Soziales Geschlecht.
Soziale, kulturelle und symbolische Dimensionen des Gender-Konzepts.
Von Agnes Diezen, Westdeutscher Verlag Opladen, 1993, 185 Seiten.
Über das soziale Geschlecht von Personen wird in den Wissenschaften seit den frühen
siebziger Jahren diskutiert. Die Arbeit von Frau Agnes Diezen enthält zum größten
Teil Kommentare und Zitate aus diesen Schriften. Was mich sehr überrascht hat
ist die Tatsache, dass sie nur die zwei Gendergruppen "weiblich" und "männlich"
behandelt, als ob es nur 2 Gendergruppen geben würde! Dabei hat Baumann schon
Jahrzehnte zuvor interkulturelle Studien veröffentlicht die zeigen, dass der größte
Teil der Weltkulturen, bis zum 18. Jh. auch offiziell mehr als 2 Gruppen anerkannten,
die christliche Kulturen mit eingeschlossen!
Dadurch, dass Frau Diezen nur die Dichotomie "weiblich"-"männlich" als existent
anerkennt, und die anderen Gruppen von Sex und Gender ignoriert, hat sie auch
philosophische und strukturelle Probleme das Thema anzugehen.
In einer von Männern konstruierten und kontrollierten Welt
wird die Kategorie "Frau" und "weiblich" von Personen bestimmt,
welche biologisch als "männlich" definiert werden, weil sie
sich nicht aus sich selbst heraus vermehren können. Dazu fehlt ein
sogenannter "archimetischer Punkt" ausserhalb der Dichotomie;
von dem aus "weiblich" und "männlich" angesehen werden kann.
Diezen behauptet, dass es diesen Punkt nicht gebe, was offensichtlich
darauf zurück zu führen ist, dass sie die anderen Sexformen ignoriert.
Ihre Erklärung zur Stigmatisierung der Prostitution ist wie folgend:
"Der Versuch bürgerlicher Frauen, Häuslichkeit und Familie zum eigenen Einflußbereich
zu machen, wurde von Moralkampagnen begleitet, die als Mittel gesehen werden
können, männlichen und weibliche Sexualität neu zu gestalten.
Frauen stützen eine puristische Sexualmoral und behaupten, daß die weibliche
Sexualität eher "leidenschaftslos" sei, um die männliche Promiskuität außerhalb
der Familie sowie die sexuelle Unterwerfung und körperliche Gewalt in der Familie
einzudämmen. Derartige "Strategien" wurden in den Auseinandersetzungen um
die Prostitutionsreform eingesetzt. Da Frauen eher sexuell desinteressiert seien,
so lautet die Argumentation, könnten Prostituierte nur die unfreiwilligen Opfer
der Männer sein. "
Zusammen gefasst: Das Buch bringt inhaltlich nichts neues, vor allem, da die
Autorin hauptsächlich Zitate aus anderen Büchern heran zieht. Wo sie eigene
Gedanken äußert, geht sie von der Annahme aus, es gäbe nur 2 physische Sexformen,
und verbindet damit nur 2 soziale Geschlechtsformen. Das große Gebiet von Intersex,
Ultrasex und Transsexualität erwähnt sie nicht einmal! Dabei wäre die Behandlung
gerade dieser Gebiete fundamental zur Bearbeitung der Probleme die sie erkennt,
aber durch ihre Ignoranz nicht lösen kann.
Nicole
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