"Whores Glory" Filmrezension

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fraences
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"Whores Glory" Filmrezension

Beitrag von fraences »

Rezension zum Film Whores´Glory


Als Triptychon wird der Film von Regisseur Michael Glawogger bezeichnet, weil er die Tätigkeit der Prostitution an drei unterschiedlichen Orten beschreibt, mit jeweils eigenem religiösen Hintergrund: Thailand (Buddhismus), Bangladesch (Hinduismus) und Mexiko (Katholizismus).

Grundsätzlich ist die Tätigkeit der Frauen die Gleiche, jedoch unterscheiden sich die Arbeitsfelder in ihren kulturellen Ausprägungen, der sich darstellenden religiösen Rituale und ihren sozialen Rahmenbedingungen. Die Sexworkerinnen erzählen aus ihrem Leben, bewegen sich natürlich in ihrer Alltäglichkeit und spiegeln echte, klare Konturen.

Bewusst wird vom Regisseur auf Bewertungen verzichtet. Die Kameraführung entspricht die eines neutralen Beobachters. Sehr bemerkenswert!

Nach der Vorstellung des Filmes Whores Glory, gingen Zuschauer und Regisseur Michael Glawogger in die Diskussion. Ein Paradoxon stellte sich vor als leerer Raum, in dem alles enthalten ist. Die Zuschauer sind nicht lediglich Beobachter eines Prozesses, sondern nehmen Anteil. Plötzlich geht es nicht weiter um Bewertungen: Gut/schlecht, schwarz/weiß oder anderer Spannungsfelder. Die Suche nach Erkenntnis hebt ein antiquiertes, duales Prinzip auf.

Es ist nicht einfach darauf zu verzichten, die Welt in Opfer und Täter zu zergliedern. Dialektik ist Austausch verschiedenster Koordinaten und zeichnet die Landkarte die wir für eine Gestaltung des gemeinsamen Lebensraumes benötigen. Sie bekundet Mut zur sich ergänzenden Kreativität.
Wir begreifen: Selbst die kleinste Facette hat ihre Bedeutung und findet im Kontext ihren einzigartigen Sinn.

Der Regisseur Michael Glawogger vertritt heute eine von ihm hart erarbeitete Toleranz und Freiheit. Sein Verständnis den Prostituierten und Freiern gegenüber ist auf eine sehr mitfühlende Art und Weise echt. Hier wollte jemand das zuerst fremd Erscheinende nicht verurteilen, nicht einmal beurteilen, sondern als Bestandteil des eigenen Daseins wahrnehmen und anerkennen.
Es ist einfach wunderbar diesem mutigen Menschen zu begegnen, der eine zerrissene Welt in sich selbst als Einheit begreift.

Die Drehorte des Films sind austauschbar: Prostituierte, unabhängig von Religion, Kultur und sonstiger Grundlagen des sich entwickelnden Lebens, haben weltweit grundsätzliche Gemeinsamkeiten, erscheinen dem betrachtenden Menschen wie ein bunter, uralter Flickenteppich, der wie im Märchen plötzlich fliegen kann.

Der kreative Umgang mit dem Genre Film ist möglich und wirkt dem Mainstream entgegen mit unmissverständlicher Botschaft: Wir alle sind Menschen mit einem gemeinsamen Pool. Jedes Gesicht, jeder Lebensaspekt, spiegelt eigenartige Schönheit wieder.

Zum Film ist ein Fotobuch entstanden, welches die Recherchenarbeit und die damit verbundenen Probleme beschreibt.
Sehr empfehlenswert!

( Black Roses)


WHORES' GLORY
Ein Triptychon zur Prostitution
Michael Glawoggers Buch zu seinem Film
Bild
16,4 x 21 cm | 256 Seiten | Fadenheftung
Bildband mit sechs Ausklappleporellos
€ 30,- (D) | € 30,90 (A) | SFr 41,90 (CH)
ISBN 978-3-936086-56-0

Die Menschen in Whores’ Glory können mehr über die Beziehung zwischen Männern und Frauen erzählen als irgendjemand sonst – weil sie alles, was in diesen Beziehungen geschehen kann, am eigenen Körper, an Geist und Seele erfahren und erleben. Sie erwecken Begierden und weisen Leidenschaften ab, erfüllen Fantasien und beruhigen Ängste.

Auf der Suche nach den Geschichten und Bildern der Prostitution ist Michael Glawogger nach Thailand, Bangladesch und Mexiko gereist. Er hat die Frauen dafür bezahlt, ihm ihre Geschichten zu erzählen. Sie handeln von Sehnsüchten, Hoffnungen und Begierden – ihren eigenen, aber auch denen, für deren Erfüllung die Freier bezahlen. Das Buch zum Film dokumentiert die Suche nach den Geschichten in ausdrucksstarken Worten und Bildern.

Whores’ Glory wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig in der Reihe »Orizzonti« mit dem Spezialpreis der Jury prämiert.
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »


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konkret
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Kino-Dokumentarfilm "Whores' Glory"

Beitrag von konkret »

Hallo,

habe gerade zufällig den Trailer entdeckt. Ich finde es schlimm, dass durch den Film bzw. Trailer der Eindruck verhärtet wird, dass das, was dort gezeigt wird, die Prostitution schlechthin ist.

http://www.youtube.com/watch?feature=pl ... N63eTIIY38

Was meint ihr?

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Zwerg
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RE: "Whores Glory" Filmrezension

Beitrag von Zwerg »

"Whore's Glory"
Verklemmte Mitleidssuppe
Gastkommentar | 31. Jänner 2012 11:07


Über Michael Glawoggers neue Doku würde es sich nicht lohnen, auch nur ein Wort zu verlieren, wäre sie nicht so erfolgreich - Von Filmemacherin Tina Leisch

Das Wort "Hure" rufen verlassene Ehemänner der Ex nach. Pubertierende Burschen bezeichnen damit alles Weibliche, das ihnen nicht geheuer ist, und zornige Väter die Tochter, wenn sie nicht pariert. "Hure" ist ein Wort, das hauptsächlich benützt wird, um Menschen zu beschimpfen, die mit Prostitution gar nichts zu tun haben. Sprechen Menschen, die vom Verkauf sexueller Dienstleistungen leben, von sich selber, nennen sie sich meist SexarbeiterInnen, wenn es z. B. darum geht, die Gleichstellung ihrer Arbeit in arbeitsrechtlichem Sinne zu erwirken. In Werbeanzeigen preisen sie sich auch als Freudenmädchen, Liebeselfen, LiebeskünsterInnen, Escortladies, immergeile Busenwunder oder Französischexpertinnen an.

Wenn also ein Dokumentarfilm eines männlichen österreichischen Regisseurs über Sexarbeiterinnen in Thailand, Bangladesh und Mexiko "Whores' Glory" heißt, dann sagt schon der Titel, dass dieser Mann die elementarsten Höflichkeitsregeln im Umgang mit diskriminierten Minderheiten nicht kennt oder nicht respektieren will (dass nämlich zwar die Diskriminierten selber natürlich diskriminierende Bezeichnungen affirmativ oder ironisch verwenden können, aber Angehörige der diskriminierenden Mehrheit das tunlichst zu unterlassen haben).

Zu viel Gleitgel im Stativkopf

Unhöflichkeit und Respektlosigkeit, die fast jeden Moment des Filmes durchdringt. In opulenten Bildern werden Sexarbeiterinnen abgefilmt. Die Kamera glitscht über die Körper und Gesichter, als wäre ihr ein bisschen zu viel Gleitgel in den Stativkopf geraten. Ab und zu verweilt sie, um eine Sensation einzufangen: wenn ein Mädchen an eine Zuhälterin verkauft wird, und wir sind live dabei! Wenn Hunde vorm Bordell kopulieren. Wenn eine offensichtlich psychisch kranke alte Frau sich auszieht, und die Kamera hält drauf und drauf und drauf. Wenn eine Cracksüchtige für die nächste Portion Gift ihr nacktes Geschlecht der Kamera präsentiert und der Kameramann glotzt, als sähe er so etwas zum ersten Mal. So sehr ihnen die Kamera auch zudringlich zu nah auf die Haut rückt: Den Frauen, die dafür bezahlt wurden, dass sie sich als SexarbeiterInnen, Zuhälterinnen, Frauenhändlerinnen abfilmen lassen, kommt der Film dadurch nicht näher. Den gesellschaftlichen Verhältnissen, die dafür sorgen, dass anderen Lust zu bereiten ein verfemter, verachteter Beruf ist, noch viel weniger.

Zahnärztinnen, Physiotherapeuten, DienstleisterInnen, deren Beruf es ist, körperliches Wohlergehen zu verschaffen, genießen üblicherweise hohes Ansehen. Nur ausgerechnet die SexarbeiterInnen, die doch außerordentlich große Freude zu bereiten verstehen, werden verachtet. An diesem Rotlicht-Paradoxon wird die Infamie patriarchaler Dominanz sichtbar, die jahrtausendelang durchzusetzen versuchte, dass die Körper der Frauen den Männern gehören und zu gehorchen haben, dass von Männern regierte gesellschaftliche Institutionen über die Lust, die Reproduktionsfähigkeit, das Aussehen und die Arbeitskraft der Frauen verfügen. Mit Hilfe von Weltreligionen, die die dafür notwendigen menschenverachtenden Regeln und Gesetze als von einem allmächtigen, strafenden Gott gegeben erklären. Mit Hilfe einer gesellschaftlichen Moral, die all die Frauen ächtete, verfemte, als Hexen verbrannte, steinigte und steinigt, als Abtreiberinnen einsperrt, die sich anmaßen, das Spiel der Körper und der Lüste nach eigenem Gusto zu spielen.

Das Dilemma dabei: Die zur "Anständigkeit" disziplinierten Frauen begehren nicht mehr. Es braucht also für die Lust zuständige Ausnahmefrauen, die aber gleichzeitig dermaßen der Demütigung und Verachtung ausgesetzt werden müssen, dass ihre Existenz kein attraktiver Lebensentwurf ist. Daher die Dichotomie von Heiliger und Hure. Daher das stereotype Verhalten von Freiern: Sie müssen diejenigen verachten, die ihnen Lust bereiten. Die bequemste Art, diesen Widerspruch loszuwerden, ist, Dankbarkeit und Verachtung zusammenzukochen zu einem bisserl Mitleid für die arme Hur'. Oder man romantisiert die Rotlichtwelt zur antibürgerlichen Gegenwelt. (1)

Romantisierung, Mitleid, Verachtung

Michael Glawogger dämmert leider nicht eine Sekunde - von mühsamen 118 Minuten -, dass er selber als Filmemacher nur die stereotypen Haltungen der Kunden gegenüber den Huren abschreitet: Romantisierung, Mitleid, Verachtung. Von Selbstreflexion der Erzählhaltung so wenig eine Spur wie von einem Versuch, sachliche Fragen zu den Details des Handwerks zu stellen oder die gesellschaftlichen Zusammenhänge des oftmals sauschlecht inszenierten Elends zu erkennen.

Ohne jegliches Interesse an den Ursachen des niedrigen sozialen Status der SexarbeiterInnen weidet er sich an entwürdigenden Situationen, geilt sich auf an verletztem Schamgefühl und inszeniert die Frauen als Opfer. Dass das doch relativ reibungslos funktioniert, liegt auch an der Auswahl der Drehorte. In Wien hätten ihm vermutlich selbstbewusste Sexarbeiterinnen deutlich zu verstehen gegeben, was von dieser klischeehaften und reaktionären Inszenierung zu halten sei. Wenn sich überhaupt Frauen dafür hergegeben hätten, für ein dermaßen jämmerliches Bild ihrer selbst zu posieren. Doch Glawogger hat sein Fördergeld in die Dritte Welt getragen: Wo der Mindestlohn 35 Euro im Monat beträgt und man für einen Dollar ficken kann, kann man für 100 auch einen Fick vor der Kamera kaufen. Die Aneinanderreihung dreier exotischer Schauplätze kompensiert die dumpfe Gedankenlosigkeit des Filmes durch die bunte Vielfalt der Welt im Reisebürokatalog für Sextouristen.

Mitleid unerwünscht

Dabei gibt es ja in Thailand und in Mexiko und in Österreich SexarbeiterInnen-Selbstorganisationen, bei denen Glawogger sich die Grundzüge einer fortschrittlichen, emanzipatorischen Perspektive auf Sexarbeit hätte erklären lassen können. Nämlich, dass Sexarbeiterinnen kein Mitleid brauchen, sondern gesellschaftliche und gesetzliche Anerkennung ihrer Arbeit. Recht auf freie Berufsausübung wie jede und jeder andere Dienstleistende auch. Streichung der Sittenwidrigkeit. Aufhebung der Verbotszonen. Schutz gegen Gewalt.

Dass sie sich Kunden wünschen, die genießen und ihren Genuss zu würdigen wissen. Die wie vereinbart zahlen. Kunden, die nicht ihre eigene Sexualfeindlichkeit als Mitleid oder Verachtung auf die SexarbeiterInnen projizieren. Dass es um die Würdigung eines vielfältigen und anspruchsvollen Berufes ginge, der an der Grenze zur Sozialarbeit, zur Psychotherapie, zu medizinischen Berufen einerseits, zur Schauspielerei und Performance andererseits wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllt. Dass Sexarbeit unter guten Rahmenbedingungen ein geiler, erfüllender, toller Beruf sein kann und es deshalb einem engagierten Film darum gehen müsste, die ökonomischen, sozialen und juristischen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen so genau zu betrachten, dass man draufkommt, was es jeweils ist, das die Arbeit erschwert und diskriminiert.

Vernichtendes Feedback von Organisationen

Die Sexworkers und Lefö äußerten nach Rohschnitt-Screenings heftige Kritik: Die Frauen seien nur als Opfer dargestellt, es gebe keine Momente, die Selbstbestimmung und Entscheidungsbefugnisse der Sexarbeiterinnen sichtbar machten. Die Auswahl der Drehorte befördere neokoloniale Attitüden. Der Film mache Stimmung für abolutionistische Positionen, die am liebsten Sexarbeit ganz verbieten würden, statt für mehr Rechte für die SexarbeiterInnen einzutreten.

Das Nichteinverständnis der NGOs der Betroffenen hätte wohl jede österreichische Dokumentarfilmerin sofort zum Anlass genommen hätte, ihre Arbeit grundsätzlich zu überdenken. Glawogger wischt es vom Tisch. Die beiden einschlägigen ExpertInnenorganisationen lehnten es daraufhin ab, beim Kinostart eines solchen Filmes auch nur als Diskussionspartner aufzutreten.


"Whores's Glory" ist also ein Film, über den es sich nicht lohnte, auch nur ein Wort zu verlieren, wäre er nicht so erfolgreich. Beim österreichischen Filmpreis, der am 27. Jänner vergeben wurde, gewann er den Preis für den besten Dokumentarfilm und für die beste Kamera. Das ist tatsächlich unerhört: ein Filmpreis für Glawoggers verklemmte Mitleidssuppe? So armselig sind die politischen, moralischen und intellektuellen Ansprüche der Akademiemitglieder an einen guten Dokumentarfilm!

Intelligente Annäherungen

Es gab in den letzten Jahren einige interessante filmische Versuche, sich intelligent dem Themenkomplex anzunähern. Sisi Klocker erklärt uns mit dem brüllend komischen Kurzdokumentarfilm "Laura. Alles, was Sie immer schon über Telefonsex wissen wollten" die Dramaturgie einer erfolgreichen erotischen Fantasie. Ihr Film "Ausstieg" porträtiert eine ehemalige Sexarbeiterin, die sehr offen und präzise über die Höhen und Tiefen, die Wüsten und die Oasen ihres Berufes erzählt. Hätte Sisi Klocker darauf verzichtet, selber etwas albern und selbstverliebt ins Bild zu treten, wäre das ein rundherum wunderbarer Film.

Anja Salomonowitz' Film "Kurz davor ist es passiert" über Frauenhandel führt vor, wie man gesellschaftliche Zusammenhänge anklagen kann, ohne dafür die Opfer filmisch ein zweites Mal zu viktimisieren. Und vor allem Sabine Derflingers Spielfilm "Tag und Nacht", produziert von Nina Kusturica und Eva Testor, liefert ein intelligentes Beispiel dafür, wie eine von Frauen recherchierte, geschriebenene, inszenierte und produzierte Auseinandersetzung mit dem Thema aussehen kann. Der Film folgt zwei Studentinnen ins Abenteuer Escortservice. Weder romantisierend noch verklärend, erfährt man von Untiefen und Risiken des Berufes aus der Sicht der Sexarbeiterinnen und kann dabei einen ausführlichen Blick auf verschiedene Sorten von Kunden werfen. Obwohl "Tag und Nacht" von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen wurde, verkaufte er sich nicht rasend. "Der Weltvertrieb gestand uns irgendwann: 'Naked men don't sell'", sagt Produzentin Nina Kusturica.

Da ist Glawogger marktgängiger: Nackte Frauen verkaufen sich immer, wie dumm der Film drumherum auch sein mag. Noch ist das so. Könnte sich ja auch ändern. (Tina Leisch)

1) Zwar haben sich 87 Jahre nach dem Wiener Sexualbefreier Hugo Bettauer und 43 Jahre nach den ersten "Dr. Sommer"-Tipps in der "Bravo" vielfältigere und selbstbestimmtere Formen von Geschlechtsrollen und Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern entwickelt, aber die Verachtung der SexarbeiterInnen besteht fast unverändert weiter. Wenngleich sich die Begründungen für die Verachtung säkularisiert haben: Linke verachten die Käuflichkeit der Liebe mit antikapitalistischen Argumenten: Wenigstens Lust und Liebe sollen von der kapitalistischen Ökonomie unberührt bleiben. Feministinnen verachten sie wegen der besonders schlimmen Frauenausbeutung, die angeblich da stattfindet. Wenn man ein bisschen an den Argumenten kratzt, kommt meist eine unreflektierte und schlecht camouflierte Positionierung auf der Seite der Moral Majority hervor.

Wir danken dem "Augustin" für die Nach-Publikation des Artikels. Dieser erschien erstmals in der "Augustin"-Ausgabe Nr. 313 vom 25. Jänner.

http://diestandard.at/1326504178749/Who ... leidssuppe

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VERKLEMMTE MITLEIDSSUPPE

Beitrag von sheila »


Ich freue mich riesig, hier als Erste diesen wundervollen Kommentar gerade auf dieStandard und bisserl früher im "Augustin" erschienen , posten zu können.
geschrieben wurde er von der genialsten "Text- Theater- und Filmarbeiterin" die Österreich momentan zu bieten hat:
TINA LEISCH

http://diestandard.at/1326504178749/Who ... leidssuppe


Whore's Glory"

Verklemmte Mitleidssuppe

Gastkommentar | 31. Jänner 2012 11:07


Foto: Lotus-Film GmbH/G.M.B. Akash


Tina Leisch über "Whore's Glory": "Unhöflichkeit und Respektlosigkeit, die fast jeden Moment des Filmes durchdringt."




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Über Michael Glawoggers neue Doku würde es sich nicht lohnen, auch nur ein Wort zu verlieren, wäre sie nicht so erfolgreich - Von Filmemacherin Tina Leisch

Das Wort "Hure" rufen verlassene Ehemänner der Ex nach. Pubertierende Burschen bezeichnen damit alles Weibliche, das ihnen nicht geheuer ist, und zornige Väter die Tochter, wenn sie nicht pariert. "Hure" ist ein Wort, das hauptsächlich benützt wird, um Menschen zu beschimpfen, die mit Prostitution gar nichts zu tun haben. Sprechen Menschen, die vom Verkauf sexueller Dienstleistungen leben, von sich selber, nennen sie sich meist SexarbeiterInnen, wenn es z. B. darum geht, die Gleichstellung ihrer Arbeit in arbeitsrechtlichem Sinne zu erwirken. In Werbeanzeigen preisen sie sich auch als Freudenmädchen, Liebeselfen, LiebeskünsterInnen, Escortladies, immergeile Busenwunder oder Französischexpertinnen an.

Wenn also ein Dokumentarfilm eines männlichen österreichischen Regisseurs über Sexarbeiterinnen in Thailand, Bangladesh und Mexiko "Whores' Glory" heißt, dann sagt schon der Titel, dass dieser Mann die elementarsten Höflichkeitsregeln im Umgang mit diskriminierten Minderheiten nicht kennt oder nicht respektieren will (dass nämlich zwar die Diskriminierten selber natürlich diskriminierende Bezeichnungen affirmativ oder ironisch verwenden können, aber Angehörige der diskriminierenden Mehrheit das tunlichst zu unterlassen haben).

Zu viel Gleitgel im Stativkopf

Unhöflichkeit und Respektlosigkeit, die fast jeden Moment des Filmes durchdringt. In opulenten Bildern werden Sexarbeiterinnen abgefilmt. Die Kamera glitscht über die Körper und Gesichter, als wäre ihr ein bisschen zu viel Gleitgel in den Stativkopf geraten. Ab und zu verweilt sie, um eine Sensation einzufangen: wenn ein Mädchen an eine Zuhälterin verkauft wird, und wir sind live dabei! Wenn Hunde vorm Bordell kopulieren. Wenn eine offensichtlich psychisch kranke alte Frau sich auszieht, und die Kamera hält drauf und drauf und drauf. Wenn eine Cracksüchtige für die nächste Portion Gift ihr nacktes Geschlecht der Kamera präsentiert und der Kameramann glotzt, als sähe er so etwas zum ersten Mal. So sehr ihnen die Kamera auch zudringlich zu nah auf die Haut rückt: Den Frauen, die dafür bezahlt wurden, dass sie sich als SexarbeiterInnen, Zuhälterinnen, Frauenhändlerinnen abfilmen lassen, kommt der Film dadurch nicht näher. Den gesellschaftlichen Verhältnissen, die dafür sorgen, dass anderen Lust zu bereiten ein verfemter, verachteter Beruf ist, noch viel weniger.

Zahnärztinnen, Physiotherapeuten, DienstleisterInnen, deren Beruf es ist, körperliches Wohlergehen zu verschaffen, genießen üblicherweise hohes Ansehen. Nur ausgerechnet die SexarbeiterInnen, die doch außerordentlich große Freude zu bereiten verstehen, werden verachtet. An diesem Rotlicht-Paradoxon wird die Infamie patriarchaler Dominanz sichtbar, die jahrtausendelang durchzusetzen versuchte, dass die Körper der Frauen den Männern gehören und zu gehorchen haben, dass von Männern regierte gesellschaftliche Institutionen über die Lust, die Reproduktionsfähigkeit, das Aussehen und die Arbeitskraft der Frauen verfügen. Mit Hilfe von Weltreligionen, die die dafür notwendigen menschenverachtenden Regeln und Gesetze als von einem allmächtigen, strafenden Gott gegeben erklären. Mit Hilfe einer gesellschaftlichen Moral, die all die Frauen ächtete, verfemte, als Hexen verbrannte, steinigte und steinigt, als Abtreiberinnen einsperrt, die sich anmaßen, das Spiel der Körper und der Lüste nach eigenem Gusto zu spielen.

Das Dilemma dabei: Die zur "Anständigkeit" disziplinierten Frauen begehren nicht mehr. Es braucht also für die Lust zuständige Ausnahmefrauen, die aber gleichzeitig dermaßen der Demütigung und Verachtung ausgesetzt werden müssen, dass ihre Existenz kein attraktiver Lebensentwurf ist. Daher die Dichotomie von Heiliger und Hure. Daher das stereotype Verhalten von Freiern: Sie müssen diejenigen verachten, die ihnen Lust bereiten. Die bequemste Art, diesen Widerspruch loszuwerden, ist, Dankbarkeit und Verachtung zusammenzukochen zu einem bisserl Mitleid für die arme Hur'. Oder man romantisiert die Rotlichtwelt zur antibürgerlichen Gegenwelt. (1)

Romantisierung, Mitleid, Verachtung

Michael Glawogger dämmert leider nicht eine Sekunde - von mühsamen 118 Minuten -, dass er selber als Filmemacher nur die stereotypen Haltungen der Kunden gegenüber den Huren abschreitet: Romantisierung, Mitleid, Verachtung. Von Selbstreflexion der Erzählhaltung so wenig eine Spur wie von einem Versuch, sachliche Fragen zu den Details des Handwerks zu stellen oder die gesellschaftlichen Zusammenhänge des oftmals sauschlecht inszenierten Elends zu erkennen.

Ohne jegliches Interesse an den Ursachen des niedrigen sozialen Status der SexarbeiterInnen weidet er sich an entwürdigenden Situationen, geilt sich auf an verletztem Schamgefühl und inszeniert die Frauen als Opfer. Dass das doch relativ reibungslos funktioniert, liegt auch an der Auswahl der Drehorte. In Wien hätten ihm vermutlich selbstbewusste Sexarbeiterinnen deutlich zu verstehen gegeben, was von dieser klischeehaften und reaktionären Inszenierung zu halten sei. Wenn sich überhaupt Frauen dafür hergegeben hätten, für ein dermaßen jämmerliches Bild ihrer selbst zu posieren. Doch Glawogger hat sein Fördergeld in die Dritte Welt getragen: Wo der Mindestlohn 35 Euro im Monat beträgt und man für einen Dollar ficken kann, kann man für 100 auch einen Fick vor der Kamera kaufen. Die Aneinanderreihung dreier exotischer Schauplätze kompensiert die dumpfe Gedankenlosigkeit des Filmes durch die bunte Vielfalt der Welt im Reisebürokatalog für Sextouristen.

Mitleid unerwünscht

Dabei gibt es ja in Thailand und in Mexiko und in Österreich SexarbeiterInnen-Selbstorganisationen, bei denen Glawogger sich die Grundzüge einer fortschrittlichen, emanzipatorischen Perspektive auf Sexarbeit hätte erklären lassen können. Nämlich, dass Sexarbeiterinnen kein Mitleid brauchen, sondern gesellschaftliche und gesetzliche Anerkennung ihrer Arbeit. Recht auf freie Berufsausübung wie jede und jeder andere Dienstleistende auch. Streichung der Sittenwidrigkeit. Aufhebung der Verbotszonen. Schutz gegen Gewalt.

Dass sie sich Kunden wünschen, die genießen und ihren Genuss zu würdigen wissen. Die wie vereinbart zahlen. Kunden, die nicht ihre eigene Sexualfeindlichkeit als Mitleid oder Verachtung auf die SexarbeiterInnen projizieren. Dass es um die Würdigung eines vielfältigen und anspruchsvollen Berufes ginge, der an der Grenze zur Sozialarbeit, zur Psychotherapie, zu medizinischen Berufen einerseits, zur Schauspielerei und Performance andererseits wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllt. Dass Sexarbeit unter guten Rahmenbedingungen ein geiler, erfüllender, toller Beruf sein kann und es deshalb einem engagierten Film darum gehen müsste, die ökonomischen, sozialen und juristischen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen so genau zu betrachten, dass man draufkommt, was es jeweils ist, das die Arbeit erschwert und diskriminiert.

Vernichtendes Feedback von Organisationen

Die Sexworkers und Lefö äußerten nach Rohschnitt-Screenings heftige Kritik: Die Frauen seien nur als Opfer dargestellt, es gebe keine Momente, die Selbstbestimmung und Entscheidungsbefugnisse der Sexarbeiterinnen sichtbar machten. Die Auswahl der Drehorte befördere neokoloniale Attitüden. Der Film mache Stimmung für abolutionistische Positionen, die am liebsten Sexarbeit ganz verbieten würden, statt für mehr Rechte für die SexarbeiterInnen einzutreten.

Das Nichteinverständnis der NGOs der Betroffenen hätte wohl jede österreichische Dokumentarfilmerin sofort zum Anlass genommen hätte, ihre Arbeit grundsätzlich zu überdenken. Glawogger wischt es vom Tisch. Die beiden einschlägigen ExpertInnenorganisationen lehnten es daraufhin ab, beim Kinostart eines solchen Filmes auch nur als Diskussionspartner aufzutreten.

"Whores's Glory" ist also ein Film, über den es sich nicht lohnte, auch nur ein Wort zu verlieren, wäre er nicht so erfolgreich. Beim österreichischen Filmpreis, der am 27. Jänner vergeben wurde, gewann er den Preis für den besten Dokumentarfilm und für die beste Kamera. Das ist tatsächlich unerhört: ein Filmpreis für Glawoggers verklemmte Mitleidssuppe? So armselig sind die politischen, moralischen und intellektuellen Ansprüche der Akademiemitglieder an einen guten Dokumentarfilm!

Intelligente Annäherungen

Es gab in den letzten Jahren einige interessante filmische Versuche, sich intelligent dem Themenkomplex anzunähern. Sisi Klocker erklärt uns mit dem brüllend komischen Kurzdokumentarfilm "Laura. Alles, was Sie immer schon über Telefonsex wissen wollten" die Dramaturgie einer erfolgreichen erotischen Fantasie. Ihr Film "Ausstieg" porträtiert eine ehemalige Sexarbeiterin, die sehr offen und präzise über die Höhen und Tiefen, die Wüsten und die Oasen ihres Berufes erzählt. Hätte Sisi Klocker darauf verzichtet, selber etwas albern und selbstverliebt ins Bild zu treten, wäre das ein rundherum wunderbarer Film.

Anja Salomonowitz' Film "Kurz davor ist es passiert" über Frauenhandel führt vor, wie man gesellschaftliche Zusammenhänge anklagen kann, ohne dafür die Opfer filmisch ein zweites Mal zu viktimisieren. Und vor allem Sabine Derflingers Spielfilm "Tag und Nacht", produziert von Nina Kusturica und Eva Testor, liefert ein intelligentes Beispiel dafür, wie eine von Frauen recherchierte, geschriebenene, inszenierte und produzierte Auseinandersetzung mit dem Thema aussehen kann. Der Film folgt zwei Studentinnen ins Abenteuer Escortservice. Weder romantisierend noch verklärend, erfährt man von Untiefen und Risiken des Berufes aus der Sicht der Sexarbeiterinnen und kann dabei einen ausführlichen Blick auf verschiedene Sorten von Kunden werfen. Obwohl "Tag und Nacht" von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen wurde, verkaufte er sich nicht rasend. "Der Weltvertrieb gestand uns irgendwann: 'Naked men don't sell'", sagt Produzentin Nina Kusturica.

Da ist Glawogger marktgängiger: Nackte Frauen verkaufen sich immer, wie dumm der Film drumherum auch sein mag. Noch ist das so. Könnte sich ja auch ändern. (Tina Leisch)

1) Zwar haben sich 87 Jahre nach dem Wiener Sexualbefreier Hugo Bettauer und 43 Jahre nach den ersten "Dr. Sommer"-Tipps in der "Bravo" vielfältigere und selbstbestimmtere Formen von Geschlechtsrollen und Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern entwickelt, aber die Verachtung der SexarbeiterInnen besteht fast unverändert weiter. Wenngleich sich die Begründungen für die Verachtung säkularisiert haben: Linke verachten die Käuflichkeit der Liebe mit antikapitalistischen Argumenten: Wenigstens Lust und Liebe sollen von der kapitalistischen Ökonomie unberührt bleiben. Feministinnen verachten sie wegen der besonders schlimmen Frauenausbeutung, die angeblich da stattfindet. Wenn man ein bisschen an den Argumenten kratzt, kommt meist eine unreflektierte und schlecht camouflierte Positionierung auf der Seite der Moral Majority hervor.


(Der Artikel erschien erstmals in der "Augustin"-Ausgabe Nr. 313 vom 25. Jänner.)
"Liebe: ein Handel, wo beide Parteien gewinnen." G. C. Lichtenberg

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Marc of Frankfurt
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Sehr weises Interview

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Hier mal keine feministisch ablehnende Filmrezension:


Interview mit dem Regisseur von Ex-Sexworker und Autorin Tracy Quan:

www.thedailybeast.com/articles/2012/04/ ... ogger.html


Der Film ist sein Gegenstück über weibliche Arbeit zu seinem Film Workingman’s Death (2005).

Drei Drehorte - drei Geschäftsmodelle, Arbeitsweisen und Sexwork-Traditionen werden erhellt:





Moderne Bordell-Industrie

1.) Bangkok “fish tank” brothel in Buddhist Thailand:

Sexworker-Präsentation für den Kunden hinter einem Halbspiegel.

Later after work, the providers of pleasure go partying with professional bar boys in a host club (vgl. Japan Dokumentarfilm). The mood becomes tender, fluid, and unbearably wistful when the bar boys primp in front of their own mirror.





Klassische Zuhälterei vs Sexworker Autonomie

2.) In La Zona, the part of Reynosa a Mexican border town where Lady Death is worshiped:

Isolation can be liberating, but it can also be the method by which a male pimp stays connected.

“The pimps are in another town, a thousand kilometers away,” Glawogger said. “A pimp might have one girl watching another without her being aware. The girl reports to him by phone and gives him almost all the money. But,” he said, “they can leave. Just by saying ‘It’s over.’ ” “About half had broken away from their pimps, but it’s a very difficult thing to do. It’s emotionally difficult. They feel very dependent. Love,” he added, “is always the problem.”

Black magic is a typical method of keeping a girl entangled. The girls who were filmed seemed not to have pimps. Are they stronger? Unimpressed by the bonds of romantic love? Perhaps La Santa Muerte gives them the confidence to practice some black magic of their own





Fernöstliche Sexwork Matriarchate

3.) Glawogger gained access to a closed matriarchal world in Faridpur, Bangladesh:

600 women living and working in the City of Joy. The brothel itself provides a lifelong safety net. “It’s a female-controlled ghetto,” Glawogger said, “a very closed community, with six or so mothers who have a very strong grip on the whole thing.

Prostitution in Bangladesh was legalized in 2000 because a group of Tan Bazar sex workers, forced to live in a home for vagrants [Landstreicher, Obdachlose], went to the Bangladeshi High Court.

Kein ungeschützter Oralverkehr:

A girl may also be instructed by her mother to tell him oral sex is off limits because her mouth recites the suras of the Quran. “The girls don’t even take their clothes off,” Glawogger said. “They can just pull up their saris to have sex.”

Razzien:

In 2006, Glawogger was visiting Tangail, 45 miles from Faridpur. The women in Tangail’s brothel section had been warned that a mob of religious fundamentalists was planning to purge the brothel quarter, a reenactment of Tan Bazar’s violence. “All the clients and male relatives ran away,” he said, “but the women stayed and they were ready to fight back.” The most courageous opposition to fundamentalism in this country comes from Muslim women who are sex workers.

The women of Tangail inspired the making of Whores’ Glory.

Hier ein ähnlicher Kampf in Sangli, West Indien: Fallstudie Sangram.org gegen christliche Fundamentalisten:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=80522#80522

Siehe auch die heutigen modernen kooperativen/NGO Formen der SW Institutionalisierung:
- Sexworker Selbstorganisation in Indien (Self-Regulatory Board - SRB) gegen Menschenhandel:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=38203#38203
- 20 Jahre Durbar, die Unwiderstehlichen, in Kalkutta, Ort der nächsten Sexworker Weltkonferenz (wo unbedingt jemand vom Sexworker Forum dabei sein sollte):
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=111766#111766





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Marc of Frankfurt
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Fortbildungs-Tipp: Sexwork International

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Whores Glory

jetzt 7 Tage gratis auf arte+7



http://www.arte.tv/guide/de/040404-000/whores-glory






Diskussion
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 29.11.2013, 03:34, insgesamt 1-mal geändert.

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Arum
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Beitrag von Arum »

Ich fand's einen grossartigen Film, und wohl noch am meisten, weil er in der vorletzten Szene so haargenau und eindringlich blosslegte, wer im Grunde das Sagen hat in der Begegnung zwischen SW und Kunde, wer genau die Grenzen bestimmt: die SW eben. Schon deswegen ist der Film so ungefähr der gelungenste filmische Gegentwurf gegen die ganze AntiPro-Maschinerie, die ich bislang gesehen habe.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

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RE: "Whores Glory" Filmrezension

Beitrag von fraences »

Filmemacher Michael Glawogger gestorben

Dominik Kamalzadeh


Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger ist 54-jährig gestorben.


Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger ist während des Drehs an seinem "Film ohne Namen" an Malaria gestorben. Der Regisseur spleeniger Komödien und welthaltiger Dokumentarfilme war der größte Abenteurer im heimischen Kino

Wien - "Es wird ein Film über die Schönheit, über das Glück, jedenfalls ganz anders als alles, was ich bisher gemacht habe."

So beschrieb Michael Glawogger in einem Telefoninterview im Februar sein gegenwärtiges Projekt, den "Film ohne Namen". Er war gerade durch Marokko unterwegs, lachte, als er im Vorbeifahren einen Affen erblickte. Ein ganzes Jahr lang wollte er reisen, zuerst südlich durch Afrika, dann wieder gen Norden durch den amerikanischen Kontinent retour. Ein Film, der sich erst im Kopf entwickelt. Dokumentarismus ohne Buch, nahe am Ereignis, dem Zufall mitverpflichtet - dementsprechend schwer zu fördern.

Auf derStandard.at konnte man wöchentlich seine Tagebucheinträge lesen, pointierte, schön bemessene Geschichten von Begegnungen und Beobachtungen, die viel von seinem neugierigen Blick auf die Fremde erzählten - das letzte davon kam am Dienstag aus dem Lektorat. Am Mittwoch verbreitete sich zunächst über Twitter die Nachricht, dass Michael Glawogger in Liberia an Malaria gestorben sei. Ein Tod, so plötzlich, dass man es nicht wahrhaben mochte.

Wenn man ihm zuletzt zuhörte, beschlich einen das Gefühl, dass dieser so umtriebige Filmemacher auf einem Weg war, der noch ganz offen vor ihm lag: Weniger brachial gehe er nunmehr auf die Dinge zu, sagte er, "zärtelnder" würde die neue Arbeit. Eine Ehrfurcht gegenüber den Menschen und ihren so unterschiedlichen Lebensweisen schätzte er auch an William T. Vollmann, selbst Weltenfahrer. Ein Projekt über den US-Autor war lange angedacht.

In der österreichischen Filmlandschaft war Michael Glawogger der entdeckungslustigste Filmemacher. Kaum war ein Projekt fertig, brütete er schon über dem nächsten. Das Besondere an ihm war, dass er sich keiner Gattung, keiner Stilrichtung problemlos zuordnen ließ: In Komödien wie Nacktschnecken und Contact High feierte er den derben Witz, suchte er das surreale Moment im Leben instinktgetriebener Figuren. Kontraste wurden, besonders in Slumming, bewusst forciert, Überschreitungen gezielt gesucht - dies reizte ihn auch inszenatorisch mehr.
Irritierend und spektakulär

Spleenige Komödien, die das Regionale lustvoll verzerrten, waren das eine - breit angelegte Dokumentarfilme, mit denen Glawogger international reüssierte, das andere. Megacities und Workingman's Death, die auf vielen Festivals gezeigt wurden, sind alles, nur keine Themenfilme zur Globalisierung. Dafür irritieren diese Momentaufnahmen einer sich rasant wandelnden Welt zu sehr. Der spektakulären Qualität exotischer Orte wollten die Filme eine gültige Form verleihen. Die Ästhetisierung, mit der er Schwerarbeit in Workingman's Death festhielt, wurde auch kontrovers diskutiert. Er selbst sah sich mehr als "poetischer Realist".

Michael Glawogger wurde 1959 in Graz geboren, dort besuchte er auch das Akademische Gymnasium. Sein Handwerk hat er am San Francisco Art Institute und an der Wiener Filmakademie erlernt. Bevor er selbst Filme machte, stand er für Ulrich Seidl und Michael Sturminger hinter der Kamera. Christof Schertenleib, David Rühm und Wolfram Paulus haben seine Drehbücher verfilmt.

Mit Whores' Glory, seinem Triptychon über Prostitution, das von Thailand über Bangladesch bis nach Mexiko führt, gewann er 2011 auf dem Filmfestival von Venedig den Hauptpreis der Orrizonti-Reihe: ein Film, der seinen Protagonistinnen auf Augenhöhe begegnete; ein Film, der provozierte, weil er sich bewusst nicht auf moralisierende Blickmuster einließ.

Einen vergleichbar kleinen, aber äußerst assoziationsreichen Beitrag hatte er letztes Jahr für Wim Wenders' dokumentarisches Projekt Cathedrals of Cultures gedreht: ein Porträt der Nationalbibliothek in St. Petersburg in 3-D. In dem Film kann man den Filmemacher als Bücherwurm begegnen, zwischen Texte von russischen Lieblingsautoren hat er auch einen selbst geschriebenen eingeschmuggelt. Noch so eine Welt, in die Michael Glawogger, mit Begeisterung hineinstürzte

http://derstandard.at/1397521403143/Fil ... -gestorben
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Re: RE: "Whores Glory" Filmrezension

Beitrag von Arum »

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fraences hat geschrieben: Am Mittwoch verbreitete sich zunächst über Twitter die Nachricht, dass Michael Glawogger in Liberia an Malaria gestorben sei. Ein Tod, so plötzlich, dass man es nicht wahrhaben mochte.

Sehr sehr traurig...


schätzte er auch an William T. Vollmann, selbst Weltenfahrer. Ein Projekt über den US-Autor war lange angedacht.
Wundert mich kaum. Nicht nur vom Titel her erinnert Glawoggers Whores' Glory an Vollmanns absolut empfehlenswerten Roman Whores for Gloria (1992). Dieser zeigt auf genauso unter die Haut gehender und einfühlsamer Weise und auch ohne zu verurteilen die Welt eines Rotlichtviertels, in diesem Fall Tenderloin in San Francisco, wenn auch aus Sicht eines Kunden, der sich verliebt in die von ihm erträumte, ideale Hure, die er als Gloria bezeichnet.

Eine durchaus zutreffende Rezension findet man hier:
http://www.nytimes.com/1992/02/16/books ... loria.html

Dem Schlussurteil kann ich rundheraus zustimmen: The power of Mr. Vollmann's writing turns this short novel into a lyrical poem of the street, sad and beautiful.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz