns Ausführungen Folgendes zitieren:
"Dementsprechend sind diejenigen, die sich an Kindern vergangen haben, selbst noch halbe Kinder. Sie sind festgeschrieben in ihrer Erfahrung aus ihrer Jugend, zeitlich begrenzt auf die Phase kindlicher bzw. jugendlicher Zuneigung."

Was hier auf pädophil homosexuelle Priester gemünzt war, gilt sinngemäß auch für heterosexuell pädophile Väter und Onkels,
und ist somit einer von mehreren Mechanismen, die bei der Frage:
Aoife hat geschrieben:..., welchen Einfluß Jahrhunderte katholischer Moral wohl auf die Familien haben, ...
berücksichtigt werden müssen. Oder besser gesagt "müßten" - ich vermute, dass Herr Drewermann mit seiner Einschätzung Recht hat,
dass wieder einmal bestenfalls nur menschliches Versagen bedauert werden wird, ohne die Ursache benennen zu dürfen.
Und wenn schon Priesterversagen nicht der Kirche angelastet werden kann, um wie viel weniger dann Familienversagen :009

Die kirchliche Logik ist wirklich doppelt pervers im Fiedler'schen Sinn, indem sie nicht nur Opfer schafft, sondern diesen dann
auch noch die Schuld andichtet.

Liebe Grüße, Aoife
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Kajus
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Re: "Zölibat" als Spielform menschlichen Sexualver

#22

Beitrag von Kajus »

          Bild
Aoife hat geschrieben:... Andererseits - es könnte wohl auch sein, dass die zölibatäre Lebensweise insbesondere solche Personen anzieht,
die ohnehin nicht zur hetrerosexuellen Lebensweise mit erwachsenem Partner neigen.

So gesehen wäre "Zölibat" wie auch andere Spielformen der Keuschhaltung im SM- und Fetischbereich anzusiedeln.
Weshalb ich eine Pathologisierung der Einstellung an sich unsererseits für kontraproduktiv halte.
Ich denke, wir sollten "Zölibat" als Spielform menschlichen Sexualverhaltens gleichgestellt neben anderen Spielarten akzeptieren.
"Schuld an diesen Entwicklungen" ist IMHO nicht das Zölibat, sondern die Arroganz seiner Befürworter, denen es gelungen ist,
für ihre Eigenart eine besondere "moralische" und gesellschaftliche Anerkennung zu erringen, auf Kosten aller
anderen Ausdrucksweisen menschlicher Sexualität.

"Pervers" im Sinn der Fiedler'schen Moral ist also nicht das Zölibat selbst, sondern die gesellschaftliche Gewohnheit, es als
höherwertig als beispielsweise pony play oder Intimpiercing zu betrachten. ...
Ich denke, es kommen im Rahmen der katholischen Kirche und ihrer Sexualmoral mehrere Probleme zusammen. Zunächst einmal beeinflusst die katholische Kirche die Denkweise und Einstellungen der Menschen auch außerhalb der Kirche, denn sie wirkt neben anderen als eine wichtige moralische Institution der christlichen Weltreligion in allen Bereichen des christlichen Kulturraums und seines Einflussbereichs. Es ist ganz nebenbei bemerkt nicht die einzige christliche Institution mit einer äußerst fragwürdigen Sexualmoral und einem bruchstückhaften unvollständigen Menschenbild.

Auch die protestantische Kirche mit ihrem Versuch, im Gegensatz zur katholischen Kirche Sexualität als eine gottgefällige gesunde und saubere Angelegenheit glücklicher Familien, Singels, gleichgeschlechtlich oder sonstwie veranlagter Menschen definieren zu wollen, scheint mir reparaturbedürftig. Das ist aber ein anderes Thema.

Die katholische Kirche zieht Menschen an, die von vornherein eine „passende“ Einstellung haben und für ihre sexuelle Einstellung in der Kirche den richtigen Rahmen finden. Ein Mann mit einer starken Libido, der auf Frauen steht, wird nicht ohne weiteres katholischer Priester. Der homosexuell veranlagte Mann und auch der pädophil veranlagte Mann ist hier bestens aufgehoben und findet einen perfekten Organisationsrahmen um in aller Heimlichkeit und einem systematischem Ausschluss der Frauen seinen Neigungen nachzugehen. Man möge mir nachsehen, dass ich Homosexuelle und Pädophile hier in einem Atemzug nenne. Das soll keine zwangläufige innere Verbindung andeuten, die es so nicht gibt, die Verknüpfung erfolgt ausschließlich durch das "Angebot" der Kirche, in einer Kombination von Frauenausschluss, Zölibat und katholischer Sexualmoral, perverser Leidenslegenden und einer passenden Bebilderung. Nicht unterschätzen sollte man, dass die Kirche das pädophile, zumindest Frauen eher weniger zugeneigte Personal selbst schafft durch das von ihr vermittelte Menschenbild und durch die katholische Sexualmoral in den von der Kirche organisierten Institutionen wie Kindergärten, Schulen und Jugendorganisationen. Dort finden sich dann (haupsächlich männliche) Kinder (als Opfer) wieder, die diesen Männern ausgeliefert werden. Nicht jeder katholische Priester oder Pater ist pädophil, aber der Anteil, und davon bin ich fest überzeugt, ist deutlich höher als außerhalb der Kirche. Und auch in der Sexualität macht Gelgenheit Diebe und die Not führt zu seltsamen Konstellationen. Glückliche Kinder sind Kinder, deren Eltern und Lehrer ein erfülltes und intensives Sexualleben haben. Nichts gefährdet Kinder mehr als Ehen ohne Sex und Lehrer, die nicht verheiratet sind oder besser gesagt, die kein erfülltes Sexualleben haben und nicht einer gewissen „Überwachung“ oder „Kontrolle“ durch den Partner unterliegen. Das katholische Schulsystem ist eine ideale Organisationsform für (sexuellen) Missbrauch durch Männer.

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Marc of Frankfurt
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#23

Beitrag von Marc of Frankfurt »

gleich


Die Priester und der Sex -
Wie viel Wahrheit wagt die Kirche?


Sendung am 24.02.2010

Die katholische Kirche in der Krise: Missbrauchsfälle, Übergriffe auf Schutzbefohlene. Und der Vorwurf, dass vertuscht und verschleiert wurde, statt den Opfern zu helfen. Wem nützt eigentlich der Zölibat? Was muss noch passieren, damit auch die Not der Priester erkannt wird? Und wie stark ist ein Glauben, der die Glaubwürdigkeit verliert?


http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/sendu ... php5?akt=1

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RE: Verbrechen katholischer Priester

#24

Beitrag von Ariane »

Ich fand folgendes Interview mit der Psychoanalytikerin Perner zum Thema sehr erhellend, da m.E. die sexuelle Unreife eine wesentliche Rolle spielt, die zu einem abnormen Sexualverhalten verhelfen. Abnorm im Sinne, dass man andere Menschen qua eigenen unreflektierten Mangels bewußt oder unbewußt verletzt. Die Wertschätzung und Konsultation von Sexualbegleitern/Innen und der Wegfall des Zölibats wären sicher für junge Männer hilfreich, bevor sie das Priesteramt beschreiten und darüberhinaus.http://www.sueddeutsche.de/politik/253/503476/text/

Sexualität und Lust ist eine natürliche Conditio sine qua non des individuellen Lebens, und wer das unterbindet, egal, welche Institution oder man selbst oder in der Folge davon, wird im Verbotskorsett entweder krank oder unglücklich, gar zum Täter.
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Realitätsproblem des Idealismus

#25

Beitrag von Aoife »

Interessanter Artikel, danke Ariane!

Wobei ich anmerken möchte, dass die kath. Kirche seziell auf sexuellem Gebiet auffällig wird, weil das nun einmal ihr Lieblingsfeind ist.

Letztlich ist aber jeder Idealismus infantil und gefährlich, weil "Ideen" (also Archetypen) zunächst einmal natürlicherweise
das Einzige sind, worauf ein unerfahrenes Kind zurückgreifen kann, und weil von Idealen gesteuerte Menschen dazu neigen,
ihre realen Mitmenschen zu opfern, wenn diese als im Widerspruch zu ihren Idealen stehend empfunden werden.

Dass sie sich hiermit auch selbst zugrunde richten, kann von ihnen selbst nicht wahrgenommen werden,
denn das würde ja einen "reifen" Realitätsbezug voraussetzen. Deshalb darf man leider auch nicht erwarten,
mit "vernünftigen" Argumenten etwas erreichen zu können.

Gerade auch in Bezug auf die aktuellen schwedischen Vorfälle
viewtopic.php?p=76313#76313
scheint mit diese Betrachtungsweise wichtig zu sein.
Natürlich weist traditionelle Religiosität noch mehr infantile Elemente auf, aber prinzipiell kann jeder Idealismus, auch wenn
er sich "Feminismus" nennt, solch verheerende Wirkungen entwickeln.

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Kajus
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#26

Beitrag von Kajus »

Zum Erwachsenwerden gehört es, die eigene Sexualität zu erkennen und zu akzeptieren. Die Sexualität ist der eigentliche Motor der Entwicklung. Durch die Ablehnung der Sexualität und aller sexuellen Bedürfnisse durch die Kirche besteht die Gefahr, dass die persönliche Entwicklung, nicht nur die sexuelle Entwicklung, die nicht zu trennen ist von der Gesamtentwicklung und dem Reifeprozess der Persönlichkeit, auf der Strecke bleibt. Auch ein Pater oder Priester muss sich mit der eigenen Sexualität und die Kirche mit der Sexualität ihres Personals auseinandersetzen und darf den Zölibat nicht als Flucht verstehen. Das war lange Zeit der Fall.

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#27

Beitrag von Lycisca »

Die öffentliche Diskussion zu den sexuellen Übergriffen durch Priester verläuft zusehends nach dem Muster: Priester/Ordensleute haben offenbar ein andersartiges Sexualleben (nämlich Zölibat). Daher wird das kriminelle Verhalten von Priestern primär durch diese Andersartigkeit erklärt.

Es handelt sich um die gleiche Argumentation, die auch zur Stigmatisierung von SW geführt hat: SW haben ein andersartiges Sexualleben - und sie werden sofort in die Schmuddelecke (Rotlichtmilieu) mit kriminellen Ausbeutern (Zuhälter, Menschenhändler) gestellt. (Das wäre so, als wollte man die Opfer von Wohnungseinbrüchen dem räuberischen Bandenmilieu zuordnen.)

Ich vermute, dass unter Priestern/Ordensleuten genau so viele Mörder, Sexualverbrecher etc. zu finden sind, wie im Durchschnitt der Bevölkerung. Insbesondere bezweifle ich, dass ihr Sexualleben irgendetwas mit ihren Taten zu tun hat. Das Problem liegt in den Strukturen: a) Der Vertrauensvorschuss, der Priestern, Lehrern und generell "Autoritätspersonen" entgegen gebracht wurde und noch wird, verhindert, dass bei Verdacht auf Fehlhandlungen genauer hingesehen wird. b) Die Vorgesetzten in der Organisation (Kirche, Schule) wollen sich selber (vernachlässigte Dienstaufsicht) und den Ruf ihrer Organisation schützen, indem sie Anschuldigungen abwiegeln und Missstände vertuschen.

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Das Aufstellen einer moralische Hirarchie Zölibat-Sexwork

#28

Beitrag von Aoife »

Lycisca hat geschrieben:Die öffentliche Diskussion zu den sexuellen Übergriffen durch Priester verläuft zusehends nach dem Muster: Priester/Ordensleute haben offenbar ein andersartiges Sexualleben (nämlich Zölibat). Daher wird das kriminelle Verhalten von Priestern primär durch diese Andersartigkeit erklärt.

Es handelt sich um die gleiche Argumentation, die auch zur Stigmatisierung von SW geführt hat: ...
Danke, Lycisca, für diesen interessanten Aspekt!

Allerdings sehe ich schon eine gewisse Assymetrie, die Stigmatisierung der SW beruht ja zum größten Teil auf unserer von kirchlichen Vorgaben abweichender Lebensweise.
Die jetzige Kritik an Priestern hingegen betrifft nicht nur die Diskrepanz zu einem von unbeteiligten Anderen geforderten Verhalten, sondern die offensichtliche Unfähigkeit,
die selbstgewählte und für andere als verbindlich geforderte Lebensweise auch nur selbst durchzuhalten.

Ich gebe dir völlig Recht, Lycisca, dass nicht "das Zölibat" für die Übergriffe katholischer Priester auf Schutzbefohlene verantwortlich ist.
Sondern die moralische Höherbewertung des Zölibats gegenüber anderen Lebensweisen. Zumindest sehe ich das schon als Ursache.
Lycisca hat geschrieben:Ich vermute, dass unter Priestern/Ordensleuten genau so viele Mörder, Sexualverbrecher etc. zu finden sind, wie im Durchschnitt der Bevölkerung.
Ich befürchte, verläßliche Zahlen wird es zu dieser Fragestellung wohl nie geben ...
Und selbst, wenn es deutlich mehr sein sollten, als in der Normalbevölkerung, so stellt sich die Frage,
ob diese als Vergleichsgruppe überhaupt geeignet ist ...
Man wird ja nicht nach dem Zufallsprinzip Priester, sondern weil man sich von dieser Lebensweise angezogen fühlt.
Wie vielen mag das Zölibat eine wirksame Hilfe sein, ihre sozialunverträgliche Sexualität zu kontrollieren - und was würden sie ohne dieses "anrichten"?
In diesen Fällen wäre das Zölibat dann sogar eine sehr nützliche und hilfreiche Einrichtung ...

NUR: Das Aufstellen einer moralische Hirarchie ist weder gerechtfertigt noch nützlich. Der eigentliche Grund *unserer* Stigmatisierung ist ja nicht unser andersartiges Sexualleben,
sondern dass unsere Andersartigkeit in der kirchlichen und somit gesellschaftlich akzeptierten Wertigkeit als Gegenpol zum "edlen und reinen" Zölibat betrachtet wird.

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Kajus
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#29

Beitrag von Kajus »

Der Zölibat ist nicht primär die Ursache für die Probleme. Mitverursacht wurde das Problem aber dadurch, dass die katholische Kirche auf einem hohen Ross saß und lange Zeit so tat, als sei sie von der Problematik der Sexualität nicht betroffen. Das Zölibat schaltet ja nicht die Libido ab.

Das führte dazu, dass die Sexualität bei Ordensleuten und Priestern überhaupt kein Thema war, auch nicht für die Personen selbst. Das funktioniert nicht. Auch der katholische Priester und Pater muss sich, Zölibat hin, Zölibat her, mit seiner eigenen Sexualität auseinandersetzen, so wie wir alle. Die Gefahr liegt darin, den Zölibat als sicheren Hafen anzusehen, gleichzeitig zu verdrängen, dass ein Pater z.B. sexualisierte Gewalt gegenüber einem Kind oder Jugendlichen ausübt als Ersatz oder zum Ausleben seiner Sexualität. Ich wette, viele hatten nicht einmal ein Schuldbewusstesein, nicht einmal einen Anflug davon. Sie waren mit sich, der Kirche und dem lieben Gott im Reinen. Warum sind diese Männer nicht aus der Kirche ausgeschlossen worden wie Priester oder Ordensleute, die heiraten wollen? Solange es nicht zum Eklat mit einer Frau kam, war alles gut. Und das soll dann nix mit dem Zölibat zu tun haben? Die Jungs schwiegen, auch später als Erwachsene. Wer legt sich mit der Kirche und dem lieben Gott an? Und viele Verantwortliche in der Kiche, die das deckten und unter den Teppich kehrten, fanden eigentlich nichts dabei, da SM-Praktiken traditionell wesentlicher Teil der katholischen Kultur, Pädagogik und Ordenskultur sind. Die Frauen wurden ausgeschlossen und dann haben die eben ihr eigenes Ding gedreht. Man ließ sie machen. Die wundern sich noch immer, über was sich da alle auf einmal so aufregen und was die Opfer von ihnen wollen. Ich behaupte, ein Großteil der aktiven Priester hat als Kind selbst im Rahmen der Kirche sexuelle Gewalt erfahren.
Sie können nur dann die Opfer verstehen und Mitgefühl empfinden, wenn sie dieses Leid, das man ihnen angetan hat, selbst empfinden würden, also zulassen, z.B. im Rahmen einer Therapie, nicht, wenn sie es weiter verdrängen. Kein katholischer Priester wird das tun. Er ist in diesem System sozialisiert.

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Wirtschaftsmacht Kirche

#30

Beitrag von Lycisca »

Ein weiterer Grund, warum die Missbrauchsfälle nur zögerlich aufgedeckt wurden, könnte die wirtschaftliche Macht der Kirche sein, wie folgende Zitate zeigen:

Geschockt, aber teils auch wenig überrascht reagiert man in jener steirischen Gemeinde [St. Gallen bei Admont, Steiermark], in der ein Pfarrer Kinder missbraucht hat. [...] "Das hat ja eh jeder gewusst", wundert sich im Gasthaus Hensle ein rauschebärtiger Mann am Stammtisch [...] Auch seine Gasthausfreunde ärgern sich über den Wirbel [...] Im 1700-Einwohner-Ort am Nordrand des Gesäuses hat man den Geistlichen, der hier zwischen 1975 und 1986 Pfarrvikar, danach bis 2007 Pfarrer war, geschätzt. So sehr, dass es sogar eine Unterschriftenaktion gegen seinen kurzzeitigen Abzug (in den 1980ern waren erste Gerüchte aufgetaucht) gegeben hat, um ihn zurückzubekommen. [...]

Jeden Tag sei der beliebte Pfarrer ins Kaffeehaus am Hauptplatz frühstücken gekommen. Dort, wo sich [...] eine Zweigstelle jener Versicherungsanstalt drängen, in der der Abt im Aufsichtsrat sitzt. Das Stift ist allgegenwärtig. Nicht nur als geistliche Quelle, es ist auch einer der wichtigsten Wirtschaftsbetriebe der Region. Das Portfolio der Stiftsbetriebe reicht von der Forstwirtschaft über eine Privatschule bis zu Kleinkraftwerken, von der Beteiligung an einem Skilift und dem Betrieb eines Pflegeheims bis zu einem Museum.

Quelle: Die Presse, Print Ausgabe 1.3.2010, "Alle mochten den Herrn Pfarrer"

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Machtprivileg

#31

Beitrag von Kajus »

Es kann nicht sein, dass es in einem so kleinen Rahmen wie Lycisca es im vorhergehenden Posting schildert, nicht alle Einwohner in der kleinen Gemeinde wussten, dass der Herr Pfarrer auf kleine Jungs steht. Doch niemand sagte etwas, niemand unternahm etwas, alle ließen den Mann Gottes gewähren. Und in diesem Machtgefüge hat er bestimmt genauestens darauf geachtet, welche Jungs mit welchem familiären Hintergrund er sich vornahm. Bestimmt nicht die Söhne derjenigen, die etwas unternommen hätten, also genug Macht und Selbstbewusstsein gehabt hätten, dagegen vorzugehen. Unglaublich.
Zuletzt geändert von Kajus am 01.03.2010, 18:33, insgesamt 1-mal geändert.

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Moralmonopol

#32

Beitrag von Ariane »

Es dreht sich alles nur um Macht und hierarchische Strukturen und hier finde ich den Vergleich zwischen SW und Missbrauch durch Ordensleute zielführend, wenngleich die Kirche und das Moralmonopol das sog. Abnorme und Sittenwidrige von SW erst konstituiert haben, was sie schlussendlich bekämpfen.
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#33

Beitrag von Kajus »

Ariane, das verstehe ich jetzt nicht. In dem Zusammenhang dieser Gemeinde kann ich mir Machtstrukturen vorstellen, die so sind, dass nichts passiert, wenn der Herr Pfarrer sich nicht an dem Falschen vergeht. Außerdem wird es denjenigen, die da Macht haben, nicht verborgen geblieben sein und sie hätten dadurch gegebenenfalls den Pfarrer in der Hand gehabt. Im eigenen Interesse hätte man dem Kinderficker zeigen können, wo seine Grenzen Grenzen sind. Insofern wären dann viele an diesem Missbrauch beteiligt gewesen. Jeder machte da sein Geschäftchen. Und innerhalb der Kirche hat man halt auch geschwiegen, vertuscht, unter den Teppich gekehrt - aus vielen Gründen, unter anderem, weil man nichts dabei fand (s. mein vorangehendes Posting). So weit, so gut.

Aber wie meinst du das jetzt im Zusammenhang mit Sexworkern? Gäbe es dort eine Prostituierte, hätte man sie vermutlich gelyncht, gevierteilt, vertrieben, bestimmt nicht geduldet.

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Marc of Frankfurt
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#34

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ich denke es bezog sich auf die allgemein von Aoife formulierte These:

Konstruierte hegemoniale Hirachie von Zölibat bis Prostitution.

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#35

Beitrag von Kajus »

ok, Enthaltsamkeit als die moralisch am höchsten stehende Form und Prostitution als eine der niederen. Und Missbrauch als verdrängte Realität, ein Ventil damit das aufrecht erhalten werden kann, was sich als unbrauchbar, unlebbar, unorganisierbar erwiesen hat. Der Bauer die Magd (oder den Knecht, je nach Orientierung), der Mann Gottes den Buben oder die Haushälterin, der arme Almöhi das Huhn usw.
Prostitution geht garnicht, da die Prostituierte der lebende Beweis dafür ist, dass die Enthaltsamkeit häufig nicht funktioniert.
Aber wieso hat das dann nichts mit dem Zölibat zu tun, wie alle immer wieder behaupten? Es wird auch immer wieder behauptet, der Zölibat habe nichts mit dem Ausschluss der Frauen zu tun.

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#36

Beitrag von Aoife »

Kajus hat geschrieben:Aber wieso hat das dann nichts mit dem Zölibat zu tun, wie alle immer wieder behaupten?
Es wird nicht unbedingt direkt durch das Zölibat verursacht.
Das Zölibat ist nur eine Ausdrucksform sexueller Einstellung, Wie das Anbieten von pay6 auch.

Hier eine direkte Ursache- wirkungsbeziehung herstellen zu wollen, ist nicht nur nicht sachgerecht und ungerecht,
sondern stellt (wie Lycisca sehr schön herausgearbeitet hat) auch für *uns* eine Gefahr dar, weil der auf diese Weise
verbreitete Glaube ein ungewöhnliches Sexualverhalten könnte automatisch zu solch schrecklichen Taten führen,
am Ende uns mit unserem non-mainstream Verhalten genauso treffen wird wie die Priester mit dem ihrigen.

Anzuschuldigen ist vielmehr die von der Organisation "Kirche" forcierte und von dort aus in der Gesellschaft
verwurzelte Ansicht, "Zölibat" sei moralisch höherwertig als das Anbieten von pay6.

Erst hierdurch werden Männer zu dieser Lebensform getrieben, die sich von der Persönlichkeitsstruktur her gar nicht dafür eignen.
Denen erfolgreich eingeredet wurde, sie könnten durch die Wahl des Priesterberufs oder des Mönchtum's eine vermeintliche "Schuld"
abdienen oder sonst irgendwie "Gutes" tun. Der Wunsch sich klein zu
machen und keine Spuren zu hinterlassen wird übrigens auch oft durch solche eingebildeten Schuldgefühle getriggert, und findet
seine Erfüllung im Zölibat - unter diesem Aspekt ist der Kindesmißbrauch auch kein Widerspruch zum Zölibat, da ja keine "Spuren"
in Form von Nachkommen hinterlassen werden.

Somit sind die bekanntgewordenen Mißbrauchsfälle keineswegs einseitig "dem Zölibat" anzulasten, sie sind die direkte Folge
des kirchlichen Dogma's - sowohl von der Höherwertigkeit der Ehelosigkeit (und der nochmals schlechteren außerehelichen
Sexualität) als auch von der prinzipiellen "Schuldigkeit" des Menschen.
"Zölibat" an sich, also ohne diesen kulturellen Rahmen, ist da wohl eher harmlos ...

Liebe Grüße, Aoife
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Kajus
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#37

Beitrag von Kajus »

Liebe Aoife,

jetzt verstehe ich und ich stimme Dir, Lycisca und Eugen Drewermann weitgehend zu – mit einer wichtigen Ausnahme. Die katholische Kirche wird hier zu einem Verursacher, um nicht zu sagen Sündenbock gemacht, der sie nicht ist. Und einige wesentliche Punkte werden nicht beachtet in der öffentlichen Diskussion. Die katholische Kirche hat unsere Kultur und Zivilisation nicht mit diesen Ideen okkupiert, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus, die katholische Kirche ist als Erbin des Römischen Reichs die unserer, aus der griechisch-römischen Kultur hervorgegangenen Zivilisation, adäquate Religion, die unserem Selbstverständnis entspricht. Religion, zumal eine Weltreligion wie das Christentum, kann nur bestehen, wenn sie der Kultur entspricht, in der sie lebt, sie kann der Kultur in ihrem steten Wandel folgen oder hinterherhinken, die ursprünglichen Grundlagen und Voraussetzungen aber nicht verändern, höchstens zu einem anderen Umgang damit mahnen. Die katholische Kirche entspricht uns mehr, als wir wahrhaben wollen. Der Zölibat als ethisch höchste Form beruht auf einer wichtigen Grundidee unserer Kultur und ging mitnichten von der Kirche aus, nämlich vom Ausschluss der Frau.

Der Ausschluss der Frau hat eine Logik, er beruht auf unserem Verhältnis zur Natur, für die die Frau, davon bin ich fest überzeugt, auch heute noch als Symbol steht – und zwar nicht nur in der Kunst, sondern in allen hierarchischen Strukturen. Das hat die moderne Frauenbewegung nach 68 konsequent übersehen. Erscheint Marilyn Monroe, bricht die Zivilisation und jede Hierarchie zusammen, es sei denn, sie wird gebändigt, domestiziert, ihre Verlockung darf nur der Fortpflanzung dienen, ihr Dasein hat sich den gesellschaftlichen Anforderungen nach Familie und der Fortpflanzung unterzuordnen. Unser Verhältnis zur Natur, die Beherrschung und der Ausschluss der Natur durch die Zivilisation, macht die Frau zum Symbol, zur verlockenden Gefahr. Der Islam ist die jüngere und in dieser Beziehung konsequentere Religion, er verdeckt die Frau, bereits ihr Anblick ist verboten. Ich habe vor einigen Jahren eine theologische Abhandlung eines Islamgelehrten gelesen, in der er sich über die europäische Unsitte auslässt, Haustiere, insbesondere Hunde in Häusern, Wohnungen und im öffentlichen Raum zu halten. Das theologische Problem lag für ihn in der Tatsache, dass die streunende läufige Hündin durch den öffentlichen Anblick ihrer Blutung unerträglich, obszön, aus religiöser Sicht nicht erträglich ist. Der bekannte und in den 60er und 70er Jahren sehr präsente Theologe und Jesuit Karl Rahner hat in einer Abhandlung es als ein Hauptproblem der Ökumene angesehen, dass die evangelische Kirche Frauen zum Priesteramt zulässt - mit der Begründung, dass die Vorstellung einer menstruierenden Frau am Altar (auch wenn sie keine Priesterin wäre!) für ihn unvorstellbar ist. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er sich dabei sogar auf physischen Widerwillen oder Ekel bezogen. Sein Entsetzen darüber entspricht all meinen Beobachtungen, die Frauen selbst bei der Regelblutung empfinden. Dieses Entsetzen ist zivilisatorisch begründet und hat nichts mit der katholischen Kirche zu tun.

An der Integration der Frau in die Führungshierarchien und in die Elite arbeiten sich Personalchefs, die Reste der Frauenbewegung und jede Frau ab, die sich eine wie auch immer geartete Karriere in der Arbeitswelt der Männer zum Ziel gesetzt hat. Die Integration ist nur möglich, indem die Frau ihr Aussehen möglichst dem neutralen männlichen Businessoutfit anzupassen versucht und ihre Weiblichkeit in weiten Teilen verleugnet. Während der Mann in seinem Element ist, ist die Frau damit beschäftigt, sich anzupassen und gerät unweigerlich in einen Konflikt, es sei denn, sie nähert sich einem zölibatären Lebensplan ohne Partnerschaft und Kinder an uns schließt die Sexualität aus. Wenn nicht, wird jede männliche Hierarchie gestört. Das hat die Kirche nicht verursacht, das ist der Rahmen, in dem die Kirche sich bewegen muss, so wie wir auch und wie jede Frau, ob sie will oder nicht.

So wie der Islam die Frau verdeckt und damit die Natur aus der Zivilisation ein Stück weiter ausschließt, so ist die Sexualität der Anker der Natur in der Zivilisation. Das ist der Grund, warum sie gefährlich ist und auch bleibt und sich auch nicht mit Konzepten, wie sie die evangelische Kirche propagiert, zähmen lässt. Der heterosexuelle Mann unterliegt der Natur. Das wird ihm erlaubt - im Käfig der Ehe und der wirtschaftlichen Verpflichtungen. Jeder Geschlechtsakt ist ein Hinabtauchen in den Abgrund der Natur, ein immer wieder erneutes Sichbeschmutzen, oder, wie es die Kirche sieht, in ihrer untauglich gewordenen Terminologie, ein Sündenfall. Jeder Mann, der sich nach der Ejakulation mit einem Schauder, einem kurzen Entsetzen abwendet, empfindet das immer wieder aufs Neue. Auch das hat die Zivilistion hervorgerufen, nicht die Kirche. Frauen empfinden nicht diesen Schauder nach dem Orgasmus.

Die Lösung dieses Problems ist für die Kirche das Zölibat, das dann die Probleme, die Aoife, Lycisca und Drewermann richtig beschreiben, hervorruft und das nicht nur das geeignete Personal anzieht, sondern dieses Personal im System immer wieder neu produziert, durch Missbrauch von Knaben. Im kulturellen katholischen Selbstverständnis beschmutzt sich der Mann dadurch weniger als durch den Geschlechtsakt mit der Frau, im Grunde bleibt er rein. Deswegen schweigen alle und kehren es unter den Teppich. Missbrauch ist zwar in der katholischen Kirche eine Sünde, doch in der Realität wird der verbotene Sex mit einer Frau weitaus stärker geächtet und führt nach dem Gelübde unweigerlich zum Ausschluss aus der Kirche. Die Pater, die Knaben missbraucht haben, wurden weder vom Unterricht suspendiert, noch aus dem Orden ausgeschlossen noch aus der Kirche gejagt, sie wurden in der Regel einfach versetzt, wenn es anfing, irgendwo hochzukochen. Da sich das gesellschaftliche Selbstverständnis in Bezug auf Missbrauch von Kindern geändert hat und die Öffentlichkeit weltweit miteinander vernetzt ist, muss sich nun dieser schwerfällige und langsame Apparat der Kirche darauf einstellen und wird es auch tun. Das Dilemma wird aber bleiben. Wie auch immer, das Zölibat schafft den Rahmen für diese Strukturen, Missbrauch ist unter anderem auch eine wichtige Grundlage für die Reproduktion des Personals. Ich bin fest davon überzeugt, es handelt sich hier nicht um bedauerliche Betriebsunfälle, sondern es ist Teil und auch innerer Zweck des Systems, neue Priester, rein, unbeschmutzt von der Natur zu erhalten. Das Zölibat ist nicht der Auslöser für den Missbrauch, er begünstigt ihn und ermöglicht eine Kultur des Missbrauchs, in der die sexuell missbrauchten Knaben die zukünftigen Pater, Priester und Täter sind. Ich weiss, es soll Studien geben, die belegen, dass es in diesen Zusammenhängen nicht öfter zu Missbrauch kommt als außerhalb der Kirche. Ich glaube das nicht und halte an meinem Vorurteil fest.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Kinder, die Lehrer mit einem intensiven und erfüllten Sexualleben im Privaten haben, weniger gefährdet sind, als Kinder, die eine Jesuitenschule besuchen.
Zuletzt geändert von Kajus am 02.03.2010, 17:57, insgesamt 1-mal geändert.

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#38

Beitrag von Aoife »

Lieber Kajus,

danke für diese interessanten Aspekte.

Wobei ich aber nicht in jedem Punkt einverstanden bin.
Zum Beispiel sehe ich die kath. Kirche keineswegs als passiv den gesellschaftlichen Gegebenheiten folgend.
Diese wurden sehr aktiv von der Kirche mitgeformt, ich bin überzeugt, dass die sog. Hexenverfolgung
via Psychotrauma und Epigenetik sowie auch durch rein genetische Auslese unsere heutige "Kultur" entscheidend mitgeprägt hat.
Ein jahrhundertelanger Vernichtungsschlag gegen unliebsame Menschen, bei dem zeitweise die Hälfte der Bevölkerung
ausgerottet wurde, hinterlässt mich Sicherheit seine Spuren in der Gesellschaft, das ist ja erst 200 Jahre oder 6 Generationen her.

Und erst auf diesem Boden lassen sich ja solche Legitimationsmythen wie "Erbin des römischen Reichs" oder "unsere,
aus der griechisch-römischen Kultur hervorgegangenen Zivilisation" verbreiten - unsere Kultur ist keltisch, nur mit brutalsten Mitteln
graeco-romanisiert ...

Ich denke, die Auseinandersetzungen, die wir jetzt sehen, und in denen gerade *wir* ja auch mittendrin stecken, sind Folge der
langsam wieder erstarkenden "natürlichen" Veranlagung des Menschen - womit ich ganz bewußt auf deinen Dualismus
"Natur <-> Zivilisation" zurückgreife. Nur sehe ich eben historisch, dass diese Zivilisation keineswegs kultiviert ist, sondern den
Menschen mit barbarischsten Methoden aufgezwungen wurde ... und somit auch nicht als "unschuldige Folge" einer vorbestehenden
Gesellschaftsordnung gesehen werden darf.

Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
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Marc of Frankfurt
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#39

Beitrag von Marc of Frankfurt »

@Kajus. Auch von mir ein Danke für deine zusammengefasste Kulturgeschichte der Sexualität.

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Kajus
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#40

Beitrag von Kajus »

@Marc: So war es eigentlich nicht gedacht, mein Posting ist zu weit ausholend und dadurch zu vereinfachend in den Aussagen. Manches klingt vermutlich, so in diesem Zusammenhang gesagt, provozierend. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass nach meiner Ansicht der Zölibat als hierarchisch höher bewertete Form der Sexualität keine Idee ist, die in der katholischen Kirche erdacht und in den von ihr geschaffenen oder beeinflussten gesellschaftlichen Strukturen entstanden ist, sondern auf einem Religions- und Naturveständnis beruht, das weitaus älter ist und die Kirche sich dessen bediehnt. Außerdem, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen institutionell verordnetem Zölibat, der männerbündig organisiert ist, und der von diesem Personal betriebenen katholischen Schulen und Internate, dem strukurellen Rahmen für systematischen Missbrauch von und sexueller Gewalt gegenüber Knaben gibt. Seltsamerweise findet man die von Aoife zur Recht ebenfalls erwähnten heterosexuellen Onkels, die auf kleine Mädchen stehen, offenbar nicht in den Jesuitenschulen, die ja heute in Deutschland zum großen Teil gemischte Schulen sind.

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