MOPO Hamburg, 80 Jahre Domenica Niehoff

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Veraguas
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MOPO Hamburg, 80 Jahre Domenica Niehoff

Beitrag von Veraguas »

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Da hinter einer Bezahlschranke, hier der Artikel in der Hamburger Morgenpost.

Von:
OLAF WUNDER

Sie war Hure - und St. Paulis Königin

3.8.1945 Am kommenden Sonntag wäre Domenica 80 Jahre alt geworden - die Frau, die jeder kennt, aber von der nur wenige wissen, dass sie Niehoff mit Nachnamen hieß.

Es gibt nicht viele Menschen, bei denen ein Vorname reicht, damit jeder weiß, wer gemeint ist. Domenica war so jemand. Dass sie auch noch Niehoff hieß, war nur den wenigsten bekannt. Wenn sie erschien mit ihrem gegelten, zurückgekämmten Haar und ihrem genauso melancholischen wie strengen Gesichtsausdruck, war für Sekundenbruchteile Ruhe im Raum. Schon von Weitem war ihrs Stimme zu vernehmen - so rau wie das Leben auf St. Pauli. Wenn sie lachte, wackelten die Wände, und ihre Lunge rasselte von den vielen, vielen Zigaretten, die sie sich täglich in den Mundwinkel steckte. Wer sie kannte, weiß, was für ein großes Herz sie hatte. Sie hörte jedermann zu, egal ob Obdachloser oder Millionär. Aber auch ihr Zorn konnte jedermann treffen.

80 Jahre alt wäre die berühmteste Hure Deutschlands, die „Hure der Nation", wie sie genannt wurde, am kommenden Sonntag geworden. Wobei es fast ein Wunder ist, dass sie überhaupt 63 Jahre alt wurde, so, wie sie ihr Leben gelebt hat. So intensiv. So aufreibend, so ungesund. Als die ungekrönte Königin vom Kiez 2009 starb, zog ein Trauerzug durch St. Pauli, wie ihn der Kiez bisher nicht erlebt hatte. Mehr als 1000 Menschen liefen hinter ihrem Sarg her, Schulter an Schulter: Huren, Wirte, Politiker, Journalisten, Nachbarn und Freunde. In der Herbertstraße, in der sonst rund um die Uhr das Geschäft läuft, herrschte an diesem Tag eine Stille, die fast unheimlich wirkte. Keine einzige Frau saß im Schaufenster, niemand bot seine Dienste an. Alle beteiligten sich an der Gedenkminute für Domenica. Manche weinten, andere schauten stumm zu Boden. Es war, wie die Autorin und Nachbarin Tania Kibermanis später schrieb, „ein kleines Staatsbegräbnis". Ein Abschied, der deutlich machte, welchen Rang Domenica auf dem Kiez hatte: nicht nur als Hure, sondern als Kämpferin und Freundin, als jemand, der zu den Ihren gehörte.

Domenica Anita Niehoff, so ihr korrekter bürgerlicher Name, wird am 3. August 1945 in Köln geboren. Ihr Vater Angelo ist einer der ersten italienischen Gastarbeiter in der Rheinmetropole und betreibt ein kleines Eiscafé. Er ist ein brutaler Mann, so gewalttätig, dass Domenicas Mutter Anna sich von ihm 1949 trennt. Die Mutter ist spielsüchtig, wird immer wieder wegen kleinerer Betrügereien und wegen Hehlerei
verhaftet, während Domenica und ihre Geschwister Amando und Angelina im katholischen Waisenhaus zu den „Schwestern vom armen Kinde Jesus“ groß werden.

Erst 1958 nimmt die Mutter die Kinder wieder zu sich. Sie hat inzwischen neu geheiratet und arbeitet ais Textilvertreterin. Aber weil sie beruflich viel unterwegs ist, sind die Kleinen oft sich alleine überlassen. Domenica erinnert sich später daran, wie sie mit 14 von der Mutter beim ersten Kuss erwischt wurde: „Sie schlug mich und schrie: „Hure! Hure!'" Das erste Mal Sex hat Domenica mit 15 oder 16. „Ich hab' da nichts Tolles bei gefühlt, ich hab' überhaupt nichts gefühlt beim ersten Mal.“

1961 beginnt Domenica eine Lehre als Buchhalterin, bricht die Ausbildung allerdings ab, als sie mit 17 beim Kölner Karneval den 42-jährigen Kuno kennenlernt, einen Bordellbesitzer. „Der war ein grosser, gut aussehender Mann und sehr reich" ,so Domenica. Sie geht von da an keiner Arbeit mehr nach, lebt von dem Geld ihres Lovers, der tablettenabhängig ist und auch Domenica mit Medikamenten versorgt. Die Beziehung endet nach zehn Jahren traumatisch mit dem Selbstmord des an Depressionen leidenden Mannes: 1972 erschießt sich Kuno in der gemeinsamen Wohnung.

„Als der Kuno tot war wusste ich nur eins: Ich wollte nicht als Tippse in irgendein Büro, nur für sechzehnhundert brutto. Ich wollte Geld verdienen, und zwar genauso viel, wie ich vorher hatte. Ich war ja jeden Luxus gewohnt: Pelze, teuren Schmuck, Champagner.“ Domenica geht deshalb nach München und heuert in einem Bordell als Prostituierte an. 1973 verliebt sie sich erneut auf dem Kölner Karneval - und zwar in den verheirateten Bordellbesitzer Hanne Kleine, der das Hamburger Szene-Lokal „Die Ritze" betreibt. Domenica arbeitet für ihn im Bordell „Palais d'Amour", in dem Hanne Kleine eine Etage besitzt. „Der hat mich eiskalt als Geldmaschine gesehen", so Domenica später. Die Beziehung endet im Unfrieden.

Um sich von ihm unabhängig zu machen, mietet sie sich 1980 ein eigenes Domina-Studio an der Herbertstraße. Die Manner lieben es, sich der gestrengen Domenica zu unterwerfen. Züchtigungen allerdings nimmt sie nie selbst vor. „Sie hatte immer Helferinnen, sogenannte Sklavinnen, im Haus, die mussten dann die Peitsche schwingen, wenn der Gast es wünschte", so Günter Zint, der Hamburger Kult-Fotograf, der einer ihrer engsten Freunde war.
In den 80er Jahren avanciert Domenica zum gefragten Medienstar. Sie ist die erste deutsche Prostituierte die sich in der Öffentlichkeit outet und für die Legalisierung ihres Berufsstandes eintritt. Sie tritt im Fernsehen auf, wird zu Talkshows eingeladen, gibt Interviews, schreibt ihre Autobiografie „Körper mit Seele-Mein Leben“.

Viele Prominente gehen bei ihr ein und aus und lassen sich mit ihr fotografieren. Darunter sind Gloria von Thurn und Taxis, Udo Lindenberg und Katharina Thalbach, aber auch Alice Schwarzer, Horst Janssen, Heidi Kabel oder Hella von Sinnen. Über Monate wohnt der Zeichner und Autor Tomi Ungerer in Domenicas Bordell, weil er dort für sein Buch „Die Schutzengel der Hölle" recherchieren will. Auch Schriftsteller Wolf Wondratschek macht Domenicas Bekanntschaft und schreibt in seinem Buch „Letzte Gedichte über sie: Ihr Gang wirkte wie die Fortbewegung einer tropischen Schlingpflanze. In ihrem schwarzen Kleid mit dem Ausschnitt, ihren Stöckelschuhen und Seidenstrümpfen, die Haare streng nach hinten gekämmt, wo sie zu einem Dutt verflochten waren, sah sie aus, als warte sie auf einen König." Wondratschek gerät regelrecht ins Schwärmen: „Eine Hure bis hinein in ihr großes träges Herz, wenn sie mit dem Hintern wackelt, fließen die Flüsse bergauf.

Mit 45 Jahren beendet Domenica ihre Tätigkeit als Hure und beginnt sich für junge drogenabhängige, verelendete Mädchen und Frauen auf dem Straßenstrich einzusetzen. Sie initiiert den Hilfsverein „ragazza e.V." in St. Georg und wird von der Sozialbehörde als Streetworkerin angestellt. Ihr Markenzeichen: der knallrote Schal und die große Umhängetasche, in der sie meist eine Thermoskanne mit heißem Kakao für die Frauen mit sich führt.

Im „Café Sperrgebiet" am Hansaplatz, dem Zentrum des Drogenstrichs, trifft sie sich regelmäßig mit Frauen. „Egal, ob wir über St. Pauli, St. Georg oder den Bahnhof liefen, Domenica wurde überall angesprochen", erzählt eine Freundin. „Und alle wollten was von ihr. Zigaretten oder Geld oder eine Jacke oder was zu essen oder auch nur ein Bett für die Nacht. Jede hatte Horrorgeschichten zu erzählen und jede kannte mindestens eine andere, der dringend auch geholfen werden musste. Oft mochte Domenica gar nicht mehr hinausgehen, weil sie regelrecht überfallen wurde mit den Worten: „Haste mal und kannste mal?"

1997 ist Domenica mit ihrer Kraft am Ende und auch mit ihrem Geld. Ihre Wohnung in Wandsbek wird ihr gekündigt, well sie zeitweise bis zu zehn Mädchen dort beherbergt hat. Schließlich zieht sich der „Engel vom Hansaplatz" aus dem „ragazza"-Verein zurück und schlägt ein neues Kapitel auf: Als Wirtin. Sie erwirbt eine Hafenkneipe am Fischmarkt. Ein großer Fehler, wie sich bald herausstellt. Zur Eröffnung des Lokals, das zuvor „Fick" geheißen hat und das sie in „Domenica" umbenennt, kommt zwar viel Prominenz. Künstler, Schauspieler, Politiker sind mit dabei. Doch schon nach einem Jahr häufen sich Steuerschulden und unbezahlte Rechnungen, so dass die Zwangsräumung nicht abzuwenden ist.

Kurz darauf stirbt ihr Bruder. Er hinterlässt ihr so viel Geld, dass sie die Kneipenschulden tilgen kann. Außerdem erbt sie ein Haus in der Eifel, das sie übernimmt und in eine Pension verwandelt. Doch Domenica fühlt sich einsam in der Provinz, zumal sie von vielen Bewohnern des Dorfes geschnitten wird. Inzwischen schwer krank, verkauft sie 2008 ihr Haus weit unter Wert und kehrt nach St. Pauli zurück, wo sie eine 50-Quadratmeter-Sozialwohnung bezieht. „Ich paffe zwei Schachteln am Tag, hab' Diabetes und hab's mit den Bronchien", sagt sie. „Aber egal, Hauptsache, ich bin wieder zu Hause. Hier auf`m Kiez bleibe ich jetzt für immer.“ Domenica hat Pläne. Sie will einen Trödelladen eröffnen und beginnt auch gleich damit, in ihrer Wohnung Ware zu sammeln. Auch eine neue Biografie will sie schreiben und bittet einige Freunde darum, ihr zu helfen: darunter Günter Zint, die Journalistin Peggy Parnass und „Emma“ Chefredakteurin Alice Schwarzer. Aber fertig wird das Buch nie.

2008 nimmt Domenica noch mal an einer Fernseh-Kochshow teil: „Das perfekte Promi-Dinner" bei Vox. Allerdings wird die Folge erst am 15. Februar 2009 ausgestrahlt. Zu spät. Jedenfalls für Domenica - denn da ist sie bereits drei Tage tot. Anfang Februar 2009 ist sie mit starken Kreislauf-beschwerden ins AK Altona eingeliefert worden, wo sie schließlich an den Folgen einer chronischen Bronchitis stirbt.

„Als ich mich zwei Tage nach ihrem Tod bei der Krankenhausverwaltung erkundigte, was nun mit Domenica geschehen soll, bekam ich die Auskunft, Dass das Sozialamt eingeschaltet würde, um ein anonymes Begräbnis zu organisieren", erzählt Günter Zint. „Das wollte ich nicht zulassen." Zint, ein Mann, der Freunde niemals im Stich lässt und sogar noch nach dem Tod für sie da ist, organisiert daraufhin den Trauermarsch und sorgt dafür, dass Domenica auf dem Ohlsdorfer Friedhof im „Garten der Frauen" beigesetzt wird, gleich neben Theaterintendantin Gerda Gmelin. Zint ist es auch, der vom Gericht beauftragt wird, Domenicas Nachlass zu regeln.

Übrigens: 2002 ist das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten" in Kraft getreten, das die rechtliche Diskriminierung von Huren beendet. Sie haben seither Anspruch auf Arbeitsverträge, auf Zugang zu Kranken-, Renten- und Sozialversicherung und auf ihren Lohn. Freier, die nicht zahlen, können verklagt werden. Dafür hat Domenica ihr ganzes Leben gekämpft.

In Altona ist eine kleine Straße, die Domenica-Niehoff-Twiete, nach Deutschlands berühmtester
Hure benannt. Mancher findet, ein Mensen so gut, mitfühlend, hilfsbereit und aufopferungsvoll wle sie hätte eigentlich eine Allee verdlent.
Welches Problem auch immer in der Gesellschaft besteht-
der Staat weiss eine völlig irre Problemlösung die niemandem nützt, aber Arbeitsplätze im Beamtenapparat schafft. H.S.

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Re: MOPO Hamburg, 80 Jahre Domenica Niehoff

Beitrag von Zwerg »

Unser letzter Gruß an sie!
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Re: MOPO Hamburg, 80 Jahre Domenica Niehoff

Beitrag von Veraguas »

Oh wie schön.
Und danke an die liebe Community!
Welches Problem auch immer in der Gesellschaft besteht-
der Staat weiss eine völlig irre Problemlösung die niemandem nützt, aber Arbeitsplätze im Beamtenapparat schafft. H.S.