Ritual, Tabu und Körpersymbolik.
Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur.
Von Mary Douglas, Fischer, 1993, 254 Seiten,
Originaltitel: Natural Symbols, Exploration in Cosmology, Barrie&Jenkins, London 1974
Ich habe mir einige Tage überleg, ob ich eine rein wissenschaftliche
anthropologische Studie hier vorstellen soll. Nun, ich denke es ist es wert,
denn der Beruf Sexarbeit betrifft in allen Bereichen den Buchinhalt: Ritual, Tabu, Körpersymbolik !
Nachdem ich nicht annehme, dass jemand hier im Forum diese hoch spezialisierte
Studie lesen wird, fasse ich den Inhalt kurz zusammen,
Mary Douglas ist Anthropologin. Ihren Argumenten folgend, hat sie sich intensiv
mit Linguistik beschäftigt, und sie benutzt auch oft Modelle aus der Linguistik.
Die wesentliche Aussagen in ihrem Buch sind folgende:
Die Sprache mit der man aufwächst formt in großem Maße die Form des Bewusstseins.
Das heisst, die Wahrnehmung von ein und demselben Objekt unterscheidet sich
von der Muttersprache, mit der eine Person aufwuchs.
Die Sprachstruktur selbst formt sich in zyklischer Wechselwirkung mit der
vorhandenen Sozialstruktur. Befinden sich die Personen innerhalb einer Kultur
in keiner klaren Machtstruktur, dann tendiert die Sprache zur Kategorisierung
mit recht starren Grenzziehungen (Beispiele: Sexismus, Rassismus).
Die schwachen sozialen Positionen führen meist zu einem wechselseitigen
Kontroll- und einem starren Klassifikationssystem (Beispiel: Kirche, DDR)
Diese starren Grenzziehungen der Sprachstruktur führen zu sozialen Zwängen
und zur Kontrolle des Leibes. Auch das Gegenteil trifft zu.
Douglas nennt als Beispiele für ihre Thesen den kirchlichen Fetischismus der
Eucharistie, und das Zauberritual des Verbots am Freitag Fisch zu essen.
"Sünde", und "das Böse" sind Erfindungen der Männer zur Machtkontrolle.
Freie Gesellschaften kennen weder Sünde noch "das Böse". Douglas führt
dazu mehrere Beispiel von Kulturen an (z.B. die Pygmäen).
Diese Kulturen erkennen auch keine physischen Landes- und Kulturgrenzen an.
Bei ihnen teilt sich die Menschheit in Dumme und Gescheite. Gescheite sind
die, welche Bescheid wissen, die anderen sind die Dummen. Die Dummen
machen das Falsche, nicht "das Böse"!
Zieht man Konsequenzen aus dem Buch, so kann man sagen, dass die Erkenntnis
des fetischistischen Charakters der meisten religiösen Rituale, und deren Ablehnung,
dazu führt, dass man alle Rituale ablehnt. In gewisser Weise findet das jetzt bei
den Jugendlichen der "modernen" Gesellschaft statt. Wenn man sich dieser Überstruktur
aber nicht klar ist, dann führt das nur dazu, dass man unbewusst neue Rituale
schafft, und dann in eine tiefere Unfreiheit kommt. (Beispiel: Facebook,Twitter, Iphone)
Die Sprache können wir uns nicht abstreifen. Was aber hilft, ist das Erlernen weiterer
Sprachen. Des weiteren hilft, wenn man sich bewusst wird, welchen Riten man
täglich nachgeht und folgt. Dann geht man sie durch, und selektiert diejenigen,
welche überflüssig sind, und nur dazu dienen die Erwartungen anderer zu befriedigen.
Den Rest kann man beibehalten.
Nicole
Ritual, Tabu und Körpersymbolik
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 2333
- Registriert: 11.09.2009, 13:01
- Wohnort: München
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
-
- verifizierte UserIn
- Beiträge: 177
- Registriert: 25.08.2010, 18:57
- Ich bin: Keine Angabe
Re: Ritual, Tabu und Körpersymbolik

Das kann ich sehr gut nachvollziehen - kurz gesagt die Theorie: Das Wort macht das Ding. Soll heißen, dass die Bezeichnung und Unterschiedung sowie der Klang eines Wortes dem Ding die präzise Wertung und Gestaltung verleiht.nicole6 hat geschrieben:Ritual, Tabu und Körpersymbolik.
Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur.
Von Mary Douglas, Fischer, 1993, 254 Seiten,
Originaltitel: Natural Symbols, Exploration in Cosmology, Barrie&Jenkins, London 1974
Ich habe mir einige Tage überleg, ob ich eine rein wissenschaftliche
anthropologische Studie hier vorstellen soll. Nun, ich denke es ist es wert,
denn der Beruf Sexarbeit betrifft in allen Bereichen den Buchinhalt: Ritual, Tabu, Körpersymbolik !
Nachdem ich nicht annehme, dass jemand hier im Forum diese hoch spezialisierte
Studie lesen wird, fasse ich den Inhalt kurz zusammen,
Mary Douglas ist Anthropologin. Ihren Argumenten folgend, hat sie sich intensiv
mit Linguistik beschäftigt, und sie benutzt auch oft Modelle aus der Linguistik.
Die wesentliche Aussagen in ihrem Buch sind folgende:
Die Sprache mit der man aufwächst formt in großem Maße die Form des Bewusstseins.
Das heisst, die Wahrnehmung von ein und demselben Objekt unterscheidet sich
von der Muttersprache, mit der eine Person aufwuchs.
[...]
Zieht man Konsequenzen aus dem Buch, so kann man sagen, dass die Erkenntnis
des fetischistischen Charakters der meisten religiösen Rituale, und deren Ablehnung,
dazu führt, dass man alle Rituale ablehnt. In gewisser Weise findet das jetzt bei
den Jugendlichen der "modernen" Gesellschaft statt. Wenn man sich dieser Überstruktur
aber nicht klar ist, dann führt das nur dazu, dass man unbewusst neue Rituale
schafft, und dann in eine tiefere Unfreiheit kommt. (Beispiel: Facebook,Twitter, Iphone)
[...]
Die Sprache können wir uns nicht abstreifen. Was aber hilft, ist das Erlernen weiterer
Sprachen.
So ist wohl in vielen Kulturen der Klang für Mama bei Babys gleich oder ähnlich, weil wohl allgemein die Empfindung zu Mama gleich oder ähnlich ist.
Ebenfalls sehe ich es so, dass allgemein meist junge Menschen in ihren eigenen, vermeintlich selbsterwählten Ritualen sich mehr Unfreiheit unterwerfen, als es die nolens volens Folgeleistung überkommener Rituale verlangen würde.
Dass das Erlener weiterer Sprachen Abhilfe schafft, kann doch kaum aus dem Buch stammen, in welchem lt. Zusammenfassung die Theorie vertreten wird, dass man in seinen Sichtweisen exakt durch die Sprache geprägt wird, mit der man aufwächst. Das ist durch Dazulernen weiterer Sprachen wohl kaum aufzuholen.
La Marfa
-
- hat was zu sagen
- Beiträge: 79
- Registriert: 02.06.2013, 14:23
- Ich bin: Keine Angabe
Da bin ich ganz bei Mary Douglas. Die obige These erinnert schwer an die marxistische Maxime, das Sein bestimme das Bewusstsein. Was bei Douglas die Linguistik, ist dort eben die Ökonomie.Die wesentliche Aussagen in ihrem Buch sind folgende:
Die Sprache mit der man aufwächst formt in großem Maße die Form des Bewusstseins.
Bezüglich Sprachstruktur, genauer: Kommunikation zwischen SW und Kunden (Double Bind Thematik), gab's hier auch mal 'nen recht interessanten thread.
Rien faire comme und bête.
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 2333
- Registriert: 11.09.2009, 13:01
- Wohnort: München
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
Cara La Marfa
"....Das kann ich sehr gut nachvollziehen - kurz gesagt die Theorie: Das Wort macht das Ding. Soll heißen, dass die Bezeichnung und Unterschiedung sowie der Klang eines Wortes dem Ding die präzise Wertung und Gestaltung verleiht...."
ein Beispiel dazu: innerhalb einer gewissen Sprache gehören Wörter entweder zu
Substantiven, oder zu Verben, Adjektiven, Adverbien, usw.
Das gilt vor allem in Europäischen Sprachen.
In vielen asiatischen Sprachen jedoch kann das gleiche Wort sowohl als Verb,
als auch al Substantiv verwendet werden. Offensichtlich muss dadurch die Wahrnehmung
der so bezeichneten Objekte und/oder Vorgänge sich ändern. Im chinesischen z.B.
ist das Substantiv "Vater" das gleiche Wort wie "sich wie ein Vater verhalten"!
Im Thailändischen bedeutet "Khun" : du, Sie, Herr, Frau.
Wörter innerhalb einer Sprache sind in Kategorien geordnet. Da gibt es Wörter für
Lebewesen, oder für Gegenstände, oder für deren Untergruppe Verkaufsartikel.
Offensichtlich ändert es die Wahrnehmung, ob ein Objekt in die Kategorie "Lebewesen"
oder "Gegenstände" eingeordnet wird. Es gibt Kulturen, bei denen Bäume zu den
bewussten Lebewesen gehören, welche man um Verzeihung bittet, bevor man sie fällt.
Es ist noch nicht so lange her, dass in Europa die Männer an der Macht "Frauen"
in die Kategorie "Verkaufsartikel" einordneten.
"....Ebenfalls sehe ich es so, dass allgemein meist junge Menschen in ihren eigenen, vermeintlich selbsterwählten Ritualen sich mehr Unfreiheit unterwerfen, als es die nolens volens Folgeleistung überkommener Rituale verlangen würde....."
ja, das beschreibt die Autorin im Detail..
Dass das Erlener weiterer Sprachen Abhilfe schafft, kann doch kaum aus dem Buch stammen, in welchem lt. Zusammenfassung die Theorie vertreten wird, dass man in seinen Sichtweisen exakt durch die Sprache geprägt wird, mit der man aufwächst. Das ist durch Dazulernen weiterer Sprachen wohl kaum aufzuholen.
Die Autorin sagt nicht, dass die Sichtweise "exakt" durch die Sprache geformt wird!
Deine Schlussfolgerung würde nur stimmen, wenn die Zuordnung
zwischen Worten und Objekten/Vorgängen in den Sprachen
der Welt identisch wären, was nicht der Fall ist.
Um es zu verstehen, hier eine Skizze:

Jedes Wort hat innerhalb einer Sprache eine sogenannte Kernbedeutung, und eine
Peripheriebedeutung. Die Kernbedeutung ist meist ein materielles Objekt, und
die Variationen gehören zur übertragenen Bedeutung. Beispiel: Apfel, Augapfel,
"du bist mein Augapfel!" , "der Apfel fällt nicht weit vom Baum!".
In der Skizze überschneiden sich die Kernwerte von 1 und 2 in einem gewissen Bereich,
2 hat aber auch Bedeutungen außerhalb der Peripheriebedeutung von 1!
Bei 3 ist es so, dass nicht einmal im Kern von 1 eine Überschneidung da ist !
Das erzeugt die üblichen Übersetzungsprobleme bei Büchern und Diplomaten.
Beispiel mit dem englischen Wort "mind" :
"do you mind to do me a favour?" = macht es dir etwas aus mir einen Gefallen zu tun?
"oh yeah, this came just in my mind!" = ach ja, das kam mir gerade in den Sinn!
"the human mind is a miracle!" = der menschliche Geist ist ein Wunder!
"stop it ! this is a mindless reaction!" = hör auf damit! Das ist eine gedankenlose Reaktion!
Das Wörterbuch bietet für "mind" zur Übersetzung an:
Sinn, Gemüt, Geist, Verstand, Meinung, Absicht, Neigung, Lust, Wille, Gedächtnis,
Achtsamkeit, Sorge.
Es kann aber auch sein, dass es in einer Sprache ein Wort für einen Zustand, Vorgang,
Objekt gibt, für das es in einer anderen Sprache kein Wort gibt. Ein Beispiel:
"Dharma" aus dem Sanskrit hat keine Entsprechung in irgend einer europäischen Sprache!
Das gleiche gilt für "Nirvana". Die meisten Leute welche das Wort benutzen, kennen
den Wortinhalt nicht. Man kann ihn auch nur durch eine lange ausführliche Beschreibung
erkennen.
Die meisten Indianernationen in dem Gebiet, das heute die USA abdeckt, kannten
bis zu 6 Geschlechtergruppen, aber die Europäer die mit und nach Kolumbus ankamen,
hatten in ihrem Sprachschatz nur Worte für "Frau" und "Mann".
Da in der materiellen Realität nicht sein darf, was in ihrer sehr beschränkten Wahrnehmung
keine Entsprechung hatte, wurden diese Personen, die nicht der Kategorie "Frau"
oder "Mann" entsprachen, von den christlichen Vertretern auf grausamste Weise
gefoltert und abgeschlachtet.
Somit sollte nun klar sein, was die Autorin meint, wenn sie schreibt, dass das Erlernen
von weiteren Sprachen hilft : dadurch werden starre Kategoriegrenzen durchlässig
gemacht. Sie werden nicht überflüssig, sondern beweglich, und erlauben somit
eine Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit.
Ein Beispiel dazu aus der Musik:
europäische Musik teilt das Frequenzspektrum in ganze Töne
und Halbtöne, Dies erlaubt Musik zu machen, was ohne diese
Grenzen nicht möglich wäre.
Erweitert man nun seinen Musikhorizont zur arabischen Musik,
so lernt man gewissermaßen eine neue "Musiksprache", welche
auch Vierteltöne benutzt! Eine Tonfolge, welche in europäischer
Hörgewohnheit als "falsch" oder "dissonant" empfunden wird,
ist dort eine "erlaubte" Tonfolge.
Noch weiter ging damals Jimi Hendix beim Woodstock-Konzert,
bei dem er die US-Nationalhymne durch "verbotene" Tonübergänge "zerriss" ,
da er zum Ende hin keine Grenzen zwischen den Tonfrequenzen
mehr verwendete, und damit die Botschaft übertrug, die eng
gesetzten Beschränkungen der Gesellschaft über den Haufen zu werfen.
Nicole
"....Das kann ich sehr gut nachvollziehen - kurz gesagt die Theorie: Das Wort macht das Ding. Soll heißen, dass die Bezeichnung und Unterschiedung sowie der Klang eines Wortes dem Ding die präzise Wertung und Gestaltung verleiht...."
ein Beispiel dazu: innerhalb einer gewissen Sprache gehören Wörter entweder zu
Substantiven, oder zu Verben, Adjektiven, Adverbien, usw.
Das gilt vor allem in Europäischen Sprachen.
In vielen asiatischen Sprachen jedoch kann das gleiche Wort sowohl als Verb,
als auch al Substantiv verwendet werden. Offensichtlich muss dadurch die Wahrnehmung
der so bezeichneten Objekte und/oder Vorgänge sich ändern. Im chinesischen z.B.
ist das Substantiv "Vater" das gleiche Wort wie "sich wie ein Vater verhalten"!
Im Thailändischen bedeutet "Khun" : du, Sie, Herr, Frau.
Wörter innerhalb einer Sprache sind in Kategorien geordnet. Da gibt es Wörter für
Lebewesen, oder für Gegenstände, oder für deren Untergruppe Verkaufsartikel.
Offensichtlich ändert es die Wahrnehmung, ob ein Objekt in die Kategorie "Lebewesen"
oder "Gegenstände" eingeordnet wird. Es gibt Kulturen, bei denen Bäume zu den
bewussten Lebewesen gehören, welche man um Verzeihung bittet, bevor man sie fällt.
Es ist noch nicht so lange her, dass in Europa die Männer an der Macht "Frauen"
in die Kategorie "Verkaufsartikel" einordneten.
"....Ebenfalls sehe ich es so, dass allgemein meist junge Menschen in ihren eigenen, vermeintlich selbsterwählten Ritualen sich mehr Unfreiheit unterwerfen, als es die nolens volens Folgeleistung überkommener Rituale verlangen würde....."
ja, das beschreibt die Autorin im Detail..
Dass das Erlener weiterer Sprachen Abhilfe schafft, kann doch kaum aus dem Buch stammen, in welchem lt. Zusammenfassung die Theorie vertreten wird, dass man in seinen Sichtweisen exakt durch die Sprache geprägt wird, mit der man aufwächst. Das ist durch Dazulernen weiterer Sprachen wohl kaum aufzuholen.
Die Autorin sagt nicht, dass die Sichtweise "exakt" durch die Sprache geformt wird!
Deine Schlussfolgerung würde nur stimmen, wenn die Zuordnung
zwischen Worten und Objekten/Vorgängen in den Sprachen
der Welt identisch wären, was nicht der Fall ist.
Um es zu verstehen, hier eine Skizze:

Jedes Wort hat innerhalb einer Sprache eine sogenannte Kernbedeutung, und eine
Peripheriebedeutung. Die Kernbedeutung ist meist ein materielles Objekt, und
die Variationen gehören zur übertragenen Bedeutung. Beispiel: Apfel, Augapfel,
"du bist mein Augapfel!" , "der Apfel fällt nicht weit vom Baum!".
In der Skizze überschneiden sich die Kernwerte von 1 und 2 in einem gewissen Bereich,
2 hat aber auch Bedeutungen außerhalb der Peripheriebedeutung von 1!
Bei 3 ist es so, dass nicht einmal im Kern von 1 eine Überschneidung da ist !
Das erzeugt die üblichen Übersetzungsprobleme bei Büchern und Diplomaten.
Beispiel mit dem englischen Wort "mind" :
"do you mind to do me a favour?" = macht es dir etwas aus mir einen Gefallen zu tun?
"oh yeah, this came just in my mind!" = ach ja, das kam mir gerade in den Sinn!
"the human mind is a miracle!" = der menschliche Geist ist ein Wunder!
"stop it ! this is a mindless reaction!" = hör auf damit! Das ist eine gedankenlose Reaktion!
Das Wörterbuch bietet für "mind" zur Übersetzung an:
Sinn, Gemüt, Geist, Verstand, Meinung, Absicht, Neigung, Lust, Wille, Gedächtnis,
Achtsamkeit, Sorge.
Es kann aber auch sein, dass es in einer Sprache ein Wort für einen Zustand, Vorgang,
Objekt gibt, für das es in einer anderen Sprache kein Wort gibt. Ein Beispiel:
"Dharma" aus dem Sanskrit hat keine Entsprechung in irgend einer europäischen Sprache!
Das gleiche gilt für "Nirvana". Die meisten Leute welche das Wort benutzen, kennen
den Wortinhalt nicht. Man kann ihn auch nur durch eine lange ausführliche Beschreibung
erkennen.
Die meisten Indianernationen in dem Gebiet, das heute die USA abdeckt, kannten
bis zu 6 Geschlechtergruppen, aber die Europäer die mit und nach Kolumbus ankamen,
hatten in ihrem Sprachschatz nur Worte für "Frau" und "Mann".
Da in der materiellen Realität nicht sein darf, was in ihrer sehr beschränkten Wahrnehmung
keine Entsprechung hatte, wurden diese Personen, die nicht der Kategorie "Frau"
oder "Mann" entsprachen, von den christlichen Vertretern auf grausamste Weise
gefoltert und abgeschlachtet.
Somit sollte nun klar sein, was die Autorin meint, wenn sie schreibt, dass das Erlernen
von weiteren Sprachen hilft : dadurch werden starre Kategoriegrenzen durchlässig
gemacht. Sie werden nicht überflüssig, sondern beweglich, und erlauben somit
eine Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit.
Ein Beispiel dazu aus der Musik:
europäische Musik teilt das Frequenzspektrum in ganze Töne
und Halbtöne, Dies erlaubt Musik zu machen, was ohne diese
Grenzen nicht möglich wäre.
Erweitert man nun seinen Musikhorizont zur arabischen Musik,
so lernt man gewissermaßen eine neue "Musiksprache", welche
auch Vierteltöne benutzt! Eine Tonfolge, welche in europäischer
Hörgewohnheit als "falsch" oder "dissonant" empfunden wird,
ist dort eine "erlaubte" Tonfolge.
Noch weiter ging damals Jimi Hendix beim Woodstock-Konzert,
bei dem er die US-Nationalhymne durch "verbotene" Tonübergänge "zerriss" ,
da er zum Ende hin keine Grenzen zwischen den Tonfrequenzen
mehr verwendete, und damit die Botschaft übertrug, die eng
gesetzten Beschränkungen der Gesellschaft über den Haufen zu werfen.
Nicole
-
- verifizierte UserIn
- Beiträge: 177
- Registriert: 25.08.2010, 18:57
- Ich bin: Keine Angabe
RE: Ritual, Tabu und Körpersymbolik
Ich schrieb: durch die Sprache geprägt, mit der man aufwächst, und bezweifele, dass eine später "obendrauf" gelernte weitere Sprache der Prägung durch die Sprache, mit der man aufgewachsne ist, gleich-oder nahekommen kann.
La Marfa
La Marfa
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 2333
- Registriert: 11.09.2009, 13:01
- Wohnort: München
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
RE: Ritual, Tabu und Körpersymbolik
nun, ich schreibe hier aus eigener Erfahrung.
Ich wuchs in Deutschland auf, und lebe seit 1977 offiziell
permanent in Italien. Dazwischen war ich 10 Jahre in Hawaii.
In meinen Träumen rede ich mit anderen in den drei oben
genannten Sprachen. Sie sind so integriert, dass mir sehr
selten bewusst wird, ob ich im TV einen Film in Deutsch sehe,
oder in Englisch oder in Italienisch. Bei Französisch und
Spanisch ist es mir noch bewusst, aber ich träume nie in
den beiden zuletzt genannten Sprachen.
Bis vor zwei Jahren hatte ich keine Satellitenverbindung
und konnte nur italienische Sender sehen. Wenn ich mal
Deutsche traf, musste ich oft über bestimmte Worte im
Deutschen nachdenken, weil ich sie fast vergessen hatte!
Und ich benutzte auch oft italienische Grammatik !
Und dann gab es Momente, wo ich genau das "richtige"
deutsche Wort wusste, gleichzeitig war mir aber bewusst, dass
ein italienisches Wort das Objekt oder den Vorgang besser beschrieb.
Das sind Beispiele, dass es durchaus real möglich ist, eine
Zweit-, bzw. Dritt-Sprache so zu integrieren, dass sie der
"Muttersprache" gleichwertig zur Seite steht.
(Italienisch ist meine 4. Sprache, die 5., falls man Latein dazu nimmt)
ciao!
Nicole
Ich wuchs in Deutschland auf, und lebe seit 1977 offiziell
permanent in Italien. Dazwischen war ich 10 Jahre in Hawaii.
In meinen Träumen rede ich mit anderen in den drei oben
genannten Sprachen. Sie sind so integriert, dass mir sehr
selten bewusst wird, ob ich im TV einen Film in Deutsch sehe,
oder in Englisch oder in Italienisch. Bei Französisch und
Spanisch ist es mir noch bewusst, aber ich träume nie in
den beiden zuletzt genannten Sprachen.
Bis vor zwei Jahren hatte ich keine Satellitenverbindung
und konnte nur italienische Sender sehen. Wenn ich mal
Deutsche traf, musste ich oft über bestimmte Worte im
Deutschen nachdenken, weil ich sie fast vergessen hatte!
Und ich benutzte auch oft italienische Grammatik !
Und dann gab es Momente, wo ich genau das "richtige"
deutsche Wort wusste, gleichzeitig war mir aber bewusst, dass
ein italienisches Wort das Objekt oder den Vorgang besser beschrieb.
Das sind Beispiele, dass es durchaus real möglich ist, eine
Zweit-, bzw. Dritt-Sprache so zu integrieren, dass sie der
"Muttersprache" gleichwertig zur Seite steht.
(Italienisch ist meine 4. Sprache, die 5., falls man Latein dazu nimmt)
ciao!
Nicole
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 2333
- Registriert: 11.09.2009, 13:01
- Wohnort: München
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
an Salomé:
Marx ging, wie Mary Douglas, nicht davon aus, dass das Sein
das Bewusstsein "bestimmt", sondern beeinflusst.
"bestimmt" ist ein mechanischer Ausdruck der direkte
Kausalität impliziert, was hier sicher nicht der Fall ist!
(direkte Kausalität ist, wenn das Licht angeht, indem ich
den Lichtschalter drücke)
Entscheidend ist der Grad des Einflusses, und die Ebene
in der Hierarchie der Werteskala, welche der Vorgang/das Objekt
im Leben der Person einnimmt.
Die von dir erwähnte Struktur der Kommunikation zwischen
SW und Kunde dient als gutes Beispiel dafür. In der SW-Arbeit
benutzen wir, wie auch die Kunden, eine Menge an Symbolen,
seien es es materielle, seien es immaterielle wie Worte oder Musik.
Ausserdem ist der Arbeitsvorgang in gewisser Weise auch ein
Ritus, der bestimmten Regeln folgen muss, um für beide
Seiten erfolgreich zu sein.
Die Wertzuweisung zu den Symbolen und Riten erfolgt durch
einen zyklischen Vorgang, bei dem Riten/Symbole ihre Inhalte
schrittweise erhalten.
In diesem zyklischen Prozess werden den einzelnen Symbole/Riten
unterschiedliche Werte zugeordnet, und dann
dementsprechend in der persönlichen Werteskala eingeordnet.
So können z.B. auf einer Werteskala von 100 Objekten in der
Sexarbeit, Wertzuordnungen, von 10 über Null auf +10 gehen,
wobei -10=totale Ablehnung ist, Null= Gleichgültigkeit,
und 10=totale Befürwortung.
Der Kunde A könnte die Kleidung der SW mit 8 Punkten bewerten,
ihr Gesicht mit 10 Punkten, ihre Schuhe mit 5, usw.
Beim Kunden B sind es sixher völlig andere Werte.
Nimmt man nun willkürlich 100 Objekte und Vorgänge in der Sexarbeit an,
so kann man ein hierarchisches Werteprofil des Kunden erstellen.
Doch dieses Profil ist fließend, und ändert sich mit der Zeit.
Interessante Fragen sind nu, wie diese Zuordnungen entstehen,
wie sie sich ändern, warum sie sich ändern!
Ein Beispiel dazu: bestimmte Techniken wurden erst von Kunden
erwartet, nachdem das Internet Pornofilme veröffentlichte.
Vorher kam keine Kunde auf die Idee, dass es "toll" sei,
der SW das Sperma ins Gesicht zu spritzen, da der Kunde dazu zur
Selbstbefriedigung greifen muss, und er sich dann fragen sollte,
warum er einer SW Geld zahlt, um sich selbst zu befriedigen !!!
Diese Befriedigung könnte er auch billiger haben!
Interessant wäre auch eine Untersuchung über den Symbolwert von Musik
bei der SW-Arbeit ! Was geschieht z.B. wenn wir Marschmusik
laufen lassen? oder Zirkusmusik? oder Opern?
Nicole
Marx ging, wie Mary Douglas, nicht davon aus, dass das Sein
das Bewusstsein "bestimmt", sondern beeinflusst.
"bestimmt" ist ein mechanischer Ausdruck der direkte
Kausalität impliziert, was hier sicher nicht der Fall ist!
(direkte Kausalität ist, wenn das Licht angeht, indem ich
den Lichtschalter drücke)
Entscheidend ist der Grad des Einflusses, und die Ebene
in der Hierarchie der Werteskala, welche der Vorgang/das Objekt
im Leben der Person einnimmt.
Die von dir erwähnte Struktur der Kommunikation zwischen
SW und Kunde dient als gutes Beispiel dafür. In der SW-Arbeit
benutzen wir, wie auch die Kunden, eine Menge an Symbolen,
seien es es materielle, seien es immaterielle wie Worte oder Musik.
Ausserdem ist der Arbeitsvorgang in gewisser Weise auch ein
Ritus, der bestimmten Regeln folgen muss, um für beide
Seiten erfolgreich zu sein.
Die Wertzuweisung zu den Symbolen und Riten erfolgt durch
einen zyklischen Vorgang, bei dem Riten/Symbole ihre Inhalte
schrittweise erhalten.
In diesem zyklischen Prozess werden den einzelnen Symbole/Riten
unterschiedliche Werte zugeordnet, und dann
dementsprechend in der persönlichen Werteskala eingeordnet.
So können z.B. auf einer Werteskala von 100 Objekten in der
Sexarbeit, Wertzuordnungen, von 10 über Null auf +10 gehen,
wobei -10=totale Ablehnung ist, Null= Gleichgültigkeit,
und 10=totale Befürwortung.
Der Kunde A könnte die Kleidung der SW mit 8 Punkten bewerten,
ihr Gesicht mit 10 Punkten, ihre Schuhe mit 5, usw.
Beim Kunden B sind es sixher völlig andere Werte.
Nimmt man nun willkürlich 100 Objekte und Vorgänge in der Sexarbeit an,
so kann man ein hierarchisches Werteprofil des Kunden erstellen.
Doch dieses Profil ist fließend, und ändert sich mit der Zeit.
Interessante Fragen sind nu, wie diese Zuordnungen entstehen,
wie sie sich ändern, warum sie sich ändern!
Ein Beispiel dazu: bestimmte Techniken wurden erst von Kunden
erwartet, nachdem das Internet Pornofilme veröffentlichte.
Vorher kam keine Kunde auf die Idee, dass es "toll" sei,
der SW das Sperma ins Gesicht zu spritzen, da der Kunde dazu zur
Selbstbefriedigung greifen muss, und er sich dann fragen sollte,
warum er einer SW Geld zahlt, um sich selbst zu befriedigen !!!
Diese Befriedigung könnte er auch billiger haben!
Interessant wäre auch eine Untersuchung über den Symbolwert von Musik
bei der SW-Arbeit ! Was geschieht z.B. wenn wir Marschmusik
laufen lassen? oder Zirkusmusik? oder Opern?
Nicole