Nackt aus der Jobkrise

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Nackt aus der Jobkrise

Beitrag von ehemaliger_User »

Süddeutsche Zeitung 22.04.2009

http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/351/465936/text/
http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/ ... 36/text/2/

Nackt aus der Jobkrise
"Es ist einfach, es macht Spaß"

Als Barkeeper und Ausbilderin einer Restaurantkette verdiente Rebecca Brown in einer guten Woche ein paar tausend Dollar - als Tänzerin im Chicagoer Erotikclub Pink Monkey bekommt sie fast genauso viel in einer einzigen Nacht. Angesichts der Wirtschaftskrise bewerben sich immer mehr Frauen in Stripclubs, hoffen auf eine Rolle in Erotikfilmen oder posieren für Erwachsenenmagazine, wie Branchenvertreter bestätigen.

Die flexiblen Arbeitszeiten und das vergleichsweise hohe Einkommen sind selbst für Bewerberinnen mit Universitätsabschluss attraktiv, die noch bis vor kurzem als Büroangestellte gearbeitet haben. "Man sieht viel mehr hübsche Frauen, die so viele andere Dinge tun könnten", sagt Gus Poulos, Geschäftsführer des Sin City Gentleman's Clubs in New York. Nach einer Anzeige im Internet meldeten sich innerhalb nur eines Tages 85 Bewerberinnen bei ihm.

Auftritte nur unter Alkoholeinfluss
Doch der Einstieg ins professionelle Nachtleben ist nicht einfach: Tanzen in hohen Stöckelschuhen muss gelernt und gelegentliche Buhrufe der Zuschauer müssen hartnäckig ignoriert werden. Die Anfänger unter den Tänzerinnen sind zu Beginn oft so nervös, dass sie ihre ersten Auftritte nur unter Alkoholeinfluss bewältigen können.

"Es ist wie wenn man eine Rede halten muss" sagt die 29-jährige Brown. "Aber statt dir alle nackt vorzustellen, bist du diejenige, die nackt ist." Auch die Tänzerin Eva Stone vom Erotikclub Pink Monkey betont, die Frauen bräuchten schon eine dicke Haut, um mit den Beschimpfungen einiger Gäste umzugehen.

300.000 Dollar pro Jahr
Erotikfilmproduzenten warnen davor, den Einstieg in die Sexindustrie zu unterschätzen und verweisen auf die Folgen. "Wenn man sich einmal entschieden hat, als Darstellerin in Erwachsenenfilmen mitzuarbeiten, beeinflusst das die Beziehungen zu allen anderen Menschen", sagt Steven Hirsch, Vizepräsident des Erotikfilmkonzerns Vivid Entertainment Group. "Wenn du einmal einen Erwachsenenfilm machst, wird er nie wieder verschwinden."

Die Frauen im Pink Monkey Club schätzen jedoch die Flexibilität ihrer Arbeit und die große Freiheit im Vergleich zu gewöhnlichen Bürojobs. "Es ist einfach, es macht Spaß, und wir Mädchen passen alle aufeinander auf", sagt Brown. In gehobenen Clubs können die Tänzerinnen zwischen 100.000 und 300.000 Dollar, umgerechnet zwischen 75.000 und 225.000 Euro pro Jahr verdienen - in bar und trotz Wirtschaftskrise, wie ein Sprecher von Rick's Cabaret Clubs in New York und Miami betont. Die Zahl der Bewerberinnen sei mit 20 bis 30 pro Woche derzeit doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr.

Hohe Gewinnspanne
Doch ganz immun gegen die Wirtschaftsflaute ist nach Einschätzung von Analysten auch die Erotikbranche nicht. Das Geschäft ist um etwa 30 Prozent eingebrochen quer durch alle Bereiche, einschließlich Erwachsenenfilme, Erotikclubs, Magazine und Shops, wie der Präsident des Unterhaltungskonzerns AVN Media Network, Paul Fishbein, einräumt. Und Eric Wold vom Finanzdienstleister Merriman Curhan Ford betont: "Bislang haben die Leute gesagt, diese Industrie sei rezessionssicher." Das sehe er jedoch anders, bestenfalls könne von einer Rezessionsresistenz gesprochen werden.

Die Zahl der Gäste hat Clubmanagern und Tänzerinnen zufolge bislang zwar nicht abgenommen. Doch besonders die extrem wohlhabenden Kunden schauen offenbar stärker aufs Geld als bisher, sagt Angelina Spencer vom Branchenverband der Clubmanager: "Sie haben nicht mehr die Typen, die hereinkommen und 3.000 bis 4.000 Dollar pro Nacht ausgeben."

Trinkgeld gehört den Tänzerinnen
Trotzdem liegt die Gewinnspanne vieler Einrichtungen nach Einschätzung von Analysten weiterhin bei bis zu 50 Prozent. Die Tänzerinnen sind dabei meist als unabhängige Auftragsnehmer beschäftigt und zahlen eine Gebühr von 40 bis 90 Dollar (30 bis 70 Euro) pro Nacht an den Club. Das Trinkgeld gehört ihnen.

Für Stone ist die vor vier Jahren begonnene Tänzerei trotzdem nur eine Übergangsbeschäftigung, um nach ihrem Bachelor in Grafikdesign ihren Master-Abschluss im Bildungswesen zu finanzieren. Brown dagegen ist von ihrer Berufswahl auch langfristig überzeugt: "Mein Job ist sicher."

(AP/Karen Hawkins/bön)
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Beitrag von ehemaliger_User »

Süddeutsche Zeitung 17.04.09:

http://www.sueddeutsche.de/panorama/733/465325/text/

Die Not im Rotlichtviertel

Rezession trifft Bordelle

Von Christiane Langrock-Kögel

Eine Finanzkrise der besonderen Art: Auch in Hamburg bleiben die Freier aus, obwohl die Preise fallen.

Frische Hähnchenschenkel sind bei Lidl auf der Hamburger Reeperbahn im Sonderangebot, 13 Prozent billiger als sonst. Im ungeputzten Fenster eines Irish Pub hängt die schlichte Verlockung: "Ampelsaufen für drei Euro", vermutlich auch das ein Schnäppchen. Im eigentlichen Kerngeschäft der Reeperbahn sucht man länger nach Sonderpreisen. Die Schaufenster von Laufhäusern, Bordellen und Strip-Bars werben mit klimatisierten Zimmern und prallen Dekolletees. Erst am östlichen Ende der Rotlichtmeile lockt ein Sexshop mit Preisnachlass: "Geile Zeiten! 50 Prozent mehr Laufzeit auf alle Münzen und Scheine!"

Die Wirtschaftskrise ist in der Rotlichtbranche angekommen. Und das nicht nur in Hamburg. In Frankfurt musste eines der ältesten Bordelle der Stadt schließen. In Amsterdam geht es gleich um mehrere Häuser, denen "die Rezession den Todesstoß" zu verpassen droht, wie die dortigen Vereinigten Entspannungsbetriebe befürchten. Der Kölner Porno-Produzent Bernd Schütt spricht für die ganze Sex-Branche von "einer beschissenen Marktlage".

Im Puff herrscht anscheinend Ausverkauf. Viele Betreiber versuchen, dem Umsatzeinbruch mit Specials zu begegnen. "Das ist nicht neu, nimmt aber zu", sagt Stephanie Klee vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen in Berlin, selbst Prostituierte.

Eine Flatrate im Bordell bedeutet: einmal zahlen, mehrmals kommen. Bei "Zwei für eins" darf der Freier seine Frau mitbringen, Schnittchen inklusive. Ähnlich wie Banken und Autobauer haben auch Pornofilmer und Erotik-Händler um staatliche Unterstützung gebeten, und das war nicht nur scherzhaft gemeint. Hoffnung auf Hilfe hat die Branche nicht: Für die Kanzlerin mache sich im Wahljahr ein Engagement bei Opel sicher besser.

Mit der Krise der Weltwirtschaft haben die Probleme im Rotlicht ohnehin nur begrenzt zu tun. Die Porno-Produzenten stöhnen seit Jahren über einen sich auflösenden Markt, aber das hat vor allem mit Raubkopien und der Verbreitung kostenloser Pornos übers Internet zu tun. Die Finanzkrise komme nur obendrauf, sagt Porno-Produzent Schütt: "Der Markt ist sowieso tot." Ähnliches gilt auch für die Prostitution: "Wenn eine Studentin heute für 20 Euro eine Nummer schiebt, volles Programm, ist das der absolute Preisverfall."

An diesem Punkt stand Anke Christiansen, 53 und selbst lange Prostituierte, schon vor Jahren. 2003 hat sie mit zwei Freundinnen, alle aus dem Gewerbe, in Hamburg das "Geizhaus" gegründet - eines der ersten Discount-Bordelle der Republik ("Geiz macht geil"). 38,50 Euro kostet die halbe Stunde mit einem der 35 Mädchen, die in dem weißen Häuschen im Bezirk Wandsbek arbeiten. Am Tisch in der Küche sitzt die blondgelockte Angie im roten Bademantel und mit dicken Socken an den Füßen. "Freier, die jeden Tag da waren, kommen jetzt wesentlich seltener", sagt sie. "Oder eher gar nicht."

Angie muss im Geizhaus kein Geld in die Hand nehmen. Am Empfang äußert der Mann seine Wünsche und kauft einen Geizhaus-Dollar. Will er mehr als das Grundprogramm, muss er den Einsatz auf 77 Euro verdoppeln. Aber das macht kaum einer. Angies Kollegin Jill weist oft Freier ab, die auf dem Zimmer versuchen, mit den Mädchen zu dealen: "Ich geb' dir noch 'nen Zehner für. . .". Auch am Empfang des frauengeführten Hauses, wo Anke Christiansen in schwarzer Hose und cremefarbener Strickjacke steht, wird gefeilscht. "Bei uns gibt's keinen Nachlass", sagt sie. Höchstens mal eine Werbeaktion, wie sie das nennt: An Halloween durfte jedermann umsonst ran, der sich im Kostüm händchenhaltend mit anderen Freiern anstellte. In drei Monaten zieht das Geizhaus um. Mehr Fläche, mehr Parkplätze. Das ist das, was Anke Christiansen der Krise entgegenhält.

Lustlos bemüht sich dagegen der Chef eines großen Laufhauses an der Reeperbahn um Erklärungen zur Rotlichtkrise. "Die Touristen bleiben aus", sagt er. Vielleicht fehlen der Reeperbahn tatsächlich die zielgerichteten Sex-Besucher. Aber die Übernachtungszahlen in Hamburg steigen, verkündet der Tourismus-Beauftragte stolz. Von St. Pauli spricht er gern als Ausgehviertel für junge Gutverdiener. Zur Flaute des horizontalen Gewerbes trägt sicher auch bei, dass sich der Stadtteil gewollt und Stück um Stück vom großen Puff zum hippen Kult-Viertel wandelt.

Im Umbruch der Branche scheint es auch Gewinner zu geben. Der Flensburger Erotik-Großhandel Beate Uhse meldet als Ergebnis für 2008: 253 Millionen Euro Umsatz und einen Vorsteuergewinn von 3,1 Millionen. 2009 will der Konzern die Zahlen allen Ernstes verdoppeln. Uhse-Mitbewerber Orion, nach eigenen Angaben mit 151 Shops Marktführer, hat "zu kämpfen, sicher", sagt Marketingleiter Jens Seipp. Er betrachtet sein Geschäft aber als "klare Zukunftsbranche". Allerdings abseits der Rotlichtviertel: "Unsere Fachgeschäfte befinden sich in guten Lagen. Wir sind rausgegangen aus der verschwitzten und verschmierten Ecke." Es gebe keine Videokabinen, sagt Seipp, sondern "sex toys".

Wer sich Sex nicht mehr kaufen kann, holt ihn sich wieder zu Hause, mutmaßt der Porno-Produzent Bernd Schütt. In einer Hamburger Revue-Bar hängt im Schaufenster die E-Mail eines Besuchers: "Vielen Dank für die tollen Anregungen. Meine Frau und ich hatten anschließend viel Spaß im Hotelzimmer."

(SZ vom 17.4.2009/vw
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RTL II - Die Reportage 25.02.2010 um 23.10

Beitrag von ehemaliger_User »

Harte Zeiten für Prostituierte: Die Krise geht auch am ältesten Gewerbe der Welt nicht spurlos vorüber. Bordelle müssen sich immer neue Angebote überlegen, um Freier anzulocken. Noch vor ein paar Jahren war ein Bordellbesuch ein teurer Spaß. Heute können Freier im Flatrate-Freudenhaus für einem Pauschalpreis von nur 60 Euro pro Tag so viel Sex haben, wie sie möchten oder können.

Einmal zahlen - mehrmals kommen. Das All-you-can-fuck-Angebot ist zwar für Männer reizvoll, bedeutet aber harte Arbeit für die Frauen. "EXKLUSIV – DIE REPORTAGE" zeigt, wie schwer es leichte Mädchen in Krisenzeiten haben und wie günstig man(n) seinen Spaß haben kann.

Die Damen im Hamburger "Geizhaus" leisten Akkordarbeit. Denn in dem Billig-Bordell können Freier einen sogenannten Geizdollar für knapp 38 Euro erwerben und dafür mit der Dame ihrer Wahl stolze 30 Minuten lang Sex haben. Das Bordell verzichtet auf luxuriöses Ambiente, Saunas, Whirlpools oder Champagner und ermöglicht so die Dumpingpreise.

Die Männer stört die spartanische Einrichtung wenig, schließlich wollen sie billigen Sex statt Glamour und Schampus. Für die Huren ist das alles andere als einfach: Sie müssen wie am Fließband schuften, um alle Kunden zufrieden zu stellen. Die 53-jährige Anke gründete 2003 das Freudenhaus und sie weiß, was Männer wollen. Denn die Unternehmerin ging vorher selbst jahrelang anschaffen.

Nun trotzt sie dank ihrer Billig-Philosophie der Wirtschaftskrise. Mit niedrigen Preisen und wenig Luxus macht Anke satte Gewinne. Doch sie weiß auch, dass ihre Preispolitik Schwerstarbeit für die 35 Mädchen in ihrem Bordell bedeutet.

Erstausstrahlung: 25. Februar 2010
http://www.rtl2.de/000017_0997.html
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