Die Hosen des Pythagoras.

Buchtips für Sexworker oder von Sexworkern
Benutzeravatar
nicole6
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 2333
Registriert: 11.09.2009, 13:01
Wohnort: München
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Die Hosen des Pythagoras.

Beitrag von nicole6 »

Die Hosen des Pythagoras.
Physik, Gott und die Frauen.
Von Margaret Wertheim, Piper Verlag, 381 Seiten

Ich habe mir einige Tage überlegt, ob ich hier im Forum das Buch besprechen soll.
Ixh kam zum Schluss, dass uns als Sexarbeiterinnen die geschichtlichen
Grundlagen unserer Sonderstellung in der Gesellschaft nicht verborgen sein sollten.
Der Titel erscheint etwas fremd.
Die Kombination von Physik, Gott und Frauen scheint abstrus zu sein.
Doch liegt kaum etwas näher zusammen, wenn man genauer hinschaut!
Wir als Sexarbeiterinnen haben zum einen den Nachteil Frauen zu sein,
und zum anderen den, im Beruf mit der Sexualität zu tun zu haben. Aktiv.
Bis etwa 1500 -1600 hatte die Kirche das einzige Sagen in der Gesellschaft Europas.
Danach begannen langsam die Wissenschaftler ihr den Rang abzulaufen,
um den Anspruch zu erheben, die Welterklärung zu liefern, was vorher die Priester taten.

Heute sind die Rollen vertauscht.
Wenn es früher hieß, es gibt keine Wahrheit außerhalb der Kirche,
so heißt es heute, es gibt keine Wahrheit außerhalb der Wissenschaft.
Was gleich blieb, ist der systematische Ausschluss der Frauen.
M. Wertheim zeigt mit Akribie und Fleiß diese Entwicklung, die auch heute
noch nicht abgeschlossen ist, wenn man die geringe Zahl an Physikerinnen
sieht, welche Stellen bekommen.

Sie schreibt auch, dass das Zölibat nur eingeführt wurde, damit der Vatikan
an die Vermögen der Priester heran kam, um sich zu bereichern.
Vorher ging das Vermögen, beim Tod des Priesters, an die Ehefrau.
Und Priester wurden zu jener Zeit oft von betrogenen Ehemännern ermordet,
deren Frauen sie vergewaltigten, weshalb viele Frauen damals nur
bewaffnet zum beichten gingen, um sich gegen die Priester verteidigen zu können.
Das Zölibat wurde dann auch auf die Universitätslehrer ausgedehnt.
Das verhalf der Prostitution zum Aufschwung:
"..,. viele Bordelle wurden in nächster Nähe von Universitäten errichtet, weil die
Studentenschaft einen beträchtlichern Teil ihrer Kundschaft stellten" (Seite 61)

Das Buch ist sehr empfehlenswert für Personen, welche die historischen
Wurzeln des Frauenhasses der Männer besser verstehen, und
gleichzeitig einen fundierten Einblick in den Zusammenhang von Kirche
und Wissenschaft bekommen wollen.

Nicole

ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von ehemaliger_User »

Nicole, das klingt ja interessant.

Denkst Du wirklich, die Mehrheit der Männer hasst Frauen?
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

Benutzeravatar
friederike
Goldstück
Goldstück
Beiträge: 2195
Registriert: 07.12.2010, 23:29
Wohnort: Saarlouis
Ich bin: SexarbeiterIn

RE: Die Hosen des Pythagoras.

Beitrag von friederike »

Liebe @Nicole6,

die geschilderten Thesen dieses Buchs können mich nicht überzeugen.

Es fängt damit an, dass ich es nicht als Nachteil empfinden kann, eine Frau zu sein. Ich sehe auch nicht, dass ich als Frau heute ausgeschlossen bin von irgendetwas, das ich erreichen will.

Die Darstellung, dass es Papst Gregor bei der Einführung des Zölibats um die Vermeidung des Erbfalls an Ehefrauen ging, leuchtet auch keineswegs ein. Die Lebenserwartung von Frauen war im frühen Mittelalter nicht höher, sondern wegen des Kindbettfiebers niedriger als die der Männer. Tatsächlich erbten nicht die Ehefrauen, sondern die Kinder, vornehmlich die Söhne. Das Mittelalter sah den Erbgang als die selbstverständlichste Sache an, auch theoretisch nur temporär verliehene Ämter wurden erblich. Durch den Zölibat behielt die Kirche die Kontrolle über die Güter - darum ging's.

Die lockere Haltung des Mittelalters zur Prostitution sollte (positiv) gewürdigt werden in solch einem Buch.

Liebe Grüsse,
Friederike

Benutzeravatar
Aoife
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 7067
Registriert: 20.09.2008, 21:37
Wohnort: Ludwigshafen am Rhein
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Aoife »

Ich denke grundsätzlich sind die Thesen nicht falsch - und "nicht ausgeschlossen sein von etwas das ich erreichen will" hat ja auch viel mit kultureller Prägung zu tun, was wir denn überhaupt erreichen wollen ...

Spontan fällt mir da Eamon de Valera ein, der "Vater" des schrecklichen Katholizismus des irischen Freistaats (sogenannte "Republik" Irland), der der einzige war, der während des Aufstands in seinem Gefechtsstand keine Frauen geduldet hat - in den Augen vieler IRA_Frauen ein Verräter ... und doch kann ich mir vorstellen, dass viele Frauen, die glauben heutzutage alles was sie wollen erreichen zu können den aktiven Einsatz für ihre Freiheit einfach nicht zu dem Gewollten dazuzählen ...

Mehr Probleme habe ich mit der Verallgemeinerung dass bis ca 1500 die Kirche das einzige Sagen in der europäischen Gesellschaft hatte ... zum einen war das Christentum gar nicht so verbreitet wie die heutige Kirche uns glauben machen möchte, zum anderen hatte die damalige Kirche mit der heutigen allenfalls den Namen gemein, so hat St. Patrick nicht nur Scheidungen erlaubt, sondern auch gleichgeschlechtliche Paare getraut.

Auch etwas vereinfacht, aber doch realitätsnäher scheint mir die Annahme zu sein, dass Staat und Kirche ab der beginnenden Neuzeit als scheinbare Gegenspieler zusammengearbeitet haben um das Volk zu entmündigen und auszubeuten - so wurden die neuzeitlichen Hexenverbrennungen von der Kirche angeordnet und vom Staat ausgeführt. Und das was sich heutzutage als "moderner Staat" bezeichnet ist nichts weiter als die Weiterführung der 1484 (Innozenz VIII: Summis desiderantes) vom religiösen auf alle Lebensbereiche ausgeweiteten Inquisition: http://newhumanist.org.uk/2735/inside-the-heresy-files

Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
Misspellings are *very special effects* of me keyboard

Benutzeravatar
friederike
Goldstück
Goldstück
Beiträge: 2195
Registriert: 07.12.2010, 23:29
Wohnort: Saarlouis
Ich bin: SexarbeiterIn

Beitrag von friederike »

          Bild
Aoife hat geschrieben:I ... und doch kann ich mir vorstellen, dass viele Frauen, die glauben heutzutage alles was sie wollen erreichen zu können den aktiven Einsatz für ihre Freiheit einfach nicht zu dem Gewollten dazuzählen ...
Ein interessanter Twist, liebe Aoife! Aber das Gewollte muss doch die Freiheit sein, das "aktive Einsatz" dafür ist allenfalls der Weg dahin. Die heutige Frauengeneration nimmt ihr Freiheit in Anspruch - wenn ich Dich richtig verstehe, wendest Du Dich gegen das alte Selbstbild der Frauen, die ihre Erwartungen eben reduzieren. Historisch gesehen sind es gerade hier die Frauen selbst, die sich gegenseitig unterdrückt haben: beispielsweise waren die steifsten Vertreter prostitutionsfeindlicher Moralvorstellungen die "anständigen" Frauen!

LG,
Friederike

Benutzeravatar
nicole6
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 2333
Registriert: 11.09.2009, 13:01
Wohnort: München
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Beitrag von nicole6 »

cara Friederike,
wenn du nicht siehst, dass du als Frau von etwas ausgeschlossen bist,
das du erreichen willst, sagt das garnichts, ausser, dass du deine
Wünsche und Vorstellungen stark eingeschränkt hast.
Wenn du versuchen würdest mit hoher Qualifikation einen
Posten an der Uni als C1 Professorin zu erreichen, dann wären
deine Erfahrungen anders. Oder, wenn du als Frau versuchst
in der Kunst an bekannten Galerien auszustellen, oder in der
Industrie auf die oberen Managerposten zu kommen, oder
generell, an Führungsstellen zu kommen, dann musst du dreimal
so gut sein wie jeder Mann! Eine Kollegin von M. Wertheim sagte,
sie glaube erst an gleiche Chancen in der Wissenschaft,
wenn dort zweitrangige Frauen eingestellt werden, denn bisher
werden drittklassige Männer auf gleicher Stufe wie erstklassige Frauen eingestellt.

ehemaliger_User, was sicher ist, die Mehrheit der Männer sieht Frauen nicht als gleichwertig an.
Das sagt an sich wenig aus, denn es kann auch sein, dass sie
die Frauen unbewusst als besser einschätzen, was ja praktisch
auch so ist, und sie die Frauen deswegen unterdrücken und ausbeuten.
Andernfalls müssten sie den Wunsch herumzukommandieren
und die Phobie, Frauen alles erklären zu müssen, aufgeben.

Friederike; die Aussage über die Einführung des Zoelibats,
findet man auch im Buch von Peter de Rosa:
Gottes erste Diener, die dunkle Seite des Papsttums (Knaur).
In Wirklichkeit wurde das Zoelibat schon beim Konzil von
Nizäa 325 eingeführt. Unverheiratete Ordinierte durften nicht
heiraten, schon verheiratete durften sich nicht scheiden lassen!
Wenn ein Priester nach der Ordination heiratete, dann war das zwar
ordnungswidrig, aber gültig, weil ein Mann das natürliche Recht hatte zu heiraten.
Ab dem 5. Jh. war die Heirat zwar gültig, aber der Priester
durfte mit seiner Frau keinen Sex haben.
Papst Sixtus III (432-440) wurde vor Gericht gebracht,
weil er mit einer Nonne Sex hatte. Er verteidigte sich mit den
Worten, wer diese Tat noch nicht gemacht habe, der kann ihn verurteilen!
Wenn Priester mit ihren Frauen beim Sex erwischt wurden,
dann wurden die Frauen bestraft, mit Peitschenhieben.
Im 9.Jh. waren die meisten Kloster Bordelle, z.B. das Kloster
von Aachen.
In London gab es 1414 ein Bordell, in dem NUR Priester und
Ordensmänner Zutritt hatten!
Das Konzil von Trient trat 1542 zusammen. Zu der Zeit
wurden in vielen Städten keine unverheirateten Priester
akzeptiert, weil diese meist verheiratete Frauen vergewaltigten.
Das Konzil aber argumentierte, dass es beim Zoelibat eigentlich
nur um die Kontrolle der Priester durch den Vatikan ging.
Priester waren nach der Ordination Zwangsarbeiter des Vatikans
mit der Aufgabe den Reichtum des Systems zu vermehren!
Das ist die offizielle Aussage der Kirche selbst zum Zoelibat!
(mehr dazu siehe das Buch von P. de Rosa, Seiten 480-539)

Nicole

Benutzeravatar
Aoife
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 7067
Registriert: 20.09.2008, 21:37
Wohnort: Ludwigshafen am Rhein
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Aoife »

Nun - so ganz allgemein "gegen" wollte ich mich eigentlich nicht wenden ... nur ein Beispiel geben, dass Zufriedenheit mit dem prinzipiell Erreichbaren nur ein relatives Ergebnis ist, in das auch die Größe der Erwartungen (die selbst wiederum eine Funktion der Umstände sein kann) mit hineinspielt ... und das somit nicht unbedingt beweist, dass die Situation nicht trotzdem sich nach dem beschriebenen Muster entwickelt hat.

Und richtig liebe Friederike, das Gewollte muss in meinem Beispiel letzlich natürlich die Freiheit selbst sein - trotzdem denke ich dass die Bereitschaft sich dafür einzusetzen (und mit welchen Mitteln und unter welchem Risiko für sich selbst) schon ein Maß für die Stärke des Wollens sein kann. Letzlich funktionieren eben sowohl "Kirche" als auch "Staat" über den Mechanismus der Psychotraumatisierung und der als psychischer Abwehrmechanismus zum Selbstschutz der Betroffenen eintretenden Identifikation mit dem Agressor (Stockholm Syndrom) - so gesehen stellt das entmündigende Palermo-Protokoll zum Menschenhandel nur eine Projektion dar, gibt den angeblich "helfen" wollenden Staaten Konkurrenzschutz, eine typische Karpman-Dreieck-Situation, der Helfer ist hier der eigentliche Täter.

Interessanterweise wird ja auch kirchlicher Menschenhandel (beispielsweise von afrikanischen Nonnen zwecks Arbeitsausbeutung in deutsche Klöster) nicht nur toleriert, sondern gar nicht als Verbrechen erkannt ... (moderne) Kirche und Staat stammen eben aus dem gleichen Nest, der Inquisition.

Es ist wie mit der Fabel vom Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind: Keine Tatsachenbehauptung die Fremdeinmischung rechtfertigen soll wie das Palermo-Protokoll, das liegt mir fern, sondern nur der Hinweis, dass unser Wollen im einen oder anderen Punkt auch durch unseren anerzogenen Glauben was überhaupt "realistisch" sei modifiziert wird. Und dieser Glaube könnte IMHO wirklich durch die im Eröffnungspost erwähnten Mechanismen bestimmt sein. Nehmen wir als heutige Frauengeneration wirklich unsere Freiheit in Anspruch? Oder haben wir nur unsere Freiheit als "das was wir in Anspruch nehmen dürfen" definiert?

Gerade dass die von dir beschriebene historische Rolle der "anständigen Frau" inzwischen so nahtlos von einer Frau Schwarzer oder einer European Women's League übernommen werden kann läßt zweifeln, ob außer in der Nomenklatur während der Neuzeit überhaupt irgendein Fortschritt stattgefunden hat.

Deinen Hinweis weiter oben auf die "lockere Haltung des Mittelalters zur Prostitution" finde ich übrigens so wichtig, dass mir eine bloße Würdigung zu wenig erscheint - soll es mehr bringen als eine rückwärtsgewandte Romantik, so müssen wir sowohl verstehen was damals strukturell besser war, als auch welche Schwächen dazu geführt haben, dass es mit der Neuzeit der Gewalt zum Opfer fallen konnte. Und dabei kann uns die Betrachtung des Eröffnungsposts eventuell helfen ... auch wenn die Probleme erst später massiv aufgetreten sind so haben sie vielleicht auch im Fall des "Frauenhasses" ihre Wurzeln im Mittelalter selbst gehabt, so wie ja auch die Inquisition schon Jahrhiunderte bestanden hat bevor ihre universelle Anwendung die Neuzeit auslöste.

Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
Misspellings are *very special effects* of me keyboard

Benutzeravatar
nicole6
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 2333
Registriert: 11.09.2009, 13:01
Wohnort: München
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Beitrag von nicole6 »

Der Vatikan betrieb aktiv Sklavenhandel mit Sklavenverkäufern
in den USA: der Vatikan kaufte Afrikaner aus Senegal, schiffte
sie auf die Insel Sal von Cabo Verde, zwangstaufte die Sklaven,
und verkaufte sie auf dem US-Markt, da sie bis zu 100 mal mehr
Gewinn einbrachten, als ungetaufte Sklaven.
(Info aus einem offiziellen Tourismusführer für Cabo Verde)

Nicole

mindblowingexperience
interessiert
interessiert
Beiträge: 2
Registriert: 24.01.2012, 02:58
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von mindblowingexperience »

Hm.. Also mir kommts ja viel eher so vor, als ob Frauen in der Regel schlicht und einfach weise genug sind, oder waren, um nicht ums Verrecken ‚oben‘ sein zu wollen und diesem Ziel alles unterzuordnen. Meine ganz persönliche Definition von Freiheit ist, meine Angelegenheiten mit einem guten Gewissen erledigen zu können. Das ist für mich Freiheit. Das kann vielleicht nicht als allgemeingültig bezeichnet werden, aber darum kann ich eigentlich nur lächeln über all den Tand, der erreicht werden soll um zur Glückseligkeit zu gelangen.

So wie ich das sehe, verfügen Frauen über eine Art der Macht, die sich auf dem Papier nicht abbilden lässt, in Statistiken nicht auftaucht. Das Bild der ach so gebeutelten und rechtslosen Frau erscheint mir ohnehin nicht mehr zeitgemäss. Zumindest hierzulande.

Die tatsächliche Einschränkung vieler Frauen heutzutage ist die Idee, es den Männern gleich tun zu müssen.

So wie es mir vorkommt, ist ein gesunder, ausgewogener Zustand nur auf dem Weg von einem Extrem ins Andere erreicht, und wir pendeln fröhlich hin und her.

Benutzeravatar
Lucy
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 1760
Registriert: 26.05.2007, 02:03
Wohnort: Frankfurt
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Lucy »

ich sehe es ebenfalls nicht als nachteil, eine frau zu sein. in unserem job ist es eher ein sehr großer nachteil, ein mann zu sein. wir frauen haben einen job, der zwar nicht immer einfach ist, aber wir verdienen geld damit und das ist doch in ordnung so.

lg lucy