MEDIEN
Wie die glückliche Hure erfunden wurde
Die Reeperbahn in Hamburg: Allseits nur zufriedene Frauen?
Wenn in den Medien irgendwo eine Prostituierte auftaucht, ist sie selbstbestimmt, glücklich und natürlich freiwillig tätig. Die unkritische Berichterstattung trägt dazu bei, das Rotlichtmilieu zu entkrampfen. Ein Wertewandel, der auch das Handeln beeinflussen könnte
Medien prägen und verändern Moral. Davon sind Experten überzeugt. Die medial verschärfte Unsicherheit darüber, was richtig und falsch ist, führt dazu, dass „sich der Zusammenhang von Werten und Handeln entkrampft, unverbindlicher wird“, schrieb etwa der Berliner Publizistiker Gernot Wersig, der als Begründer der deutschen Informationswissenschaften gilt. Medien pusten, wo immer dicke Staubschichten über manchen Gewissheiten liegen.
Wenn man diesen Entkrampfungsprozess irgendwo beobachten wollte, dann dort, wo das Tabu regiert: bei der Prostitution.
Wer in jüngster Zeit Berichte zu diesem Thema verfolgt hat, dürfte jedenfalls nicht schlecht gestaunt haben. Zum Beispiel über Isabelle, die in der Sat.1-Talksendung „Eins gegen Eins“ im vergangenen Mai behauptete: „Die meisten Prostituierten machen den Job freiwillig.“ Oder über Marleen, die der taz beichtete, dass sie schon ganz früh „so ein starkes Bauchgefühl“ hatte. Eine Lust auf diesen Job. Die ihren ersten Kunden „total süß“ fand und in der Regel „wertschätzend und respektvoll“ behandelt wird. Oder über Kyra, Gymnastiklehrerin mit Abitur, die sich „den Spaß an der Tätigkeit“ auch mal mit einem Nein zu einem Gast aufrechterhält – vor einem Jahr bei Maischbergers zu sehen.
Vielleicht liest er aber auch von Vanessa Eden, Buchautorin und selbstbewusste Edelprostituierte, die es als „Privileg von uns Frauen“ empfindet, „dass wir überhaupt für Sex Geld verlangen können“.
Die jüngste politische Talksendung, die das Thema auf die Agenda setzte, war die Runde von Günter Jauch. „Tatort Rotlichtmilieu – wie brutal ist das Geschäft mit dem Sex?“ fragte er. Als Branchenvertreterin lud er nicht etwa, wie es der Titel suggerieren müsste, ein Gewaltopfer ein, sondern die Ex-Prostituierte Felicitas Schirow, die 1999 gegen die Schließung ihres Berliner Bordells klagte und somit die Grundlage für das rot-grüne Prostitutionsgesetz legte.
Es ist schon richtig: Oft wird diesen Frauen ein Gegner der Prostitution – wie etwa Alice Schwarzer – gegenübergestellt. Aber eben selten ein Gewaltopfer. Das Argument, dass es schwierig sei, an diese heranzukommen, dürfte bei geschätzt 60.000 Prostituierten in Deutschland nicht gelten. Und sei es doch schwierig, so wäre es dennoch eine Aufgabe der Medien, entsprechende Verzerrungen darzustellen.
Stattdessen finden negative Seiten von Prostitution und Menschenhandel fast nur noch in Filmen statt. Im Drama, im Krimi – zurzeit etwa in vielen Tatort-Folgen. Dagegen zeichnen die non-fiktionalen (Nachrichten-)Medien das Bild offenbar glücklicher, selbstbestimmter Dienstleisterinnen. Sie kämpfen wie die 37°-Protagonistin Bianca – nach eigenen Worten „Hure mit Leib und Seele“ – für ihre Rechte und um Anerkennung. Und sie nutzen das Fernsehen, um die Familie und die Öffentlichkeit von ihrer Tätigkeit zu überzeugen. Beim Zuschauer bleibt nach dem Medienkonsum nur eines hängen: Wenn die Sexarbeiterinnen es selbst gut finden, wird die Prostitution schon nicht so schlimm sein. Zwangsprostitution dagegen scheint nur ein Randphänomen zu sein, schlimmstenfalls: ein Märchen.
Wersig hätte dann Recht gehabt. Die Medien führen so zu einer Entkrampfung der Werte (und des Handelns, möchte man fragen?).
Nur: Sind diese willkürlich gewonnenen Aussagen und Darstellungen überhaupt repräsentativ?
Die Unsicherheit fängt schon im Kleinen an. Da zählt der Hamburger Senat 29 registrierte Prostituierte – die Polizei aber mindestens 2500.
Bei Maischberger durfte eine Prostitutions-Kritikerin immerhin sagen: „Wenn man Kyra jetzt nimmt, dann ist sie ungefähr so typisch wie ein Unterwasserschweißer für die Metallindustrie.“ Die typische Prostituierte – die man freilich in kaum einer Talkshow sieht – sei Osteuropäerin, 25 Jahre alt und habe drei Kinder.
Die mangelnde Datenbasis führt dazu, dass Befürworter und Gegner der Prostitution sich mit teils hanebüchenen Behauptungen gegenüberstehen. Volker Beck, einer der grünen Mitinitiatoren des Prostitutionsgesetzes, kann bei Cicero Online die Aussage, Deutschland sei das Bordell Europas, mit der Behauptung wegwischen, die Empirie gebe das einfach nicht her. Den Beweis für seine Annahme – die konkrete Zahl – bleibt er im ganzen Interview schuldig.
Ähnlich dünn sieht es bei der Medienforschung aus. „Unzureichend“, befand Tina Knaut, die für ihre Diplomarbeit zur Berichterstattung über Sexualität 87 wissenschaftliche Werke zwischen 1985 und 2010 durchforstete. Ihre Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die Verharmlosung der Prostitution schon in den 90er Jahren einsetzte.
Im Untersuchungszeitraum berichtete die Bunte kein einziges Mal über Prostitution – und ließ damit den Auftrag des kritischen Journalismus für ein ganzes Frauenpublikum links liegen. Der Medienwissenschaftler Ernst Zielinski beschrieb Sexualität im Fernsehen „als gewöhnliche, längst in den Alltag eingeschriebene Zurschaustellung von – in der Regel weiblichen – Körpern“. Prostitution finde „vor allem in Fiktionen und Dokumenten“ statt.
Bezeichnend ist ein „RTL aktuell“-Beitrag über die Eröffnung eines Bordells im sächsischen Zwickau im Jahr 1994. Die Forscher bezeichneten den Bericht als „vollkommen unkritisch“. Prostitution sei „als Lösung finanzieller Probleme dargestellt und somit entschieden verharmlost“ worden. Ähnlich einseitig sei ein RTL-Beitrag über die Eröffnung eines Erotik-Museums in Hamburg gewesen.
Knaut kommt am Ende ihrer Arbeit zu der ernüchternden Erkenntnis: „Es überwiegt eine patriarchale Sichtweise, die Sex lediglich als risikofreien Spaß versteht. Eine ernsthafte Berichterstattung mit einer politischen Komponente findet kaum statt.“
In dieses Bild passt, Frauen zu präsentieren, die den hedonistischen Spaß-Gedanken auch bei der Prostitution nicht verderben. Und übrigens wirklich nur Frauen: Homo-, Bisexuelle oder Transgender kommen fast nicht vor. Weder bei RTL aktuell noch bei der Tagesschau habe es im vergangenen Halbjahr auch nur einen Beitrag dazu gegeben, sagt Tina Kühne, die die Sendungen für ihre Masterarbeit an der Universität Leipzig schaute.
In Leipzig gab es 2010 erstmals ein Seminar über Journalismus, Sexualität und Prostitution. „Weg von der Schlüsselloch-Perspektive und von Berührungsängsten“, wollte der Organisator Marcel Machill – und schickte seine Studenten ins Bordell, zur Aids-Beratung und zu Verbänden.
Damit tragen auch die Hochschulen dazu bei, das Thema zu entkrampfen. Man könnte auch sagen: den Wertewandel voranzutreiben.
Prostitution ist aus Mediensicht schon so salonfähig geworden, dass es ein Investigativmagazin wie ARD Panorama brauchte, um am positiven Grundkonsens zu rütteln.
Deutschland sei zum Land der Billighuren geworden, hieß es darin. Das Prostitutionsgesetz habe sein Ziel verfehlt: Den Prostituierten gehe es heute schlechter.
http://www.cicero.de/salon/medienbild-u ... 70/seite/2
Bericht: Wie die Medien mit dem Thema Prostitution umgehen
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- Admina
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Bericht: Wie die Medien mit dem Thema Prostitution umgehen
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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- Silberstern
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RE: Bericht: Wie die Medien mit dem Thema Prostitution umgeh
...und heute ging es dann mit diesem Artikel weiter:
Ware Frau
Prostitution abschaffen!
Von Chantal Louis
http://www.cicero.de/berliner-republik/ ... ffen/53766
(Ich stelle ihn hier bewusst nicht im Volltext rein, denn der Informationsgehalt ist gleich Null und die Argumente kommen direkt aus der EMMA.)
Ware Frau
Prostitution abschaffen!
Von Chantal Louis
http://www.cicero.de/berliner-republik/ ... ffen/53766
(Ich stelle ihn hier bewusst nicht im Volltext rein, denn der Informationsgehalt ist gleich Null und die Argumente kommen direkt aus der EMMA.)
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- wissend
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..und schon wieder eine "nichts-sagender" 3 Seiten lange Cicero Mono-Thesis. Es ist Entäuschung, diese Lesezeit verschwendet zu haben. Mir kommt es vor, als wäre die Frauen selbst, die grössten Gegner von Sexwork. Es ist von fürchterliche Angst getrieben.
Prostitution policy is plagued by bad numbers. Bad numbers and wild estimates. If there are millions of trafficking victims who counted them and where are they?
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Ja klar, um Gegner von sex work zu sein muss man/frau Gegner der menschlichen Natur sein.bettyboop hat geschrieben:Mir kommt es vor, als wäre die Frauen selbst, die grössten Gegner von Sexwork. Es ist von fürchterliche Angst getrieben.
Und vor diesem selbst-sadistischen Hass auf die eigenen Wurzeln schützt die Diagnose "weiblich" in keiner Weise.
Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
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- Silberstern
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RE: Bericht: Wie die Medien mit dem Thema Prostitution umgeh
"Zwangsprostitution
Vom Staat im Stich gelassen
Von Jana Illhardt, 11. März 2013
Eigentlich sollte das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz die rechtliche Lage von Prostituierten stärken. Die Realität sieht jedoch anders aus: "Das Gesetz hat die Zwangsprostitution verstärkt", konstatiert der Polizeibeamte Wolfgang Hohmann. Doch statt zu handeln, schieben Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium die Zuständigkeit hin und her
Straßenstrich, Stuttgarter Altstadt: Eine Handvoll Frauen stehen bereit und warten auf Freier. In einem Café in Sichtweite sitzen breitschultrige Männer. Ein paar von ihnen telefonieren mit dem Handy und gestikulieren dabei. Sie blicken in Richtung Straße. Eine der Prostituierten betritt das Café und überreicht einem Mann Geldscheine, bevor sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt.
Wer die Szene beobachtet, würde vermuten, bei dem Mann handle es sich um einen Zuhälter, dem die Frau ihren Verdienst übergeben muss. Auch Wolfgang Hohmann vermutet das. Tun kann der Polizist dagegen jedoch nur wenig. Durch die Streichung des Tatbestandes "Förderung der Prostitution2 hat ihm der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage dafür entzogen.
Zurückführen lässt sich diese Crux auf das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten", kurz Prostitutionsgesetz, das den Verkauf sexueller Dienstleistungen legalisierte. Ziel des 2002 in Kraft getretenen Gesetzes war es, die rechtliche und soziale Situation der Prostituierten zu verbessern. Deren tägliches Geschäft wird seitdem als sozialversicherungspflichtige Dienstleistung anerkannt und somit aus dem Morast der Sittenwidrigkeit heraus in die Legalität gezogen.
Zwar ist die Ausbeutung und Kontrolle von Prostituierten nach wie vor strafbar. Beweisen kann Hohmann, Leiter des Ermittlungsdienstes Prostitution der Stuttgarter Polizei, diesen Gesetzesverstoß aber nur selten. "Ohne dass die Frau aussagt, tatsächlich zur Abgabe des Geldes gezwungen worden zu sein, kann ich wenig tun."
Vor der Gesetzesänderung, als der Tatbestand "Förderung der Prostitution" noch existierte, galt bereits ein Dienstplan als Indiz für illegale Zuhälterei. Seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes ist das Schaffen eines angemessenen Arbeitsumfeldes nicht mehr strafbar. Einige Bordellbetreiber hätten ihre Betriebe zwar, inklusive der dort arbeitenden Frauen, angemeldet. Das seien jedoch die Wenigsten, sagt Hohmann. "Das Gesetz hat vielmehr – zwar unbeabsichtigt aber für uns nicht überraschend – die Zwangsprostitution verstärkt."
Empirische Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden, gibt es nicht. Wolfgang Hohmann schätzt sie auf 90 Prozent. Die selbstbestimmte Frau aus den Fernsehinterviews, die sich aus freien Stücken prostituiert, gäbe es zwar, räumt der Polizeibeamte ein. Sie sei jedoch die Ausnahme. In anderen Untersuchungen heißt es, genau das Gegenteil sei der Fall. Zurückführen lässt sich diese Diskrepanz vor allem auf eine unterschiedliche Definition von Zwang und Selbstbestimmtheit: Während manche Wissenschaftler lediglich die Opfer von Menschenhandel als Zwangsprostituierte definieren, unterstellt Hohmann auch bei jenen Frauen einen Zwang, die nicht frei darüber entscheiden können, wann und mit wem sie ihren Beruf ausüben oder die ihre Einnahme abgeben beziehungsweise ihrem Zuhälter eine Zimmermiete von 200 Euro oder mehr pro Tag zahlen müssen.
Fakt ist jedoch, dass Hohmann und seine Kollegen gegen die Zwangsprostitution nicht viel tun können. Seit Jahren schon fordert der Stuttgarter Polizist daher eine Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes. "Wir brauchen dringend objektive Tatbestandskriterien, um den Druck von den Prostituierten nehmen zu können."
Den Druck etwa, gegen ihren Peiniger aussagen zu müssen. Angst ist dabei die treibende Kraft. Angst um sich selbst und Angst um die eigene Familie. "Vor allem Frauen aus Osteuropa wird immer wieder gedroht, dass ihren Familien im Heimatland Schaden zugefügt würde, sollten sie rebellieren", sagt Heike Rudat, Leiterin des Dezernats für Organisierte Kriminalität und Rotlichtkriminalität im Landeskriminalamt Berlin. Hinzu komme, so Rudat, dass sich das gesamte soziale Umfeld vieler Frauen einzig auf das Prostitutionsgewerbe begrenze. "Flieht eine Frau aus dem Rotlichtmilieu, kommt dies einer sozialen Entwurzelung gleich." Nicht selten komme es daher vor, dass eine Frau ihren Zuhälter anzeigt und die Aussage am nächsten Tag revidiert.
Insgesamt sei die Aussagebereitschaft der Prostituierten in ganz Deutschland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, beklagen Hohmann und Rudat. Das erschwere die Arbeit der Ermittler zusehends. Und so versuchen sie, über andere Wege an die Frauen heranzukommen. "Bevor wir Razzien durchführen, bereiten wir die Beratungsstellen auf potentiell neue Betroffene vor", so Rudat. Beratungsstellen wie BanYing, In Via oder Ona, die den Frauen zur Seite stehen und ihnen den Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu erleichtern wollen. "Gelingt es uns etwa während einer Razzia, Vertrauen zu einer der Frauen aufzubauen, versuchen wir sie schnellstmöglich an eine der Beratungsstellen zu vermitteln und ihr damit eine Zufluchtswohnung bereitzustellen", erklärt die Berliner Kriminaldirektorin. Insbesondere wenn der Verdacht auf Menschenhandel besteht, sei diese Vorgehensweise essentiell.
Ansonsten kontrollieren wir auch regelmäßig den Aufenthaltsstatus der Frauen, setzen Drogenspürhunde ein und kooperieren mit dem zuständigen Gewerbeaußendienst, der prüft, ob die gewerberechtlichen Auflagen erfüllt sind" [sic], so Rudat. Nicht selten würden durch die Kontrollen auch Personen mit offenen Haftbefehlen gefunden. Wolfgang Hohmann führt allein im Stuttgarter Rotlichtmilieu jährlich rund 3.000 solcher Kontrollen durch. Ein sprichwörtlicher Kampf gegen Windmühlen? "Manchmal kommt es uns so vor."
Dabei ist eine für die Polizeibeamten handhabbarere Gesetzeslage eigentlich gar nicht so realitätsfern. Beim Prostitutionsgesetz handelt es sich nämlich um eines der wenigen deutschen Gesetze, die bereits bei Inkrafttreten eine Evaluationsklausel enthielten. Bereits im Januar 2007 stellte das Bundesjustizministerium in einem Gutachten Handlungsbedarf fest. Bemängelt wurde unter anderem, dass das Prostitutionsgesetz bislang lediglich auf einen Teilbereich des Milieus Bezug nehme. "Vernachlässigt wurde der gesamte Bereich der unfreiwillig ausgeübten Prostitution: Menschenhandel, Zwangsprostitution und Minderjährigenschutz", heißt es im Evaluationsbericht.
Auch die Innenministerkonferenz konstatierte bereits den Reformbedarf des Prostitutionsgesetzes und formulierte 2011 in einer Stellungnahme klare Änderungsvorschläge. Gefordert wurde etwa die "Einführung einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten". Jeder, der ein Zimmer an Prostituierte vermietet, solle demnach künftig bei den Behörden vorsprechen und einen Antrag stellen müssen. Damit könnte verhindert werden, dass sich Zuhälter als Vermieter einer Wohnung tarnen können. Ihre Forderungen übergab die Innenministerkonferenz der Bundesregierung. Diese leitete das Anliegen wiederum nach eigener Aussage an das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium. Zunächst scheinbar mit Erfolg: Im Juni 2011 ließ das Bundesfamilienministerium verlauten, man arbeite an Eckpunkten für eine mögliche Regelung.
Seither ist es still geworden um das umstrittene Gesetz. Auf Nachfrage verwiesen beide Ministerien auf die Zuständigkeit des jeweils anderen. Nach erneutem Nachhaken verkündete das Bundesfamilienministerium, man habe sich dem Thema angenommen, Gespräche mit dem Bundesjustizministerium liefen bereits. Eine baldige Überarbeitung des Gesetzes sei jedoch nicht geplant. Das Justizministerium teilte hingegen Cicero Online mit, nicht handeln zu können, da es an aktuellen empirischen Zahlen fehle, aus der die Notwendigkeit einer Gesetzesüberarbeitung hervorginge. Es bedürfe schlicht einer aktuellen Studie. Das wiederum wäre Aufgabe des Bundesfamilienministeriums."
http://www.cicero.de/berliner-republik/ ... ssen/53781
Vom Staat im Stich gelassen
Von Jana Illhardt, 11. März 2013
Eigentlich sollte das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz die rechtliche Lage von Prostituierten stärken. Die Realität sieht jedoch anders aus: "Das Gesetz hat die Zwangsprostitution verstärkt", konstatiert der Polizeibeamte Wolfgang Hohmann. Doch statt zu handeln, schieben Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium die Zuständigkeit hin und her
Straßenstrich, Stuttgarter Altstadt: Eine Handvoll Frauen stehen bereit und warten auf Freier. In einem Café in Sichtweite sitzen breitschultrige Männer. Ein paar von ihnen telefonieren mit dem Handy und gestikulieren dabei. Sie blicken in Richtung Straße. Eine der Prostituierten betritt das Café und überreicht einem Mann Geldscheine, bevor sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt.
Wer die Szene beobachtet, würde vermuten, bei dem Mann handle es sich um einen Zuhälter, dem die Frau ihren Verdienst übergeben muss. Auch Wolfgang Hohmann vermutet das. Tun kann der Polizist dagegen jedoch nur wenig. Durch die Streichung des Tatbestandes "Förderung der Prostitution2 hat ihm der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage dafür entzogen.
Zurückführen lässt sich diese Crux auf das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten", kurz Prostitutionsgesetz, das den Verkauf sexueller Dienstleistungen legalisierte. Ziel des 2002 in Kraft getretenen Gesetzes war es, die rechtliche und soziale Situation der Prostituierten zu verbessern. Deren tägliches Geschäft wird seitdem als sozialversicherungspflichtige Dienstleistung anerkannt und somit aus dem Morast der Sittenwidrigkeit heraus in die Legalität gezogen.
Zwar ist die Ausbeutung und Kontrolle von Prostituierten nach wie vor strafbar. Beweisen kann Hohmann, Leiter des Ermittlungsdienstes Prostitution der Stuttgarter Polizei, diesen Gesetzesverstoß aber nur selten. "Ohne dass die Frau aussagt, tatsächlich zur Abgabe des Geldes gezwungen worden zu sein, kann ich wenig tun."
Vor der Gesetzesänderung, als der Tatbestand "Förderung der Prostitution" noch existierte, galt bereits ein Dienstplan als Indiz für illegale Zuhälterei. Seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes ist das Schaffen eines angemessenen Arbeitsumfeldes nicht mehr strafbar. Einige Bordellbetreiber hätten ihre Betriebe zwar, inklusive der dort arbeitenden Frauen, angemeldet. Das seien jedoch die Wenigsten, sagt Hohmann. "Das Gesetz hat vielmehr – zwar unbeabsichtigt aber für uns nicht überraschend – die Zwangsprostitution verstärkt."
Empirische Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden, gibt es nicht. Wolfgang Hohmann schätzt sie auf 90 Prozent. Die selbstbestimmte Frau aus den Fernsehinterviews, die sich aus freien Stücken prostituiert, gäbe es zwar, räumt der Polizeibeamte ein. Sie sei jedoch die Ausnahme. In anderen Untersuchungen heißt es, genau das Gegenteil sei der Fall. Zurückführen lässt sich diese Diskrepanz vor allem auf eine unterschiedliche Definition von Zwang und Selbstbestimmtheit: Während manche Wissenschaftler lediglich die Opfer von Menschenhandel als Zwangsprostituierte definieren, unterstellt Hohmann auch bei jenen Frauen einen Zwang, die nicht frei darüber entscheiden können, wann und mit wem sie ihren Beruf ausüben oder die ihre Einnahme abgeben beziehungsweise ihrem Zuhälter eine Zimmermiete von 200 Euro oder mehr pro Tag zahlen müssen.
Fakt ist jedoch, dass Hohmann und seine Kollegen gegen die Zwangsprostitution nicht viel tun können. Seit Jahren schon fordert der Stuttgarter Polizist daher eine Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes. "Wir brauchen dringend objektive Tatbestandskriterien, um den Druck von den Prostituierten nehmen zu können."
Den Druck etwa, gegen ihren Peiniger aussagen zu müssen. Angst ist dabei die treibende Kraft. Angst um sich selbst und Angst um die eigene Familie. "Vor allem Frauen aus Osteuropa wird immer wieder gedroht, dass ihren Familien im Heimatland Schaden zugefügt würde, sollten sie rebellieren", sagt Heike Rudat, Leiterin des Dezernats für Organisierte Kriminalität und Rotlichtkriminalität im Landeskriminalamt Berlin. Hinzu komme, so Rudat, dass sich das gesamte soziale Umfeld vieler Frauen einzig auf das Prostitutionsgewerbe begrenze. "Flieht eine Frau aus dem Rotlichtmilieu, kommt dies einer sozialen Entwurzelung gleich." Nicht selten komme es daher vor, dass eine Frau ihren Zuhälter anzeigt und die Aussage am nächsten Tag revidiert.
Insgesamt sei die Aussagebereitschaft der Prostituierten in ganz Deutschland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, beklagen Hohmann und Rudat. Das erschwere die Arbeit der Ermittler zusehends. Und so versuchen sie, über andere Wege an die Frauen heranzukommen. "Bevor wir Razzien durchführen, bereiten wir die Beratungsstellen auf potentiell neue Betroffene vor", so Rudat. Beratungsstellen wie BanYing, In Via oder Ona, die den Frauen zur Seite stehen und ihnen den Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu erleichtern wollen. "Gelingt es uns etwa während einer Razzia, Vertrauen zu einer der Frauen aufzubauen, versuchen wir sie schnellstmöglich an eine der Beratungsstellen zu vermitteln und ihr damit eine Zufluchtswohnung bereitzustellen", erklärt die Berliner Kriminaldirektorin. Insbesondere wenn der Verdacht auf Menschenhandel besteht, sei diese Vorgehensweise essentiell.
Ansonsten kontrollieren wir auch regelmäßig den Aufenthaltsstatus der Frauen, setzen Drogenspürhunde ein und kooperieren mit dem zuständigen Gewerbeaußendienst, der prüft, ob die gewerberechtlichen Auflagen erfüllt sind" [sic], so Rudat. Nicht selten würden durch die Kontrollen auch Personen mit offenen Haftbefehlen gefunden. Wolfgang Hohmann führt allein im Stuttgarter Rotlichtmilieu jährlich rund 3.000 solcher Kontrollen durch. Ein sprichwörtlicher Kampf gegen Windmühlen? "Manchmal kommt es uns so vor."
Dabei ist eine für die Polizeibeamten handhabbarere Gesetzeslage eigentlich gar nicht so realitätsfern. Beim Prostitutionsgesetz handelt es sich nämlich um eines der wenigen deutschen Gesetze, die bereits bei Inkrafttreten eine Evaluationsklausel enthielten. Bereits im Januar 2007 stellte das Bundesjustizministerium in einem Gutachten Handlungsbedarf fest. Bemängelt wurde unter anderem, dass das Prostitutionsgesetz bislang lediglich auf einen Teilbereich des Milieus Bezug nehme. "Vernachlässigt wurde der gesamte Bereich der unfreiwillig ausgeübten Prostitution: Menschenhandel, Zwangsprostitution und Minderjährigenschutz", heißt es im Evaluationsbericht.
Auch die Innenministerkonferenz konstatierte bereits den Reformbedarf des Prostitutionsgesetzes und formulierte 2011 in einer Stellungnahme klare Änderungsvorschläge. Gefordert wurde etwa die "Einführung einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten". Jeder, der ein Zimmer an Prostituierte vermietet, solle demnach künftig bei den Behörden vorsprechen und einen Antrag stellen müssen. Damit könnte verhindert werden, dass sich Zuhälter als Vermieter einer Wohnung tarnen können. Ihre Forderungen übergab die Innenministerkonferenz der Bundesregierung. Diese leitete das Anliegen wiederum nach eigener Aussage an das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium. Zunächst scheinbar mit Erfolg: Im Juni 2011 ließ das Bundesfamilienministerium verlauten, man arbeite an Eckpunkten für eine mögliche Regelung.
Seither ist es still geworden um das umstrittene Gesetz. Auf Nachfrage verwiesen beide Ministerien auf die Zuständigkeit des jeweils anderen. Nach erneutem Nachhaken verkündete das Bundesfamilienministerium, man habe sich dem Thema angenommen, Gespräche mit dem Bundesjustizministerium liefen bereits. Eine baldige Überarbeitung des Gesetzes sei jedoch nicht geplant. Das Justizministerium teilte hingegen Cicero Online mit, nicht handeln zu können, da es an aktuellen empirischen Zahlen fehle, aus der die Notwendigkeit einer Gesetzesüberarbeitung hervorginge. Es bedürfe schlicht einer aktuellen Studie. Das wiederum wäre Aufgabe des Bundesfamilienministeriums."
http://www.cicero.de/berliner-republik/ ... ssen/53781
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- Registriert: 27.04.2008, 15:25
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Ich habe auf dem Stuttgarter Wochenmarkt schon mehrmals gesehen, wie Marktbeschicker bei ihren Verkäuferinnen abkassiert haben. Bedauert Herr Hohmann auch, nicht einschreiten zu können?
Oder bei der Backwaren-Franchisenehmerin, die für 2.000 EUR Gewinn vor Steuern 60 Stunden die Woche arbeitet und an den Franchisegeber mehr als 2.000 EUR / Monat überweisen muss?
Oder bei der Backwaren-Franchisenehmerin, die für 2.000 EUR Gewinn vor Steuern 60 Stunden die Woche arbeitet und an den Franchisegeber mehr als 2.000 EUR / Monat überweisen muss?
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