SWR1, 30.9.2013
Zum Nachhören:
http://www.swr.de/swr1/bw/programm/leut ... index.html
Constabel spricht über:
- die Verlagerung selbständig/selbstbewusster Prostitution zur Armutsprostitution
- die Überforderung junger osteropäischer Frauen (ohne Sprache, ohne Erfahrung mit Sexualität, ohne Erfahrung mit Prostitution...)
- formale Freiwilligkeit ohne existentielle Freiwilligkeit
- das Prostitutionsgesetz
- das aktuelle Gesetz zur Prostitution und Menschenhandel
- Kondompflicht
- das aussterbende Modell selbstbewusster Frauen mit Langzeiterfahrung im P6
- die Verarmung in der Prostitution
- das schwedische Modell
- die Frage, ob Sexualität Ware sein kann
Radiogespräch mit Sabine Constabel
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RE: Radiogespräch mit Sabine Constabel
Na, dann gebe ich noch meinen Kommentar dazu:
Nicht Constabels Beschreibungen sind das Problem.
Ein Problem ist - wenn man von einem Problem der Sendung reden will - der Gesprächspartner. Der Moderator Wolfgang Heim ist im Südwesten der Republik überaus beliebt. Ein empathischer Typ, dem die Hörer gern ihr Herz ausschütten, der eine besondere Nähe herstellen kann, der Verständnis hat und die Welt mit ihren Schicksalen erklären kann.
In dieser Sendung läuft er vor Mitleid fast über. Er übernimmt die Rolle des emotionalen Verstärkers der "sachlich-professionellen" Auskünfte der Sozialarbeiterin. Sein moralisches Entsetzen über die abgründigen Lebenswelten von Sexarbeitern und Freiern schreit aus jedem sonor intoniertem Satz. Er vervollständigt die begonnenen Sätze Constabels mit emotional-wertenden Worten. Er hätte die Sendung genauso gut einleiten können mit: "Liebe Hörer, es tut mir leid, dass ich Sie heute mit ekligen Dingen belästige. Aber hinterher wissen wir wenigstens wieder, warum wir auf der Seite der Moral und der Guten sind."
Eine journalistisch-kritische Haltung gegenüber seiner Gesprächspartnerin gibt es nicht.
Ein Problem der Sendung ist das Bild des Freiers. Skrupellose Männer, die der Meinung sind, dass sie als Zahlende das Recht haben, ihren Anspruch bis an die legitime Grenze des Geld-Waren-Tauschs einfordern zu können - und vielleicht noch ein bisschen darüber hinaus. Männer, die glauben, als Zahlende weniger Achtsamkeit, Empathie und Rücksicht nehmen zu müssen als in ihren Beziehungen. Es ist Heim, der dieses Thema eröffnet und so tut, als wäre ihm - als Mann - jede Vorstellung von einvernehmlichem Sex mit einer Prostituierten fremd und eine enthemmte Sexualität sowieso abartig. Ein Freier sucht "ein Stück Fleisch mit einem Loch."
Constabel hat an diesen Bildern eigentlich wenig Interesse. Sie sagt: "Freier kenne ich nicht so gut." Sie hat einen Begriff von struktureller Gewalt, kriminalisiert aber die Freier nicht grundsätzlich oder durchgehend. Das Thema "Freierbestrafung" wird von Heim eröffnet. Constabel stimmt dem Vorschlag dann zu, aber dies hat bei ihr dann doch noch einen anderen Zungenschlag als z. B. bei Schwarzer. Constabel denkt pragmatisch als Sozialarbeiterin. Die Verschiebungen auf dem Markt der Prostitution sind so stark, dass die Sexarbeiterinnen dabei unter die Räder kommen. Das ehemals ausbalancierte System ist beschädigt.
Was Constabel beschreibt, ist viel subtiler als bloße Moral. Es ist die Überforderung der Sexarbeiterinnen in einem Setting realer Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit. Man(n) versteht, dass es nicht kriminelle Ungeheuer sein müssen, die den Frauen Bauchweh verursachen und sie in Depression und Traumata stürzen, sondern dass es die endlos erscheinende Reihung von "normalen" Kunden mit immer gleichen körperlich-seelischen Ansprüchen und Zumutungen ist, die Sprachlosigkeit, das Hineingeworfensein ohne Vorbereitung und ohne Rückhalt.
Hier erzeugt Constabel auch in mir als Hörer eine traurige Wut - auf gesellschaftliche Lebenswelten und familiäre Milieus, die es nicht schaffen, ihre Kinder und Jugendlichen mit Selbstbewusstsein und Bildung auszustatten, aber als Familienrat darüber entscheiden, dass ihre Achtzehnjährigen unvorbereitet sich prostituieren sollen - so lange, wie sie können und rentabel sind und dann ausgetauscht werden müssen.
Constabels soziologische Beschreibungen sind in aller Kürze ausreichend differenziert. Sie spricht in diesen Zusammenhängen nicht von "Zwangsprostitution", sondern von "Armutsprostitution".
Hier im Forum wurde zu Constabel angemerkt, dass es unter Sexarbeitern, die mit ihr in Kontakt kamen, starke Vorbehalte und Kritik an ihrer konkreten Arbeitsweise gibt. Scheint da etwas davon durch, als Constabel erzählt, wie sich Frauen im Cafe "La Strada" von ihr "verschämt" abwendeten?
Und dass eine Sabine Constabel ihre Erfahrungen in einem besonders belasteten Segment der Sexarbeit macht, liegt auf der Hand. Aber es ist ein bisschen wie bei den merkwürdigen statistischen Zahlenspielen: Als jemand, der ein bisschen Erfahrung mit Paysex hat und glaubt nicht ganz blind durch die Welt zu gehen, fragt man sich dann doch, woher eigentlich die selbstbewussten, taffen, lebensfähigen, kommunikativen, einfühlsamen Frauen (Einheimische und Migrantinnen) kommen, die man in den großen Clubs und Bordellen trifft und die doch angeblich praktisch ausgestorben seien...
Nicht Constabels Beschreibungen sind das Problem.
Ein Problem ist - wenn man von einem Problem der Sendung reden will - der Gesprächspartner. Der Moderator Wolfgang Heim ist im Südwesten der Republik überaus beliebt. Ein empathischer Typ, dem die Hörer gern ihr Herz ausschütten, der eine besondere Nähe herstellen kann, der Verständnis hat und die Welt mit ihren Schicksalen erklären kann.
In dieser Sendung läuft er vor Mitleid fast über. Er übernimmt die Rolle des emotionalen Verstärkers der "sachlich-professionellen" Auskünfte der Sozialarbeiterin. Sein moralisches Entsetzen über die abgründigen Lebenswelten von Sexarbeitern und Freiern schreit aus jedem sonor intoniertem Satz. Er vervollständigt die begonnenen Sätze Constabels mit emotional-wertenden Worten. Er hätte die Sendung genauso gut einleiten können mit: "Liebe Hörer, es tut mir leid, dass ich Sie heute mit ekligen Dingen belästige. Aber hinterher wissen wir wenigstens wieder, warum wir auf der Seite der Moral und der Guten sind."
Eine journalistisch-kritische Haltung gegenüber seiner Gesprächspartnerin gibt es nicht.
Ein Problem der Sendung ist das Bild des Freiers. Skrupellose Männer, die der Meinung sind, dass sie als Zahlende das Recht haben, ihren Anspruch bis an die legitime Grenze des Geld-Waren-Tauschs einfordern zu können - und vielleicht noch ein bisschen darüber hinaus. Männer, die glauben, als Zahlende weniger Achtsamkeit, Empathie und Rücksicht nehmen zu müssen als in ihren Beziehungen. Es ist Heim, der dieses Thema eröffnet und so tut, als wäre ihm - als Mann - jede Vorstellung von einvernehmlichem Sex mit einer Prostituierten fremd und eine enthemmte Sexualität sowieso abartig. Ein Freier sucht "ein Stück Fleisch mit einem Loch."
Constabel hat an diesen Bildern eigentlich wenig Interesse. Sie sagt: "Freier kenne ich nicht so gut." Sie hat einen Begriff von struktureller Gewalt, kriminalisiert aber die Freier nicht grundsätzlich oder durchgehend. Das Thema "Freierbestrafung" wird von Heim eröffnet. Constabel stimmt dem Vorschlag dann zu, aber dies hat bei ihr dann doch noch einen anderen Zungenschlag als z. B. bei Schwarzer. Constabel denkt pragmatisch als Sozialarbeiterin. Die Verschiebungen auf dem Markt der Prostitution sind so stark, dass die Sexarbeiterinnen dabei unter die Räder kommen. Das ehemals ausbalancierte System ist beschädigt.
Was Constabel beschreibt, ist viel subtiler als bloße Moral. Es ist die Überforderung der Sexarbeiterinnen in einem Setting realer Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit. Man(n) versteht, dass es nicht kriminelle Ungeheuer sein müssen, die den Frauen Bauchweh verursachen und sie in Depression und Traumata stürzen, sondern dass es die endlos erscheinende Reihung von "normalen" Kunden mit immer gleichen körperlich-seelischen Ansprüchen und Zumutungen ist, die Sprachlosigkeit, das Hineingeworfensein ohne Vorbereitung und ohne Rückhalt.
Hier erzeugt Constabel auch in mir als Hörer eine traurige Wut - auf gesellschaftliche Lebenswelten und familiäre Milieus, die es nicht schaffen, ihre Kinder und Jugendlichen mit Selbstbewusstsein und Bildung auszustatten, aber als Familienrat darüber entscheiden, dass ihre Achtzehnjährigen unvorbereitet sich prostituieren sollen - so lange, wie sie können und rentabel sind und dann ausgetauscht werden müssen.
Constabels soziologische Beschreibungen sind in aller Kürze ausreichend differenziert. Sie spricht in diesen Zusammenhängen nicht von "Zwangsprostitution", sondern von "Armutsprostitution".
Hier im Forum wurde zu Constabel angemerkt, dass es unter Sexarbeitern, die mit ihr in Kontakt kamen, starke Vorbehalte und Kritik an ihrer konkreten Arbeitsweise gibt. Scheint da etwas davon durch, als Constabel erzählt, wie sich Frauen im Cafe "La Strada" von ihr "verschämt" abwendeten?
Und dass eine Sabine Constabel ihre Erfahrungen in einem besonders belasteten Segment der Sexarbeit macht, liegt auf der Hand. Aber es ist ein bisschen wie bei den merkwürdigen statistischen Zahlenspielen: Als jemand, der ein bisschen Erfahrung mit Paysex hat und glaubt nicht ganz blind durch die Welt zu gehen, fragt man sich dann doch, woher eigentlich die selbstbewussten, taffen, lebensfähigen, kommunikativen, einfühlsamen Frauen (Einheimische und Migrantinnen) kommen, die man in den großen Clubs und Bordellen trifft und die doch angeblich praktisch ausgestorben seien...
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Polarisierte Prostitutionsdebatte
Danke für das Einstellen der Medienquelle in direkter Verbindung mit einem Kommentar und kritischer Würdigung. Das sollten wir verstärkt so handhaben, wo es unsere Zeit und Ressourcen zuläßt. Schließlich sind wir hier kein Protal, was prostitutionsfeindliche Berichte der Kampagnen-Presse auch noch spiegeln *LOL* und vervielfältigen will.
Meine Anmerkungen:
Ihre 22jährige Erfahrung ist schon eindrucksvoll, da können wenige Sexworker und Sexworker-Rechte-Aktivisten mithalten. Das ist auch ein strukturelles Marktungleichgewicht. Auch hier liegt eine Form von struktureller Ausbeutung vor, sie ist systemisch bedingt! Das sichert den Institutionen einen Wissensvorsprung, der uns Sexworkern niemals möglich sein wird. Wie wir in solchen Debatten merken, wird dieser Wissensvorsprung dann gegen unsere Branche instrumentalisiert.
Am Ende des Interview erzählt sie dann doch noch von über 60jährigen deutschen Sexworkern, die sie aus ihrer Anfangsjahren kennt, die sich zumindest ein Zubrot in der Prostitution verdienen. Aber die sind für uns nicht sichtbar. Das ist die Wirkung der vielschichtigen Stigmatisierungen: Prostitutionsstigmatisierung & Altersdiskriminierung & Armutsstigmatisierung.
Dann gibt sie auch einen seltenen Einblick in Sexworker-Gesamtkarrieren und dass sie meist mit Schuldnerberatung statt mit Vermögensberatung enden.
Eine Vermögens-Aufbau-Beratung organisiere ich hier unter Sicherheitstipps im Sexworker Forum www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=1297 (PDF) weil ich irgendwie ahne was Constabel schildert und nicht sehe, dass bisher genug getan wird um solche Fehlentwicklungen wirkungsvoll entgegenzutreten. Das Thema muß Teil der Einstiegsberatung und des Business-Plans www.bit.ly/businessplan-sexwork werden.
Sabine Constabel benutzt den Begriff Zuhälter ohne definierende Anmerkung, weil sie Prostitutionsgegnerin ist, die für ihre Klientinnen Partei ergreift (dies ist z.B. eine mögliche Anmerkung: "Drittparteien Sexwork" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=130972#130972 ). Dann aber benutzt sie Adjektive zur Unterscheidung: parasitäre Zuhälter. Auch packt sie die Reisebegleiter und oftmals Familienangehörigen der osteuropäischen Frauen und die Betreiber der Bordelle in Deutschland beide zusammen in die eine Kategorie Zuhälter, was nicht gerade zur Versachlichung der hochkomplexen Prostitutionsdebatte beiträgt. Das sind demagogische Strategien (Sophismus).
Die Ursache der Problematik der Armutsprostitutiton liegt begründet in dem Wohlstandsgefälle und Kulturunterschieden zwischen den beteiligten Volkswirtschaften bei dieser informellen Migration: armer Süden, reicher Norden.
Z.B. Bildung: Analphabeten, keine Wissen um STI-Verhütung mit Kondomen. Schwangerschaftsverhütung traditionell über heimlich allein durchgeführte Abtreibung etc. Das ist für hier akademisch ausgebildete Sozialarbeiter verständlicherweise ein Kulturschock und unerträglicher Zustand.
Dass die Herkunftsfamilienclans ihre Mädchen angeblich bis sie nicht mehr können herschicken und dann wenn es so weit ist dass sie nicht mehr können einfach austauschen gegen die Schwester klingt hart, als wären die Familien dort alle Zuhälter. Es ist m.E. unsere Perspektive einer Fremdbeschreibung von Ausländern und fremden Kulturen, ohne dass wir die Menschen wirklich angehört haben oder ihre Lebensweisen kennengelernt haben. Dabei sind es Familiensituationen und Lebensweisen in Ghettos, für die eine solche Lebenshärte teilweise selbstverständlicher Alltag ist. Ich unterstelle diesen Familien die gleiche Führsorge und Liebe, wenn auch im Rahmen ihrer geringeren Möglichkeiten und ärmeren Verhältnisse, wie auch bei unseren Familien in Deutschland.
Unsere Eltern schicken uns in die Schule und zum Militär, damit wir für die Nachfrage der Jobs in der Industrie abgerichtet werden, die die Umwelt und 3.Welt ausbeuten. Unsere Großeltern haben ihre Kinder bis nach Russland geschickt. Noch etwas länger her ist die unsägliche Tradition der "Schwabenkinder". Das ist auch zu hinterfragen. Auch wenn ich zugebe, das ist Wohlstandskritik auf sehr hohem Niveau.
Aber dieser Niveauunterschied ist es letztlich der die Probleme erst schafft, und der dann berechtigterweise kritisiert wird ohne zu merken dass er zu Ausländerfeindlichkeit und Rassismus entarten kann, wenn nicht differenziert wird und die Kontextunterschiede berücksichtigt werden.
Zweifelsohne ist es ein Versäumnis der zumeist ungeregelten, da ausgegrenzten Prostitution, nicht dafür prädestiniert zu sein solch einen Kultur-Clash zwischen Nord und Süd sanft auffangen und abmildern zu können. Das wäre etwa möglich, wenn die osteuropäischen Mädchen zu uns kommen und hier studieren könnten. Z.B. in einer Sexworker-Akademie, bevor sie Sexworker werden. *Visionsmodus aus*
Dass die "Osteuropäerinnen alles machen was die Freier wünschen", kann man auch als Geschäftstüchtigkeit interpretieren. Ältere Sexworker mit weniger Marktmacht handeln in derselben Logik. Es gilt für Wanderarbeiter in vielen Branchen. Sowohl die Gewöhnung, als auch ihre Sexworkerfahrung ermöglicht ihnen solche Überlebensstrategien. Zu untersuchen sind die "Coping-Strategien", wie es Unterpriviligierte wie Sexworker oder alte oder ausländische Sexworker dennoch schaffen zu überleben oder gar wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Hier muß also genauer bilanziert werden. Wer einige Jahre vorgeblich "alle Freierwünsche erfüllt hat" (als Teil der Inszenierungskunst Sexwork) und dann in der Heimat ein Haus für die Großfamilie bauen konnte und auch gesund geblieben ist, für den ist die Migration zweifelsohne erfolgreich verlaufen. Wie kommt es, dass wir so wenig wissen von erfolgreichen Migrationsprojekten. Zweifelsohne wirkt hier das Geld-Tabu und die Tatsache, dass wir als Deutsche nicht die Internas aus den Sexworker- und Migrantennetzwerken der Südeuropäer erfahren. Rosa von Praunheim hat in seiner Doku über Stricher in Berlin auch diese Seite zeigen können.
"Dissoziation" und "Drogenkonsum" werden angesprochen. Aber sind das nicht in allen Bereichen einer entfremdeten Lebenswirklichkeit verbreiterte Handlungsweisen, die der entgrenzte globalisierte Kapitalismus von den Menschen fordert?
Diese Phänomene verstärkt bei den ausländischen Prostituierten wahrzunehmen kann auch als Berufsstands-Marketing für öffentlich finanzierte Sozialarbeitsprojekte und zugleich auch als Ausländer- und Prostitutionsfeindlichkeit ausgelegt werden. Denn es konstruiert die Prostitution insgesamt in einer unzulässigen Weise, weil es nur auf einen Teil zutrifft, über dessen Größe kaum Zahlen vorliegen. www.bit.ly/bkazahlen
So argumentieren kann Constabel nur, weil sie die fundamentalistischen Gedankenfiguren der feministischen Prostitutionsgener verinnerlicht hat: "Ware Frau", "Frauen kaufen" etc.
So lässt sich Sabine Constabel verlocken und instrumentalisieren nach mehr Überwachungsstaat zu rufen: "Den Frauen ist gedient, wenn die Polizei kontrolliert. Das Gesetz hat keine Schutzmechanismen für die Frauen. Es gibt so gut wie keine Auflagen".
Das ist im Sinne der Stuttgarter Polizeistrategie. Schließlich gibt es dort die Sondereinheit der Polizei, die alle Sexworker registriert und somit müssen alle volljährig und 18 Jahre alt sein. (Nicht von der Polizei registrierte Sexworker müssen über 21 Jahre alt sein, um nicht vom Strafgesetz als Menschenhandelsopfer definiert zu werden!!!)
www.sexworker.at/prostg
Kondompflicht in Bayern www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=22584#22584 gibt es nicht in Baden-Württemberg.
Angeblich helfe so eine Zwangs-Kondom-Prostitutions-Regelung den Sexworkern bei der Durchsetzung von Kondomgebrauch. Das ist aber fraglich, ob das so auch generell gilt. Empirische Untersuchungen sind notwendig!!! Die BZgA hat die empirischen Beweise, dass Freiwilligkeit besser wirkt !!! Wir wissen gerade auch aus Bayern oder Österreich (Wien), wo Freier glauben Sexworker seien keimfrei, aufgrund solcher Gesetze wie z.B. regelmäßige Zwangsuntersuchungen nur der Frauen, dass viel mehr Nachfrage nach Ohne-Service erfolgt.
Meine Folgerung daher die Sexworker mehr zu trainieren, selbständig und ohne Verweis auf Gesetzesautorität die Kondomanwendung durchzusetzen www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17196#17196 SW only. Wenn Sexworker so argumentieren, frage ich mich immer, ob sie nur das sagen, was ihnen Sozialarbeiter in den Mund gelegt haben, oder ob sie froh sind Argumente von der Gesellschaft vorformuliert zu bekommen, mit der sie sich entlasten können. Die Opfer-Logik ist auch ein potentieller Rettungsanker für strukturell überforderte Sexworker-Migrant_innen.
Constabel fordert Schutz gegen den Markt. Von Merkel hören wir dauernd, die Politik muß so handeln, dass die Märkte beruhigt werden. Was ist denn nun die richtige ökonomisch-politische Konzeption? *LOL*
Meine Anmerkungen:
Ihre 22jährige Erfahrung ist schon eindrucksvoll, da können wenige Sexworker und Sexworker-Rechte-Aktivisten mithalten. Das ist auch ein strukturelles Marktungleichgewicht. Auch hier liegt eine Form von struktureller Ausbeutung vor, sie ist systemisch bedingt! Das sichert den Institutionen einen Wissensvorsprung, der uns Sexworkern niemals möglich sein wird. Wie wir in solchen Debatten merken, wird dieser Wissensvorsprung dann gegen unsere Branche instrumentalisiert.
Am Ende des Interview erzählt sie dann doch noch von über 60jährigen deutschen Sexworkern, die sie aus ihrer Anfangsjahren kennt, die sich zumindest ein Zubrot in der Prostitution verdienen. Aber die sind für uns nicht sichtbar. Das ist die Wirkung der vielschichtigen Stigmatisierungen: Prostitutionsstigmatisierung & Altersdiskriminierung & Armutsstigmatisierung.
Dann gibt sie auch einen seltenen Einblick in Sexworker-Gesamtkarrieren und dass sie meist mit Schuldnerberatung statt mit Vermögensberatung enden.
Eine Vermögens-Aufbau-Beratung organisiere ich hier unter Sicherheitstipps im Sexworker Forum www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=1297 (PDF) weil ich irgendwie ahne was Constabel schildert und nicht sehe, dass bisher genug getan wird um solche Fehlentwicklungen wirkungsvoll entgegenzutreten. Das Thema muß Teil der Einstiegsberatung und des Business-Plans www.bit.ly/businessplan-sexwork werden.
Sabine Constabel benutzt den Begriff Zuhälter ohne definierende Anmerkung, weil sie Prostitutionsgegnerin ist, die für ihre Klientinnen Partei ergreift (dies ist z.B. eine mögliche Anmerkung: "Drittparteien Sexwork" www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=130972#130972 ). Dann aber benutzt sie Adjektive zur Unterscheidung: parasitäre Zuhälter. Auch packt sie die Reisebegleiter und oftmals Familienangehörigen der osteuropäischen Frauen und die Betreiber der Bordelle in Deutschland beide zusammen in die eine Kategorie Zuhälter, was nicht gerade zur Versachlichung der hochkomplexen Prostitutionsdebatte beiträgt. Das sind demagogische Strategien (Sophismus).
Die Ursache der Problematik der Armutsprostitutiton liegt begründet in dem Wohlstandsgefälle und Kulturunterschieden zwischen den beteiligten Volkswirtschaften bei dieser informellen Migration: armer Süden, reicher Norden.
Z.B. Bildung: Analphabeten, keine Wissen um STI-Verhütung mit Kondomen. Schwangerschaftsverhütung traditionell über heimlich allein durchgeführte Abtreibung etc. Das ist für hier akademisch ausgebildete Sozialarbeiter verständlicherweise ein Kulturschock und unerträglicher Zustand.
Dass die Herkunftsfamilienclans ihre Mädchen angeblich bis sie nicht mehr können herschicken und dann wenn es so weit ist dass sie nicht mehr können einfach austauschen gegen die Schwester klingt hart, als wären die Familien dort alle Zuhälter. Es ist m.E. unsere Perspektive einer Fremdbeschreibung von Ausländern und fremden Kulturen, ohne dass wir die Menschen wirklich angehört haben oder ihre Lebensweisen kennengelernt haben. Dabei sind es Familiensituationen und Lebensweisen in Ghettos, für die eine solche Lebenshärte teilweise selbstverständlicher Alltag ist. Ich unterstelle diesen Familien die gleiche Führsorge und Liebe, wenn auch im Rahmen ihrer geringeren Möglichkeiten und ärmeren Verhältnisse, wie auch bei unseren Familien in Deutschland.
Unsere Eltern schicken uns in die Schule und zum Militär, damit wir für die Nachfrage der Jobs in der Industrie abgerichtet werden, die die Umwelt und 3.Welt ausbeuten. Unsere Großeltern haben ihre Kinder bis nach Russland geschickt. Noch etwas länger her ist die unsägliche Tradition der "Schwabenkinder". Das ist auch zu hinterfragen. Auch wenn ich zugebe, das ist Wohlstandskritik auf sehr hohem Niveau.
Aber dieser Niveauunterschied ist es letztlich der die Probleme erst schafft, und der dann berechtigterweise kritisiert wird ohne zu merken dass er zu Ausländerfeindlichkeit und Rassismus entarten kann, wenn nicht differenziert wird und die Kontextunterschiede berücksichtigt werden.
Zweifelsohne ist es ein Versäumnis der zumeist ungeregelten, da ausgegrenzten Prostitution, nicht dafür prädestiniert zu sein solch einen Kultur-Clash zwischen Nord und Süd sanft auffangen und abmildern zu können. Das wäre etwa möglich, wenn die osteuropäischen Mädchen zu uns kommen und hier studieren könnten. Z.B. in einer Sexworker-Akademie, bevor sie Sexworker werden. *Visionsmodus aus*
Dass die "Osteuropäerinnen alles machen was die Freier wünschen", kann man auch als Geschäftstüchtigkeit interpretieren. Ältere Sexworker mit weniger Marktmacht handeln in derselben Logik. Es gilt für Wanderarbeiter in vielen Branchen. Sowohl die Gewöhnung, als auch ihre Sexworkerfahrung ermöglicht ihnen solche Überlebensstrategien. Zu untersuchen sind die "Coping-Strategien", wie es Unterpriviligierte wie Sexworker oder alte oder ausländische Sexworker dennoch schaffen zu überleben oder gar wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Hier muß also genauer bilanziert werden. Wer einige Jahre vorgeblich "alle Freierwünsche erfüllt hat" (als Teil der Inszenierungskunst Sexwork) und dann in der Heimat ein Haus für die Großfamilie bauen konnte und auch gesund geblieben ist, für den ist die Migration zweifelsohne erfolgreich verlaufen. Wie kommt es, dass wir so wenig wissen von erfolgreichen Migrationsprojekten. Zweifelsohne wirkt hier das Geld-Tabu und die Tatsache, dass wir als Deutsche nicht die Internas aus den Sexworker- und Migrantennetzwerken der Südeuropäer erfahren. Rosa von Praunheim hat in seiner Doku über Stricher in Berlin auch diese Seite zeigen können.
"Dissoziation" und "Drogenkonsum" werden angesprochen. Aber sind das nicht in allen Bereichen einer entfremdeten Lebenswirklichkeit verbreiterte Handlungsweisen, die der entgrenzte globalisierte Kapitalismus von den Menschen fordert?
Diese Phänomene verstärkt bei den ausländischen Prostituierten wahrzunehmen kann auch als Berufsstands-Marketing für öffentlich finanzierte Sozialarbeitsprojekte und zugleich auch als Ausländer- und Prostitutionsfeindlichkeit ausgelegt werden. Denn es konstruiert die Prostitution insgesamt in einer unzulässigen Weise, weil es nur auf einen Teil zutrifft, über dessen Größe kaum Zahlen vorliegen. www.bit.ly/bkazahlen
So argumentieren kann Constabel nur, weil sie die fundamentalistischen Gedankenfiguren der feministischen Prostitutionsgener verinnerlicht hat: "Ware Frau", "Frauen kaufen" etc.
So lässt sich Sabine Constabel verlocken und instrumentalisieren nach mehr Überwachungsstaat zu rufen: "Den Frauen ist gedient, wenn die Polizei kontrolliert. Das Gesetz hat keine Schutzmechanismen für die Frauen. Es gibt so gut wie keine Auflagen".
Das ist im Sinne der Stuttgarter Polizeistrategie. Schließlich gibt es dort die Sondereinheit der Polizei, die alle Sexworker registriert und somit müssen alle volljährig und 18 Jahre alt sein. (Nicht von der Polizei registrierte Sexworker müssen über 21 Jahre alt sein, um nicht vom Strafgesetz als Menschenhandelsopfer definiert zu werden!!!)
www.sexworker.at/prostg
Kondompflicht in Bayern www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=22584#22584 gibt es nicht in Baden-Württemberg.
Angeblich helfe so eine Zwangs-Kondom-Prostitutions-Regelung den Sexworkern bei der Durchsetzung von Kondomgebrauch. Das ist aber fraglich, ob das so auch generell gilt. Empirische Untersuchungen sind notwendig!!! Die BZgA hat die empirischen Beweise, dass Freiwilligkeit besser wirkt !!! Wir wissen gerade auch aus Bayern oder Österreich (Wien), wo Freier glauben Sexworker seien keimfrei, aufgrund solcher Gesetze wie z.B. regelmäßige Zwangsuntersuchungen nur der Frauen, dass viel mehr Nachfrage nach Ohne-Service erfolgt.
Meine Folgerung daher die Sexworker mehr zu trainieren, selbständig und ohne Verweis auf Gesetzesautorität die Kondomanwendung durchzusetzen www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17196#17196 SW only. Wenn Sexworker so argumentieren, frage ich mich immer, ob sie nur das sagen, was ihnen Sozialarbeiter in den Mund gelegt haben, oder ob sie froh sind Argumente von der Gesellschaft vorformuliert zu bekommen, mit der sie sich entlasten können. Die Opfer-Logik ist auch ein potentieller Rettungsanker für strukturell überforderte Sexworker-Migrant_innen.
Constabel fordert Schutz gegen den Markt. Von Merkel hören wir dauernd, die Politik muß so handeln, dass die Märkte beruhigt werden. Was ist denn nun die richtige ökonomisch-politische Konzeption? *LOL*
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Re: RE: Radiogespräch mit Sabine Constabel

Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass diese "endlos erscheinende Reihung" bei der Sexarbeit besonders anstrengend ist. Aber wenn man bei dieser Arbeit nicht die einzelne Dienstleistung an einem Kunden, sondern die Gesamtanzahl der Dienstleistungen betrachtet, dann muss man das bei allen anderen Erwerbstätigkeiten auch tun. Es steht doch fest, dass auch in anderen Berufen viele Menschen unglücklich sind, sowohl wegen der Tätigkeit an sich als auch wegen der endlos scheinenden Wiederholungen der Tätigkeit. Aber dort scheint das kaum jemanden zu interessieren, sondern wird als wirtschaftliche Notwendigkeit hingenommen. Menschen müssen unabhängig davon, wie glücklich oder unglücklich sie dabei werden, alle möglichen von der Arbeitsagentur vermittelten Jobs annehmen, um nicht selbst die notwendigsten Sozialleistungen zu verlieren. Nur die Sexarbeiterinnen, die müssen unbedingt vor einem miesen Job gerettet werden, ob sie wollen oder nicht. Ich halte das für Doppelmoral.lust4fun hat geschrieben:sondern dass es die endlos erscheinende Reihung von "normalen" Kunden mit immer gleichen körperlich-seelischen Ansprüchen und Zumutungen ist, die Sprachlosigkeit, das Hineingeworfensein ohne Vorbereitung und ohne Rückhalt.
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RE: Radiogespräch mit Sabine Constabel
Doppelmoral?
Ich glaube, es gibt kein anderes Standard-Muster-Argument, das hier und in anderen Kreisen der Sexworkdebatte so häufig angeführt wird wie dieses: Dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit in einem allgemeineren Kontext von real-gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen gesehen werden sollten. Das ist ein Gedanke der Logik, der Gerechtigkeit, der "Normalisierung" und der Kritik der Erkenntnisinteressen.
Ich habe das Argument auch verinnerlicht und werde es anführen, wo es mir sinnvoll erscheint. Aber für mich kippt da langsam etwas, und ich merke, dass ich zunehmend "genervt" reagiere, wo dieses Argument vorgebracht wird. Weil es so reflexhaft geschieht und auch, weil es immer mit dem Vorwurf der "Doppelmoral" verknüpft ist.
Du (Fragender) zitierst - zunächst zustimmend - meinen Satz, endest dann aber mit dem Fazit der "Doppelmoral". Nun wird das nicht in erster Linie auf mich gemünzt sein, sondern hauptsächlich auf Sabine Constabel. Oder auch auf die nicht, weil es dann ganz global wird mit "kaum jemand". Irgendwie sind es dann letztlich alle, die überhaupt etwas sagen, denn niemand kann die Ganzheit des Sozialen und des Universums in einer Rede unterbringen. Wir reden alle in Kontexten (Ausschnitten), egal in welchen Lagern wir stehen. Die Forderung "Wer A sagt, muss auch B sagen" klingt so weise, kann aber auch unsenibel und borniert sein. A ist nicht automatisch falsch, wenn B nicht gesagt wird.
Da ich mich nun mal gedanklich und schreibend an der P6-Debatte beteilige, nehme ich mir heraus, eine besondere Belastung der Sexarbeiterinnen zu beschreiben, wenn ich sie wahrnehme. Auch ohne gleichzeitig von den wahnsinnigen Bedingungen der Arbeiter im Schlachthof zu reden. Ich nehme die auch nicht "einfach hin". Ich habe dazu nur momentan nichts zu sagen. Sie interessieren mich auch, ehrlich gesagt, gerade nicht besonders. Constabel geht ihrem Beruf nach und tut ihre Arbeit ebenso kontextbezogen, ohne gleich die ganze Welt zu retten.
Mit "Doppelmoral" hat das nichts zu tun.
Es ist die politische Aufgabe, verschiedene soziale Gesichtspunkte, Notwendigkeiten und Interessen zusammenzuführen. Wer Gesetze zu verantworten hat, hat die Pflicht, umfassend, gerecht und "kantianisch" zu denken und zu entscheiden. Aber nicht jeder, der auf seinem Gebiet engagiert und parteiisch ist, hat eine Doppelmoral.
Politologisch gesprochen, wirft man nicht einmal den Lobbyisten in den Parlamentshallen "Doppelmoral" vor, wenn sie "richtige" Argumente einseitig stark machen.
Ich finde meine von dir zitierte Formulierung recht gelungen. Ich tue es im Bewusstsein, Freier zu sein und in dem Versuch so zu reden, dass die Besprochenen und Betroffenen sich darin wiederfinden und mir zustimmen können.
Inhaltlich ist dir vielleicht meine subtil paradoxe Einbettung des zitierten Gedankens in den Zusammenhang des Freier-Seins und des Freierbildes in unserer Gesellschaft entgangen. Die Analyse, dass nicht die "Kriminalität", sondern die "Normalität" das Problem sein kann, beinhaltet in meiner Sicht ungemein viel Sprengstoff für die Debatte. Gerade deshalb habe ich vesucht, diesen Gedanken vor der Moralkeule zu schützen.
Und ja, die realen Erfahrungen sind viel differenzierter. Die Sexworkerinnen, die ich so gut kenne, dass ich mir erlauben kann über sie zu reden, leben anders. Sie klagen nicht über diese "Reihung", sondern freuen sich über den "Run", wenn es ihn einmal gibt. Sie klagen über das sinnlose Warten und Herumsitzen. Aber das sind auch nicht die Frauen, die im "La Strada" ein bisschen Wärme, Verständnis oder Hilfe suchen.
Es geht auch nicht nur um die Richtigkeit eines einzelnen Gedankens. Es kommt auch darauf an, wer in welcher Rolle redet. Ich lese scharfe und kritische Analysen von Marc oder von fraences und anderen sehr gern und ohne Probleme. Aber ich bin empfindlicher, wenn meine Freier-Kollegen so "souverän" eine quasi-unangreifbare Position einnehmen. Ich muss mich schon etwas bremsen, um in deinem Statment (Fragender - als "Kunde") nicht die Botschaft zu hören: "Na, Mädels, jetzt stellt euch nicht so an, andere haben's auch schwer!"
Ich glaube, es gibt kein anderes Standard-Muster-Argument, das hier und in anderen Kreisen der Sexworkdebatte so häufig angeführt wird wie dieses: Dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit in einem allgemeineren Kontext von real-gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen gesehen werden sollten. Das ist ein Gedanke der Logik, der Gerechtigkeit, der "Normalisierung" und der Kritik der Erkenntnisinteressen.
Ich habe das Argument auch verinnerlicht und werde es anführen, wo es mir sinnvoll erscheint. Aber für mich kippt da langsam etwas, und ich merke, dass ich zunehmend "genervt" reagiere, wo dieses Argument vorgebracht wird. Weil es so reflexhaft geschieht und auch, weil es immer mit dem Vorwurf der "Doppelmoral" verknüpft ist.
Du (Fragender) zitierst - zunächst zustimmend - meinen Satz, endest dann aber mit dem Fazit der "Doppelmoral". Nun wird das nicht in erster Linie auf mich gemünzt sein, sondern hauptsächlich auf Sabine Constabel. Oder auch auf die nicht, weil es dann ganz global wird mit "kaum jemand". Irgendwie sind es dann letztlich alle, die überhaupt etwas sagen, denn niemand kann die Ganzheit des Sozialen und des Universums in einer Rede unterbringen. Wir reden alle in Kontexten (Ausschnitten), egal in welchen Lagern wir stehen. Die Forderung "Wer A sagt, muss auch B sagen" klingt so weise, kann aber auch unsenibel und borniert sein. A ist nicht automatisch falsch, wenn B nicht gesagt wird.
Da ich mich nun mal gedanklich und schreibend an der P6-Debatte beteilige, nehme ich mir heraus, eine besondere Belastung der Sexarbeiterinnen zu beschreiben, wenn ich sie wahrnehme. Auch ohne gleichzeitig von den wahnsinnigen Bedingungen der Arbeiter im Schlachthof zu reden. Ich nehme die auch nicht "einfach hin". Ich habe dazu nur momentan nichts zu sagen. Sie interessieren mich auch, ehrlich gesagt, gerade nicht besonders. Constabel geht ihrem Beruf nach und tut ihre Arbeit ebenso kontextbezogen, ohne gleich die ganze Welt zu retten.
Mit "Doppelmoral" hat das nichts zu tun.
Es ist die politische Aufgabe, verschiedene soziale Gesichtspunkte, Notwendigkeiten und Interessen zusammenzuführen. Wer Gesetze zu verantworten hat, hat die Pflicht, umfassend, gerecht und "kantianisch" zu denken und zu entscheiden. Aber nicht jeder, der auf seinem Gebiet engagiert und parteiisch ist, hat eine Doppelmoral.
Politologisch gesprochen, wirft man nicht einmal den Lobbyisten in den Parlamentshallen "Doppelmoral" vor, wenn sie "richtige" Argumente einseitig stark machen.
Ich finde meine von dir zitierte Formulierung recht gelungen. Ich tue es im Bewusstsein, Freier zu sein und in dem Versuch so zu reden, dass die Besprochenen und Betroffenen sich darin wiederfinden und mir zustimmen können.
Inhaltlich ist dir vielleicht meine subtil paradoxe Einbettung des zitierten Gedankens in den Zusammenhang des Freier-Seins und des Freierbildes in unserer Gesellschaft entgangen. Die Analyse, dass nicht die "Kriminalität", sondern die "Normalität" das Problem sein kann, beinhaltet in meiner Sicht ungemein viel Sprengstoff für die Debatte. Gerade deshalb habe ich vesucht, diesen Gedanken vor der Moralkeule zu schützen.
Und ja, die realen Erfahrungen sind viel differenzierter. Die Sexworkerinnen, die ich so gut kenne, dass ich mir erlauben kann über sie zu reden, leben anders. Sie klagen nicht über diese "Reihung", sondern freuen sich über den "Run", wenn es ihn einmal gibt. Sie klagen über das sinnlose Warten und Herumsitzen. Aber das sind auch nicht die Frauen, die im "La Strada" ein bisschen Wärme, Verständnis oder Hilfe suchen.
Es geht auch nicht nur um die Richtigkeit eines einzelnen Gedankens. Es kommt auch darauf an, wer in welcher Rolle redet. Ich lese scharfe und kritische Analysen von Marc oder von fraences und anderen sehr gern und ohne Probleme. Aber ich bin empfindlicher, wenn meine Freier-Kollegen so "souverän" eine quasi-unangreifbare Position einnehmen. Ich muss mich schon etwas bremsen, um in deinem Statment (Fragender - als "Kunde") nicht die Botschaft zu hören: "Na, Mädels, jetzt stellt euch nicht so an, andere haben's auch schwer!"
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Es ging mir selbstverständlich nicht um Dich, nicht einmal direkt um Frau Constabel, sondern um die Position von Gesellschaft und Politik zu Sexarbeit auf der einen Seite und sonstiger Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite. Ganz konkret u.a. um die Frage, warum Menschen auf der einen Seite daran gehindert werden sollen, eine bestimmte Erwerbsarbeit auszuüben, weil diese tatsächlich oder angeblich zum Unglücklichsein führt, während auf der anderen Seite Menschen dazu verpflichtet werden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, mit der sie unglücklich werden. Ich halte diese Frage für absolut sinnvoll und berechtigt, insbesondere weil Unglück in sonstiger Erwerbsarbeit nicht nur Arbeiter im Schlachthof betrifft, sondern auch viele Menschen mit guter Ausbildung und entsprechendem Job. "Stell Dich nicht so an" ist nämlich genau das, was in sonstiger Erwerbsarbeit oft erwartet wird.