Presseaussendung 2. Juni 2025 - Internationaler Hurentag

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Zwerg
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Presseaussendung 2. Juni 2025 - Internationaler Hurentag

Beitrag von Zwerg »

Happy 50th Birthday,
Hurenbewegung!

Neun Wünsche an die österreichische Gesellschaft, einschließlich der Medien


Am 2. Juni 1975 besetzten rund 100 Sexarbeiter:innen die Saint-Nizier Kirche in
Lyon, um gegen ihre Verdrängung und die Gefährdung ihrer Sicherheit zu protestieren – der
Beginn der Hurenbewegung. Noch heute kämpfen Sexarbeiter:innen mit massiver
Stigmatisierung, die strukturelle Diskriminierung und Einschränkungen im Alltag zur Folge hat.
Aktuell erstarken abolitionistische Strömungen, oft getragen von fundamental christlichen
und/oder transfeindlich-feministischen Gruppen. Sie fordern ein Verbot der Sexarbeit und eine
Kriminalisierung von Kund:innen.

Dies geschieht im Kontext einer migrationsfeindlichen und rassistischen Politik, wo Sexarbeit
oft mit Menschenhandel gleichgesetzt oder als unfreiwillig dargestellt wird - während
differenzierte, realitätsnahe Perspektiven fehlen. Sexarbeiter:innen werden dabei oft als Opfer
gesehen, die gerettet werden müssen, und/oder ihre Lebensentwürfe werden als abweichend
betrachtet. Es werden ihnen dadurch Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsfähigkeit
abgesprochen, obwohl das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zentral für eine freie
Gesellschaft ist.

Biologistische Vorstellungen von Geschlecht sowie rassistische und sexistische Vorurteile
wirken zudem in institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen fort und führen zu
systematischer Ungleichbehandlung. Strenge gesetzliche Regelungen und stigmatisierende
Praktiken, wie die verpflichtenden Untersuchungen, tragen zusätzlich zur Marginalisierung von
Sexarbeiter:innen bei.

Die Folgen sind gravierend: Sexarbeiter:innen, vor allem Migrant:innen und Refugees, erleben
starke Diskriminierung, soziale Ausgrenzung, rechtliche Unsicherheit, ökonomische
Benachteiligung und gesundheitliche Risiken.

Diese abwertende Haltung wird verstärkt und aufrechterhalten durch die Berichterstattung in
den Medien, die Sexarbeiter:innen weiterhin stigmatisierend und voreingenommen darstellen
und damit Falschdarstellungen und Diskriminierung fördern.

Zum 50. Jahrestag der Hurenbewegung fordern österreichische Fachberatungsstellen und
Selbstorganisationen die gesellschaftliche Anerkennung von Sexarbeit als Erwerbsarbeit
sowie die Ablehnung moralischer Urteile.

Neun Empfehlungen für eine faire Berichterstattung über Sexarbeit (oder für einen
gerechten Umgang mit Sexarbeit)

1. Sexarbeit nicht moralisieren
Sexarbeit ist eine selbstbestimmte, körpernahe Dienstleistung. Entscheidungen dafür
treffen Sexarbeiter:innen eigenständig – das ist zu respektieren.

2. Adäquate Begrifflichkeit: Sexarbeit ≠ Menschenhandel

Selbstbestimmte Sexarbeit darf weder mit Menschenhandel noch mit sexueller
Ausbeutung verwechselt werden, auch wenn sie außerhalb offizieller Regelungen
stattfindet. Der Begriff "Zwangsprostitution" vermischt Gewalt mit legaler Tätigkeit und
ist daher unangebracht. Sexarbeiter:innen sind keine Kriminellen und sollten nicht als
solche behandelt werden.

3. Vielfalt zeigen
Sexarbeit ist vielfältig – Menschen aller Geschlechter, sexuellen Orientierungen und
Hintergründe sind beteiligt, und das haupt- oder nebenberuflich. Das sollte auch in
Medienberichten sichtbar sein.

4. Auf Selbstbestimmung achten

Lebensentscheidungen sind individuell und kontextabhängig. Auch Sexarbeit kann eine
bewusste und legitime Wahl sein. Mitleid oder Herablassung ist fehl am Platz.

5. Sexarbeiter:innen nicht als Opfer darstellen
Sexarbeit ist legal, aber oft überreguliert. Statt „Rettung“ fordern Sexarbeiter:innen faire
Arbeitsbedingungen, rechtliche Sicherheit und ein Ende stigmatisierender und
diskriminierender Praktiken.

6. Anonymität schützen
Fotos und persönliche Daten dürfen nur mit Zustimmung veröffentlicht werden. Ein
Outing kann existenzgefährdend sein.

7. Betroffene einbeziehen
Sexarbeiter:innen haben Expertise. Ihre Beteiligung an allen Prozessen, die ihr Leben
betreffen, muss garantiert werden, ohne dass andere für sie sprechen. Für fundierte
Berichte sollten ihre Perspektiven und Stimmen einbezogen werden.

8. Sorgfältige Bildwahl
Zeigt Sexarbeiter:innen als handelnde Personen, nicht als Objekte. Sensationsbilder
schaden und verzerren die Realität.

9. Sexarbeit als Arbeit anerkennen

Sexarbeit ist in Österreich zwar in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt, aber legal.
Die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit und die damit einhergehende rechtliche
Entkriminalisierung eröffnen insbesondere marginalisierten Personen die Möglichkeit,
selbstbestimmter zu arbeiten, Zugang zu grundlegenden Rechten zu erhalten, sich zu
organisieren und ihre Interessen zu vertreten.

Alle gesellschaftlichen Akteur:innen – insbesondere die Medien – tragen Verantwortung
dafür, diskriminierende Darstellungen nicht weiter zu reproduzieren und zu verfestigen.

Die Allianz PROSEXWORK hat gemeinsam mit Vertreter:innen von Sexarbeiter:innen sowie
Fachberatungsstellen im Rahmen der Arbeitsgruppe „Sexuelle Dienstleistung“ einen
Fachsheet für Journalist:innen herausgebracht. Dieses bietet klare Do’s and Don’ts für eine
objektive und respektvolle Berichterstattung zum Thema.


Zum Factsheet: https://www.bmfwf.gv.at/frauen-und-glei ... ution.html

Veranstaltungen rund um den 2. Juni:

Innsbruck: iBUS wird anlässlich des 50. Welthurentages am 2. Juni, ein Wandbild malen und
einen Infostand betreuen, um die Solidarität gegenüber Sexarbeiter*:nnen und unter
Frauen* generell zu stärken.
Wo: PEMA-Gebäude/Adlers-Hotel, bei der Unterführung zum Sillpark
Wann: 2. Juni von 10:00-17:00

Salzburg: 50 Jahre Hurenbewegung: Dialog&Liederabend
2. Juni 2025 @academy café-bar, Franz-Josef-Straße 4, 5020
1800 Diskussion mit Christine Nagl und Sabrina Stranzl: Worum wir streiten.
19:30 Elisabeth de Roo singt
3.Juni 2025@ Kaiserin Elisabeth Denkmal, Bahnhofsvorplatz, 5020, 18:00
Stadtspaziergang: Auf den Spuren der käuflichen Lust

https://www.sexarbeit.info/ Die Webseite der Allianz pro Sexwork

Und hier noch die Presseaussendung als PDF zum Download
PA Allianz 2. Juni 2025.pdf
(313.97 KiB) 4-mal heruntergeladen
Zwerg

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fraences
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Re: Presseaussendung 2. Juni 2025 - Internationaler Hurentag

Beitrag von fraences »

Doña-Carmen-Erklärung zum Internationalen Hurentag 2025


In diesem Jahr jährt sich zum 50. Mal die Besetzung der Kirche Saint Nizier in Lyon durch Sexarbeiter*innen. Mit dieser Besetzung protestierten Huren gegen ihre rechtliche Diskriminierung und polizeiliche Repression. Seitdem ist der 2. Juni als „Internationaler Hurentag“ Anlass und Ausgangspunkt für eine Bilanzierung: Anlass für den Blick zurück auf vergangene Kämpfe, aber auch für den Blick auf bevorstehende Auseinandersetzungen.

Rückblick

Deutschland hat seit Mai 2025 eine neue Bundesregierung. Weder in den Wahlprogrammen der jetzt regierenden Parteien CDU/CSU und SPD, noch in der von ihnen abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung wurde explizit auf das „Nordische Modell“ einer Kriminalisierung von Prostitutionskunden Bezug genommen, für das sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuvor noch ins Zeug gelegt hatte. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien, weder die Regierungsparteien noch die Oppositionsparteien, fordert aktuell die Einführung des „Nordischen Modells“.

Damit hat dieses „Modell“ die ihm bislang zugedachte Rolle als Schreckgespenst und Mittel der Ablenkung von den tatsächlichen Herausforderungen im Bereich der Prostitution vorerst eingebüßt.

Es wird somit hierzulande auf absehbare Zeit keine politische Mehrheit mehr für eine Repressionspolitik nach Art des „Nordischen Modells“ geben.


Das ist gut so. Zu verdanken ist diese neue Situation zahlreichen Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich dezidiert gegen ein „Sexkaufverbot“ positioniert haben. (Vgl.: https://www.donacarmen.de/wp-content/up ... dell-2.pdf)

Ausblick

Die in Kürze bevorstehende Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) ist entgegen aller Erwartungen mit zwei unangenehmen Tatsachen konfrontiert. Denn ausweislich der mittlerweile alljährlich veröffentlichten Prostitutionsstatistik gibt es

(1) weniger Sexarbeiterinnen als ursprünglich angenommen und
(2) weniger konzessionierte Prostitutionsgewerbe als ursprünglich veranschlagt.


Statt der im Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes vermuteten 200.000 Sexarbeiter*innen weist die aktuelle Prostitutionsstatistik zuletzt (2024) zum Stichtag 31.12.2023 gerade mal 30.636 registrierte Sexarbeiter*innen aus. Und statt der vermuteten 11.700 Prostitutionsgewerbe (Drucksache 18/8556, S. 38) werden aktuell gerade mal 2.312 Prostitutionsgewerbe gezählt.

Mit bequemen „Dunkelfeld“-Spekulationen versucht man, das offenkundige Dilemma wegzuwischen und dem Prostitutionsgewerbe eine notorische Neigung zur Illegalität anzulasten. Das ist billig. Man mag es drehen und wenden wie man will: Die vorliegenden Tatsachen lassen vernünftigerweise nur einen den Schluss zu, nämlich den, dass der Kontroll- und Überwachungsansatz des ProstSchG maßlos überdimensioniert und folglich unangemessen ist.

Die vorliegenden Tatsachen stellen zugleich den Ansatz des ProstSchG in Frage, wonach ein Schutz von Sexarbeiter*innen nur durch engmaschige Kontrollen und lückenlose Überwachung gewährleistet werden könne. Doch Kontrolle hin, Überwachung her: Um Schutz ist es mit dem ProstSchG nie gegangen, sondern um eine „Regulierung“ des Prostitutionsgewerbes mit dem Ziel der Verringerung des Angebots sexueller Dienstleistungen. Nicht umsonst heißt das ProstSchG „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“: Regulierung geht vor Schutz.

Es verwundert also nicht: Das Mantra, wonach mehr Kontrolle und Überwachung per se mehr Schutz für Sexarbeiter*innen bedeuten soll, ist alles, nur nicht glaubwürdig.

Zu allem Überfluss dokumentiert eine weitere Statistik, nämlich die Polizeiliche Kriminalstatistik des BKA, dass dem diskriminierenden prostitutionsspezifischen Sonder-Strafrecht zunehmend die Opfer abhandenkommen:

Die Zahl der mutmaßlichen Opfer so genannter „Rotlicht-Kriminalität“ („Ausbeutung von Prostituierten“, „Zuhälterei“, „Menschenhandel“ und „Zwangsprostitution“) ist binnen 25 Jahren von 4.416 (2000) auf mittlerweile 698 Opfer pro Jahr (2024), mithin um 84 % zusammengeschmolzen. Im gesamten Jahr 2023 gab es laut Verurteilten-Statistik des Statistischen Bundesamtes bundesweit nur 41 Verurteilungen bei Delikten des prostitutionsspezifischen Sonder-Strafrechts!

Wer willens und in der Lage ist, diese Realitäten anzuerkennen, wird nicht umhin können, mit der Schutz-Ideologie, wie sie dem ProstSchG zugrunde liegt, zu brechen. Schutz erwächst aus rechtlicher Gleichbehandlung, aus guten Arbeitsbedingungen, aus einer genügend großen Anzahl an Prostitutionsstätten, sodass sich isoliertes Arbeiten in der Prostitution perspektivisch erübrigt, aus einem leicht zugänglichen Krankenversicherungsschutz etc.

Das sind die wirklichen Herausforderungen, vor denen die Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter*innen steht.

Hinsichtlich der bevorstehenden Evaluation des ProstSchG ist man mit vier Varianten konfrontiert:

(1) Rückfall ins „Nordische Modell“ (= Ausweitung strafrechtlicher Reglementierung);
(2) Effektivierung des bestehenden Kontrollregimes des ProstSchG;
(3) Optimierung (Liberalisierung) des ProstSchG zugunsten der Sexarbeiterinnen;
(4) Entwicklung in Richtung einer rechtlichen Gleichstellung von Prostitution mit anderen Berufen.


Da für Variante 1 („Nordisches Modell“) überzeugende Argumente und politische Mehrheiten fehlen, da für Variante 3 („Optimierung“) angesichts eines durch und durch repressiven Gesetzes sämtliche Voraussetzungen für eine Liberalisierung fehlen, wird alles auf Variante 2 versus Variante 4 hinauslaufen. Die Positionierung für die Rechte von Sexarbeiter*innen ist damit vorgezeichnet: Nur Variante 4 kommt als realistische Option in Frage:

● Rechtliche Gleichstellung mit anderen Berufen heißt: das prostitutionsspezifische Sonder-Strafrechts abschaffen. D. h. Eingliederung der Strafrechtsbestimmungen zu Prostitution in das allgemeine Strafrecht unter Verzicht auf politische Kampfbegriffe wie ‚Zwangsprostitution‘, ‚sexuelle Ausbeutung‘ etc.
● Regulierung des Prostitutionsgewerbes in Anlehnung an das geltende Gewerberecht, nicht aber durch ständige Abweichung vom Gewerberecht;
● Anerkennung selbständiger Prostitution als freiberufliche Tätigkeit;
● Abschaffung aller diskriminierenden Sonderregelungen in sonstigen Gesetzesmaterien.


Das sind die Herausforderungen, denen sich Doña Carmen e.V. verpflichtet sieht.
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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