Viktoria- A Tale of Gra­ce and Greed

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nina777
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Viktoria- A Tale of Gra­ce and Greed

Beitrag von nina777 »

17.10.2014

Im Zürcher Sexgewerbe spricht man Ungarisch

Es ist ein Phänomen, von dem viele wissen, an dem aber kaum jemand Anteil nimmt: Auf der Suche nach schnellem Geld und einem Ausweg aus der Chancenlosigkeit, die sie in ihrem eigenen Heimatland erwartet, kommen meist Roma-stämmige Ungarinnen in die Schweiz, um als Prostituierte zu arbeiten. Gemeinsam mit seiner ungarischen Frau Anna Maros hat der Schweizer Regisseur Men Lareida dieses Phänomen in einem berührenden Film verarbeitet. Dabei setzt er nicht auf Mitleid, sondern auf Mitgefühl mit der Hauptakteurin. Der Budapester Zeitung erklärte Men Lareida, was er damit meint.


Einfühlend subjektiv, aber doch nüchtern und realitätsnah erzählt der Film "Viktoriá - A Tale of Gra­ce and Greed" die Geschichte des jungen ungarischen Roma-Mädchens Viktória, die in der Hoffnung, möglichst bald viel Geld zu verdienen, ihre Heimatstadt Bu­dapest verlässt, um in Zürich als Prosti­tuierte zu arbeiten. Hier steht sie Nacht für Nacht auf dem Straßenstrich unter fahlem Laternenschein und wartet auf den nächsten Freier, den sie dann in sei­nem Auto auf irgendeinem dunklen Park­platz befriedigt. Was Viktória am Leben erhält, sind die Gedanken an zu Hause und die Möglichkeiten, die das viele Geld ihr bringen wird. So findet sie inmitten der Welt des schnellen Sex, geprägt von Gewalt, Ekel und Demütigung auch Liebe und Freundschaft - und sich selbst.

Unterwegs im Wiener Walzer

Ganze fünf Jahre haben Men Lareida (45) und Anna Maros (42) an der Recher­che und Vorbereitungen für dieses Film­drama gearbeitet. Eine besondere Rolle spielte für sie der Wiener Walzer. Hier ist kein Standardtanz gemeint, sondern ein Nachtzug zwischen den Städten Buda­pest und Zürich. Dort sind sie den beiden Kulturschaffenden, die regelmäßig zwi­schen der Schweiz und Ungarn pendeln, das erste Mal aufgefallen: die Damen, deren Profession unausgesprochen in der stickigen Luft der Zugabteile schwebt. "Früher saßen in dem Zug nur Studenten und ältere Leute. Doch seit die Schweiz das Schengener Abkommen umsetzt, nehmen viele Frauen auf dem Weg in die Prostitution diesen Zug", erzählt Men Lareida. Der Regisseur und seine Frau kamen mit den Frauen ins Gespräch, die alle aus den unterschiedlichsten Grün­den diesen Weg wählten und mussten lernen: "Es gibt nicht die eine Geschich­te. Man kann diese Frauen nicht gene­ralisieren." Manche werden von ihren Familien gezwungen, andere zwingt die Not, und wieder andere gehen des Gel­des wegen, erzählt Men Lareida und fügt hinzu: "Einige Geschichten enden glück­lich, andere nicht." In die Schweiz würde es die jungen Ungarinnen ziehen, weil im dortigen Sexgewerbe mehr verdient wer­den könne als in anderen Teilen Europas und auch die rechtlichen Bestimmungen und Behörden viel lascher seien.

"Die Frauen wollen nicht bedauert werden"

Seine erste Reaktion auf die Schick­sale, die er zu hören bekam, sei Mitleid gewesen, doch das, so Lareida, wollen die Frauen gar nicht. "Ich hab sie im Zug auf der Rückfahrt nach Budapest beobachtet. Sie holen ihr Geld raus und zeigen dir ‚Ich bin keine arme Frau". Dieser unge­brochene Stolz inspirierte ihn und seine Frau dazu, all diese Erfahrungen in der exemplarischen Geschichte der Prostitu­ierten Viktória filmisch zu verarbeiten. Auch sie hat ihren Stolz. Als Viktória, gespielt von Franciska Farkas, ihren ers­ten Verdienst nach Hause schickt, pas­siert auf der Leinwand das Unglaubliche: Ihre Augen fangen an zu leuchten. Trotz all der Demütigung, die sie hinnehmen musste, erfreut sie sich an dem, was sie erreicht hat.

Doch auch die unmenschlichen Ar­beitsbedingungen der Frauen zeigt der Film. Viele arbeiten bis zur Erschöp­fung, werden von Behörden, ihren Zu­hältern und Freiern drangsaliert und gedemütigt. Auch von dem Geld, um des­sen Willen viele gekommen sind, bleibt am Ende nicht viel übrig, denn "50 für Blasen, 80 für Ficken, 100 komplett", wie es im Film heißt, sei einfach keine ausreichende Bezahlung für eine solche Arbeit, so Lareida.

Ohne erhobenen Zeigefinger

Eigentlich wolle Lareida aber gar nicht anklagen. "Viktória - A tale of Grace and Greed" solle die Zuschauer nicht ermahnen oder eine lehrreiche Parabel auf die Gefahren des Sexgewerbes sein, sondern die Dinge zeigen, wie sie sind. Der Regisseur sei keineswegs dafür, das Sexgewerbe zu kriminalisieren, denn: "Man muss zumindest in Betracht zie­hen, dass Prostitution eine Möglichkeit für diese Frauen ist." Allerdings fordert er, die Sicherheit für die Sexarbeiterin­nen zu erhöhen und Perspektiven zu schaffen, die für die Frauen Alternati­ven zur Prostitution darstellen, auch in den Herkunftsländern.

Zwar scheint die Aufmerksamkeit für die Problematik der Prostituierten aus Ungarn geschärft - zahlreiche Fernseh- und Zeitungsartikel haben sich schon damit beschäftigt und sogar HR-Minister Zoltán Balog äußerte sich in der Neuen Zürcher Zeitung bereits zum Thema - allerdings dominieren Vor­urteile gegenüber den Roma meist die Diskussion. Denn, wie Lareida sagt, wer­den die Frauen trotz ihrer Staatsange­hörigkeit nicht als Ungarinnen, sondern primär als Angehörige der Roma wahrge­nommen. Mit ihren stolzen Hauptakteu­rinnen und der sensibel und differenziert nachgezeichneten Welt des Rotlichtmili­eus fügt "Viktória – A Tale of Grace and Greed" dieser bisher eher einseitig ge­führten Diskussion neue Facetten hinzu.

In Ungarn wird der Film von Mozinet vertrieben und ist seit dem 2. Oktober "Viktória – A Tale of Grace and Greed" be­reits in den ungarischen Kinos zu sehen. In Deutschland und Österreich verhan­dele man laut Lareida noch mit verschie­denen Filmvertrieben.

http://www.budapester.hu/2014/10/17/im- ... ungarisch/
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.