"Die wahre Geschichte der Geisha"

Buchtips für Sexworker oder von Sexworkern
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annainga
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"Die wahre Geschichte der Geisha"

Beitrag von annainga »

"Die wahre Geschichte der Geisha"

schreibt Mineko Iwasaki als Roman.

Sie beschreibt wie sich sich als Fünfjährige entscheidet, Geisha zu werden. Zwei ihrer Schwestern arbeiteten bereits als Geishas. Ein Hauptanliegen ist es ihr, die Mißverständnisse und Geheimnisse, die den Begriff der Geisha umgeben, aufzuklären.

(vor allem der Hollywood-Film "die Geisha" hat ein falsches Bild gezeichnet. Nach einer Klage von Mineko Iwasaki durfte sich
Arthur Golden nicht mehr auf diese berufen. Wobei Golden ja im Nachwort ausdrücklich von "Roman" spricht. Das Buch von Mineko Iwasaki, auch ein Roman (!), entstand aus dem Ärger von ihr über die "Amerikanisierung", den oberflächlichen und klischeetriefenden Blick auf ihre exotische Kultur. Vor allem die Lüge über den Brauch der Mizuage fand sie beschämend. "Mizuage" ist laut Mineko Iwasaki bei Geishas der Ausdruck für das Erreichen der Stufe der Geisha von der Vorstufe, der Maiko.

Bei "hochklassigen Prostituierten" gibt es laut M.I. tatsächlich den Brauch der Mizuage (Versteigerung der Jungfernschaft) und durch diese Namensgleichheit der Bräuche käme es zu diesem Mißverständnis.

Ich finde ihren Roman sehr kurzweilig, interessant und man lernt sehr viel über die Gebräuche der Geishas. Ihr Gefühlsleben kommt dabei leider kurz, ich hätte gern mehr über ihre Wünsche, Gefühle, Einstellungen gelesen. So ist es ein Überblick über den Tagesablauf in dem gesamten "Vergnügungsviertel" mit seinen Einwohnern und Teehäusern und Ausbildungsorten. Sehr genau werden auch die Frisuren und Stoffe, die Kleidungsregeln und Höflichkeitsregeln der Geishas und ihren Lehrern und Dienern und Kunden erklärt.

Wenn eine Geiko zu einem Ozashiki kommt, muss sie zu demjenigen gehen, der den Ehrenplatz einnimmt, und mit dieser Person Konversation machen. Ganz gleich, was sie empfindet, ihr Verhalten muss ausdrücken: "Ich konnte es gar nicht erwarten, sofort zu Ihnen zu kommen und mit Ihnen zu sprechen." Wenn ihr Gesicht sagt: "Ich kann Sie nicht ausstehen", dann verdient sie nicht, eine Geiko zu sei. Es ist ihr Job, an jedem etwas Liebenswertes zu finden.

Ich ging zum Friseur und ließ mir die wareshinobu-Frisur machen, die erste Frisur, die eine Maiko trägt. Das Haar wird bauschig hochgezogen und auf dem Oberkopf zu einer Art Dutt zusammengenommen, vorn und hinten mit roten Seidenbändern befestigt und mit Ziernadeln geschmückt. ... Mein Kimono bestand aus in mehreren Türkistönen changierendem Satin. Der schwere Saum der Schleppe war in verschiedenen Schattierungen von Orange gefärbt und mit einem Muster aus Piniennadeln, Ahornblättern, Kirschblüten und den Blumenblättern von Chrysanthemen verziert. Den schwarzen Damast meines Obis schmückten Schwalbenschwanz-Schmetterlinge. Die passende Obi-Spange aus Silber hatte die Form eines Schwalbenschwanzes.

Ein Buch, das nur angenehm zu lesen ist, wenn man sich für die Einzelheiten der Bräuche interessiert. Und wenn man hinter die Klischees blicken will. Nicht zu vergleichen mit dem bezaubernden Roman "Die Geisha" (trotz aller Kritik, das Buch ist wunderbar zu lesen) von Arthur Golden.

Empfehlen würde ich dieses buch auf jeden Fall, auch wenn es mit Sexarbeit nicht direkt zu tun hat.

Liebe Grüße, annainga

http://de.wikipedia.org/wiki/Mineko_Iwasaki

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Marc of Frankfurt
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Was ist der Kern des "sich prostituieren"?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

annainga hat geschrieben:Ganz gleich, was sie empfindet, ihr Verhalten muss ausdrücken: "Ich konnte es gar nicht erwarten, sofort zu Ihnen zu kommen und mit Ihnen zu sprechen."

Genau das ist m.E. das Wesen von Sexwork im Sinne von Edelprostitution und Escortservice. Das bischen Sex, was da sonst noch stattfindet, ist nur Aufreger für die Medien des Boulevard und sonstige prüden Zeitgenossen.

Doch gerade diese arangierte bezahlte schauspielerische Höchstleistung wird bei uns kulturell als Betrug gewertet und in Kombination mit Sex ergibt sich daraus der fast undurchschlagbare Knoten des Prostitutionstabus/der Putophobie. Er kann sich zur Fessel für Sexworker auswachsen, solange Sexworker nicht ausgebildet werden wie ihre japanischen Kolleginnen.





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 05.04.2009, 21:38, insgesamt 2-mal geändert.

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Memoiren einer Geisha

Beitrag von annainga »

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Marc of Frankfurt hat geschrieben: wie ihre japanischen Kolleginnen.
die grenzen sind sicher fließend, auch zw "geisha" und "oiran" oder "tayu". (gesellschafterin, hochklassige prostituierte). befindet sich ja auch alles in einem viertel.

KIHARU NAKAMURA hat ihre Memoiren geschrieben, weil sie mit dem westlichen vorurteil, geishas seien prostituierte, aufräumen wollte.

"Ich konnte doch die Bemerkung dieser Koto-Spielerin, dass sie nicht neben einer Prostitutierten sitzen wolle, nicht einfach übergehen. Wären wir uns zumindest einmal begegnet, hätte ich oder mein Benehmen ihr unsympathisch sein können, aber wir hatten uns nie gesehen. Dennoch hatte sie mich eine Prostituierte genannt, weil ich Geisha gewesen war. Es ging um die Ehre der Shimbashi-Geishas. Sie war zwar eine Landpomeranze, aber es gibt viele Japaner und Amerikaner, die den Geruf der Geisha miverstehen. Ich beschloß, auf jeden Fall zu schreiben und dem Publikum zu erklären, was eine Shimbashi-Geisha ist, damit wir von der Nachwelt nicht verachtet werden."

nur das erste viertel des buches behandelt ihr leben als geisha, dannach erzählt sie von ihrer ehe, über ihr leben in indien und amerika. allerdings zieht sie oft bezüge zu ihrer tätigkeit als geisha ("einmal geisha, immer geisha"?).

ein buch mit einigen fotos, vielen erklärungen und blumigen ausfürhungen über die stoffe der kimonos, die bedeutung der tänze und riten.

auf amazon unter

http://www.amazon.de/Kiharu-Memoiren-Ge ... 3404129547

gibts einige beschreibungen des buches!

liebe grüße, annainga

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Marc of Frankfurt
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Abgrenzung der Ausgegrenzten?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ich höre aus diesem Abgrenzungsbedürfnis dieselben Distinktionswünsche wie zwischen Escorts und Huren, Pornodarstellern und Sexworkern etc..

weitere subkulturelle Grenzlinien:
viewtopic.php?p=32624#32624





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RE: "Die wahre Geschichte der Geisha"

Beitrag von annainga »

dass sich geishas von prostituierten abgrenzen, halte ich für völlig korrekt. sie durchlaufen eine mehrjährige ausbildung in tanz, musik, unterhaltung. sexuelle praktiken sind überhaupt nicht im ausbildungsprogramm.

schade ist nur, dass man nicht sagt, "nein, es ist etwas anderes" anstatt sexarbeit als verachtenswerte tätigkeit zu sehen.

es ist ganz schwierig abzuschätzen, wo die grenze verläuft, denn nicht-erfolgreiche geishas scheinen oft prostituierte zu werden, die im selben viertel arbeiten.

zudem halten sich die geishas, deren memoiren ich bisher las, sehr bedeckt mit infos in diese richtung. die bücher durchzieht eine merkwürdige oberflächlichkeit was gefühle angeht (zumindest empfinde ich es so).

ich vertiefe diese materie noch! denn viele parallelen entdeckt man auf jeden fall.

lieben gruß, annainga