Sex als Arbeit | Das Unbehagen mit der Prostitution
Veranstaltungsreihe zum Thema Sexarbeit und Prostitution.
Veranstaltet von der QueerFem-AG der Interventionistischen Linken Bielefeld.
Das Unbehagen mit der Prostitution.
Vortrag + Diskussion mit Jenny Künkel
Prostitution bereitet vielen Bauchschmerzen. Religiöse, Konservative, Feministinnen, Strafrechtssystem, NIMBY-Proteste ("Not In My Back Yard" - Nicht in meinem Hinterhof) oder betrogene Ehefrauen vereinen sich weltweit in bisweilen unwahrscheinlich anmutenden Koalitionen gegen Prostitution. Auch autonomen Linken und Feminist*innen fällt es oft schwer, sich mit Sexarbeiter*innen solidarisch zu zeigen. Der Vortrag fragt, warum dies so ist und zeigt alternative Denkweisen über Sex/Arbeit auf.
Sortiert werden unterschiedliche Gründe für das Unbehagen mit der Prostitution. Diese Gründe reichen von Stigma und konservativen Moralvorstellungen über die gesellschaftliche Besonderung von Sexualität bis zur Sorge über herrschende Geschlechterverhältnisse und Kapitalismuskritik.
Kritisiert wird zum einen die bis in linke Kreise hineinreichende Tendenz, die Ursachen der z.T. schlechten Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe in der Prostitution an und für sich zu suchen – statt in Migrationsregimen, ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen oder hierarchischen Geschlechterverhältnissen. Zum anderen problematisiert der Vortrag, die Rolle von Prostitution als Feld der Aushandlung weiterer gesellschaftlicher Fragen: Prostitutionsdiskurse und die Regulierung der Prostitution waren historisch und sind bis heute Teil ethnischer Grenzziehungen, der Aushandlung von Geschlechterverhältnissen sowie von legitimer Arbeit oder Migration. Die Belange der Sexarbeiter*innen geraten dabei ins Hintertreffen.
Zum anderen übt der Beitrag eine solidarische Kritik am Sexarbeitsdiskurs, der auch wirtschaftsliberale Argumente enthält. Dies ist vor dem Hintergrund der langen Tradition an Stigmatisierung und der gegenwärtigen Ausweitung einer ohnehin umfassenden Kontrolle von Prostitution zwar verständlich. Auch produziert der herrschende Mediendiskurs das Bild der „selbstbestimmten Sexarbeiterin“, die (vermeintlich) gegenwärtige Arbeitsbedingungen kaum problematisiert, indem er die Sprecher*innenposition von Aktivist*innen regelmäßig auf ihre eigene Erfahrung reduziert. Doch den individualisierenden Konzeptionen von Macht des abolitionistischen Diskurses vermögen wirtschaftsliberale Argumentationen wenig entgegenzusetzen.
Aus marxistischer und queerfeministischer Perspektive fragt der Beitrag daher nach Ursachen der in Teilbereichen schlechten Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe und ähnlichen Berufsfeldern wie der häuslichen Pflege. Betont werden eine Kombination von hohem Stigma und geringen formalen Zugangsbarrieren der Berufsfelder selbst, eine allgemein zunehmende Prekarisierung und Neoliberalisierung von Arbeit, mangelnde Aufenthaltsrechte und vor allem ein fehlender Zugang zu sozialen Leistungen für Migrant*innen, sowie ein geringer Grad der Organisierung der Arbeiter*innen, der historisch durch die Stigmatisierung und rechtlichen Diskriminierung von Prostitution sowie die Abwertung „weiblicher“ (Reproduktions-)Arbeit begründet ist.
Hinterfragt werden damit sowohl die Gleichsetzungen als auch die Unterscheidungen von „selbstbestimmter Sexarbeit“ einerseits und „Menschenhandel“ andererseits, die den gegenwärtigen politischen Diskurs prägen. Denn Erwerbsarbeit im Kapitalismus ist – auch wenn das Sexgewerbe z.T. sehr flexible Zeiteinteilung, ein Arbeiten ohne Chef*innen und gute Verdienste bietet – in keinem Berufsfeld gänzlich selbstbestimmt. Und Menschenhandel ist, salopp gesprochen, bestenfalls ein Ausdruck, mit dem die schlimmsten Verwerfungen einer kapitalistischen, nationalstaatlich verfassten, (hetero-)sexistischen Gesellschaft in das zu ihrer Bekämpfung wenig geeignete Strafrecht verlagert werden, um an den Ursachen nicht rühren zu müssen. Schlimmstenfalls legitimiert der Begriff die Stigmatisierung von Prostitution und neoliberale Arbeitsverhältnisse – erscheint doch in den Narrativen über Menschenhandelsopfer, die eigentlich als Kellnerin oder Aupair arbeiten wollten, dann aber in die Prostitution gezwungen wurden, jeder Job recht, solange es sich nur nicht um Sexarbeit handelt.
Insgesamt soll der Vortrag Linken, Feminist*innen und/oder Sexarbeiter*innen Mut machen, über Alternativen zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgang mit Prostitution und mit Arbeit im Allgemeinen nachzudenken. Er will ermuntern, jenen entgegenzutreten, die erst Armutsprostitution diagnostizieren, dann aber Prostitution statt Armut abschaffen wollen oder die Folgen von Armut und Ausgrenzung von Migrant*innen mit Ordnungsamt und Polizei bekämpfen. Und er will dazu aufrufen, zu protestieren, wenn die Stimmen von Sexarbeitsaktivist*innen als „nicht typisch“ für das Gewerbe abgetan werden, anstatt deren hohe Grade an Selbstbestimmung im Job „typisch“ zu machen – indem alle (Sex-)Arbeiter*innen in eine (soziale) Lage versetzt werden, wo sie „nein“ sagen können: zu bestimmten Kund*innen, zu Sexarbeit und Erwerbsarbeit allgemein. Denn eine zumindest gewisse Zivilisierung von Arbeit wurde historisch immer über Arbeitskämpfe erreicht, über die Organisierung von Arbeit und über soziale Absicherung, die es Arbeitnermer*innen erlaubt „nein“ zu sagen – nicht über Registrierung von Arbeiter*innen, nicht über polizeiliche Sondergesetze, nicht über Abwertung.
In der häuslichen Pflege sind Arbeitsbedingungen zum Teil katastrophal – gerade Migrant*innen mit wenig Erwerbsalternativen arbeiten hier oft hochisoliert, lange Stunden für sehr wenig Geld. Dennoch fordern linke Feminist*innen weder die Abschaffung des Gesundheitswesens noch verbieten sie der Oberschwester pauschal den Mund und erklären den weißen, deutschen Gewerkschafter für „untypisch“, wenn sie für die Rechte von Pflegekräften eintreten wollen. Wenn wieder einmal hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, glauben wir auch nicht die individualisierenden Diskurse von Schleusern, die mit „falschen Versprechungen“ locken und dass wir nur mit mehr Polizei und Grenzschutz an die „Hintermänner“ herankommen müssen, um alle Probleme zu lösen. Sorgen wir also auch hinsichtlich des Sexgewerbes dafür, strukturelle Gründe von Macht und Herrschaftsverhältnissen zu problematisieren und abzubauen, statt konservativ(-feministisch)en Kontrollphantasien nachzuhängen. Vortrag und Diskussion sollen einen Anstoß dazu geben.
Jenny Künkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Weimar, forscht(e) über lokale Prostitutionsregime in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Madrid und ist Mitbegründerin des COST-Netzwerks europäischer Prostitutionsforscher*innen „Comparing European Prostitution Policies: Understanding Scales and Cultures of Governance“.
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Weitere Veranstaltungen der Reihe:
11.04.16 - Sexarbeit zwischen rechtlicher Reglementierung und gesellschaftlichem Stigma https://www.facebook.com/events/99708...
09.05.16 - Grenzenlose Sexarbeit? Migrantische Sexarbeit zwischen Freiwilligkeit und Zwang https://www.facebook.com/events/17192...
18.05.16 - Männer in der Sexarbeit https://www.facebook.com/events/10017...
23.05.16 - Film: SEXarbeiterin https://www.facebook.com/events/97741...
http://heyevent.de/event/msx6dqswnflwsa ... ostitution
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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