> Dossier Queer-Feminismus
Von MissyRedaktion
Hydra e.V.
Treffpunkt und Beratung für SexarbeiterInnen in Berlin
Die überzeugendsten Argumente zog der Feminismus immer aus dem klaren Blick auf das Leben und die Erfahrungen von Frauen. Doch wenn es um Sexarbeiter_innen geht, dann verwandelt sich dieser Blick schnell in selektive Wahrnehmung. Der Altfeminismus sieht sie unterschiedslos als Opfer. Gehen sie der Sexarbeit ohne größere Probleme nach, wird ihnen Blauäugigkeit und Selbstbetrug unterstellt. Im Auge des Altfeminismus sind selbstbestimmte Prostituierte so etwas wie der blinde Fleck. Dagegen steht der Queer-Feminismus für die Chance, eingefahrene Denkmuster aufzubrechen und wieder dort anzusetzen, wo feministische Ideen mal ihren Ausgangspunkt hatten: im Blick auf sich selbst und die eigenen Erfahrungen.
Bislang wurde diese Chance aber nicht wirklich genutzt. Während sich die LGBTIQ-Szene und die Prostitutionsszene in anderen Ländern nicht voneinander trennen lassen, gibt es in Berlin kaum Berührungspunkte zwischen beiden Gruppen. Zwar wird in queer-feministischen Zusammenhängen, z.B. dem Slutwalk stark mit dem Körper als „political tool“ gearbeitet, um gegen Sexismus und Heteronormativität zu kämpfen. Es wird jedoch keine Verbindung zur Sexarbeit hergestellt, obwohl Sexarbeiter_innen jeden Tag mit ihrem Körper arbeiten. In Uniseminaren und einigen Medien werden sie zwar in die Diskussion einbezogen. Aber auf persönlicher Ebene ist das eher selten. Es ist erschreckend, wie viele queer-feministische Sexworker_innen sich nicht trauen, sich in ihren WGs oder in queer-feministischen/linken Politgruppen zu outen. Ausserdem tendiert die LGBTIQ-Szene dazu, Maskulinität zu feiern, während Femmes und andere Verkörperungen von Femininität eher kritisch bis ablehnend gesehen werden. Für Nacktheit, zum Beispiel bei Performances, werden mitunter Triggerwarnungen ausgesprochen. So geht viel Sexpositivität verloren.
Während Sexarbeit in der queer-feministischen Szene zur Zeit eher ein Randthema ist, erleben wir in den Mainstream-Medien eine Renaissance moralistischer Stimmungsmache. Von Alice Schwarzer bis Femen – die Prostitution ist wieder zur Projektionsfläche feministischer Empörungs- und Verbotsdiskurse geworden. Leider sind viele Medien nicht bereit, diese Positionen zu hinterfragen. Auch deshalb gelingt es abolitionistischen Frauenverbänden wie der „European Womens Lobby“ derzeit, europaweit politischen Druck aufzubauen. Der Ruf nach gesellschaftlicher Ächtung der Prostitution, nach Freierbestrafung und Prostitutionsverboten entsetzt uns. Mit Sorge beobachten wir politische Bemühungen, die Sexarbeit durch erweiterte Polizei- und Ämterkontrollen neu zu reglementieren. Es droht eine Rückkehr zu Kriminalisierung und Doppelmoral.
Für uns bedeutet diese Entwicklung, dass wir immer wieder aufs Neue für unsere Rechte kämpfen müssen. Um Klischees und Diskriminierung abzubauen, muss noch viel getan werden. Das Prostitutionsgesetz muss konsequent umgesetzt und sinnvoll weiterentwickelt werden. Statt einseitiger Opferdiskurse über Menschenhandel brauchen wir mehr Anerkennung für unsere Arbeit. Statt altfeministischer Bevormundung brauchen wir gesellschaftliche Akzeptanz. Statt moralisierender Medienberichte brauchen wir ein journalistisches Bewusstsein für Selbstbestimmungsrechte und die Bereitschaft, Sexarbeit und Feminismus zusammenzudenken. Statt Verbotsdebatten brauchen wir Respektkampagnen.
www.hydra-berlin.de
http://missy-magazine.de/2013/11/07/hydra-e-v/
Fight sexismus-not sexwork
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Fight sexismus-not sexwork
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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Fakten und Infos über Prostitution
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Fight inequality - not prostitution
Mein Diskurs-Beitrag zur Queer Theorie Sexwork
Sexworker-Vernetzung und Outing sind extrem schwer. Wir haben es hier mit dem Tabu Sexualität plus dem Tabu Geld zu tun (Prostitution ist also bereits Intrasektionalität oder Mehrfachstigmatisierung per Definition). Zwei Machtsphären, die regelrecht in einem gordischen Knoten verklemmt sind.
Wir haben in unserer Gesellschaft die Befreiung der Sexualität inkl. der von Frauen und Homosexuellen in weiten Bereichen erlebt infolge von Pille, Kriegswirtschaft, AIDS-Krisenbekämpfung und Imperialismus des kapitalistischen Erfolgsmodells.
Aber Emanzipation scheint ein nie endender Prozess zu sein der Inklusion divers-evolvierender Lebensweisen und Ausgleichs ständig produzierter Ungleichheiten oder Machtkonzentrationen erfordert.
Deutlich wird mit der EMMA Kampagne "Prostitution abschaffen" wie erfolgreich etabliert inzwischen der Altfeminismus ist, die Diskurse der Kampagnenmedien zu beeinflussen und dass sogar ein Zusammengehen mit konservativ Christlichen Positionen möglich wurde. Dieser seither zweigleisige Fundamentalismus etwa von EMMA und Solwodi kann sich deshalb ausbreiten, weil derzeit mehrere Globalströmungen das Leben der Menschen einengen und bedrohen: Weltwirtschaftsrezession II und Zivilisationskrisen (Umwelt/Klima, Ressourcen/Peak everything, Geld- und Finanzsystem, Weltinnenpolitik).
Letztlich verfolgen die Altfeministinnen eine rationale, erprobte Strategie des Selbst-Empowerments. Dabei bekämpfen sie die schwächste weil stigmatisierteste Männergruppe (Freier) und opfern gleichzeitig die schwächste Frauengruppe (Sexworker), weil diese mit denen scheinbar gemeinsame Sache machen. So versuchen sie Distinktionsgewinne oder symbolisches Kapital zu erwerben, im Kampf gegen Männer oder das Patriarchat, bzw. um im bestehenden System ihren eigenen sozialen Aufstieg zu betreiben. Ob das Feiern von Maskulinität in der LGBTIQ-Szene nicht grundsätzlich ähnlichen Gesetzmäßigkeiten folgt?
Wenn Triggerwarnungen bei Nacktheit häufig sind, zeigt dies die ubiquitär fortbestehende Existenz von Mißbrauch und Verletzlichkeiten. Unsere queren Lebensweisen sind letztlich Antworten darauf.
Wie also sollen Sexworker und Queer Szene reagieren oder sollen wir es Feministinnen gar organisatorisch nachmachen? Nichtmal Huren/Callgirls untereinander waren bisher organisiert (ungeschützt heterogen volatil höchst kompetitiver Markt). Callboys sind außerhalb der Marktplattformen auch nicht vernetzt, viele sind ebenfalls schwul, bi oder quer. Auch unsere Prostitutionskunden sind nicht politisch organisiert, sie nutzen primär die Freierforen, um sich den Zugang zum Vergnügen zu erleichtern. Auch Migrant_innen, Prekärbeschäftigte, Hartz IV-Empfänger, Behinderte... sind kaum organisiert, weil prekär-organisiert zu sein letztlich Definitionsmerkmal von Randgruppen ist.
Der Altfeminismus, Femen oder EWL sind heute nur deshalb so relativ erfolgreich, weil sie mißbrauchsanfällig sind von herrschenden Kräften instrumentalisiert zu werden, um die Öffentlichkeit mit Geschlechter- oder Sexthemen abzulenken und somit von tieferliegenden Geld-, Machtverteilungs- und Politikgestaltungsfragen abzulenken.
Wir Sexworker befinden uns genau an dem Übergang zu diesen vesteckten tieferen Fragen, wo Körper-Sex-Geld-Existenzsicherung zusammentreffen, da wo die kulturell gezogene Grenze privat|geschäftlich-öffentlich gesprengt wird. Auf uns wartet noch eine große politische Aufgabe und zukünftige Herausforderung. Und vom Thema Liebe oder Solidarität haben wir dabei immer noch nicht gesprochen.
Allerdings erzeugt der Biologismus der Prostitution (Jugendkult/Vergänglichkeit/Einkommensdegression, Subjektinszenierung als Sexmarktlustobjekt...) ein Vulnerabilitäts- und Nachhaltigkeitsproblem, was viel von dem bekannten und allseits beklagten Elend hervorruft (Prostitutions- oder Ausstiegsfalle, Sexworker Burnout, Ausbeutung, Mißbrauch...) und auf das traditionelle Politik nur Kontrolle (Stigma), Eindämmung (Marginalisierung) oder Verbot (Kriminalisierung) als Antworten kennt.
Um Akzeptanz und Respektkampagnen zu fordern bzw. selbst gestalten zu können, brauchen wir viel mehr Wissen und insgesamt ein neues Paradigma von Sexworkforschung, Minderheiteninklusion und Gewaltenteilung. Auch in den eigenen Reihen und unterfinanziert-prekären Institutionen gibt es da viel anzupacken.
Gerade wegen dieser scheinbar schier unlösbaren Probleme existiert Prostituton als autonom-egoistisch-selbstreferentiell-anarchisch-selbstorganisiert ökonomische Strategie im gesellschaftlichen Überlebenskampf und Leistungstausch.
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Sexworker-Vernetzung und Outing sind extrem schwer. Wir haben es hier mit dem Tabu Sexualität plus dem Tabu Geld zu tun (Prostitution ist also bereits Intrasektionalität oder Mehrfachstigmatisierung per Definition). Zwei Machtsphären, die regelrecht in einem gordischen Knoten verklemmt sind.
Wir haben in unserer Gesellschaft die Befreiung der Sexualität inkl. der von Frauen und Homosexuellen in weiten Bereichen erlebt infolge von Pille, Kriegswirtschaft, AIDS-Krisenbekämpfung und Imperialismus des kapitalistischen Erfolgsmodells.
Aber Emanzipation scheint ein nie endender Prozess zu sein der Inklusion divers-evolvierender Lebensweisen und Ausgleichs ständig produzierter Ungleichheiten oder Machtkonzentrationen erfordert.
Deutlich wird mit der EMMA Kampagne "Prostitution abschaffen" wie erfolgreich etabliert inzwischen der Altfeminismus ist, die Diskurse der Kampagnenmedien zu beeinflussen und dass sogar ein Zusammengehen mit konservativ Christlichen Positionen möglich wurde. Dieser seither zweigleisige Fundamentalismus etwa von EMMA und Solwodi kann sich deshalb ausbreiten, weil derzeit mehrere Globalströmungen das Leben der Menschen einengen und bedrohen: Weltwirtschaftsrezession II und Zivilisationskrisen (Umwelt/Klima, Ressourcen/Peak everything, Geld- und Finanzsystem, Weltinnenpolitik).
Letztlich verfolgen die Altfeministinnen eine rationale, erprobte Strategie des Selbst-Empowerments. Dabei bekämpfen sie die schwächste weil stigmatisierteste Männergruppe (Freier) und opfern gleichzeitig die schwächste Frauengruppe (Sexworker), weil diese mit denen scheinbar gemeinsame Sache machen. So versuchen sie Distinktionsgewinne oder symbolisches Kapital zu erwerben, im Kampf gegen Männer oder das Patriarchat, bzw. um im bestehenden System ihren eigenen sozialen Aufstieg zu betreiben. Ob das Feiern von Maskulinität in der LGBTIQ-Szene nicht grundsätzlich ähnlichen Gesetzmäßigkeiten folgt?
Wenn Triggerwarnungen bei Nacktheit häufig sind, zeigt dies die ubiquitär fortbestehende Existenz von Mißbrauch und Verletzlichkeiten. Unsere queren Lebensweisen sind letztlich Antworten darauf.
Wie also sollen Sexworker und Queer Szene reagieren oder sollen wir es Feministinnen gar organisatorisch nachmachen? Nichtmal Huren/Callgirls untereinander waren bisher organisiert (ungeschützt heterogen volatil höchst kompetitiver Markt). Callboys sind außerhalb der Marktplattformen auch nicht vernetzt, viele sind ebenfalls schwul, bi oder quer. Auch unsere Prostitutionskunden sind nicht politisch organisiert, sie nutzen primär die Freierforen, um sich den Zugang zum Vergnügen zu erleichtern. Auch Migrant_innen, Prekärbeschäftigte, Hartz IV-Empfänger, Behinderte... sind kaum organisiert, weil prekär-organisiert zu sein letztlich Definitionsmerkmal von Randgruppen ist.
Der Altfeminismus, Femen oder EWL sind heute nur deshalb so relativ erfolgreich, weil sie mißbrauchsanfällig sind von herrschenden Kräften instrumentalisiert zu werden, um die Öffentlichkeit mit Geschlechter- oder Sexthemen abzulenken und somit von tieferliegenden Geld-, Machtverteilungs- und Politikgestaltungsfragen abzulenken.
Wir Sexworker befinden uns genau an dem Übergang zu diesen vesteckten tieferen Fragen, wo Körper-Sex-Geld-Existenzsicherung zusammentreffen, da wo die kulturell gezogene Grenze privat|geschäftlich-öffentlich gesprengt wird. Auf uns wartet noch eine große politische Aufgabe und zukünftige Herausforderung. Und vom Thema Liebe oder Solidarität haben wir dabei immer noch nicht gesprochen.
Allerdings erzeugt der Biologismus der Prostitution (Jugendkult/Vergänglichkeit/Einkommensdegression, Subjektinszenierung als Sexmarktlustobjekt...) ein Vulnerabilitäts- und Nachhaltigkeitsproblem, was viel von dem bekannten und allseits beklagten Elend hervorruft (Prostitutions- oder Ausstiegsfalle, Sexworker Burnout, Ausbeutung, Mißbrauch...) und auf das traditionelle Politik nur Kontrolle (Stigma), Eindämmung (Marginalisierung) oder Verbot (Kriminalisierung) als Antworten kennt.
Um Akzeptanz und Respektkampagnen zu fordern bzw. selbst gestalten zu können, brauchen wir viel mehr Wissen und insgesamt ein neues Paradigma von Sexworkforschung, Minderheiteninklusion und Gewaltenteilung. Auch in den eigenen Reihen und unterfinanziert-prekären Institutionen gibt es da viel anzupacken.
Gerade wegen dieser scheinbar schier unlösbaren Probleme existiert Prostituton als autonom-egoistisch-selbstreferentiell-anarchisch-selbstorganisiert ökonomische Strategie im gesellschaftlichen Überlebenskampf und Leistungstausch.
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