Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforschung
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 4103
- Registriert: 08.07.2012, 23:16
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
@Ariane
hallo erstmal :)...meinstz Du jetzt den Vorgang um die Pressemeldung des Verbandes, oder den Sachverhalt als Solchen. Ist mir gerade nicht ganz klar?
,Kasharius grüßt Dich
hallo erstmal :)...meinstz Du jetzt den Vorgang um die Pressemeldung des Verbandes, oder den Sachverhalt als Solchen. Ist mir gerade nicht ganz klar?
,Kasharius grüßt Dich
-
- PlatinStern
- Beiträge: 715
- Registriert: 23.07.2011, 14:28
- Wohnort: Frankfurt
- Ich bin: SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Nur mal zum zeitlichen Ablauf …
Bei der ersten Anfrage war überhaupt noch nicht ersichtlich, ist es auch jetzt nicht rechtssicher, dass den besuchten KollegInnen tatsächlich Informationen über ihre Kunden wissentlich und vorsätzlich vorenthalten wurden von Staatsdienstmitarbeitern.
Der erste Artikel war noch eher die klassische Hetze ‚wie kann man nur Strafgefangene auf Steuergeld so „Pampern“.
Daher eine grundsätzlich allgemeingültige Aussage des BesD.
Sexdienstleistende können Vieles, auch Anderen etwas beibringen. Man sollte sie nur fragen.
Wenn es sich herausstellt, dass Sexworker vorsätzlich Ihres Selbstbestimmungsrechtes über die Annahme eines Interessenten beraubt wurden, ist das klar zu verurteilen.
Ohne Aufklärung über den wahren Sachverhalt des Informationsflusses ist es eben schwierig zu unterscheiden ob hier Möchtegern-Wissenschaftler die KollegInnen egoistisch in potentielle Gefahr brachten oder es sich um eine medial wachsende Vermutung handelt.
Sollte es sich tatsächlich um hinterhältigerweise vorsätzliche Falschinformation und arglistige Täuschung handeln, dann ist das ein Skandal.
Wenn sich nun aber herauskristallisiert, dass den dienstleistenden KollegInnen ein potentielles Gefährdungsmoment „Strafgefangener im Vollzug“ vorsätzlich verschwiegen wurde, dann ist ein solches, geradezu verboten dirigistisches Zuführen eines Kunden ein schwerwiegender Fall von Missachtung des gesetzlich verbrieften Selbstbestimmungsrechts einer jeden SexdienstleisterIn durch Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.
Es sei angemerkt, dass bereits in den 1980ern auch Langzeitinhaftierte( > 3 Jahre Haft) ein Anrecht auf intimen Besuch in separaten ( Familien-)Besuchszimmern hatten und dieses generelle Besuchsrecht sich nicht auf offizielle Ehegatten beschränkte.
Aber darum geht es ja mittlerweile nicht mehr in der medialen Aufmerksamkeit.
Wie geschrieben:
Verwerflich wäre einzig, wenn der jeweiligen SexdienstleisterIn wesentliche Informationen zur eigenständigen Entscheidung über die Annahme eines Kunden aus egoistischen Experimentiergründen vorenthalten worden wären.
Und genau das wissen wir als Leser der voneinander abschreibenden YellowPress nicht.
Wie wäre es mit einem grundsätzlichen Blog zu der Fragestellung „Darf Therapieexperiment andere Menschen gefährden bloß weil man Sexworker als weniger Mensch definiert?“
Bei der ersten Anfrage war überhaupt noch nicht ersichtlich, ist es auch jetzt nicht rechtssicher, dass den besuchten KollegInnen tatsächlich Informationen über ihre Kunden wissentlich und vorsätzlich vorenthalten wurden von Staatsdienstmitarbeitern.
Der erste Artikel war noch eher die klassische Hetze ‚wie kann man nur Strafgefangene auf Steuergeld so „Pampern“.
Daher eine grundsätzlich allgemeingültige Aussage des BesD.
Sexdienstleistende können Vieles, auch Anderen etwas beibringen. Man sollte sie nur fragen.
Wenn es sich herausstellt, dass Sexworker vorsätzlich Ihres Selbstbestimmungsrechtes über die Annahme eines Interessenten beraubt wurden, ist das klar zu verurteilen.
Ohne Aufklärung über den wahren Sachverhalt des Informationsflusses ist es eben schwierig zu unterscheiden ob hier Möchtegern-Wissenschaftler die KollegInnen egoistisch in potentielle Gefahr brachten oder es sich um eine medial wachsende Vermutung handelt.
Sollte es sich tatsächlich um hinterhältigerweise vorsätzliche Falschinformation und arglistige Täuschung handeln, dann ist das ein Skandal.
Wenn sich nun aber herauskristallisiert, dass den dienstleistenden KollegInnen ein potentielles Gefährdungsmoment „Strafgefangener im Vollzug“ vorsätzlich verschwiegen wurde, dann ist ein solches, geradezu verboten dirigistisches Zuführen eines Kunden ein schwerwiegender Fall von Missachtung des gesetzlich verbrieften Selbstbestimmungsrechts einer jeden SexdienstleisterIn durch Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.
Es sei angemerkt, dass bereits in den 1980ern auch Langzeitinhaftierte( > 3 Jahre Haft) ein Anrecht auf intimen Besuch in separaten ( Familien-)Besuchszimmern hatten und dieses generelle Besuchsrecht sich nicht auf offizielle Ehegatten beschränkte.
Aber darum geht es ja mittlerweile nicht mehr in der medialen Aufmerksamkeit.
Wie geschrieben:
Verwerflich wäre einzig, wenn der jeweiligen SexdienstleisterIn wesentliche Informationen zur eigenständigen Entscheidung über die Annahme eines Kunden aus egoistischen Experimentiergründen vorenthalten worden wären.
Und genau das wissen wir als Leser der voneinander abschreibenden YellowPress nicht.
Wie wäre es mit einem grundsätzlichen Blog zu der Fragestellung „Darf Therapieexperiment andere Menschen gefährden bloß weil man Sexworker als weniger Mensch definiert?“
-
- PlatinStern
- Beiträge: 715
- Registriert: 23.07.2011, 14:28
- Wohnort: Frankfurt
- Ich bin: SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Und da das Ganze wohl vor 2007, evtl. vor 2001 war, dürfte juristisch keine Handhabe mehr bestehen :-(
-
- Senior Admin
- Beiträge: 18073
- Registriert: 15.06.2006, 19:26
- Wohnort: 1050 Wien
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Herzlichen Dank für die Offenlegung Deiner/Eurer Überlegungen.Lucille hat geschrieben: ↑10.02.2020, 19:06Sollte es sich tatsächlich um hinterhältigerweise vorsätzliche Falschinformation und arglistige Täuschung handeln, dann ist das ein Skandal.
Wenn sich nun aber herauskristallisiert, dass den dienstleistenden KollegInnen ein potentielles Gefährdungsmoment „Strafgefangener im Vollzug“ vorsätzlich verschwiegen wurde, dann ist ein solches, geradezu verboten dirigistisches Zuführen eines Kunden ein schwerwiegender Fall von Missachtung des gesetzlich verbrieften Selbstbestimmungsrechts einer jeden SexdienstleisterIn durch Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.
Liebe Grüße
christian
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 4103
- Registriert: 08.07.2012, 23:16
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
@Lucille
auch ich danke für die ERläuterungen zur Presseerklärung des BeSD e.V..
Der Vorgang selbst würde in jedem Fall einen schweren Verstoßm gegen die Menschenwürde darstellen. Die Betroffenen - SW und "Probanden" (schlimmes Wort, gestehe ich zu) - wären gleichermaßen instrumentalisiert worden.
Menschenversuche dieser Art sollten bitte der allerdunkelsten Vergangenheit angehören. Und politisch gehört das in jedem Fall aufgeklärt!
Kasharius grüßt
auch ich danke für die ERläuterungen zur Presseerklärung des BeSD e.V..
Der Vorgang selbst würde in jedem Fall einen schweren Verstoßm gegen die Menschenwürde darstellen. Die Betroffenen - SW und "Probanden" (schlimmes Wort, gestehe ich zu) - wären gleichermaßen instrumentalisiert worden.
Menschenversuche dieser Art sollten bitte der allerdunkelsten Vergangenheit angehören. Und politisch gehört das in jedem Fall aufgeklärt!
Kasharius grüßt
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Öhm beides
love people, use things - not the other way round
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 4103
- Registriert: 08.07.2012, 23:16
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
@Ariane
ahhh, alles klar. Nun zu beidem habe ich meine persönlichen Ansichten hier dargelegt. Aus weiteren Strategie-Debatten würde ich mich dann aber gerne, außer ich würde konkret gefragt heraushalten ;)
Kasharius grüßt Dich herzlich
ahhh, alles klar. Nun zu beidem habe ich meine persönlichen Ansichten hier dargelegt. Aus weiteren Strategie-Debatten würde ich mich dann aber gerne, außer ich würde konkret gefragt heraushalten ;)
Kasharius grüßt Dich herzlich
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 1658
- Registriert: 17.06.2018, 13:17
- Ich bin: SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Empörung in Kanada
Frauenmörder bekommt Freigang fürs Bordell - und tötet wieder eine Frau
Gallese
5. Februar 2020 - 10:52 Uhr
Von "Hochrisiko" auf "niedrig bis mäßig gefährlich" herabgestuft
Gründlicher hätte die kanadische Justiz nicht daneben liegen können: Im vergangenen Jahr wurde der verurteilte Frauenmörder Eustachio Gallese als "niedrig bis mäßig" gefährlich eingestuft. Er bekam nicht nur Ausgang, sondern durfte sich sogar mit Prostituierten treffen. Im Januar ermordete er die 22-jährge Marylène Lévesque.
Er durfte seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen.
Mordopfer Marylène Lévesque
Gallese hatte seine damalige Freundin 2004 verprügelt, mit einem Hammer geschlagen und schließlich mit zwei Messerstichen getötet. 2006 wurde er wegen Mordes verurteilt: 15 Jahre Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, berichtet "CBC Canada". Nicht nur das: Das Gericht sah in ihm einen wahrscheinlichen Wiederholungstäter, verpasste ihm den Status "Hochrisiko".
Dieser Status wurde 2019 herabgestuft. Der nun als kaum noch gefährlich geltende Brutalo durfte tagsüber zeitweise das Gefängnis verlassen und sich sogar mit Prostituierten treffen. Er hatte die Erlaubnis, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.
Justizversagen beschäftigt mittlerweile auch die Politik
Bei einem seiner Ausflüge lernte er in einem Massagesalon Marylène Lévesque kennen. Er soll in dem Etablissement gewalttätig gegenüber Frauen geworden sein. Die Behörden sahen daraufhin einen "einen besorgniserregenden und signifikanten Risikofaktor" in ihrer Strategie. Der Fall sollte in sechs Monaten neu bewertet werden.
Viel zu spät für die 22-jährige Lévesque: Zwei Monate vor der Neubewertung brachte Gallese die junge Frau in einem Hotelzimmer in der Provinz Quebec um. Anschließend stellte der 51-Jährige sich der Polizei. Warum er zum Wiederholungstäter wurde, sagt er nicht. Fest steht: Er konnte es nur werden, weil die Justiz ihren Fehler nicht korrigierte, obwohl bekannt war, dass Gallese weiterhin gewalttätig gegen Frauen war.
Der Fall schlägt in Kanada hohe Wellen und beschäftigt mittlerweile auch die Politik.
https://www.rtl.de/cms/frauenmoerder-eu ... 81571.html
Frauenmörder bekommt Freigang fürs Bordell - und tötet wieder eine Frau
Gallese
5. Februar 2020 - 10:52 Uhr
Von "Hochrisiko" auf "niedrig bis mäßig gefährlich" herabgestuft
Gründlicher hätte die kanadische Justiz nicht daneben liegen können: Im vergangenen Jahr wurde der verurteilte Frauenmörder Eustachio Gallese als "niedrig bis mäßig" gefährlich eingestuft. Er bekam nicht nur Ausgang, sondern durfte sich sogar mit Prostituierten treffen. Im Januar ermordete er die 22-jährge Marylène Lévesque.
Er durfte seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen.
Mordopfer Marylène Lévesque
Gallese hatte seine damalige Freundin 2004 verprügelt, mit einem Hammer geschlagen und schließlich mit zwei Messerstichen getötet. 2006 wurde er wegen Mordes verurteilt: 15 Jahre Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, berichtet "CBC Canada". Nicht nur das: Das Gericht sah in ihm einen wahrscheinlichen Wiederholungstäter, verpasste ihm den Status "Hochrisiko".
Dieser Status wurde 2019 herabgestuft. Der nun als kaum noch gefährlich geltende Brutalo durfte tagsüber zeitweise das Gefängnis verlassen und sich sogar mit Prostituierten treffen. Er hatte die Erlaubnis, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.
Justizversagen beschäftigt mittlerweile auch die Politik
Bei einem seiner Ausflüge lernte er in einem Massagesalon Marylène Lévesque kennen. Er soll in dem Etablissement gewalttätig gegenüber Frauen geworden sein. Die Behörden sahen daraufhin einen "einen besorgniserregenden und signifikanten Risikofaktor" in ihrer Strategie. Der Fall sollte in sechs Monaten neu bewertet werden.
Viel zu spät für die 22-jährige Lévesque: Zwei Monate vor der Neubewertung brachte Gallese die junge Frau in einem Hotelzimmer in der Provinz Quebec um. Anschließend stellte der 51-Jährige sich der Polizei. Warum er zum Wiederholungstäter wurde, sagt er nicht. Fest steht: Er konnte es nur werden, weil die Justiz ihren Fehler nicht korrigierte, obwohl bekannt war, dass Gallese weiterhin gewalttätig gegen Frauen war.
Der Fall schlägt in Kanada hohe Wellen und beschäftigt mittlerweile auch die Politik.
https://www.rtl.de/cms/frauenmoerder-eu ... 81571.html
-
- Senior Admin
- Beiträge: 18073
- Registriert: 15.06.2006, 19:26
- Wohnort: 1050 Wien
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Sexualstraftäter kriegen Ausgang fürs Bordell
Sexarbeiterin: Ich fühle mich nicht ernstgenommen
11. Februar 2020 - 20:15 Uhr
Straftäter besuchten Bordelle ohne Wissen der Prostituierten
Es sollte ein Teil der Therapie sein. Die forensische Klinik in Lippstadt erlaubt psychisch kranken Straftätern, Bordelle zu besuchen. Einer der Patienten ist ein wegen versuchter Vergewaltigung verurteilter Straftäter. Die Prostituierten wussten nichts von der Vorgeschichte der Männer. Josefa Nereus ist selbst Sexarbeiterin und kritisiert die fehlende Kommunikation. Was sie dazu sagt, sehen Sie im Video.
Josefa Nereus würde Zusammenarbeit mit Straftätern und Therapeuten unterstützen
Vier Patienten innerhalb der letzten fünf Jahre seien solche Besuche gestattet worden, erklärte der LWL auf RTL-Anfrage. Es handele sich um unbegleitete Ausgänge, die von der Klinik genehmigt werden müssten. Die Männer besuchten die Bordelle auf eigene Rechnung. "Ganz generell finde ich den Ansatz, zusammen mit Sexworkern, Ärzten und Patienten zusammenzuarbeiten sehr begrüßenswert", sagte Josefe Nereus im RTL-Interview. Was sie daran stört: "Ich bin der Meinung, dass alle Parteien, die bei einer Therapie involviert sind auch darüber aufgeklärt werden müssen, was eigentlich dort geschehen soll." Kurz gesagt: Die Sexarbeiterin will wissen, wenn sie mit einem Sexualstraftäter auf Freigang ins Bett geht. Das war bei den Freigängern der forensischen Klinik in Lippstadt nicht der Fall.
Generell sei Nereus einer "Therapie durch Sexarbeit" aber nicht abgeneigt. Im Gegenteil: Gerade die praktische Erfahrung, so die Sexarbeiterin, könnte bei der Therapie von Sexualstraftätern helfen. Ihr sei es wichtig, dass man "Sexworker" mit in die therapeutischen Vorgänge einbeziehe. "Jemanden einfach so in eine Therapie zu schubsen, ohne dass er weiß, was da eigentlich passiert, finde ich nicht verantwortungsvoll."
Sexarbeit als Chance für Straftäter
Chancen sehe Josefa Nereus besonders in der Zusammenarbeit mit Menschen, die selbst nie hätten erfahren können, was eine "normale Sexualität" ausmache. "Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die selbst aus Missbrauchserfahrungen kommen und nie gelernt haben, wie einvernehmliche Sexualität funktioniert, davon profitieren können, mit Sexworkern zusammenzuarbeiten." Doch bislang habe sie das Gefühl, Ärzte und Therapeuten würden das Gespräch mit Prostituierten scheuen: "Ich fühle mich als Sexworker da nicht ernstgenommen und nicht wertgeschätzt." Dabei hätten Sexworker einen riesen Vorsprung, was die praktische Erfahrung anbelange und wüssten "mit Sexualität umzugehen, die verheimlicht wird oder unterdrückt wird". Außerdem hätten sie "auch viel Erfahrung und Geduld, um sich der Sexualität von Menschen zu nähern und den Rahmen zu schaffen, dass Menschen sich öffnen können."
Josefa hätte nichts gegen einen Straftäter als Freier
Die "Sexworkerin" - so bezeichnet sich Nereus selbst - habe bisher noch keinen Straftäter als Kunden gehabt - zumindest nicht wissentlich. Abgeneigt wäre sie dem gegenüber aber grundsätzlich nicht, erklärte sie. "Ich hätte prinzipiell keine Angst, wenn sich jemand melden würde. Ich würde aber schon im meinem Netzwerk schauen, dass ich die Unterstützung bekomme, die ich da wirklich brauche, um mich sicher zu fühlen." Sie würde sich vorab über ihre Freier erkundigen und dann abwägen, ob sie bereit wäre, sich mit ihnen einzulassen oder eben nicht.
Das Wichtigste seien Offenheit und ein respektvoller Umgang miteinander und der Sexualität des anderen. Genau das könne man auch gemeinsam mit Patienten lernen.
Patienten kriegen Ausgang fürs Bordell
Einige Insassen der forensischen Klinik Lippstadt durften während des begleiteten Freigangs Bordelle im Ruhrgebiet besuchen, um positive Erfahrungen im Umgang mit Frauen zu sammeln. Speziell gehe es um Menschen, die "in ihrer Erwachsenenentwicklung eine beträchtliche Reifungsverzögerung haben", erklärt die ehemalige Leiterin der Klinik, Nahlah Saimeh.
Das Video hierzu findet Ihr unter folgendem Link:
https://www.rtl.de/cms/straftaeter-im-b ... 85357.html
Sexarbeiterin: Ich fühle mich nicht ernstgenommen
11. Februar 2020 - 20:15 Uhr
Straftäter besuchten Bordelle ohne Wissen der Prostituierten
Es sollte ein Teil der Therapie sein. Die forensische Klinik in Lippstadt erlaubt psychisch kranken Straftätern, Bordelle zu besuchen. Einer der Patienten ist ein wegen versuchter Vergewaltigung verurteilter Straftäter. Die Prostituierten wussten nichts von der Vorgeschichte der Männer. Josefa Nereus ist selbst Sexarbeiterin und kritisiert die fehlende Kommunikation. Was sie dazu sagt, sehen Sie im Video.
Josefa Nereus würde Zusammenarbeit mit Straftätern und Therapeuten unterstützen
Vier Patienten innerhalb der letzten fünf Jahre seien solche Besuche gestattet worden, erklärte der LWL auf RTL-Anfrage. Es handele sich um unbegleitete Ausgänge, die von der Klinik genehmigt werden müssten. Die Männer besuchten die Bordelle auf eigene Rechnung. "Ganz generell finde ich den Ansatz, zusammen mit Sexworkern, Ärzten und Patienten zusammenzuarbeiten sehr begrüßenswert", sagte Josefe Nereus im RTL-Interview. Was sie daran stört: "Ich bin der Meinung, dass alle Parteien, die bei einer Therapie involviert sind auch darüber aufgeklärt werden müssen, was eigentlich dort geschehen soll." Kurz gesagt: Die Sexarbeiterin will wissen, wenn sie mit einem Sexualstraftäter auf Freigang ins Bett geht. Das war bei den Freigängern der forensischen Klinik in Lippstadt nicht der Fall.
Generell sei Nereus einer "Therapie durch Sexarbeit" aber nicht abgeneigt. Im Gegenteil: Gerade die praktische Erfahrung, so die Sexarbeiterin, könnte bei der Therapie von Sexualstraftätern helfen. Ihr sei es wichtig, dass man "Sexworker" mit in die therapeutischen Vorgänge einbeziehe. "Jemanden einfach so in eine Therapie zu schubsen, ohne dass er weiß, was da eigentlich passiert, finde ich nicht verantwortungsvoll."
Sexarbeit als Chance für Straftäter
Chancen sehe Josefa Nereus besonders in der Zusammenarbeit mit Menschen, die selbst nie hätten erfahren können, was eine "normale Sexualität" ausmache. "Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die selbst aus Missbrauchserfahrungen kommen und nie gelernt haben, wie einvernehmliche Sexualität funktioniert, davon profitieren können, mit Sexworkern zusammenzuarbeiten." Doch bislang habe sie das Gefühl, Ärzte und Therapeuten würden das Gespräch mit Prostituierten scheuen: "Ich fühle mich als Sexworker da nicht ernstgenommen und nicht wertgeschätzt." Dabei hätten Sexworker einen riesen Vorsprung, was die praktische Erfahrung anbelange und wüssten "mit Sexualität umzugehen, die verheimlicht wird oder unterdrückt wird". Außerdem hätten sie "auch viel Erfahrung und Geduld, um sich der Sexualität von Menschen zu nähern und den Rahmen zu schaffen, dass Menschen sich öffnen können."
Josefa hätte nichts gegen einen Straftäter als Freier
Die "Sexworkerin" - so bezeichnet sich Nereus selbst - habe bisher noch keinen Straftäter als Kunden gehabt - zumindest nicht wissentlich. Abgeneigt wäre sie dem gegenüber aber grundsätzlich nicht, erklärte sie. "Ich hätte prinzipiell keine Angst, wenn sich jemand melden würde. Ich würde aber schon im meinem Netzwerk schauen, dass ich die Unterstützung bekomme, die ich da wirklich brauche, um mich sicher zu fühlen." Sie würde sich vorab über ihre Freier erkundigen und dann abwägen, ob sie bereit wäre, sich mit ihnen einzulassen oder eben nicht.
Das Wichtigste seien Offenheit und ein respektvoller Umgang miteinander und der Sexualität des anderen. Genau das könne man auch gemeinsam mit Patienten lernen.
Patienten kriegen Ausgang fürs Bordell
Einige Insassen der forensischen Klinik Lippstadt durften während des begleiteten Freigangs Bordelle im Ruhrgebiet besuchen, um positive Erfahrungen im Umgang mit Frauen zu sammeln. Speziell gehe es um Menschen, die "in ihrer Erwachsenenentwicklung eine beträchtliche Reifungsverzögerung haben", erklärt die ehemalige Leiterin der Klinik, Nahlah Saimeh.
Das Video hierzu findet Ihr unter folgendem Link:
https://www.rtl.de/cms/straftaeter-im-b ... 85357.html
-
- unverzichtbar
- Beiträge: 185
- Registriert: 19.08.2008, 19:06
- Wohnort: Wien und Umgebung
- Ich bin: SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Für mich der Knackpunkt bei der Geschichte - Geht gar nicht.
Grundsätzlich teile ich die Aussage von Josefa
Rose
we demand our rights
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
love people, use things - not the other way round
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
love people, use things - not the other way round
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 1658
- Registriert: 17.06.2018, 13:17
- Ich bin: SexarbeiterIn
Re: Sexarbeiterinnen unwissentlich und unfreiwillig als Therapeutinnen und Teilnehmer einer wissenschaftlichen Feldforsc
Der Artikel ist zwar schon vom Juni 2019, aber wen es interessiert, kann den Artikel lesen.
Warum sich Psychologen wie Prostituierte fühlen und Psychiater um ihre Pfründen fürchten
Psychotherapeuten mit psychologischer Ausbildung können heute nur über die Grundversicherung abrechnen, wenn sie bei Ärzten angestellt sind. Das widerspricht diametral ihrem Berufsverständnis – und soll sich nun ändern. Die Psychiater warnen vor einem Debakel.
Simon Hehli
26.06.2019, 05.30 Uhr
«Das Modell grenzt an Prostitution, und der Psychiater ist unser Zuhälter» – Petra Kohler* verwendet drastische Worte, um auf einen Missstand hinzuweisen, der aus ihrer Sicht weit verbreitet ist. Kohler ist Psychologin mit einer Zusatzausbildung als Psychotherapeutin. Auf eigene Verantwortung darf sie lediglich Patienten behandeln, die selber bezahlen oder eine Zusatzversicherung haben. Die Grundversicherung finanziert die Dienstleistung von psychologischen Psychotherapeuten nur, wenn sie «delegiert» tätig sind – also von einem Psychiater angestellt sind und in dessen Räumlichkeiten praktizieren. Dieses Delegationsmodell wurde vor über zwanzig Jahren als Provisorium eingeführt. Damit angefreundet haben sich die Psychologen nie.
Petra Kohler arbeitete zuerst sieben Monate delegiert in einer Praxis in Zürich, dann noch ein halbes Jahr lang in Bern. Bei der ersten Stelle hatte sie nicht einmal einen schriftlichen Arbeitsvertrag, weil ihr der Psychiater einen solchen verweigerte. Von den 133 bis 142 Franken, welche die Krankenkasse oder die IV dem Arzt für eine Behandlungsstunde überwies, bekam sie bloss 80 Franken ausbezahlt und musste damit die Sozialversicherungsbeiträge selber begleichen. Ausserdem hatte sie einen Beitrag an die Praxismiete zu leisten. «Fast so, wie eine Prostituierte sich in einem Bordell einmieten muss, um überhaupt ihre Dienstleistung anbieten zu können», sagt Kohler.
In den Ferien verdiente sie nichts, ebenso, wenn ein Patient eine Therapiestunde absagte oder die Rechnung nicht bezahlte. «Eigentlich war ich ja angestellt, aber der Psychiater hat mir alle Risiken aufgehalst, die er als Arbeitgeber eigentlich selber tragen müsste. Er hat die Rosinen gepickt», klagt Kohler. Bei der zweiten Arbeitsstelle erhielt sie brutto nur noch 70 Franken pro Stunde. Viel bleibt da am Ende des Monats nicht übrig, zumal ein Therapeut gemäss den Empfehlungen des Branchenverbandes pro Tag maximal sechs Patienten betreuen sollte.
Gut qualifiziert und doch abhängig
Eine Alternative hatte die Bernerin jedoch nicht, wie viele andere junge Psychologen, die in den Beruf einsteigen. Nach dem Studium absolvieren sie eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) akkreditierte, vier- bis fünfjährige Ausbildung in Psychotherapie, die 50 000 Franken oder mehr kostet. Damit sind sie laut Fachleuten mindestens so gut qualifiziert wie Mediziner, die Psychotherapien anbieten. «Und dann ist man auf einen Psychiater angewiesen, um Klienten zu bekommen», sagt Kohler. «Am Anfang fehlt einem ja das Netz, um selbstzahlende Patienten zu finden. Ich merkte erst da, was für ein Horror das derzeitige System für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist.»
Statistiken darüber, wie viele der rund 2000 delegiert praktizierenden psychologischen Psychotherapeuten in einer ähnlichen Situation sind, wie es Petra Kohler war, gibt es nicht. Klar ist, dass viele Psychiater darum bemüht sind, den delegierten Therapeuten ein gutes und faires Arbeitsumfeld zu bieten. Doch ebenso klar ist, dass manche Ärzte mit dem heutigen System gutes Geld verdienen. Sie dürfen pro Woche maximal 100 Therapiestunden delegieren, das entspricht etwa vier Angestellten in Vollzeit. Behalten die Psychiater pro Stunde 50 Franken für sich, können sie monatlich auf einen Zusatzverdienst von rund 20 000 Franken kommen, wovon ein Teil in die Miete für die Praxisräumlichkeiten und das Sekretariat fliesst. Der Arbeitsaufwand für die Ärzte ist dabei gering: Sie müssen jeden Patienten einmal sehen und ab und zu einen Blick in die Akten werfen – und können dies den Krankenkassen auch noch in Rechnung stellen. Im Fall von Petra Kohler foutierten sich beide Ärzte jedoch völlig um ihre Aufsichtspflicht.
Die Psychologen machen Druck
Die gegenwärtigen Regeln sichern den Psychiatern eine starke Stellung, nicht nur monetär. Entsprechend sind viele von ihnen nicht begeistert, dass sich nun ein Systemwechsel abzeichnet. Der Psychologenverband FSP macht seit Jahren Druck auf die Politik und hat dem Bundesrat vor einigen Monaten eine Petition mit fast 100 000 Unterschriften überreicht. Das Ziel: Künftig soll das Anordnungsmodell gelten.
Das bedeutet, dass weiterhin ein Arzt die Patienten an die psychologischen Psychotherapeuten überweisen müsste, diese jedoch selber über die Grundversicherung abrechnen und eine eigene Praxis betreiben könnten. Gesundheitsminister Alain Berset hat ein offenes Ohr für das Anliegen gezeigt und angekündigt, eine Vernehmlassung für eine Neuregelung eröffnen zu wollen. Möglicherweise ist es schon diesen Mittwoch so weit.
Dabei steht für alle Beteiligten einiges auf dem Spiel. Das hat der Sturm der Entrüstung gezeigt, den vor einigen Wochen Erich Seifritz mit einem Gastbeitrag in der NZZ entfachte. Der Chefarzt für Erwachsenenpsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich spricht darin die Warnung aus, die fehlende Kontrolle durch Ärzte im Anordnungsmodell werde «verheerende Auswirkungen» auf die Behandlungsqualität haben. Das hätten Erfahrungen in Deutschland gezeigt, das den Systemwechsel vor rund zwanzig Jahren vorgenommen habe. Seifritz geht davon aus, dass Menschen mit schweren psychischen Störungen weniger Chancen auf einen Therapieplatz hätten als heute, weil sich die psychologischen Psychotherapeuten vor allem um die leichteren Fälle kümmern würden. Er plädierte deshalb für den Status quo – und provozierte damit heftige Widerrede vonseiten der Psychologen.
Der Verband der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärzte FMPP will noch keine Position zum Anordnungsmodell beziehen, sondern auf den Vernehmlassungstext warten und dann die eigenen Mitglieder dazu befragen. Der Krankenkassenverband Santésuisse hingegen zeigt sich unter bestimmten Voraussetzungen offen dafür, dass Psychologen nicht mehr zwingend in der Praxis eines Psychiaters angestellt sein müssen, wie Sprecher Matthias Müller sagt. Der Verband fordert aber, dass nur ein «fachlich ausgewiesener» Arzt eine Psychotherapie bei einem selbständigen Psychologen anordnen dürfe – nicht jedoch ein Hausarzt, wie das der Psychologenverband gerne hätte.
Die Angst vor steigenden Prämien
Santésuisse befürchtet zudem eine teure Mengenausweitung. Deshalb brauche es auch in Zukunft Beschränkungen, betont Müller. So soll der involvierte Arzt weiterhin die medizinische Qualität sicherstellen, was bedinge, dass er nicht zahllose Therapien verschreiben könne. Santésuisse pocht darauf, dass es nach einer gewissen Anzahl Therapiesitzungen eine Überprüfung des Bedarfs aufseiten des Patienten braucht. Wichtig ist dem Verband zudem, dass der Bundesrat mit einem Automatismus sicherstellt, dass bei übermässigem Kostenwachstum Korrekturen erfolgen.
Die Angst vor einer Mengenausweitung hat auch damit zu tun, dass manche Experten hierzulande eine psychiatrische Unterversorgung diagnostizieren – und damit einen grossen Nachholbedarf. Die Schweiz hat zwar die mit Abstand höchste Psychiaterdichte aller OECD-Staaten. Aber viele von ihnen gehen in den nächsten Jahren in Pension, und es mangelt an Nachwuchs, weil die psychische Belastung hoch ist und der Lohn tiefer als in anderen ärztlichen Sparten. Somit besteht die Gefahr, dass sich die mutmassliche «Behandlungslücke» noch vergrössert, die 2016 eine Studie im Auftrag des BAG konstatierte. Betroffen vom Mangel sind besonders Kinder und Jugendliche, die lange auf einen Therapieplatz warten müssen. Hier könnten psychologische Psychotherapeuten Abhilfe schaffen, wenn sie freier arbeiten dürften. Doch das wird kosten.
Die Berner Psychologin Petra Kohler ist heute Teilzeit in einem Spital angestellt und behandelt zusätzlich Selbstzahler und Zusatzversicherte. Die 38-Jährige ist nun grundsätzlich zufrieden, wünscht sich jedoch, dass das Anordnungsmodell bald kommt. Und sie kann sich vorstellen, dann voll auf die eigene Praxis zu setzen.
* Name von der Redaktion geändert.
https://www.nzz.ch/schweiz/warum-sich-p ... ld.1491516
Warum sich Psychologen wie Prostituierte fühlen und Psychiater um ihre Pfründen fürchten
Psychotherapeuten mit psychologischer Ausbildung können heute nur über die Grundversicherung abrechnen, wenn sie bei Ärzten angestellt sind. Das widerspricht diametral ihrem Berufsverständnis – und soll sich nun ändern. Die Psychiater warnen vor einem Debakel.
Simon Hehli
26.06.2019, 05.30 Uhr
«Das Modell grenzt an Prostitution, und der Psychiater ist unser Zuhälter» – Petra Kohler* verwendet drastische Worte, um auf einen Missstand hinzuweisen, der aus ihrer Sicht weit verbreitet ist. Kohler ist Psychologin mit einer Zusatzausbildung als Psychotherapeutin. Auf eigene Verantwortung darf sie lediglich Patienten behandeln, die selber bezahlen oder eine Zusatzversicherung haben. Die Grundversicherung finanziert die Dienstleistung von psychologischen Psychotherapeuten nur, wenn sie «delegiert» tätig sind – also von einem Psychiater angestellt sind und in dessen Räumlichkeiten praktizieren. Dieses Delegationsmodell wurde vor über zwanzig Jahren als Provisorium eingeführt. Damit angefreundet haben sich die Psychologen nie.
Petra Kohler arbeitete zuerst sieben Monate delegiert in einer Praxis in Zürich, dann noch ein halbes Jahr lang in Bern. Bei der ersten Stelle hatte sie nicht einmal einen schriftlichen Arbeitsvertrag, weil ihr der Psychiater einen solchen verweigerte. Von den 133 bis 142 Franken, welche die Krankenkasse oder die IV dem Arzt für eine Behandlungsstunde überwies, bekam sie bloss 80 Franken ausbezahlt und musste damit die Sozialversicherungsbeiträge selber begleichen. Ausserdem hatte sie einen Beitrag an die Praxismiete zu leisten. «Fast so, wie eine Prostituierte sich in einem Bordell einmieten muss, um überhaupt ihre Dienstleistung anbieten zu können», sagt Kohler.
In den Ferien verdiente sie nichts, ebenso, wenn ein Patient eine Therapiestunde absagte oder die Rechnung nicht bezahlte. «Eigentlich war ich ja angestellt, aber der Psychiater hat mir alle Risiken aufgehalst, die er als Arbeitgeber eigentlich selber tragen müsste. Er hat die Rosinen gepickt», klagt Kohler. Bei der zweiten Arbeitsstelle erhielt sie brutto nur noch 70 Franken pro Stunde. Viel bleibt da am Ende des Monats nicht übrig, zumal ein Therapeut gemäss den Empfehlungen des Branchenverbandes pro Tag maximal sechs Patienten betreuen sollte.
Gut qualifiziert und doch abhängig
Eine Alternative hatte die Bernerin jedoch nicht, wie viele andere junge Psychologen, die in den Beruf einsteigen. Nach dem Studium absolvieren sie eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) akkreditierte, vier- bis fünfjährige Ausbildung in Psychotherapie, die 50 000 Franken oder mehr kostet. Damit sind sie laut Fachleuten mindestens so gut qualifiziert wie Mediziner, die Psychotherapien anbieten. «Und dann ist man auf einen Psychiater angewiesen, um Klienten zu bekommen», sagt Kohler. «Am Anfang fehlt einem ja das Netz, um selbstzahlende Patienten zu finden. Ich merkte erst da, was für ein Horror das derzeitige System für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist.»
Statistiken darüber, wie viele der rund 2000 delegiert praktizierenden psychologischen Psychotherapeuten in einer ähnlichen Situation sind, wie es Petra Kohler war, gibt es nicht. Klar ist, dass viele Psychiater darum bemüht sind, den delegierten Therapeuten ein gutes und faires Arbeitsumfeld zu bieten. Doch ebenso klar ist, dass manche Ärzte mit dem heutigen System gutes Geld verdienen. Sie dürfen pro Woche maximal 100 Therapiestunden delegieren, das entspricht etwa vier Angestellten in Vollzeit. Behalten die Psychiater pro Stunde 50 Franken für sich, können sie monatlich auf einen Zusatzverdienst von rund 20 000 Franken kommen, wovon ein Teil in die Miete für die Praxisräumlichkeiten und das Sekretariat fliesst. Der Arbeitsaufwand für die Ärzte ist dabei gering: Sie müssen jeden Patienten einmal sehen und ab und zu einen Blick in die Akten werfen – und können dies den Krankenkassen auch noch in Rechnung stellen. Im Fall von Petra Kohler foutierten sich beide Ärzte jedoch völlig um ihre Aufsichtspflicht.
Die Psychologen machen Druck
Die gegenwärtigen Regeln sichern den Psychiatern eine starke Stellung, nicht nur monetär. Entsprechend sind viele von ihnen nicht begeistert, dass sich nun ein Systemwechsel abzeichnet. Der Psychologenverband FSP macht seit Jahren Druck auf die Politik und hat dem Bundesrat vor einigen Monaten eine Petition mit fast 100 000 Unterschriften überreicht. Das Ziel: Künftig soll das Anordnungsmodell gelten.
Das bedeutet, dass weiterhin ein Arzt die Patienten an die psychologischen Psychotherapeuten überweisen müsste, diese jedoch selber über die Grundversicherung abrechnen und eine eigene Praxis betreiben könnten. Gesundheitsminister Alain Berset hat ein offenes Ohr für das Anliegen gezeigt und angekündigt, eine Vernehmlassung für eine Neuregelung eröffnen zu wollen. Möglicherweise ist es schon diesen Mittwoch so weit.
Dabei steht für alle Beteiligten einiges auf dem Spiel. Das hat der Sturm der Entrüstung gezeigt, den vor einigen Wochen Erich Seifritz mit einem Gastbeitrag in der NZZ entfachte. Der Chefarzt für Erwachsenenpsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich spricht darin die Warnung aus, die fehlende Kontrolle durch Ärzte im Anordnungsmodell werde «verheerende Auswirkungen» auf die Behandlungsqualität haben. Das hätten Erfahrungen in Deutschland gezeigt, das den Systemwechsel vor rund zwanzig Jahren vorgenommen habe. Seifritz geht davon aus, dass Menschen mit schweren psychischen Störungen weniger Chancen auf einen Therapieplatz hätten als heute, weil sich die psychologischen Psychotherapeuten vor allem um die leichteren Fälle kümmern würden. Er plädierte deshalb für den Status quo – und provozierte damit heftige Widerrede vonseiten der Psychologen.
Der Verband der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärzte FMPP will noch keine Position zum Anordnungsmodell beziehen, sondern auf den Vernehmlassungstext warten und dann die eigenen Mitglieder dazu befragen. Der Krankenkassenverband Santésuisse hingegen zeigt sich unter bestimmten Voraussetzungen offen dafür, dass Psychologen nicht mehr zwingend in der Praxis eines Psychiaters angestellt sein müssen, wie Sprecher Matthias Müller sagt. Der Verband fordert aber, dass nur ein «fachlich ausgewiesener» Arzt eine Psychotherapie bei einem selbständigen Psychologen anordnen dürfe – nicht jedoch ein Hausarzt, wie das der Psychologenverband gerne hätte.
Die Angst vor steigenden Prämien
Santésuisse befürchtet zudem eine teure Mengenausweitung. Deshalb brauche es auch in Zukunft Beschränkungen, betont Müller. So soll der involvierte Arzt weiterhin die medizinische Qualität sicherstellen, was bedinge, dass er nicht zahllose Therapien verschreiben könne. Santésuisse pocht darauf, dass es nach einer gewissen Anzahl Therapiesitzungen eine Überprüfung des Bedarfs aufseiten des Patienten braucht. Wichtig ist dem Verband zudem, dass der Bundesrat mit einem Automatismus sicherstellt, dass bei übermässigem Kostenwachstum Korrekturen erfolgen.
Die Angst vor einer Mengenausweitung hat auch damit zu tun, dass manche Experten hierzulande eine psychiatrische Unterversorgung diagnostizieren – und damit einen grossen Nachholbedarf. Die Schweiz hat zwar die mit Abstand höchste Psychiaterdichte aller OECD-Staaten. Aber viele von ihnen gehen in den nächsten Jahren in Pension, und es mangelt an Nachwuchs, weil die psychische Belastung hoch ist und der Lohn tiefer als in anderen ärztlichen Sparten. Somit besteht die Gefahr, dass sich die mutmassliche «Behandlungslücke» noch vergrössert, die 2016 eine Studie im Auftrag des BAG konstatierte. Betroffen vom Mangel sind besonders Kinder und Jugendliche, die lange auf einen Therapieplatz warten müssen. Hier könnten psychologische Psychotherapeuten Abhilfe schaffen, wenn sie freier arbeiten dürften. Doch das wird kosten.
Die Berner Psychologin Petra Kohler ist heute Teilzeit in einem Spital angestellt und behandelt zusätzlich Selbstzahler und Zusatzversicherte. Die 38-Jährige ist nun grundsätzlich zufrieden, wünscht sich jedoch, dass das Anordnungsmodell bald kommt. Und sie kann sich vorstellen, dann voll auf die eigene Praxis zu setzen.
* Name von der Redaktion geändert.
https://www.nzz.ch/schweiz/warum-sich-p ... ld.1491516