Neue Sitten
Seit 1. Juli müssen sich alle Prostituierten registrieren lassen – eigentlich. Doch die Umsetzung des Gesetzes stockt. Und das ist nicht das einzige Problem.
Von Alexander Tieg
An einem Schreibtisch hoch über der Stadt, in der elften Etage eines Gebäudes der Sozialbehörde in Barmbek, sitzt ein Mann, der sich um den käuflichen Sex in Hamburg kümmert. An der Wand lehnt ein gerahmtes Poster, das Geschenk einer Freundin zum Start seines Jobs vor einem halben Jahr. "40 Years of Struggling for the Rights of Sex Workers" steht auf dem Poster: 40 Jahre Kampf für die Rechte von Sexarbeitern. Gleichzeitig, und darin zeigen sich die Widersprüche seiner Arbeit, erklärt Fabio Casagrande Bordellbetreibern am Telefon, unter welchen Bedingungen sie ihren Betrieb weiterführen können. "Wir arbeiten intensiv daran, das neue Gesetz so umzusetzen, dass es bei allen auf möglichst hohe Akzeptanz stößt", sagt er.
Seit 1. Juli gilt das Prostituiertenschutzgesetz. Es regelt Rechte und Pflichten von Prostituierten und Bordellbetreibern neu. In Hamburg kümmert sich die Sozialbehörde um die Umsetzung, und im elften Stock bei Fabio Casagrande, Referent im Bereich Opferschutz, läuft alles zusammen. Etwa 5.200 Prostituierte sind in Hamburg vom neuen Gesetz betroffen, schätzt die Sozialbehörde. Dazu kommen die Betreiber von etwa 400 sogenannten Prostitutionsstätten wie Bordelle oder Saunaclubs.
Also rufen bei Fabio Casagrande seit Anfang des Monats Prostituierte an, die sich jetzt zum ersten Mal offiziell registrieren müssen. Inhaber von Bordellen wollen wissen, wie und wann sie eine Erlaubnis bekommen können. Und Behördenmitarbeiter und Kommunalbeamte aus ganz Deutschland fragen: Wie macht ihr das eigentlich in Hamburg?
Das "Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen", wie es offiziell heißt, ist am 1. Juli deutschlandweit in Kraft getreten. Die detailklärenden Rechtsverordnungen wurden jedoch erst im Juni beschlossen, deshalb verzögert sich die Umsetzung im ganzen Land. Erst müssen neue Stellen und Fachabteilungen geschaffen, Mitarbeiter geschult und Formblätter entworfen werden. Und das alles für ein Gesetz, das selbst von den Fachreferenten kritisiert wird.
In Hamburg soll die Umsetzung im Oktober richtig starten, bis dahin sollen die Strukturen geschaffen sein. Der Berliner Senat steht noch ganz am Anfang, auf Anfrage der Grünen teilte er mit, eine "Verordnung zur Umsetzung" des Gesetzes sei "in Bearbeitung".
Die Hamburger Sozialbehörde plant, dass sich alle Prostituierten ab Oktober zentral beim Bezirksamt Altona anmelden können. Dort sollen sie auch gesundheitlich beraten werden. "Wir wollen keinen Notbehelf und keine Übergangslösung", sagt Fabio Casagrande, "deswegen arbeiten wir seit mehr als einem halben Jahr daran, die Schwächen des Gesetzes im Rahmen unserer Möglichkeiten abzumildern und die Regelungen sinnvoll auszugestalten."
Warum gibt es dieses Gesetz überhaupt? Und warum ist es so umstritten?
Im Jahr 2002 wurde die Prostitution von der Sittenwidrigkeit befreit und als sozialversicherungspflichtige Dienstleistung anerkannt. Dieses erste Prostitutionsschutzgesetz sicherte Sexarbeiterinnen einen gerichtlichen Anspruch auf ihren Lohn zu. Dennoch führte es nicht dazu, dass sie vernünftige Arbeitsverträge bekamen und in die Sozialkassen einzahlten. Zwar konnten Zuhälter ihre Bordelle nun legal betreiben – aber die Arbeitsbedingungen wurden nicht wirklich überprüft.
Mit dem neuen Gesetz soll nun alles besser werden. Darin ist eine Kondompflicht verankert. Kunden, die sich widersetzen, droht eine Strafe von bis zu 50.000 Euro. Auch ist Werbung für ungeschützten Sex verboten. Zudem benötigen die Betreiber von Prostitutionsstätten künftig eine Erlaubnis. Die bekommt nur, wer in den vergangenen fünf Jahren nicht wegen eines Verbrechens verurteilt wurde; wer nachweisen kann, dass die neuen arbeits- und baurechtlichen Mindeststandards eingehalten werden; und wer ein ausführliches Betriebskonzept einreicht, in dem unter anderem glaubhaft dargelegt wird, dass keine Opfer von Menschenhandel beschäftigt werden.
Trotzdem gibt es Widerstand gegen das neue Gesetz, ein Frankfurter Verein für die Rechte von Prostituierten hat Verfassungsbeschwerde eingereicht. Denn das Gesetz verlangt auch, dass alle Personen, die Sex anbieten, sich künftig registrieren lassen und regelmäßig zu einer gesundheitlichen Beratung erscheinen müssen. Sie müssen einen Ausweis mit Foto mitführen, der sie als Prostituierte kenntlich macht. Und sie werden automatisch beim Finanzamt gemeldet.
"Der Grundgedanke des Gesetzes mag gut sein: Schutz vor Gewalt und Ausbeutung, vernünftige Hygienestandards und dass alle Gewerbe so reguliert werden sollen, dass die Frauen gute Arbeitsbedingungen haben", sagt Julia Buntenbach-Henke, Leiterin der Fachberatungsstelle Prostitution der Diakonie Hamburg. "Aber ein Prostituiertenausweis diskriminiert und stigmatisiert die Menschen." Ein verlorener Ausweis, selbst mit Alias-Namen, könne wegen des Passbilds schnell als Druckmittel eingesetzt werden. Zudem sei zur Registrierung eine deutsche Meldeadresse nötig. "Das führt dazu, dass Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten und der Prostitution nachgehen, noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden", sagt Buntenbach-Henke.
Bereits jetzt werden Meldeadressen mitunter für bis zu 700 Euro verkauft. Und selbst wer eine Postanschrift hat, möchte womöglich aus Scham nicht als Prostituierte registriert werden. Doch nach einer Übergangsfrist bis zum Jahresende riskiert jeder, der dann keine Anmeldebescheinigung vorlegen kann, ein Bußgeld von bis zu 1.000 Euro. "Das neue Gesetz bedeutet für diejenigen, die sich nicht anmelden können oder wollen, eine Verschlechterung ihrer Situation und geringere Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten", sagt Buntenbach-Henke.
Elbvertiefung
Elbvertiefung – der tägliche Newsletter für Hamburg
Jeden Tag wissen, was in Hamburg wichtig ist. Relevant und prägnant. Persönlich und pointiert. Elbvertiefung ist der neue tägliche Newsletter der ZEIT für Hamburg.
Ich bin mit der Datenschutzerklärung einverstanden.
Ihre E-Mail-Adresse
JETZT ANMELDEN
Auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sagt: "Wir bewerten nach wie vor einzelne Regelungen im Prostituiertenschutzgesetz sowie in der Rechtsverordnung kritisch." Hamburg orientiere sich bei der Umsetzung "maßgeblich am Schutzzweck des Gesetzes". Die Vertreter Hamburgs brachten bei den Verhandlungen in den Fachausschüssen des Bundesrats zur Regelung der Einzelheiten des Anmeldeverfahrens sieben Anträge ein, um die Rechtsverordnung zu entschärfen. Der Prostituiertenausweis solle nicht auf Anhieb als solcher zu erkennen sein. Auch solle kein biometrisches Foto verpflichtend sein. Vertreter aus Nordrhein-Westfalen hatten gar beantragt, gänzlich auf die Anmelde- und Beratungspflicht zu verzichten. Im Bundesrat fand sich trotz Hamburgs Unterstützung dafür keine Mehrheit. So einigte man sich auf den Ausweis, lediglich ohne biometrisches Foto.
Fabio Casagrande sitzt jetzt in seinem Büro mit Ausblick über die Stadt und muss das Beste machen aus einem umstrittenen Gesetz. Dass sich alle Prostituierten freiwillig anmelden werden, muss bezweifelt werden. Auch ist nicht klar, was eigentlich alles als Prostitutionsstätte gilt: Fällt ein Stundenhotel darunter? Wann wird ein Hotelier zum Bordellbetreiber? Es gibt noch viele Fragen, die Fabio Casagrande bis Oktober klären muss.
http://www.zeit.de/2017/31/prostituiert ... -umsetzung