Serie "Außenseiter"
Beruf Hure
Der Außenseiter: Ein Mensch, der anders ist, der abseits steht, der abgedrängt wird. Eine traurige diskriminierte Gestalt – oder ein überzeugter und stolzer Individualist? Und wer macht Menschen zu Außenseitern? Darum geht es in unserer Wochenserie. Heute: Ein Gespräch mit einer Sexarbeiterin.
Eine Gruppe Gummibärchen steckt die Köpfe zusammen une ein einzelnes steht abgegrenz daneben [Quelle: Radio Bremen, Martin von Minden]
Im Abseits: eine traurige Gestalt oder ein überzeugter Individualist?
Die Entscheidung als Hure zu arbeiten, fiel während ihres Studiums, erzählt Carmen. Sie brauchte Geld, wollte nicht so viel Zeit aufwenden und hatte Spaß am Sex. So wurde ein Beruf daraus, den sie auch später neben ihrem Hauptberuf ausübte. Es gehe nicht darum, den Körper zu verkaufen, sagt sie. Diese Phrase sei der "Spiegel eines moralischen Unwerturteils". Sie verkaufe eine Dienstleistung und bestimme ihr Angebot selbst – wie andere Dienstleister auch.
Warum werden Prostituierte ausgegrenzt?
Audio: Hure – ein ganz normaler Job?
Einstellungen, Infos und Kommentare
Zum gesellschaftlichen Außenseiter werden Prostituierte aus zwei Gründen, meint Carmen: zum einen, weil der Job mit Sex zu tun hat – und Sexualität ist tabuisiert. Und es ist ein Frauenberuf. Beides zusammen führe zur Außenseiterposition. Das neue Prostitutionsschutzgesetz helfe da nicht weiter. Zusätzliche Sonderregelungen wie zum Beispiel Kondompflicht oder die Verpflichtung, sich als Prostituierte registrieren zu lassen: "Das hilft auf keinen Fall!"
Ein Gesetz, das nur zusätzliche Pflichten, aber keine neuen Rechte bietet, und dann sagt, das ist zum Schutz vor Fremdbestimmung – das ist Ironie.
http://www.radiobremen.de/gesellschaft/ ... er100.html
Hure – ein ganz normaler Job?
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Hure – ein ganz normaler Job?
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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Re: Hure – ein ganz normaler Job?
Mit dem Stigma brechen: Eine Sexarbeiterin berichtet von ihrem Berufsalltag
18/11/2020
Zwielichtige Zimmer. Türen, hinter denen verbotene Dinge vor sich gehen. Drogen, Gewalt, Krankheiten. Das ist das Bild, das viele von Prostitution haben. Aktuell wird deshalb wieder der Ruf nach einem generellen Sexkaufverbot in Deutschland laut. Dem möchte sich der Kassandra e. V. aus Nürnberg entgegenstellen. Sie wollen mit Klischees und Stigmatisierung brechen und zeigen, dass Sexarbeit ihre Berechtigung hat, wie jeder andere Beruf auch.
https://www.frankenfernsehen.tv/mediath ... ufsalltag/
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Re: Hure – ein ganz normaler Job?
VIDEO
«Wenn wir uns hier auf der Strasse umsehen, würden wir nicht erkennen, wer eine Escort-Begleitung oder wer ein Kunde ist»
Linda arbeitet in der Sexbranche. Und sie möchte anonym bleiben. Denn obwohl Sexarbeit in der Schweiz eine legale berufliche Tätigkeit ist, entfachen heftige Debatten rund um die Thematik. Warum fällt es uns so schwer, Sexarbeit als gewöhnliche Arbeit zu sehen?
Jil Antener
03.03.2021, 09.00 Uhr
Linda: «Ich bin Linda, 27 Jahre alt und arbeite in der Sexarbeit.»
Alice Schwarzer: «Was richten wir denn an in den Köpfen von Frauen und Männern, wenn wir das verharmlosen? Wenn wir es Männern möglich machen auszuweichen? Sexualität wieder abzutrennen vom Gefühl, abzutrennen von Beziehung?»
Linda: «Schwierigkeiten bezüglich meines Jobs sind ganz klar die Stigmatisierung und die Diskriminierung. Also eben das Doppelleben, das man führen muss. Das ist eine grosse Belastung.»
Salomé Balthus: «Wenn man diesen Menschen helfen will, dann gibt’s zwei Wege. Erstens: die Stigmatisierung beseitigen, offen darüber reden, keine Verbote. Und zweitens natürlich: Sozialpolitik.»
Obwohl Sexarbeit in der Schweiz schon seit knapp 80 Jahren legal ist, haben Sexarbeitende bis heute mit Ausgrenzung und Verachtung zu kämpfen.
Wir treffen Linda. Ihren echten Namen möchte sie nicht nennen. Sie ist Schweizerin und arbeitet selbstbestimmt in der Sexbranche.
Linda: «Ich persönlich habe Escort-Erfahrung, ich arbeite mit zwei Agenturen zusammen. Ich habe in einem Bordell gearbeitet und auch immer mal wieder selbstständig auf privater Basis.
Von meinem Job wissen meine Familie und mein nahes Umfeld.
Ich bin ein Freigeist. Ich liebe das Abenteuer, ich liebe das Ungewisse. Ich liebe die Begegnung mit fremden Menschen. Auch die Berührung und die Intimität, die dadurch entstehen kann. Und ich bin wissbegierig. Ich wusste, dass ich, wenn ich mich auf dieses Setting einlasse, einen tieferen Einblick in die Gesellschaft bekomme, welcher mir sonst verwehrt bliebe.
Und es ist ganz klar eine pragmatische Entscheidung gewesen. Denn ich wusste, dass ich viel verdienen würde, und war mir sicher, dass ich die Fähigkeiten mitbringe. Ich wusste, dass ich keine Hemmschwellen habe und dass ich ein sexuell offener Mensch bin.»
Manche Sexarbeitende lassen sich beraten und unterstützen von Sozialarbeiterinnen wie Christa Ammann. Sie arbeitet bei XENIA, einer Fachstelle für Sexarbeit in Bern.
Christa Ammann: «Ich denke, es hat verschiedene Gründe, weshalb das so umstritten ist. Ich denke, einer ist, dass in der Gesellschaft wenig über Sexualität gesprochen wird. Es ist ein Tabuthema oder zumindest ein sehr intimes Thema. Und wenn dann noch der Faktor «Geld verdienen» reinkommt, macht das bei ganz vielen Menschen sehr viel mit den Gefühlen, und sie denken, sie müssten eine Haltung haben aufgrund von ihren Vorstellungen, was Sexualität ist und was die Rollen von Frauen und Männern in der Sexualität sind. Und das führt zu einer hitzigen Debatte.
Die meisten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sagen klar: ‹Mein grösstes Problem ist die Gesellschaft und dass ich nicht darüber sprechen kann, was ich mache, dass ich mich schäme dafür, dass ich das Gefühl habe, ich sei weniger wert, weil ich diese Tätigkeit mache. Und nicht die Kunden.›»
Auch ein Problem: Selbst unter Feministinnen ist der Umgang mit der Sexbranche umstritten.
Auf der einen Seite sollen Menschen in ihren persönlichen Entscheidungen respektiert werden. Auf der anderen Seite würden patriarchale Strukturen bedient und Frauen als Ware herabgesetzt. Kann man als Feministin überhaupt Befürworterin der Sexarbeit sein?
Christa Ammann: «Für mich lässt sich Feminismus mit Sexarbeit sehr gut vereinen. Ich finde, es ist eine wichtige feministische Grundhaltung, einzelne Personen in ihren Aussagen ernst zu nehmen, wenn sie sagen: ‹Das ist die Arbeit, die ich machen will, aus welchen Gründen auch immer.›
Das zu respektieren und dann, wenn ich mich solidarisch zeigen will, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu fragen: ‹Hey, was brauchst du, damit du gut arbeiten kannst?› Und sie darin zu unterstützen.
Also grundsätzlich ist es eine Dienstleistung, die verkauft wird. Eine sexuelle Dienstleistung, ein Stück Illusion von Lust und Nähe und Körperlichkeit. Denn wenn der Kunde weggeht, ist der Körper noch da. Es ist eine körperliche Arbeit wie eine klassische Massage, wie eine Physiotherapie oder eben auch das Erdbeerenpflücken.»
Linda: «Ich sehe mich als Feministin, ja. Ich bestimme über mein Leben, über meinen Körper. Es ist mein Recht, die Gewerbefreiheit zu beanspruchen. Es ist mein Recht, mit meinem Körper eine sexuelle Dienstleistung anzubieten.
Der Kunde bezahlt mich dafür, er hat keinen freien Zugang zu mir als Person und auch nicht zu meiner persönlichen Sexualität. Ich bin die, die den Ablauf gestaltet, ich bin die, die das Zeitmanagement im Griff hat – ich bin der Chef.»
«Ich bin der Chef» – eine solche Aussage sorgt oft für Diskussionsstoff. Denn die Sexbranche ist anfällig für Menschenhandel, in erster Linie wegen der unsicheren Arbeits- und der prekären Migrationsbedingungen.
Christa Ammann: «Es gibt auch in der Landwirtschaft Menschenhandel, es gibt in der Gastronomie Menschenhandel. Es gibt verschiedene Branchen, wo auch Menschenhandel stattfinden kann, und das Sexgewerbe ist eine Branche davon.»
Zwangsprostitution ist nicht gleich Sexarbeit. Denn Sexarbeit ist eine legale berufliche Tätigkeit. Wer zur Sexarbeit gezwungen wird, ist Opfer von Menschenhandel, einem schweren Verbrechen. Nach Erfahrungen von Beratungsstellen arbeiten die meisten Sexarbeitenden in der Schweiz selbstbestimmt und legal.
Christa Ammann: «Was wir oft hören: Es ist eine bewusste Entscheidung. Es ist eine Entscheidung zwischen Optionen, die alle nicht toll sind in dem Sinne, aber die Personen kommen zu dem Schluss, dass das die beste Option ist, und deshalb machen sie das. Weil es für sie Sinn ergibt.»
Zwischen 75 und 95 Prozent von ihnen sind Migrantinnen und Migranten – für viele ist die Entscheidung, in der Sexbranche Geld zu verdienen, eine pragmatische, da sie oft wenige berufliche Alternativen haben.
Christa Ammann: «Das eigene Geld zu verdienen und sich damit ein besseres Leben zu ermöglichen oder Schulgelder zu bezahlen oder was auch immer, ist auch ein emanzipatorischer Akt. So kann man sich von anderen Abhängigkeiten befreien und auch Subjekt von den eigenen Entscheidungen werden. Geld hat halt auch einen Einfluss darauf, welche Möglichkeiten man überhaupt hat.
Welche Optionen bietet einem eine Gesellschaft dafür, Geld zu verdienen? Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind ja oft mobil, sie arbeiten nicht in den Ländern, in denen sie leben. Dann stellt sich auch die Frage: Welche Möglichkeiten habe ich, zu migrieren und wieder zu arbeiten? Und was wird da Frauen an Möglichkeiten geboten und welche haben Männer?»
Linda: «Ich habe das Glück, dass ich selbst bestimmen kann, was ich möchte und was ich nicht möchte, was ich anbieten will. Das ist ein grosses Privileg. Und trotzdem sind wir alle in einem System, in dem man Geld verdienen muss. Und auch ich habe mich pragmatisch dafür entschieden. So habe ich viel mehr Freizeit und viel mehr Flexibilität.»
Christa Ammann: «Ein wesentlicher Ausdruck vom Stigma ist, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auf die Sexarbeit reduziert werden. Es wird ihnen abgesprochen, dass sie noch andere Rollen haben, dass sie noch Freundin oder Freund, Mutter oder Vater, was auch immer sein können. Einfach all die verschiedenen Hüte und Rollen, die man ja hat im Leben. Bei den Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter wird das dann oft nicht mehr wahrgenommen, sondern sie sind einfach während 7 Tagen die Woche für 24 Stunden, das Leben lang, Sexarbeiterin oder Sexarbeiter. Daraus folgt dann auch die Konsequenz, dass man das Gefühl hat, man müsse diese Menschen irgendwie anders behandeln als zum Beispiel mich, die Sozialarbeiterin.»
Linda: «Wenn wir uns hier auf der Strasse umsehen, würden wir nicht erkennen, wer eine Escort-Begleitung oder wer ein Kunde ist. Das sind wir.
Wir sind Nachbarinnen, Freundinnen, Mütter aus dem Quartier, die die Kinder aus der gleichen Kita abholen. Die Freier sind unsere Chefs, unsere Onkel, unsere Bekannten. Wir müssen anerkennen, dass das unsere Gesellschaft ist.
Ich würde mir wünschen, dass wir da eine Entspannung reinbringen. Denn: Was ist wirklich ein Tabu daran? Haben wir nicht alle Sex? Und haben wir nicht alle das Bedürfnis nach körperlicher und seelischer Nähe?»
https://www.nzz.ch/gesellschaft/wenn-wi ... ld.1596209
«Wenn wir uns hier auf der Strasse umsehen, würden wir nicht erkennen, wer eine Escort-Begleitung oder wer ein Kunde ist»
Linda arbeitet in der Sexbranche. Und sie möchte anonym bleiben. Denn obwohl Sexarbeit in der Schweiz eine legale berufliche Tätigkeit ist, entfachen heftige Debatten rund um die Thematik. Warum fällt es uns so schwer, Sexarbeit als gewöhnliche Arbeit zu sehen?
Jil Antener
03.03.2021, 09.00 Uhr
Linda: «Ich bin Linda, 27 Jahre alt und arbeite in der Sexarbeit.»
Alice Schwarzer: «Was richten wir denn an in den Köpfen von Frauen und Männern, wenn wir das verharmlosen? Wenn wir es Männern möglich machen auszuweichen? Sexualität wieder abzutrennen vom Gefühl, abzutrennen von Beziehung?»
Linda: «Schwierigkeiten bezüglich meines Jobs sind ganz klar die Stigmatisierung und die Diskriminierung. Also eben das Doppelleben, das man führen muss. Das ist eine grosse Belastung.»
Salomé Balthus: «Wenn man diesen Menschen helfen will, dann gibt’s zwei Wege. Erstens: die Stigmatisierung beseitigen, offen darüber reden, keine Verbote. Und zweitens natürlich: Sozialpolitik.»
Obwohl Sexarbeit in der Schweiz schon seit knapp 80 Jahren legal ist, haben Sexarbeitende bis heute mit Ausgrenzung und Verachtung zu kämpfen.
Wir treffen Linda. Ihren echten Namen möchte sie nicht nennen. Sie ist Schweizerin und arbeitet selbstbestimmt in der Sexbranche.
Linda: «Ich persönlich habe Escort-Erfahrung, ich arbeite mit zwei Agenturen zusammen. Ich habe in einem Bordell gearbeitet und auch immer mal wieder selbstständig auf privater Basis.
Von meinem Job wissen meine Familie und mein nahes Umfeld.
Ich bin ein Freigeist. Ich liebe das Abenteuer, ich liebe das Ungewisse. Ich liebe die Begegnung mit fremden Menschen. Auch die Berührung und die Intimität, die dadurch entstehen kann. Und ich bin wissbegierig. Ich wusste, dass ich, wenn ich mich auf dieses Setting einlasse, einen tieferen Einblick in die Gesellschaft bekomme, welcher mir sonst verwehrt bliebe.
Und es ist ganz klar eine pragmatische Entscheidung gewesen. Denn ich wusste, dass ich viel verdienen würde, und war mir sicher, dass ich die Fähigkeiten mitbringe. Ich wusste, dass ich keine Hemmschwellen habe und dass ich ein sexuell offener Mensch bin.»
Manche Sexarbeitende lassen sich beraten und unterstützen von Sozialarbeiterinnen wie Christa Ammann. Sie arbeitet bei XENIA, einer Fachstelle für Sexarbeit in Bern.
Christa Ammann: «Ich denke, es hat verschiedene Gründe, weshalb das so umstritten ist. Ich denke, einer ist, dass in der Gesellschaft wenig über Sexualität gesprochen wird. Es ist ein Tabuthema oder zumindest ein sehr intimes Thema. Und wenn dann noch der Faktor «Geld verdienen» reinkommt, macht das bei ganz vielen Menschen sehr viel mit den Gefühlen, und sie denken, sie müssten eine Haltung haben aufgrund von ihren Vorstellungen, was Sexualität ist und was die Rollen von Frauen und Männern in der Sexualität sind. Und das führt zu einer hitzigen Debatte.
Die meisten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sagen klar: ‹Mein grösstes Problem ist die Gesellschaft und dass ich nicht darüber sprechen kann, was ich mache, dass ich mich schäme dafür, dass ich das Gefühl habe, ich sei weniger wert, weil ich diese Tätigkeit mache. Und nicht die Kunden.›»
Auch ein Problem: Selbst unter Feministinnen ist der Umgang mit der Sexbranche umstritten.
Auf der einen Seite sollen Menschen in ihren persönlichen Entscheidungen respektiert werden. Auf der anderen Seite würden patriarchale Strukturen bedient und Frauen als Ware herabgesetzt. Kann man als Feministin überhaupt Befürworterin der Sexarbeit sein?
Christa Ammann: «Für mich lässt sich Feminismus mit Sexarbeit sehr gut vereinen. Ich finde, es ist eine wichtige feministische Grundhaltung, einzelne Personen in ihren Aussagen ernst zu nehmen, wenn sie sagen: ‹Das ist die Arbeit, die ich machen will, aus welchen Gründen auch immer.›
Das zu respektieren und dann, wenn ich mich solidarisch zeigen will, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu fragen: ‹Hey, was brauchst du, damit du gut arbeiten kannst?› Und sie darin zu unterstützen.
Also grundsätzlich ist es eine Dienstleistung, die verkauft wird. Eine sexuelle Dienstleistung, ein Stück Illusion von Lust und Nähe und Körperlichkeit. Denn wenn der Kunde weggeht, ist der Körper noch da. Es ist eine körperliche Arbeit wie eine klassische Massage, wie eine Physiotherapie oder eben auch das Erdbeerenpflücken.»
Linda: «Ich sehe mich als Feministin, ja. Ich bestimme über mein Leben, über meinen Körper. Es ist mein Recht, die Gewerbefreiheit zu beanspruchen. Es ist mein Recht, mit meinem Körper eine sexuelle Dienstleistung anzubieten.
Der Kunde bezahlt mich dafür, er hat keinen freien Zugang zu mir als Person und auch nicht zu meiner persönlichen Sexualität. Ich bin die, die den Ablauf gestaltet, ich bin die, die das Zeitmanagement im Griff hat – ich bin der Chef.»
«Ich bin der Chef» – eine solche Aussage sorgt oft für Diskussionsstoff. Denn die Sexbranche ist anfällig für Menschenhandel, in erster Linie wegen der unsicheren Arbeits- und der prekären Migrationsbedingungen.
Christa Ammann: «Es gibt auch in der Landwirtschaft Menschenhandel, es gibt in der Gastronomie Menschenhandel. Es gibt verschiedene Branchen, wo auch Menschenhandel stattfinden kann, und das Sexgewerbe ist eine Branche davon.»
Zwangsprostitution ist nicht gleich Sexarbeit. Denn Sexarbeit ist eine legale berufliche Tätigkeit. Wer zur Sexarbeit gezwungen wird, ist Opfer von Menschenhandel, einem schweren Verbrechen. Nach Erfahrungen von Beratungsstellen arbeiten die meisten Sexarbeitenden in der Schweiz selbstbestimmt und legal.
Christa Ammann: «Was wir oft hören: Es ist eine bewusste Entscheidung. Es ist eine Entscheidung zwischen Optionen, die alle nicht toll sind in dem Sinne, aber die Personen kommen zu dem Schluss, dass das die beste Option ist, und deshalb machen sie das. Weil es für sie Sinn ergibt.»
Zwischen 75 und 95 Prozent von ihnen sind Migrantinnen und Migranten – für viele ist die Entscheidung, in der Sexbranche Geld zu verdienen, eine pragmatische, da sie oft wenige berufliche Alternativen haben.
Christa Ammann: «Das eigene Geld zu verdienen und sich damit ein besseres Leben zu ermöglichen oder Schulgelder zu bezahlen oder was auch immer, ist auch ein emanzipatorischer Akt. So kann man sich von anderen Abhängigkeiten befreien und auch Subjekt von den eigenen Entscheidungen werden. Geld hat halt auch einen Einfluss darauf, welche Möglichkeiten man überhaupt hat.
Welche Optionen bietet einem eine Gesellschaft dafür, Geld zu verdienen? Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind ja oft mobil, sie arbeiten nicht in den Ländern, in denen sie leben. Dann stellt sich auch die Frage: Welche Möglichkeiten habe ich, zu migrieren und wieder zu arbeiten? Und was wird da Frauen an Möglichkeiten geboten und welche haben Männer?»
Linda: «Ich habe das Glück, dass ich selbst bestimmen kann, was ich möchte und was ich nicht möchte, was ich anbieten will. Das ist ein grosses Privileg. Und trotzdem sind wir alle in einem System, in dem man Geld verdienen muss. Und auch ich habe mich pragmatisch dafür entschieden. So habe ich viel mehr Freizeit und viel mehr Flexibilität.»
Christa Ammann: «Ein wesentlicher Ausdruck vom Stigma ist, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auf die Sexarbeit reduziert werden. Es wird ihnen abgesprochen, dass sie noch andere Rollen haben, dass sie noch Freundin oder Freund, Mutter oder Vater, was auch immer sein können. Einfach all die verschiedenen Hüte und Rollen, die man ja hat im Leben. Bei den Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter wird das dann oft nicht mehr wahrgenommen, sondern sie sind einfach während 7 Tagen die Woche für 24 Stunden, das Leben lang, Sexarbeiterin oder Sexarbeiter. Daraus folgt dann auch die Konsequenz, dass man das Gefühl hat, man müsse diese Menschen irgendwie anders behandeln als zum Beispiel mich, die Sozialarbeiterin.»
Linda: «Wenn wir uns hier auf der Strasse umsehen, würden wir nicht erkennen, wer eine Escort-Begleitung oder wer ein Kunde ist. Das sind wir.
Wir sind Nachbarinnen, Freundinnen, Mütter aus dem Quartier, die die Kinder aus der gleichen Kita abholen. Die Freier sind unsere Chefs, unsere Onkel, unsere Bekannten. Wir müssen anerkennen, dass das unsere Gesellschaft ist.
Ich würde mir wünschen, dass wir da eine Entspannung reinbringen. Denn: Was ist wirklich ein Tabu daran? Haben wir nicht alle Sex? Und haben wir nicht alle das Bedürfnis nach körperlicher und seelischer Nähe?»
https://www.nzz.ch/gesellschaft/wenn-wi ... ld.1596209