Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

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Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von Zwerg »

Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Prostitution ist voraussichtlich ab 1. Juli wieder erlaubt. Jener Paragraf, der das Betreten von Bordellen und Laufhäusern untersagt, tritt mit 30. Juni außer Kraft.

Dorina hat ihre wasserstoffblond gefärbten Haare zusammengebunden und ist in ihren pinken Plüschbademantel eingewickelt. Sie sitzt, die Beine übereinander geschlagen mit einer Zigarette in der Hand, auf einer bunten Samtbank im "Safari Club". Neben ihr hockt Eszter. Beide warten auf die Wiedereröffnung des kleinen verrauchten Bordells, in dem sicher schon länger nicht mehr gelüftet wurde. Die Fenster sind abgedunkelt, die Bar in der Mitte des winzigen Raumes ist unbemannt. Auf den Bänken, wo normalerweise Kunden sitzen, haben die zwei Sexarbeiterinnen Polster und Decken ausgebreitet.

"Wir schlafen hier", sagt die ebenfalls blonde Eszter. Die Ungarinnen haben die Corona-Zeit in Ungarn verbracht. "Ich war heute beim Doktor und warte jetzt auf meinen Stempel", sagt Dorina in gebrochenem Deutsch.

Doch es hatten nicht alle Sexarbeiterinnen so viel Glück wie diese beiden. Viele von den 3400 registrierten Prostituierten in Wien haben es nicht mehr geschafft, rechtzeitig über die Grenze nach Hause zu kommen, und mussten während des Lockdowns in Wien ausharren. Einige Frauen haben in der ersten Zeit in Lagerhallen oder im Handel gearbeitet, dann aber durch die Kurzarbeit diese Jobs schnell wieder verloren.

Andere haben mit Kunden einen Deal ausgehandelt oder sich Geld ausgeborgt. Wiederum andere haben Unterschlupf bei einem Kunden, Freunden oder einem Bordell-Betreiber bekommen. Doch viele Sexarbeiterinnen, die in einer eigenen Wohnung leben, haben in der Corona-Zeit ihr ganzes Erspartes aufgebraucht, um sich die Miete, Versicherung und allgemeinen Lebenskosten leisten zu können.

Es gibt eigentlich einen Härtefonds der Wirtschaftskammer für Sexarbeiterinnen, allerdings: "Wenn fünf Prozent der Frauen das Geld bekommen, ist das schon viel", sagt Christine Nagl, Expertin und Beraterin von Sexarbeiterinnen.

Manche Betreiber nehmen von den Frauen eine Pauschalsteuer ein, dadurch haben einige keine Steuernummer. Bei Anträgen an den Härtefonds muss allerdings eine solche angegeben werden. Gibt es die nicht, kann man keinen Anspruch stellen.
Dazu kommt, dass viele Prostituierte kein österreichisches Konto haben.

Unterstützung durch Betreiber von Bordellen

Laut Nagl sei es aber den meisten nicht so schlecht gegangen. "Ich will keine Almosen, sondern Rechte haben", habe eine ihrer Schützlinge zu ihr gesagt. "Ich kenne Betreiber, die den Frauen Geld vorgestreckt haben oder auch Frauen bei sich wohnen lassen und sie mit Essen, Trinken und Zigaretten versorgen", erzählt Nagl. Letzte Woche sei die Beraterin von Prostituierten bereits nach Kondomen gefragt worden. "Die Frauen gehen natürlich zu ihren Stammkunden, die sie kennen", glaubt Christine Nagl zu wissen.

Bei "Sophie", einer Sparte der Volkshilfe Wien, konnten sich zahlreiche gestrandete Prostituierte Lebensmittel, Hygieneartikel und Beratung holen. "Viele Frauen sind in die Beratungsstelle gekommen, mit Sicherheitsabstand und vor der aufgestellten Schutzscheibe. Wir haben aber auch viel über das Internet beraten", sagt Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien. Die Zugriffszahlen der Website von Sophie seien dadurch extrem gestiegen. "An einem Tag hatten wir 9000 Zugriffe, derweil hatten wir im gesamten Jahr 2019 lediglich 10.000 Zugriffe", sagt Eva van Rahden, die Leiterin von Sophie. Dass man mit dem 16. März, dem ersten Tags des Lockdowns in Österreich, einen sehr hohen Bedarf wahrnehmen konnte, führt van Rahden unter anderem darauf zurück: "Wir haben sehr schnell in allen verschiedenen Sprachen die Informationen der Behörden zur Verfügung gestellt." Außerdem wurden Geldsoforthilfen in drastischen Fällen ausgezahlt und Lebensmittel- und Hygienepakete ausgeteilt.

Am Anfang gab es eine akute Wohnungslosigkeit bei den Sexarbeiterinnen, so Wehsely. Mittlerweile habe sich das aber eingependelt und die Frauen können großteils in den Bordellen und Laufhäusern bleiben, ohne zu arbeiten. "Die Frauen sind sehr diszipliniert und achten auf die eigene Gesundheit. Die Prostitution ist generell eine gesundheits- und körperbewusste Branche. Vorsicht vor Krankheiten ist dort sowieso Alltag", sagt die Volkshilfe-Geschäftsführerin.

Krise zeichnete sich bereits im Februar durch Stornos ab

Das bestätigt auch Sexarbeiterin Thorja (so ihr Szenename), die im Escort-Bereich tätig ist, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Wir Sexarbeiterinnen sind naturgemäß Profis für Hygiene und Ansteckungsvermeidung. Andersrum wäre man nur sehr kurz Sexarbeiterin." Für die dreifache Mutter haben sich die ersten Anzeichen der Krise bereits im Februar abgezeichnet. Besonders in ihrer Sparte des Escorts habe es da bereits viele Stornierungen gegeben. "Ich habe dann Alternativprogramme wie Telefonerotik, Autopeepshows und Webcam angeboten, Fotos und Videos verkauft", sagt Thorja.

Autopeepshows? "Der Kunde und ich haben uns über die Freisprechanlage des Autos verbunden und ich habe ihm das gezeigt, was er gerne von seinem Auto aus sehen wollte. Das Honorar hat er mir im Anschluss in den Kofferraum gelegt", so die Sexarbeiterin. Stattgefunden haben diese Treffen auf verlassenen Parkplätzen. Auch über die Webcam habe sie viele Kunden betreut.

"Das war schwierig mit meinen drei Kindern mit den Videodates, aber mein Mann war mir dabei zum Glück eine große Hilfe", sagt Thorja. Damit war sie besser dran als viele ihrer Kolleginnen: "Das geht alles nur, wenn man die Ressourcen dazu hat. Andere, die in Bordellen gearbeitet haben, die auf einmal auf der Straße gestanden sind, hatten die Möglichkeiten nicht."

Wohnen am Arbeitsplatz, an dem man auch gemeldet ist

Eine Zeit lang sei auch unklar gewesen, ob die Prostituierten überhaupt in den Bordellen und Laufhäusern wohnen dürfen. Gerade Frauen mit Migrationshintergrund haben das Bordell allerdings meistens als Hauptwohnsitz gemeldet und durften, nachdem die Polizei grünes Licht gegeben hatte, dort wohnen. "Es gilt ja nur ein Betretungsverbot für Kunden, aber als Arbeitsplatz für Videoshows zum Beispiel dürfen die Bordelle von den Sexarbeiterinnen genutzt werden", erklärt Thorja. Der Escort-Dame fällt allerdings schon auf, "dass sich die Kunden vom Küssen zurückziehen - vielen ist das wegen der Tröpfcheninfektion zu gefährlich. Die Selbstverständlichkeit des Küssens wird, denke ich, fallen, was auch zu begrüßen wäre."

3000 Untersuchungen in acht Tagen

Seit 8. Juni sind die behördlichen Untersuchungen der Prostituierten wieder in vollem Gange. Jener Paragraf, der das Betreten von Bordellen und Laufhäusern untersagt, tritt mit 30. Juni außer Kraft. Um einen Ansturm zu vermeiden, beharrt das Zentrum für sexuelle Gesundheit auf Terminvereinbarungen, was vor Corona nicht so war.

Alle sechs Wochen müssen sich die Frauen auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen, um einen Stempel, auch "Deckel" genannt, zu bekommen. Ohne den dürfen sie nicht arbeiten. "Es gibt nur diese eine Untersuchungsstelle in Wien. 3000 Frauen müssen in den nächsten acht Wochentagen untersucht werden. Wie soll das gehen?", sagt Christian Knappik, Sprecher von "sexworker.at" und "Notfallhotline für Sexarbeiterinnen" empört.

Allgemein sieht Knappik die Untersuchung kritisch: Die Kunden würden dadurch glauben, dass die Frauen alle gesund seien, und es dann "erst recht ohne Gummi wollen". Freilich empfehle er alle möglichen Schutzmaßnahmen als Schutz vor Ansteckungen aller Art, aber: "Die Sexarbeiterinnen sind sowieso Experten, die auch mir viel beigebracht haben."

Sexgastarbeiterinnen aus Deutschland

Momentan sei zusätzlich ein großer Zulauf von Prostituierten aus Deutschland zu beobachten. Dort wisse man noch nicht, wann die Bordelle und Laufhäuser wieder aufsperren dürfen. "Die haben nur einen Tunnel und wir haben ein Licht", sagt Christian Knappik. Allerdings sei auch in Österreich unklar, welche Rotlichtlokale aufsperren werden, weil sich einige die Miete nicht mehr leisten können. Bei den Bordellen sei die Situation nicht so prekär wie bei den Laufhäusern, denn: "Die Bordelle haben keine Fixmieten, dadurch haben sie keinen großen Druck. Bei Laufhäusern hingegen ist der Preis- und Konkurrenzdruck viel größer."

Die Expertin und Beraterin für Sexarbeiterinnen Christine Nagl glaubt an keinen großen Freier-Ansturm ab 1. Juli. "Viele Kunden kommen anlässlich von Geschäftsreisen und suchen in der eigenen Stadt ungern Bordelle auf", so Nagl.

Wie die Lage ab dem 1. Juli dann tatsächlich aussehen wird, ist schwer vorauszusagen. "Die Verordnung sagt, dass ab 1. Juli Sexarbeiten wieder möglich sind - der Text ist aber so interpretativ, dass man den so oder so auslegen kann", sagt Tanja Wehsely. Vergangene Woche gab es dazu bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober einen runden Tisch mit Selbstorganisationen, Beratungsstellen und Nichtregierungsorganisationen, bei dem es um die Wiederaufnahme von sexuellen Dienstleistungen ging.

"Wir arbeiten derzeit an der Lockerungsverordnung, um sexuellen Dienstleistern wieder eine Öffnung ermöglichen zu können. Zudem werden Hygiene- und Schutzmaßnahmen, in Zusammenschau mit der derzeitigen wissenschaftlichen Evidenz zum Übertragungsrisiko und dem Vorgehen und den Erfahrungen anderer Länder, erarbeitet. Alle Lockerungsschritte sind natürlich immer nur in Bezugnahme auf die aktuelle Infektionslage möglich", heißt es aus dazu aus dem Gesundheitsministerium. Allerdings: "Eine Sexarbeiterin ist nicht gleich eine Sexarbeiterin", erklärt Christian Knappik.

Jede Prostituierte hat ihr individuelles Angebot. Bei vielen Sexarbeiterinnen laufe der Kontakt zum Kunden nicht auf Sex aus. "Neben dem Geschlechtsverkehr gibt es auch noch Massagen, Dominas, Tantra und vieles mehr", sagt der Berater der Prostituierten. Vom Straßenstrich bis hin zu Sexarbeiterinnen die selbstbestimmt sind gebe es alles. Christian Knappik und Christine Nagl rufen zur Eigenverantwortung, anstatt Verbote zu erlassen.

Wir werden erpressbar von den Kunden"

Auch die Sexarbeiterin Thorja hat Sorge wegen der bevorstehenden Maßnahmen: "Wir werden dadurch von den Kunden erpressbar. Wenn sich da der Staat in unsere Intimsphäre einmischt, kann das also wirklich gefährlich für uns werden." Noch sind keine präzisen Kriterien, Auflagen oder Maßnahmen von der Regierung präsentiert worden. Die Sexarbeiterinnen und deren Unterstützer und Berater hoffen auf die versprochene Rechtssicherheit.

Vorerst bleiben die Türen der Bordelle jedenfalls noch geschlossen. Im "Safari Club" beziehen Dorina und Eszter ihre Zimmer. Von der Bar geht es durch einen kleinen Gang, gegenüber befindet sich ein Duschraum. In Dorinas Zimmer steht ein schwarzes Bett, das mit einer roten Samtdecke bezogen ist. Daneben ein Spiegel, der beinahe die gesamte Länge des Raumes in Anspruch nimmt. Auf dem Bett liegt ihr aufgeschlagener Koffer mit allerhand zusammengewurschteltem Gewand. Sie hat noch bis zum 1. Juli Zeit, um auszupacken.

https://www.wienerzeitung.at/nachrichte ... Licht.html

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Re: Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von Zwerg »

Hier noch eine überaus wichtige Anmerkung unserer Thorja zum Artikel:

Zitat

Die Kontrastierung „vom Straßenstrich bin hin zu Sexarbeiterinnen, die selbstbestimmt sind“ ist eine künstliche, vorverurteilende. Das würde bedeuten, dass SWs, die am Straßenstrich arbeiten, per definitionem nicht selbstbestimmt sind, was schlicht eine falsche, verallgemeinernde Zuschreibung und eine Festschreibung des diskriminierenden Opferstigmas ist. Die SW auf dem Straßenstrich brauchen genauso wenig Mitleid oder Almosen, sondern Rechte. Wie wir alle.

Zitatende

Den ganzen Blogartikel könnt Ihr hier ersehen

https://www.thorja-escort-wien.at/blog/ ... mRpW4PMWWM LESENSWERT!

Aus meiner Sicht: Das Interview fand um 23 Uhr telefonisch und überraschend statt. Meine Aussage war, dass es viele Formen der Arbeitsmöglichkeiten von SW gibt. Dazu gehören unter Anderem Bars, Clubs, Laufhäuser, Bordelle bis zu den SexarbeiterInnen die völlig selbtständig also ohne BetreiberInnen arbeiten und zum Beispiel Hausbesuch oder Hotelbesuch, oder Services am Straßenstrich anbieten.

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Thorja
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Re: Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von Thorja »

Für mich war es am nächsten Morgen zur Unzeit (also fast mitten in der Nacht, so um ca. 11:30) auch etwas überrumpelnd und dementsprechend uneloquent kam ich mir vor. Mein Gehirn braucht immer ein paar Stunden und Kaffees, bis es eine funktionierende Leitung zum Sprachzentrum verlegt. Man müsste sich für so Überraschungsinterviews fast eigene Notizen zurechtlegen.. Eine Notfallsinterviewstoffsammlung quasi. :)
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Re: Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von Zwerg »

Thorja hat geschrieben:
21.06.2020, 14:34
Eine Notfallsinterviewstoffsammlung quasi. :)
Eine gedruckte Ausgabe von sexworker.at? Dein eigener Blog am Bildschirm?

Liebe Grüße / und Danke für die Bereitschaft da auf die Schnelle einzuspringen!

christian

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Re: Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von Kasharius »

@Thorja

ja großartig wie du immer wieder medial in die Bresche springst.


Kasharius grüßt anerkennend

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deernhh
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Re: Rotlichtmilieu wartet auf grünes Licht - mit Forenbeteiligung

Beitrag von deernhh »

https://oe1.orf.at/player/20200622/601729/1592803290000

Radiointerview mit Thorja.
Im Link bitte auf "Sexarbeit nach Corona" klicken, um das Interview hören zu können.