Sehr ermutigende Diskussionsansätze in meinem Heimatland:
ProstitutionLasst uns über Sexarbeit reden
In Nordrhein-Westfalen diskutieren Beamte mit Prostituierten und bekommen dafür Applaus. Doch nicht immer sind Runde Tische zum Thema Sexarbeit erfolgreich.
von Martina Powell
23. November 2013 17:08 Uhr 100 Kommentare
In diesem Landesministerium für Gesundheit geschehen bemerkenswerte Dinge: Politiker und Prostituierte diskutieren über die Kondompflicht in Puffs, Beamte wie Claudia Zimmermann-Schwartz sitzen mit Bordellbetreibern an einem Tisch und Wissenschaftler referieren über Sexdienste im Internet.
Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wird über Sexarbeit gesprochen – auf eine Art und Weise, wie es noch nie zuvor in Deutschland geschehen sei, sagt Zimmermann-Schwartz. Die Abteilungsleiterin des Bereichs Emanzipation ist Vorsitzende des Runden Tisch Prostitution.
Anfang 2011 wurde dieses Gremium auf Landesebene eingerichtet, es soll die unterschiedlichen Interessenvertreter zusammenbringen: Fachleute der Ministerien, Beratungsstellen, kommunale Spitzenverbände, Gleichstellungsbeauftragte, Polizei, Wissenschaftler, Vertreter der Kommunen und Prostituierte und Bordellbetreiber.
Das Ziel: Gemeinsam Empfehlungen zum Thema Prostitution zu erarbeiten, die der Landesregierung als Entscheidungsgrundlage dienen sollen.
Die Idee, das Thema Sexarbeit an einem Runden Tisch zu diskutieren, ist nicht neu.
In Dortmund treffen sich seit über 10 Jahren Politiker, Vertreter von Beratungsstellen, Prostituierte und Bordellbetreiber, um auf lokaler Ebene Lösungsansätze zu erarbeiten.
Auch in Berlin tagte 2008 für kurze Zeit ein ähnliches Gremium - nun fordern die Grünen in Berlin, dass wieder ein Runder Tisch zum Thema Prostitution eingesetzt wird.
Doch über die Zusammensetzung dieser Runden Tische wird gestritten:
Der Berufsverband Erotik Gewerbe Deutschland bezeichnete den Runden Tisch in Hamburg als "Tribunal", da wichtige Ansprechpartner wie Prostituierte und Bordellbetreiber nicht eingeladen worden seien.
Als in Frankfurt am Main 2001 ein ähnliches Forum tagte, übte die Beratungsstelle für Prostituierte Doña Carmen aus ähnlichen Gründen Kritik.
Änderungen im bundesweiten Prostitutionsgesetz
In Nordrhein-Westfalen will man nun alles anders machen: Schon länger war die Einsetzung eines solchen Gremiums im Landtag diskutiert worden, bei dem nicht nur Behördenvertreter, sondern
auch Prostituierte als ständige Mitglieder mit am Tisch sitzen.
Auslöser für Debatten im Landtag war eine Evaluierung des Prostitutionsgesetzes, das 2002 bundesweit geändert worden war. Damals wurde Prostitution in Deutschland als legale Erwerbstätigkeit anerkannt, Sexarbeiter können seitdem ihr Gewerbe anmelden und sich sozialversichern.
Doch die Ziele der Gesetzesänderung seien nicht erreicht worden, heißt es im Bericht aus dem Jahr 2007. Arbeitsverträge spielten in der Praxis nach wie vor eine marginale Rolle, die wenigsten Prostituierten seien sozialversichert. Auch die Ausstiegsmöglichkeiten seien nicht erkennbar verbessert worden.
Das Besondere am Runden Tisch in Nordrhein-Westfalen sei, dass sich deren Mitglieder nicht nur mit den Lücken im Prostitutionsgesetz beschäftigen.
Es gehe um viel mehr, sagt
Zimmermann-Schwartz. Sie wolle eine ethische Debatte auf seriöser Grundlage: "Wir wissen viel zu wenig über Sexarbeit. Deshalb wird meist entlang zweier Pole argumentiert: Opfer von Menschenhandel hier, selbstbestimmte Frauen dort."
Dabei sei das Spektrum von Sexarbeit viel facettenreicher, die Grenzen häufig fließend: Vom Straßenstrich bis zum Escort-Service gebe es viele Segmente, Bordelle und bordellähnliche Betriebe wie Saunen, Clubs und Massagesalons, zudem finde Sexarbeit inzwischen oft auch in privaten Wohnungen statt.
Natürlich gebe es auch Armuts- und Elendsprostitution ohne Menschenhandel, sagt Zimmermann-Schwartz. "Um Entscheidungen zu treffen und Prostituierten mit unterschiedlichen Bedürfnissen respektvoll gegenüber zu treten brauchen wir Informationen – nicht nur aus dem wissenschaftlichen Bereich, sondern auch von Menschen aus der Praxis."
70 externe Sachverständige wurden bisher angehört.
Jede der
13 Sitzungen widmete sich einem anderen Thema: zum Beispiel männliche Prostitution, Sexangebote im Internet oder die Vor- und Nachteile von Sperrgebieten in Städten. Auch die Rolle von Freiern wurde diskutiert und eine Sachverständige zum schwedischen Modell angehört. In Schweden ist es strafbar, für sexuelle Handlungen zu bezahlen.
Zum Schluss jeder Sitzung des Runden Tischs werde der Sach- und Meinungsstand festgehalten.
Nicht immer sind die Mitglieder einig, beispielsweise ob Werben für ungeschützten Sex in Bordellen verboten sein soll oder ob eine Kondompflicht in Bordellen sinnvoll wäre.
Dabei verliefen die Konfliktlinien nicht nur zwischen Beamten und Sexarbeitern, sondern auch zwischen den Sachverständigen, berichtet Zimmermann-Schwartz. Gerade weil das Gremium den Austausch verschiedener Sichtweisen ermögliche, sei es so wichtig, sagt sie.
Dieser Einschätzung teilt auch
Udine de Rivière vom Berufsverband Sexuelle und erotische Dienstleistungen: "In Nordrhein-Westfalen wird nicht über, sondern gemeinsam mit Branchenvertretern diskutiert."
Auch bei der Mitternachtsmission hält man die Einrichtung für gelungen. Die Beratungsstelle für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel in Dortmund sitzt mit am Runden Tisch. Man habe sehr positive Erfahrungen gemacht, sagt
Gisela Zohren: "Hier wird fair und vorurteilsfrei diskutiert. Das wäre in jedem Bundesland wünschenswert."
Allerdings sind nicht alle mit dem Runden Tisch in Nordrhein-Westfalen zufrieden.
Reden allein reicht nicht, heißt es bei der CDU Landtagsfraktion. Ein Diskussionsforum könne ein Mittel von vielen sein, um die Probleme anzugehen, die durch das Prostitutionsgesetz entstanden seien. Deshalb
fordert die CDU Landtagsfraktion verstärkte Polizeikontrollen und Gesetzesänderungen.
Doch Maßnahmen wie diese zögere die rot-grüne Regierung mit Verweis auf die laufenden Gesprächsrunden hinaus.
In Hamburg steht die Umsetzung aus
Am Beispiel Hamburg zeigt sich ein weiteres Problem solcher Gesprächsrunden: Dort kritisieren die Grünen, dass die Empfehlungen des Runden Tisches Sexuelle Dienstleistungen nicht umgesetzt worden seien – obwohl der Expertenbericht bereits 2010 veröffentlicht wurde.
Was kann man von einem solchen Gremium erwarten, wenn es keine Garantie gibt, dass die Empfehlungen umgesetzt werden?
In Nordrhein-Westfalen ist noch nicht absehbar, ob und wie die Empfehlungen aufgegriffen werden: Zwar entwickelt eine Arbeitsgruppe erste Ansatzpunkte und Strategien, wie Sexarbeiterinnen aus Rumänien und Bulgarien erreicht werden können.
Konkrete Vorschläge des Runden Tisches werden allerdings erst im kommenden Jahr im Endbericht gemacht.
Zimmermann-Schwartz ist optimistisch, dass viele der Empfehlungen aufgegriffen werden, immerhin sei in einem
partizipativen Prozess auf Augenhöhe eine einzigartige Wissenssammlung entstanden.
Und selbst dann werde es Kritik an den Regelungen geben: "Denn eine Lösung, mit der wirklich alle zufrieden sind, die gibt es für das große Feld der Prostitution nicht."
www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/ ... ostitution
[Hervorhebungen MoF]