FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Wer mit Menschen zu tun hat, hat oft genug auch mit Dummköpfen zu tun. Macht eurem Ärger Luft. Es bleibt unter euch. Ebenso sollen hier aber auch vorbildliche Klienten aufgeführt werden. Wie sieht der ideale Klient aus?
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Lucy
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Beitrag von Lucy »

ich glaube, es gibt gar nicht so viele frauen, die wirklich jeden tag ihrem beruf nachgehen. es gibt tausende gelegenheitsprostituierte. und es gibt jede menge escorts, die mehr oder weniger lange pausen machen.

auf der anderen seite hatte ich gäste, die jede woche zu besuch kamen, andere alle 6 wochen und der eine oder andere einmal im jahr.

man kann aus meinen erfahrungen natürlich keine statistik ableiten, aber durch die unregelmäßigkeit auf beiden seiten ist es schwierig, verläßliche zahlen zu ermitteln. und das gilt vermutlich für viele beteiligte.

lieber gruss
lucy

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lust4fun
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RE: Freierzahlen - Zahlenspiele?

Beitrag von lust4fun »

@ ehemaliger_User

Auch interessant, wie du die Zahlen von der Anbieterseite aus angehst, und zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommst wie bei meiner Rechnung.

Deine Stuttgarter Zahl von 557 SW hochgerechnet aufs Bundesgebiet sind 77.000 SW.
Das Zahlenpaar 1,2 Mio Freier und 400.000 SW legt nahe, dass irgendjemand von einem Durchschnitt von 3 Kunden pro SW ausgeht. Nimmt man diesen Faktor, käme man mit deiner Ausgangszahl auf 230.000 Paysex-Kontakte pro Tag.

Ich persönlich spekuliere, dass man die Großstadtverhältnisse auf ganz Deutschland bezogen noch deutlich nach unten korrigieren muss, weil Deutschland große ländliche Gebiete mit trotzdem vielen Bewohnern hat. In Gegenden, wo man 100 km fahren muss, ist das P6-Verhalten einfach anders, als wenn die anonyme P6-Möglichkeit um die Ecke ist.

Dann käme man wieder in die von mir errechneten Dimensionen. Aber das sind Zahlen, die wiederum dermaßen klein, fast banal erscheinen, dass man es auch kaum glauben kann.

Komische Sache...

Danke für eure Antworten!

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annainga
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RE: Freierzahlen - Zahlenspiele?

Beitrag von annainga »

ich mag solche rechenbeispiele, für mich selbst habe ich auch einige male durchgerechnet, wie die zahlen für sexarbeit durch hochrechnungen aussehen könnten. es kam immer heraus, dass es keine 400.000 sein können.

die zahl von hydra ist nie erklärt worden aus welchen zahlen sie hervorgeht. es ist also nicht mal eine schätzung, sondern eine willkürlich genannte zahl wie @ehemaliger_User ja bereits gesagt hat.

schätzungen über die anzahl von kunden zu machen, dürfte noch schwerer sein, als über die anzahl von sexarbeiterinnen. was @Lucy bereits gesagt hat, kann ich nur bestätigen - viele sexarbeiterinnen arbeiten nicht regelmäßig, sind behördlich nicht erfasst (ich auch nicht, ich gelte als "sonstige selbstständige"), kunden nehmen sehr unterschiedlich die dienstleistung in anspruch.

zudem bauen schätzungen wiederum auf schätzungen auf, fehler vergrößern sich dadurch.

dennoch ..... ein interessantes thema.

durch meine eigenen erfahrungen über die anzahl von kunden in der sexarbeit kam ich genau zu der schlussfolgerung, die @lust4fun schreibt: Aber das sind Zahlen, die wiederum dermaßen klein, fast banal erscheinen, dass man es auch kaum glauben kann.

und selbst, wenn es so wäre und sexarbeit viel kleindimensionierter ist als in (willkürlichen) zahlen immer behauptet wird, ists doch kein grund anzunehmen, dass könnte politische schlechte folgen haben. ich könnte es mir auch andersherum denken. die sexarbeitsgegner finden eh immer argumente, ob "schwemme", "drehscheibe" oder sonstiges.

lieben gruß, annainga

ps: allerdings glaube ich kaum, dass man in deutschland in ländlichen gebieten von einer anderer größe von kunden und sexarbeitern (anteilig natürlich) ausgehen muss. ich wohne sehr ländlich und keiner muss hier weiter als 20 km fahren, um auf eine sexarbeitsstätte zu treffen.

Klaus Fricke
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RE: Freierzahlen - Zahlenspiele?

Beitrag von Klaus Fricke »

Auch mein Beitrag zu den Zahlen"spielen"

Bremen:


Ich gehe in Bremen, auf der Grundlage der Beobachtung der wichtigen Werbeportale, davon aus, dass gleichzeitig
kaum mehr als 500 Sexarbeiterinnen (SW) bei ca 550.000 Einwohnern tätig sind (Die Gruppe der Sexarbeiter
habe ich nicht im Blick). Gelegenheits- SW sind dabei nicht berücksichtigt. Im Durchschnitt haben die SW, die
bei uns Mieterinnen sind/waren, drei vielleicht vier Gäste/Tag. Eine nicht kleine Zahl "unserer" Mieterinnen konnte sich in
Bremen nicht etablieren. Sie hatten zu wenig Umsatz und haben dann innerhalb Bremens die Location gewechselt,
aber auch dort kaum Erfolg gehabt. Natürlich gibt es auch SW, die mehr Erfolg haben. Die Zahl von Drei,
maximal vier Gästen/Tag erscheint mir, auch nach Rücksprache mit SW aus anderen Locations als
Durchschnittszahl realistisch.

Also ca 1.500 vielleicht 2.000 Gäste/Tag bei einem Einzugsgebiet von vielleicht 700.000 Einwohner_innen Bremen
und Region. Ohne valide Zahlen zu haben ca 270.000 potentielle Kunden, die 500 tägliche (inklusive Sonn-
Feiertage) SW-Vollzeitarbeitsplätze (Zeitspanne täglich 10 bis 02 Uhr) am Markt ermöglichen.

Bei gut 80 Millionen Einwohnern BRD kämen dann ein Multiplikator von ca 115 heraus
(80.000.000 Einwohner_innen BRD : 700.000 Einwohner_innen Region HB = ca 115).

Das Marktgeschehen in der BRD dürfte demnach (ohne Sextourismus) kaum über 230.000 Kundenkontakten/TAG
(Multiplikator 115 x 2.000 Kundenmaximun/Tag Region HB) im Segment Sexarbeiterinnen - Kunden liegen. Ein
Umsatz von ca 1,6 Millionen Euro/Tag unter der Annahme eines Durchschnitthonorars von 70 Euro (der in Bremen
eher nicht realisiert wird). Bei den Vollzeitarbeitsplätzen wäre die Rechnung 115 X 500 = ca 60.000. Dieser Wert kann
wahrscheinlich mit einem Faktor 1,5 bis 2 multipliziert werden, da nicht alle SW eine sieben Tage Woche und einen
16 Stunden Tag haben. Dann könnte von bis zu 120.000 Sexarbeiterinnen ausgegangen werden die in D mit diesem Beruf
ihre Existenz sichern

Das trifft sich mit den o.g. Zahlen, die immer weniger den Eindruck erwecken, sie wären reine Spielerei. Ob diese
wohl realistischeren Zahlen aber in der politischen / veröffentlichten Debatte ankommen und Berücksichtigung finden
ist zweifelhaft. Ob sie strategisch ProSexWork hilfreich sind ebenfalls. Trotzdem sollte betont werden, dass diese
Zahlen seriöser erscheinen

BRD Kundenkontakte/Tag ca 230.000
Umsatz/Tag ca 1,6 Millionen Euro
Umsatz/Jahr ca 600 Millionen Euro
Sexarbeiterinnen-Vollzeitarbeitsplätze/Tag ca 60.000

oder ca 120.000 Sexarbeiterinnen,
die von diesem Beruf zu (über-) leben im Stande sind. Manche nicht wirklich, manche gerade eben, manche
vernünftig, wenige wirklich gut. Das deckt sich mit den Aussagen einiger Sexarbeiterinnen in Bremen.

Klaus ... alias

(die Hobby Hausfrau oder der Gelegenheits "Teeny" usw. fallen aus dieser Aufstellung heraus)

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Snickerman
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Beitrag von Snickerman »

Da stimmt etwas nicht in der Rechnung, Abu Disney:
"BRD Kundenkontakte/Tag ca 230.000
Umsatz/Tag ca 1,6 Millionen Euro
Umsatz/Jahr ca 600 Millionen Euro"

Das wären ja 7 und nicht 70 Euro pro... Kontakt,
also müssten die anderen Zahlen entsprechend bei 16 Millionen/Tag
und 6 Milliarden/Jahr liegen- oder die SW lägen um den Hartz IV-Satz...
Ich höre das Gras schon wachsen,
in das wir beißen werden!

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lust4fun
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RE: Freierzahlen - Zahlenspiele?

Beitrag von lust4fun »

Kleiner Nachtrag aus einer aktuellen wissenschaftlichen Publikation:


Zahlen und Fakten

Für die Bundesrepublik liegen aktuell keine validen Daten bezüglich der Grundgesamtheit der männlichen Nachfrageseite vor. Viele Zahlen sind Schätzwerte oder basieren auf Hochrechnungen anderer Studien, die zum Teil mit Daten aus den 1980er Jahren operieren, wie auch das wissenschaftlich und medial breitrezipierte "Dreigespann" von 1.200.000 Kundenkontakten pro Tag und 400.000 Sexarbeiterinnen bei 14,5 Milliarden Euro Jahresumsatz im Prostitutionsfeld.[15]

Die einzige quantitativ-empirisch operierende bundesdeutsche Untersuchung von Dieter Kleiber und Doris Velten aus dem Jahr 1994 geht von 18 % dauerhaft aktiven Prostitutionskunden (zum damaligen Zeitpunkt) aus.[16]

Wissenschaftlich gesichert gilt hingegen die Jedermann-Hypothese,[17] die besagt, dass zur Kategorie der Prostitutionskunden "Männer aller Altersklassen (15–74), jedes Familienstandes, jedes Bildungsniveaus, verschiedenster Tätigkeits-, Berufs- und Einkommensgruppen"[18] zu zählen sind, die sich auch hinsichtlich psychischer und gewaltbezogener Parameter nicht wesentlich von der durchschnittlichen männlichen Gesamtbevölkerung unterscheiden.[19]"

Udo Gerheim: Motive der männlichen Nachfrage nach käuflichem Sex.
http://www.bpb.de/apuz/155375/motive-de ... -sex?p=all
Hier auch die Quellen:

[8: Vgl. Dieter Kleiber/Doris Velten, Prostitutionskunden. Eine Untersuchung über soziale und psychologische Charakteristika von Besuchern weiblicher Prostituierter in Zeiten von AIDS, Baden-Baden 1994; Doris Velten, Aspekte der sexuellen Sozialisation. Eine Analyse qualitativer Daten zu biographischen Entwicklungsmustern von Prostitutionskunden, Berlin 1994; Heinrich Ahlemeyer, Prostitutive Intimkommunikation. Zur Mikrosoziologie heterosexueller Prostitution. Beiträge zur Sexualforschung, Stuttgart 1996; Andrea Rothe, Männer, Prostitution, Tourismus. Wenn Herren reisen…, Münster 1997; Sabine Grenz, (Un)heimliche Lust. Über den Konsum sexueller Dienstleistungen, Wiesbaden 2005; U. Gerheim (Anm. 1).]

[15: Vgl. D. Kleiber/D. Velten (Anm. 8); Richard Reichel/Karin Topper, Prostitution. Der verkannte Wirtschaftsfaktor, in: Aufklärung und Kritik, 10 (2003) Sonderdruck 2, S. 3–29; Emilija Mitrovic/Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (Hrsg.), Arbeitsplatz Prostitution, 2004, online: »http://www.arbeitsplatz-prostitution.de ... eInnen.pdf« (7.8.2007); S. Grenz (Anm. 8); Gabriele Goettle, Übermannung. Von den vielerlei Übungen der Frau Ludwig, in: Die Tageszeitung vom 26.6.2006; TAMPEP European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion for Migrant Sex Workers (ed.), TAMPEP VIII, Final Reports, Germany, 2009, online: »http://www.amnestyforwomen.de/_notes/FI ... 202009.pdf« (13.1.2010).]

[16: D. Kleiber/D. Velten (Anm. 8), S. 16.]

[17: Rosie Campbell, Invisible Men. Making Visible Male Clients of Female Prostitutes in Merseyside, in: James E. Elias et al. (eds.), Prostitution. On whores, hustlers and johns, Amherst–New York 1998, S. 155–171; Ronald Weitzer, Prostitution as a Form of Work, in: Sociology Compass 1 (2007) 1, S. 143–155.]

[18: Dieter Kleiber 2004, zit. nach: U. Gerheim (Anm. 1), S. 15.]

[19: Zur ausführlichen Diskussion der quantitativen Dimension auf nationaler und internationaler Ebene vgl. ebd., S. 14–17.]

Klaus Fricke
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RE: FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Beitrag von Klaus Fricke »

@ Snickermann,

Danke für die Aufmerksamkeit.

Bei der Multiplikation ist augenscheinlich eine Null verloren gegangen. 16 Millionen bzw 6 Milliarden sind die richtigen Ergebnisse. Werde in Zukunft mehr Sorgfalt walten lassen.

Klaus

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Weitere Beispiele für Freier als Opfer

Sogenannte Liebeskasper

Wie waren blind und ließen sich täuschen / wollten getäuscht werden?

www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=135158#135158


Bin gespannt, ob wir das Ergebnis vom Prozess in Hamburg St. Georg auch in den Medien detaliert lesen können, wenn es nicht gelingt den Hells Angels Partner der migrantischen jungen Sexarbeiterin und Täterin/Betrügerin als eigentlichen "bösen Zuhälter" und Anstifter für den Betrug über 110.000 Euro an den 3 Prostitutionskunden darzustellen.

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Gerheim Freierforschung

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Dieses Sammelthema
Bild




Udo Gerheim

Die Produktion des Freiers

Macht im Feld der Prostitution. Eine soziologische Studie
2012

Leseprobe
http://www.transcript-verlag.de/ts1758/ts1758_1.pdf

Info
http://www.transcript-verlag.de/ts1758/ts1758.php

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Marc of Frankfurt
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Unsere Kunden

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Meet our Johns


poster by Norma Jean Almodovar.

www.policeprostitutionandpolitics.com/p ... s_2013.pdf

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RE: FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Beitrag von Melanie_NRW »

DieStandard.at
Freier geht nicht!
KOLUMNE | NILS PICKERT, 9. Oktober 2013

Der Freier, das unbekannte Wesen? Das wenige, was man über ihn weiß, lässt nicht gerade darauf schließen, dass er ein aufgeklärtes Verhältnis zur Prostitution hat.

In Debatten über Prostitution geht es so gut wie nie um die Männer. Können Freier eigentlich unterscheiden, ob sie sich eine Dienstleistung oder einen Menschen kaufen?

weiter lesen:

http://diestandard.at/1379293460793/Freier-geht-nicht

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Journalist schreibt gegen Freiersein

Beitrag von ehemaliger_User »

Ich stelle mal zu Dokumentationszwecken den ganzen Artikel hier rein.



Freier geht nicht!

Kolumne | Nils Pickert, 9. Oktober 2013, 07:00

Der Freier, das unbekannte Wesen? Das wenige, was man über ihn weiß, lässt nicht gerade darauf schließen, dass er ein aufgeklärtes Verhältnis zur Prostitution hat.
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In Debatten über Prostitution geht es so gut wie nie um die Männer. Können Freier eigentlich unterscheiden, ob sie sich eine Dienstleistung oder einen Menschen kaufen?

Mit Susanne Riegler und Tina Leisch haben sich letzten Monat auf dieStandard.at zwei engagierte Frauen zum Thema Sexarbeit/Prostitution zu Wort gemeldet [Debatte um Straßenstrich am Wiener Prater], die die ganze Unversöhnlichkeit und Gegensätzlichkeit von Pro und Kontra in dieser Debatte auf den Punkt brachten.

Und noch mehr haben sie die Widersprüchlichkeit einer möglichen Haltung aufgezeigt, die zwischen Befürwortung und Ablehnung schwankt und mit der ich mich identifiziere: Ich bin gegen die gesellschaftliche Ächtung von Prostituierten und gleichzeitig gegen die Möglichkeit, diesen Beruf jemandem beim Jobcenter, dem AMS oder ähnlichen Stellen zuweisen zu können. Ich bin gegen das Verbot der freien Berufswahl, mit Sexarbeit Geld zu verdienen, und gegen jede Form von Zwangsprostitution.

Frauen gegeneinander ausgespielt

Aber wie kann ich mich gegen etwas verwehren, ohne dass mir diese Geste zwangsläufig als Ablehnung aller mit der Sache beteiligten Personen ausgelegt wird? Denn tatsächlich ist sehr heikel, wenn mit Verweis auf die Möglichkeiten des Missbrauchs und der Kriminalität Frauen der freie Zugang zu einem Beruf ihrer Wahl verwehrt wird - selbst wenn diese Möglichkeiten übermächtig und allgegenwärtig erscheinen.

Derzeit läuft es so, dass Frauen, die sich aus freien Stücken dazu entscheiden, der Prostitution nachzugehen, an der Lage von Zwangsprostituierten gemessen werden. Und die unmittelbare Not von Zwangsprostituierten wird mit Verweis auf freie und selbstbestimmte Frauen im Gewerbe relativiert.

Was ist mit den Männern?

Mich stört daran, dass diese Debatte scheinbar Frauen gegeneinander ausspielt, ohne die Beteiligung von Männern an der ganzen Sache in den Blick zu nehmen. War da nicht mal was? Ach ja: Männer als Freier, Männer als Prostitutionskunden, Männer als zahlende Gäste.

So schwer es mir fällt, innerhalb des Spannungsfeldes der Prostitution zwischen Freiwilligkeit und Zwang zu belastbaren Aussagen zu kommen, so leicht erscheint es mir, über Freiertum zu sprechen und es infrage zu stellen: Darf Mann Freier sein? Und wenn ja, sollten Männer Freier sein dürfen? Existiert etwa ein Menschenrecht darauf, seine eigene Sexualität gegen Geld am anderen auszuleben? Wie kann Mann überhaupt auf die Idee kommen, Sex ohne Kondom zu verlangen? Und können Freier eigentlich mehrheitlich unterscheiden, ob sie sich eine Dienstleistung oder einen Menschen kaufen?

Die Antworten auf diese Fragen sind spärlich gesät, aber es gibt sie. Für den "Stern" hat Bettina Flitner auf beeindruckende Weise Kunden eines Stuttgarter Bordells porträtiert und ist der Frage nachgegangen, welche Männer warum so etwas tun. Darüber hinaus liefert ihre Arbeit interessante Hinweise darauf, was der Umstand mit Männern macht, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die ihnen den Eindruck vermittelt, Frauen seien käuflich.

Von einem gutaussehenden jungen Singlemann erfährt man beispielsweise: "Frauen gehen mir oft auf den Sack. (...) Dafür zahlen hat das gewisse Etwas. Da besitzt man die Frau. Man kann mit ihr machen, was man will."

Ein hässlicher alter Mann beschwert sich darüber, dass in Swingerclubs nur so "hässliche alte" Frauen sind, und wünscht sich "keine zu professionellen, sondern eher solche (...), die das nur ab und zu machen".

Und ein anderer konstatiert: "Wenn man in so einen Club geht, ist man mit normalen Frauen nicht mehr zufrieden."

Der Wissenschaftler Udo Gerheim kommt in seinem Buch "Die Produktion des Freiers" und in seinen daran anschließenden Forschungen zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Und die 2009 erschienene Studie "Men who buy sex. Who they buy and what they know" stellt noch weitreichendere Fragen, auf die sie dann auch die entsprechenden Antworten bekommt:
27% der Befragten gaben an, dass Freier, wenn sie einmal bezahlt hätten, sexuell alles tun dürften, was sie wollten.
33% glauben, dass Frauen grundsätzlich Lügnerinnen sind. Zugleich haben
37% schon einmal eine sich nicht prostituierende Frau belogen, um mit ihr Sex haben zu können.
71% fühlen sich in gewisser Weise schuldig, beschämt oder schlecht dabei, für Sex zu bezahlen. Dessen ungeachtet oder vielleicht sogar deswegen tätigen Männer aus dem Kreis der Befragten Aussagen wie: "Es ist ein dreckiger Job, meiner bescheidenen Meinung nach. Sex gegen Geld zu machen ist keine anständige Sache für ein menschliches Wesen. Mit einer von denen würde ich kein Date haben oder eine Beziehung führen."

Wie kommt ein Mann dazu, so etwas zu sagen und zu tun? Also Prostitutierten-Shaming zu betreiben und gleichzeitig Sex gegen Geld zu kaufen? Warum mag Mann "diejenigen nicht, die kein Geheimnis daraus machen, dass es ein Job ist". Mann müsste doch wissen, was da passiert. Oder etwa nicht?

Dienstleistung ja, aber Menschen nicht

Bei diesen Fragen geht es nicht etwa darum, Freier zu kriminalisieren, wie gelegentlich behauptet wird, sondern vielmehr darum, sich klar vor Augen zu führen, wer diese Männer sind, was sie wollen und worauf sie ein Recht zu haben glauben. Es geht nicht darum, alle Freier pauschal als frauenverachtende Drecksäcke zu stigmatisieren, sondern um die Frage, ob wir als Gesellschaft genug tun, um Männern zu vermitteln, dass sie zwar Dienstleistungen aber keinen Menschen kaufen können? Solange Freier das eine mit dem anderen verwechseln, wird Prostitution auch kein Job wie jeder andere sein. Nicht weil Frauen nicht das Recht darauf hätten ihn auszuüben, sondern weil Männer nicht das Recht haben, gegen Geld sexuell über einen Menschen zu verfügen.

Da wir aber über die Gesellschaft kein Erziehungsmoratorium verhängen können, also eine Art Aussetzung von Prostitution, bis wir alle und insbesondere Freier etwas schlauer geworden sind, wird dies – wenn überhaupt – nur im fortlaufenden Prozess erlernt werden. Mit anderen Worten: Auf dem Rücken von Frauen, die sich gegen ihren Willen prostituieren müssen, und mit moralischen Anwürfen an Frauen, die für ihre freie Berufswahl kritisiert werden. Frauen wird also auch in Zukunft in dieser Sache deutlich zu viel zugemutet werden. Daher wird wohl verlangt werden können, die Ruhe und das Selbstverständnis von Freiern mehr als bisher infrage zu stellen: Mann, wieso machst du das eigentlich?

http://diestandard.at/1379293460793/Freier-geht-nicht
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Beitrag von ehemaliger_User »

Es wird leider nur das Verhältnis Freier - Sexarbeiterin betrachtet.

Es gibt doch auch männliche Sexarbeiter mit männlichen und/oder weiblichen Kund_innen, da stellt niemand die Frage, ob Frauen das Recht haben, gegen Geld sexuell über einen Mann zu verfügen.

Wie oft wird Sex als Druckmittel innerhalb einer Partnerschaft angewendet?

Es wird offensichtlich unterstellt, dass Freier das Recht hätten, über einen Menschen sexuell zu verfügen. Das stimmt nach meinen Erfahrungen einfach nicht, die Sexarbeiterin hat immer die Hoheit - notfalls setzt sie diese mit Hilfe von Türstehern oder Polizei durch.

Die anderen Fragen wie "wie kann Mann überhaupt auf die Idee kommen, Sex ohne Kondom zu verlangen" haben mit Sexarbeit nichts zu tun. Und ein Menschenrecht, Sex gegen Geld kann es nicht geben. Es gibt ja auch kein Menschenrecht auf andere Dienstleistungen gegen Geld, warum dann ausgerechnet für sexuelle?
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friederike
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Beitrag von friederike »

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ehemaliger_User hat geschrieben:Es wird offensichtlich unterstellt, dass Freier das Recht hätten, über einen Menschen sexuell zu verfügen. Das stimmt nach meinen Erfahrungen einfach nicht, die Sexarbeiterin hat immer die Hoheit.
Genauso ist es. Prostitution ist ein komplexer Vorgang, den Herr Picket nicht kennt und nicht verstanden hat.

Es ist ziemlich mühsam, sich immer wieder mit dieser Art von "Argumentation" auseinanderzusetzen, dieser Mischung aus Emotion, Gutmenschentum, imaginierten Sachdarstellungen, fehlender Argumentationsschulung und ganz einfach wirrer Denke. Warum können diese Autoren wie Picket nicht klare Begriffe verwenden, logische Bezüge herstellen und ihre eigenen Statements kritisch hinterfragen und nachprüfen?

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Marc of Frankfurt
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Re: dieStandard.at

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Die Argumente in dem Artikel von Nils Pickert finde ich nicht so verkehrt.

Nur die Grundhaltung gegen ein Freier-Sein finde ich grund falsch.



Es ist doch aus der Sexarbeitspraxis bekannt, dass es unangenehme Freier gibt, und darunter solche, wo man das erst erkennt, nachdem der Mann befriedigt wurde. Weil dann reagieren nicht mehr die Hormone die sich nach Orgasmusbefriedigung sehnen, sondern sein Geist und die dort installierten moralischen Wertvorstellungen. Etwa so wie der aus der Studie von Gerheim zitierte Freier, der zwar Paysex konsumiert, aber zugleich sehr abschätzig über Prostituierte spricht, ja sich nicht entblödet Prostituierten-Shaming zu betreiben. Ein neues Wort in unserem Forum (vgl. Putophobie, Whorephobia, Misoharlotry, GMF, Intersektionalismus...)

Solche Kunden sind zweifelsohne eine extreme psychische Belastung für uns Sexworker und da ist die Formulierung "auf dem Rücken der Frauen" (Sexworker) nicht verkehrt. Es sind insofern gerade solche Kunden mit internalisiertem Stigma, die in der Sexarbeit unbewußt-körperlich d.h. bei jedem intimen Sexualkontakt das Prostitutionsstigma an uns Sexworker übertragen, ständig verstärken, was irgendwann zum SWBO führen kann, wenn wir keine starken Gegenmaßnahmen zu ergreifen rechtzeitig erlernen.





Ich denke schon dass ein Erziehungsmoratorium dem Kernproblem sehr nahe kommt. Prostitutionskonsum ist auch für den Kunden eine enorm herausfordernde Angelegenheit (persönlicher Paradigmenwechsel), die eigentlich eine umfangreiche geistig-moralische Auseinandersetzung bei jedem einzelnen erfordert, die eigentlich auch positiv sellsorgerisch begleitet werden sollte. Letztlich geht es hier um ein inneres und auch ein äußeres Coming-out (vgl. Coming-out-Gruppen). Das ist bei vielen Kunden nicht beides erfolgreich durchlaufen worden. Wie oft wohl Freier-Sein bei Psychotherapie ein Thema ist? Wegen des nur selten gelungenen äußeren Coming-outs gibt es auch keine Freier-Bewegung abgesehen von Freier-Foren. Statt sogenannte Professionelle Freier haben wir es vielfach mit sogenannten Emotionalen Freiern zu tun, die zwar leicht zu ködern sein mögen, aber auch unberechenbarer sind.


Wenn der Journalist Nils Pickert in dieStandart.at prostitutiosnfeindlich schreibt, kommt bei mir immer der Verdacht der inneren Schere im Kopf auf, wo sich einer selbst zensiert um Mainstream-kompatibel zu bleiben, sich der Frauenbewegung, den Frauen, der Frauenzeitschrift anzudienen... Das ist eine karrieristisch-opportunistische Rolle, die bekanntlich oft eingenommen wird. Das kann aber reine Fassade d.h. Doppelmoral sein und wir sollten uns nicht täuschen lassen und gelassen bleiben.

Wenn Freier zwar Sex kaufen, aber Sexworker ablehnen, dann ist das für mich auch verständlich. Diese Männer sind ihrerseits Opfer des Prostitutionsstigmas. Mit dieser Sexworker-freindlichen Haltung schaffen sie es quasi die Gewalt der Stigmatisierung von sich weg auf die schwächsten Beteiligten, die Sexworker abzulenken. Es ist ein reiner Selbstschutzmechanismus, der uns zeigen sollte wie stark das Stigma wirkmächtig ist. Diese Freier leben halt mit ihrem Bewustsein in einer prostitutionsfeindlichen Gesellschaft, während sie mit ihrer Sexualität im Paysex cruisen und gleichzeitig die Bereiche strikt trennen, so wie eine Trennung auch zwischen oberer und unterer Körperhälfte, zwischen Toleranzzone und Sperrgebiet, zwischen stigmatisiert-ausgeschlossen und gesellschaftlich-dazugehörend...

Statt Moratorium sind zweifelsohne mehr Aufklärung und Akzeptanzkampagnen notwendig wie seinerzeit die Aktion www.freiersein.de von und mit Prostitutionssoziologin Christiane Howe, jetzt an der TU Berlin, zuvor in Frankfurt.

Die berechtigte Frage muß beantwortet werden: "wie können Kunden mehrheitlich unterscheiden, ob sie eine Dienstleistung oder einen Mensch kaufen" soll heißen, ob der Sexworker/Migrant selbstbestimmt frei ist, oder in Ausbeutungsverhältnissen gefangen ist. Das erfordert viel Aufklärung und Kommunikation, aber auch die Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die für Sexworker nach wie vor sehr prekarisierend sind und nachhaltige glückliche Sexarbeit oftmals verunmöglichen (siehe die zahlreichen sog. Prostitutionsfallen). Prekarisierende Realität von Sexarbeitsalltag bedeutet hier dass quasi zwangsläufig und häufig Sexworker in Ausbeutungsverhältnisse geraten oder abstürzen, einfach nur deshalb, weil den Sexworkern die Gesellschaft eine vollständige Entkriminalisierung und Anerkennung vorenthält.





Dass selbstbestimmte Sexworker und Opfer in der Prostitution derzeit scheinbar gegeneinander ausgespielt werden, finde ich daher eine gute Beobachtung. Ich gehe sogar weiter: tatsächlich gegeneinander ausgespielt werden! Für mich ist das gegeneinander ausspielen, die zu beobachtende Frontenbildung erklärbar mit der extremen Polarisierung bei Prostitutionsdebatten, einfach deshalb, weil es hier um extreme Lebensaspekte und somit Grundüberzeugungen geht: Sexualität, Dienstleistungs-Konsumgesellschaft, Lohnarbeit (Geld) und Machtungleichheiten (Gender, Migration). Da muß man sich quasi instinktiv positionieren. Und das führt schnell in eine logische Falle.





Auch diese Tool für unsere politische Arbeit sollten wir uns genauer anschauen und gemeinsam durcharbeiten. Wie können wir das organisieren?

Bild

www.sexworkEurope.org/campaigns/hands-o ... on-clients

ICRSE Amsterdam





Sammelthema "ZwangsFreierKriminalisierung"
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=985

Dandy Sebastian Horsley's Guide on Whoring
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=53936#53936

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Marc of Frankfurt
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Romance-Scamming

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Liebeskasper - betrogene verliebte heiratswillige Singles:

Romance-Scamming
ein Millionenbetrug über Partnerbörsen im Internet



Ein Geschäftsmodell von Banden aus der russischen 250.000-Einwohner großen Stadt Yoshkar-Ola http://de.wikipedia.org/wiki/Joschkar-Ola

Betrügerischer Internet-Kontakt mit falschem Liebes- und Heiratsversprechen...

Gefälschte Ausweiskopien

Geldtransfer mit Western Union

www.daserste.de/information/wirtschaft- ... 1-100.html

www.anti-scam.de organisiert die deutschen Opfer.

www.flirtCafe.de schützt seine User quasi gar nicht.

www.friendScout24.de bekomme 1.000 betrügerische Inserate von insgesamt 10.000 pro Tag (10%).


___
Auch Frauen wie auch die BMW-Milliardärin Susanne Klatten aus Frankfurt wurde schon opfer einer Liebes-Masche (sie, ihr Bruder und Mutter der Quandt-Familie, die fast 50% von BMW halten, haben gerade fast 800.000 Euro an die CDU gespendet, die in der EU die scharfen Umweltauflagen für die Automobilindustrie blockiert hat) www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=44990#44990

Der Betrug von deutschen Frauen von Männern aus dem arabischen Ausland heißt Bezness (business).

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RE: FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Beitrag von fraences »

Der Freier das unbekannte Wesen

Prostitution, Freier Im aktuellen Appell gegen Prostitution wird, wenn nötig, die Bestrafung und Ächtung der Freier gefordert. Aber wer oder was ist ein Freier überhaupt?

Ursprünglich war ein Mann, der auf Freiers Füßen unterwegs war, auf Brautschau, um eine Ehe anzubahnen und um eine Familie zu gründen. Das Ziel und vor allem das Motiv des Freiers war somit klar definiert. Heutzutage ist ein Freier Sex-Konsument. Über seine Ziele und Motive sind sich Wissenschaftler, Gegner und Befürworter der Prostitution weder im Klaren noch einig.

Bis zu dreiviertel der Männer seien, mal regelmäßig mal sporadisch, zu Gast bei Huren, meint die Prostituiertenorganisation Hydra, zumindest aber jeder Fünfte, schätzen Prostitutionsforscher. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi weiß, täglich kommt es im horizontalen Gewerbe zu mehr als einer Million Sexkontakten zwischen heterosexuellen Männern und Frauen. Summa summarum beträgt der Umsatz im Rotlichtmilieu jährlich ca. 14.5 Milliarden Euro; fast so viel, wie diverse Kaufhäuser umsetzen. Es scheint fast so, als sei das Rotlichtmilieu die Einkaufsmeile der Männer. Statt Schuhe kauft Mann Sex.

Was Männer nun in die vielfältigen Sexkonsumierungstempel treibt, das müssten die Anbieter(innen) des Sexdienstleistungsgewerbes am ehesten beantworten können. Fragt man also Vertreter der Hydra, fällt die Analyse des Freiers an sich enttäuschend schlicht aus: der Grund sei sexuelle Unzufriedenheit. Beim kommerziellen Sex brauche der Mann sich nicht zurücknehmen, wie etwa bei der eigenen Frau oder Freundin. Er könne sein sexuelles Spektrum bei einer Hure mit mehr Lust ausleben und experimentell erweitern.

Eben, meinen die Befürworter der Prostitution. Immerhin sei Sex zwischen Freier und Hure eine sexuelle Spielart, die man, wie andere Sexualpraktiken auch, einfach respektieren sollte. Gebe es den kulturell entwickelten Mythos der keuschen Frau nicht, wäre die Nachfrage nach käuflichem Sex geringer. Auch sei es in einer monogamen Gesellschaft schwierig außerhalb einer Paarbeziehung Sex zu haben. Im Grunde fehle es auch an humanen Bordellen für Frauen, an Begegnungsstätten, wo Männer und Frauen selbstbestimmt Geschlechtsverkehr konsumieren können.

Ließe man diese Aussagen so stehen, wäre Sex nichts weiter als ein Konsumgut innerhalb eines Vertragsverhältnisses; z.B. in Form eines langfristigen Ehevertrags, eines kurzfristigen Handelsabkommens „Sex gegen Geld“ oder eines temporären Zweckbündnisses einer männlich/weiblichen Win-Win-Gemeinschaft. Ein Swinger-Club wäre beispielsweise Treffpunkt einer tauschwilligen Win-Win Gemeinschaft. Unter dem Aspekt eines Tauschgeschäfts, zur reinen Befriedigung sexueller Triebe, lässt sich Sex mit Liebe kaum verknüpfen. Mythen, die um Liebe und Sexualität ranken, das traditionelle Liebesideal, wären entzaubert - eine Verbindung zwischen Liebe, Intimität, Vertrauen und Sex ließe sich kaum noch herstellen.

Die Freier indes sehen sich selbst nicht so schlicht wie ihre Kontaktpartnerinnen. Befragungen durch Soziologen, Psychologen und Kulturwissenschaftler ergaben ein vielschichtigeres Bild. Eine Reihe der Freier bezeichnen sich ebenfalls als sinnfreudige Genussmenschen, die ihre erotischen Phantasien mit einer Hure ausleben wollen. Manche fühlen sich in ihrer Partnerschaft sexuell frustriert. Andere wiederum glauben eine auf Nähe und Vertrauen basierende Beziehung zu einer Prostituierten zu unterhalten. Sie können sich, lt. Befragungen, „ihre“ Sex-Arbeiterin als Ehefrau vorstellen. Viele der Freier-Romatiker zeichnen dann auch ein perfektes Idealbild „ihrer Frau“, charakterisierten sie als charmant, offen, intelligent, schlagfertig. Die meisten der Sex-Käufer wollen nicht wegen ihres Geldes als attraktiv angesehen werden, sondern wegen ihrer eigenen Anziehungskraft, ihrer menschlichen Qualitäten und Liebhaberfähigkeiten.
Der Wunsch nach Intimität, Nähe, Verständnis und Erfüllung spielt demnach ebenso, wenn nicht sogar eine größere Rolle, als die Befriedigung sexueller Bedürfnisse.
Paradox ist diese Erwartungshaltung für Freier und Prostituierte gleichermaßen. Während sich ein Freier gekaufte Gefühle auf Knopfdruck mit allem Drum und Dran vorstellt, muss sich die Liebesdienerin vor Gefühlen verschließen, um Sex als Ware verkaufen zu können. Die Berg- und Talfahrten zwischenmenschlicher Nähe und professioneller Distanz zum Kunden belastet Prostituierte, bis hin zum Burn-out-Syndrom.

Nun ist die gepflegte Konversation zwischen Freier und Forscher eine Sache. Eine andere Sache sind Darstellungen und Selbstdarstellungen von Freiern und ihren Verhältnissen zu Prostituierten in einschlägigen Sex-Foren des Internets. Manche feiern dort den Puff als letzte Feminismus frei Zone, genießen es, Frauen als fast food zu konsumieren. Andere schildern ihre entwürdigenden, frauenverachtenden Unterwerfungsphantasien und bedienen damit die Argumentation der Prostitutionskritiker. Prostitution gebe heterosexuellen Männern die Möglichkeit Frauen zu unterwerfen, auszubeuten und ihre chauvinistische Seite, schlimmstenfalls ihren Hass auf Frauen auszuleben.

Das Wesen des Freiers ist abhängig von unterschiedlichen, teilweise auch subjektiven Deutungen. Insbesondere angloamerikanische und skandinavische Forscher wähnen Freier als aussterbende Spezies, deren Treiben bald kaum noch gesellschaftliche Akzeptanz finden wird. Im Großen und Ganzen seien Freier psychisch gestört und therapiebedürftig.
Andere Wissenschaftler halten von der Pathologisierung des Freierdasein nicht besonders viel. Freier weisen lt. Studien keine sozialen Verhaltensweisen auf, die sie von anderen Männern unterscheidet. Sie kommen aus allen sozialen Schichten, sind Lehrer, Manager oder LKW Fahrer. In Ländern, in denen Prostitution verboten ist werden Freier kriminalisiert. In den USA ( außer im Bundesstaat Nevada) zum Beispiel ist Prostitution verboten. Fotos von Freier werden dort im Internet öffentlich ausgestellt.

Nun schreibt nicht jeder Freier in einschlägigen Sex-Käufer-Foren über seine Leidenschaften. Und ob alle Foristen, die sich dort über ihre sexuellen Phantasien austauschen, tatsächlich schon mal bei einer Hure waren, das wissen wir auch nicht mit Sicherheit. Viele Männer wagen sich in Wirklichkeit gar nicht zu einer Prostituierten. Statt dessen flüchten sie in virtuelle Sphären, wie mittlerweile so viele Menschen aus anderen Gründen auch. Nichts desto trotz, die Recherche zeigt, es gibt kein eindeutiges Bild von dem „dem Freier“ zu zeichnen.

Männer, die zu Prostituierten gehen, generell zu kriminalisieren oder als geistig krank zu stigmatisieren, hat etwas Neonazistisches anhaften. Die generelle Diffamierung einzelner Gruppierungen hat erfahrungsgemäß im gesellschaftlichen Leben noch nie zu etwas Gutem geführt. Männer therapieren zu wollen, die nicht den regionalen oder ideologischen Vorstellungen von Sexualität, Moral und sonstigen Lebenseinstellungen entsprechen, hat was von Bigotterie und selbstherrlicher Selbstüberschätzung. Vor allem dann, wenn man, so wie wir in der westlichen Welt, ohnehin in einer übersexualisierten Welt lebt und das Credo lautet: „Egal wie und was, Hauptsache es bringt Geld und Steuern.“

Würde es Prostituierten nutzen, wenn Freier als psychisch krank stigmatisiert, angeprangert und kriminalisiert würden? Sicher nicht. Auf diese Weise kämen sie weder aus der Schmuddelecke noch aus dem rechtsfreien Raum heraus.
Wie Paare ihre sexuellen und sozialen Beziehung mit andern und miteinander ausleben, das bleibt ihnen hoffentlich selbst überlassen. Was mich betrifft: Ich würde mit meinen Partner ohnehin keine Dreiecksbeziehung führen, weder zusammen mit der Nachbarin, noch mit der Praktikantin und auch nicht mit der Prostituierten.

http://www.freitag.de/autoren/angelia/d ... nnte-wesen
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Aktuelle Debatte

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Wo bleibt die Kundschaft?

Erstmals sitzen alle am runden Tisch: Sexarbeiter, Politiker und Bordellbetreiber. Nur die Kunden fragt niemand. Diskutieren Sie ab 13 Uhr mit einem Freier.

Ein Leserartikel von Eris Schwarz

http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-11 ... tte-freier




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Seminar der Deutschen AIDS-Hilfe

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RE: FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Beitrag von fraences »

"Manche Freier stilisieren sich zur sexuellen Avantgarde"
Warum gehen Männer zu Sexarbeiterinnen? Wird der Markt unattraktiver? Vier Motive von Freiern hat der Sozialwissenschaftler Udo Gerheim ausgemacht. VON PARVIN SADIGH


ZEIT ONLINE: Herr Gerheim, in einem unserer Leserartikel beschreibt ein Freier, dass er neben seiner Beziehung offen zu Prostituierten geht. Er sagt, Freier wie er würden Sexarbeiterinnen nicht ausbeuten, sondern respektvoll behandeln. Wen gibt es häufiger, den respektvollen Freier oder den frauenverachtenden?

Udo Gerheim: Nach meinen Feldbeobachtungen und der Analyse von Freier-Internet-Foren überwiegen wahrscheinlich respektvolle Geschäftsbeziehungen. Die Männer unterscheiden sich nicht von der Normalbevölkerung, alle Schichten und Altersgruppen sind vertreten. Die meisten lehnen Zwang und Gewalt ab. Allerdings kann ich das auf quantitativer Ebene nicht abschließend belegen, die Datenlage in diesem Bereich ist für die Bundesrepublik katastrophal.

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ZEIT ONLINE: Was motiviert Männer, zu Prostituierten zu gehen?

Dr. Udo Gerheim ist Sozialwissenschaftler am Institut für Pädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er hat eine qualitativ-empirische Interviewstudie mit Freieren durchgeführt: Die Produktion des Freiers. Macht im Feld der Prostitution. Eine soziologische Untersuchung. Erschienen ist das Buch im Transcript Verlag Bielefeld.
Gerheim: Ich habe in meinen Interviews mit Freiern vier Motivmuster festgestellt, die sich überschneiden können: Das erste Motiv ist ganz einfach das Bedürfnis nach Sexualität und Körperlichkeit in jeder Spielart – allzeit verfügbar, ohne Werbephase, soziale Erwartungen und ohne die Angst, zurückgewiesen zu werden von privat zum Teil unerreichbaren Sexualpartnerinnen.

ZEIT ONLINE: Sex mit Respekt, aber ohne Verantwortung.

Gerheim: Ja. Aber zweitens gehen manche Freier auch mit sozialen Wünschen zu Sexarbeiterinnen. Viele von ihnen wollen vor allem kommunizieren und suchen nach Zärtlichkeit. Sie fühlen sich einsam oder sind schüchtern und sehen in der Sexarbeiterin eine besondere Frau, die sie umsorgt und die nicht weiterträgt, was sie ihr anvertrauen. Es gibt allerdings auch den frauenverachtenden Zweig dieses Motivs: Männer, die die Sexarbeiterin beschimpfen, demütigen, sie zu Praktiken zwingen, die sie nicht wollen, bis hin zur Vergewaltigung. Sie erotisieren oft das Elend, gehen bewusst auf den Drogenstrich, wo sie Frauen finden, die unter elenden Bedingungen arbeiten.

Zum Dritten gibt es Freier, die psychische Motive haben, die vielleicht gerade eine Selbstwertkrise oder eine Depression erleben. Der Prostitutionsbesuch ist für sie nur der Rahmen, in dem neurotische Konflikte, Scham- und Schuldgefühle ausagiert werden können.

Zuletzt fühlen sich manche Männer von der Prostitution als "geheimnisvoller", unbekannter Subkultur, vom Normverstoß angezogen. Sie wollen einmal etwas Verrücktes, vielleicht sogar Gefährliches tun, in dem sie in das verruchte Rotlicht-Milieu eintauchen. Furcht und Ungewissheit paart sich mit Lust.

ZEIT ONLINE: Warum gehen Männer zu Zwangsprostituierten?

Gerheim: Im Gegensatz zum Drogenstrich ist das Elend der Zwangsprostituierten nicht unbedingt offensichtlich zu erkennen, etwa durch blaue Flecken, sonstige Gewaltanzeichen oder Panik. Die betroffenen Frauen haben zu viel Angst, um zu zeigen, in welcher Situation sie sind. Viele Freier dürften aber auch nicht genau nachfragen und legitimieren ihr Handeln mit dem Gedanken: "Wofür ich bezahlt habe, das ist in Ordnung." Das Leid und die Geschichte der Sexarbeiterin verschwindet dahinter, wird nicht beachtet oder ist egal.

"Manche Freier stilisieren sich zur sexuellen Avantgarde"
Seite 2/2: Die Einteilung in Heilige und Hure wird seltener
ZEIT ONLINE: Wird Prostitution in Zeiten von Emanzipation und sexueller Freizügigkeit nicht irgendwann überflüssig?

Gerheim: Manche Gründe, zur Sexarbeiterin zu gehen, fallen tatsächlich weg: Sexualität soll heute primär in der Paarbeziehung stattfinden, das ist zentral. Frauen werden deshalb von Männern seltener als früher eingeteilt in Heilige und Hure. Die Fantasie, dass man die heilige Ehefrau nicht beschmutzen darf, gibt es in dieser Reinform nur noch selten. Außerdem reden Paare heute offener über Sexualität. Ausgefallene Wünsche müssen nicht unbedingt ausgelagert werden. Auch der Bordellbesuch für den jungen Mann als Initiationsritus wird immer unbedeutender. Der innermännlichen Konkurrenzkampf um die begehrte Ressource Sexualität beziehungsweise um sexuelles Kapital (Wer hat wie oft mit wie vielen Frauen?), ist zwar noch aktuell, wertet Prostitutionssex aber eher ab, nach dem Motto: "Der hat es nötig und kriegt sonst keine rum."

ZEIT ONLINE: Und was spricht für die Männer noch dafür?

Gerheim: Prostitution hat noch immer eine Kompensationsfunktion. Ich bekomme privat nicht, was ich brauche, also zahle ich dafür. Diese Männer leiden dann oft unter Einsamkeits- oder Versagensgefühlen, denn eigentlich hätten sie lieber eine Freundin oder Frau, mit der sie Sex haben und eine Beziehung leben können. Daneben existiert aber auch ein eher hedonistischer Zugang, mit dem sich Freier gewissermaßen zur sexuellen Avantgarde stilisieren: Der Mann, der ganz offen beides zu schätzen weiß, ein erfülltes Privatleben und den Kick durch die Sexarbeiterin – wie der Leserartikelschreiber.

ZEIT ONLINE: Das heißt, Prostitution wird immer ein funktionierender Markt bleiben?

Gerheim: Wahrscheinlich ja. Aber die Prognose ist schwierig. Sie hängt von Machtverhältnissen und sozialen Kämpfen im Prostitutionsfeld ab. Welche Diskurse sind dominant und bestimmen die Praxis? Der Täter-Diskurs könnte Prostitution unattraktiv machen, weil er sie als strukturelle Gewalt definiert. Der Entfremdungsdiskurs erklärt, warum Prostitution für viele Männer (und Frauen) uninteressant ist oder wird. Denn eine Sexualbeziehung soll demnach nicht nur in der romantischen Beziehung, sondern auch im One-Night-Stand auf wechselseitigen und authentischen Gefühlen beruhen. Das gekaufte Begehren ist dann wie das Loser-Image des Freiers, der auf andere Weise nicht zu Sex kommt, ein Delegitimierungsfaktor für die Nachfrage.

ZEIT ONLINE: Viel spricht also nicht mehr für die Sexarbeit?

Gerheim: Grundsätzlich ist Prostitution ein Herrschaftsverhältnis und zudem in extremer Form geschlechtsspezifisch und geschlechtshierarchisch strukturiert. Es steht fast ausschließlich ein weibliches Angebot einer männlichen Nachfrage gegenüber. Die Sexarbeiterin gibt, für einen begrenzten Zeitraum und in klar umrissenen Grenzen, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht gegen Bezahlung auf und der Freier erhält damit die temporäre Verfügungsgewalt über ihren Körper. Unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen sollte es das meiner Ansicht nicht mehr geben.

ZEIT ONLINE: Ist Alice Schwarzer also auf dem richtigen Weg, wenn Sie Prostitution grundsätzlich als Missbrauch definiert und jetzt sogar mit der Pädophilie vergleicht? 


Gerheim: Eine undifferenzierte Täter-Opfer-Zuschreibung trifft die Realität auch nicht. Denn die Machtfrage hängt wesentlich von den Intentionen der Freier ab (suchen sie Nähe, den schnellen Sex oder wollen sie frauenverachtende Gewaltphantasien ausleben) sowie von den Macht-Ressourcen, die die Sexarbeiterinnen dem entgegensetzen können: Unter welchen sozialen, ökonomischen, gesundheitlichen und psychischen Umständen sie ihrer Tätigkeit nachgehen, wie frei sie darin sind, Freier abzulehnen. Auch wie frei sie sind, Arbeitsort, Tätigkeitsarten, Arbeitszeiten und Preise selbst zu bestimmen. Und ob sie mit der Prostitution jederzeit aufhören und auch etwas anderes machen können.

www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/ ... -befragung
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RE: FreierForschung - Freier das unsichtbare Wesen?

Beitrag von fraences »

Debatte um Prostitution
Der unsichtbare Freier


In der Prostitutionsdebatte werden alle Bereiche durchleuchtet: Huren, Bordelle, Gesetze. Nur die Männer nicht, die für Sex zahlen.

„Die Freier sind nicht die Bösen“: Mann betritt Bordell.

Hendrik T. hört die Tür hinter sich ins Schloss fallen und steht wieder auf der Straße. Keiner der vorbeihastenden Passanten bemerkt, wo er gerade herkommt. Er mischt sich in die Menge und beginnt zu weinen, ohne genau zu wissen, warum: Hendrik hat gerade zum ersten Mal für Sex bezahlt – so erinnert er sich.
„Wir fordern: Prostitution abschaffen!“, sagen Alice Schwarzer und die Zeitschrift Emma in einer Petition. Unterschrieben haben auch zahlreiche Prominente und PolitikerInnen. Der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ reagierte unmittelbar mit einem Gegenappell für Prostitution. Nun diskutiert die Gesellschaft wieder über die Prostitution und was denn nun das angeblich Beste für die Sexarbeiterinnen ist. Nur die Freier, Männer wie Hendrik T., kommen kaum zu Wort.


„Durch die momentane Berichterstattung fühle ich mich weder repräsentiert noch angesprochen“, sagt Hendrik T. „Das liegt wohl zum einen an dem sehr undifferenzierten Bild von Freiern innerhalb der Debatte. Zum anderen habe ich das Ganze vollkommen heimlich gemacht, wodurch ich es besser verdrängen und diesen schambesetzten Teil gut von mir lostrennen konnte.“
Hendrik T. ist 29 Jahre alt und Referendar an einer Berufsschule. Und er hatte in der Vergangenheit Sex mit Prostituierten. Offen und selbstbewusst darüber zu reden fällt ihm immer noch schwer. Wenn Hendrik T. über sich als Freier spricht, versteckt er sich hinter umständlichen Sätzen. Es klingt, als sei nicht er, sondern ein anderer Mann ins Bordell gegangen. Diskutieren Leute im Fernsehen oder in den Zeitungen über Prostitution, interessiert es Hendrik T. nur politisch, wie er sagt, als habe es mit ihm selbst nichts zu tun. „Wie der Syrienkonflikt.“
Dann zögert Hendrik T. lange und blickt konzentriert auf seine Hände. Als er wieder aufsieht, sagt er: „Wenn hingegen Menschen, die mir nahestehen, sich abfällig über Bordellbesucher äußern, greift mich das an, und ich fühle mich schuldig, voller Scham. Dann denke ich, dass ich einer von denen sein sollte, die sich für die Rechte von Prostituierten einsetzen und gleichzeitig respektvoll über Freier sprechen. Ohne selbst einer zu sein.“

Freier sind keine Täter, Huren keine Opfer
Alexa Müller, Mitarbeiterin des Vereins Hydra und selbst Sexarbeiterin, nennt mehrere Gründe, warum Erfahrungen von Freiern in der aktuellen Debatte keine Rolle spielen: „Es gibt kaum Freier, die sich öffentlich outen wollen. Viele schämen sich außerhalb der Bordelle in dieser moralgeschwängerten Kultur schon genug“, erklärt sie. Müller glaubt auch, dass Politik und Gesellschaft kein Interesse daran hätten, sich ausführlich mit den Freiern zu befassen, weil es das öffentliche Bild ins Wanken bringen könnte: „Kämen nette, respektvolle Klienten haufenweise zu Wort, würden das Täterbild des Freiers und somit auch das Opferbild der Hure nicht mehr stimmen. Diese Bilder sind bewusst von Medien und Politik für ihre Zwecke instrumentalisiert.“
Müller erwähnt, dass auch Frauen Kundinnen von ihr seien. Zum Beispiel weil sie Schwierigkeiten mit dem Orgasmus hätten und etwas lernen wollten, wie auch einige Männer. „Sind das dann auch Täterinnen?“, fragt sie. Falle der Täter auf einmal weg und der Freier sei Kunde, würde das den „gesellschaftlichen Schein von Anständigkeit und Moral“ erschüttern, meint Müller. „Stattdessen wird eine sexfeindliche Kultur zementiert, in der verschwiegen werden kann, wo die meiste sexuelle Gewalt stattfindet: in der Ehe und unter Menschen, die sich kennen.“
Wenn der Freier nicht länger als Täter gesehen würde, wer wäre dann für die Missstände im Bereich der Prostitution verantwortlich? Susanne K. arbeitete früher als Sexarbeiterin und ist heute Geschäftsführerin mehrerer Berliner Bordelle. „Die Freier sind nicht die Bösen“, sagt sie. „Es gibt auch Arschlöcher darunter. Aber in der Regel bezahlen sie, bekommen ihren Sex und gehen. Die Politiker hingegen nehmen nur und geben nichts.“ Sie meint damit die deutsche Steuerpolitik.
Die pauschalisierten Steuererhebungen, die gemäß dem Düsseldorfer Verfahren vorab über das Bordell abgerechnet werden müssen, erschweren die legale Prostitution für die Sexarbeiterin. Solange eine Sexarbeiterin gemeldet ist, verdiene der Staat an ihr, unabhängig davon, ob sie sich aus freiem Willen oder mangels einer Alternative prostituiere. Gleichzeitig blieben vielen durch Regelungen in der Asyl- und Sozialpolitik Alternativen zur Prostitution verwehrt: „Der Strich ist dann für viele Frauen doch besser als die Abschiebung oder kein Einkommen.“
Der erste ist „das Gesicht der Freier“
Christiane Howe, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, hat viel im Bereich der Prostitution geforscht und dabei besonders auch die Rolle des Freiers untersucht. Zur Abwesenheit des Freiers in der Debatte sagt sie: „Es ist immer eine große Hürde, der Erste zu sein, der sich outet. Dann ist man das Gesicht der Freier per se, und das haftet einem an. Man braucht ein ganz dickes Fell dazu.“ Howe findet es problematisch, dass in Forschung und Medien nur wenig über Freier bekannt ist: „Bis heute bestehen die hartnäckigsten Vorurteile: Freier sind allesamt fett, unattraktiv, einsam oder stehen mindestens unter einem enormen sexuellen oder wie auch immer gearteten Druck.“
Aus den wenigen vorliegenden Studien gehe jedoch hervor, dass die Gruppe der Freier in jeder Hinsicht heterogen sei. Um die Sexarbeiterinnen zu unterstützen, müssen Verhalten, Gefühle, Erfahrungen und Motive der Freier besser erforscht und verstanden werden.
Hendrik T. geht 2006 während seiner Studienzeit in Hamburg zu Sexarbeiterinnen. Prostitution ist zu diesem Zeitpunkt bereits legal – entsprechend der rot-grünen Gesetzesreform, die zum Ziel hatte, die Situation der Sexarbeiterinnen zu verbessern. „Die Gesetzeslage, aber auch die offene Verfügbarkeit haben die Besuche bei Prostituierten für mich leichter gemacht“, sagt Hendrik T. Als er das erste Mal ein Bordell aufsucht, muss er in keine zwielichtige Ecke schleichen, sondern findet Prostitution dort, wo er auch sonst häufig mit seinen Freunden unterwegs ist: auf der Hamburger Reeperbahn.
Er geht durch die bunt beleuchteten Straßen und ist unsicher und aufgeregt, aber nicht allein. „Die hohe Frequenz, mit der überall um mich rum Männer aus dem Treiben der Straße in Stripklubs und Bordelle abbogen, hat es leichter gemacht“, erinnert er sich. „Hätte ich befürchten müssen, dass die Polizei an der nächsten Ecke wartet und ich eine peinliche Anzeige bekomme, wäre die Hemmschwelle deutlich höher gewesen.“ Für ihn sei die Legalität wichtig gewesen, sagt Hendrik T., verallgemeinern lasse sich das aber nicht: „Wäre ich regelmäßiger zu Prostituierten gegangen, kann ich mir vorstellen, dass ich auf eine Weise abhängig geworden wäre. Dann wäre es vielleicht nebensächlich, ob Prostitution legal ist oder illegal, ich hätte es so oder so gemacht.“
Sehnsucht nach einem „positiven Gefühl“
Hendrik T. ist nur einer von vielen. Ist er als Freier verantwortlich für die Missstände im Bereich der Prostitution? Oder ist es vielmehr eine fragwürdige Politik, die nicht imstande ist, freiwillig als Sexarbeiterin tätige Frauen anzuerkennen und unfreiwillig oder alternativlos arbeitende zu schützen?
Heute glaubt Hendrik T., dass ihn Unzufriedenheit und Einsamkeit dazu gebracht haben, ins Bordell zu gehen. „Ich hatte Sehnsucht nach einem diffusen positiven Gefühl“, erinnert er sich. „Nachdem sich das Gefühl auch nach wiederholten Besuchen nie eingestellt hat, bin ich irgendwann nicht wieder hingegangen.“

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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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