Pressekonferenz - Doña Carmen e.V.
01.10.2008
http://www.donacarmen.de/?p=261
Anlass der heutigen Einladung sind Schreiben, mit denen die Steuerfahndung des Finanzamts Frankfurt seit wenigen Tagen die Frankfurter Bordellbetreiber versucht dazu zu drängen, eine pauschalierte Besteuerung der Prostituierten in ihren Häusern vorzunehmen.
Konkret: Ab heute, dem 1.Oktober 2008, sollen nach dem Willen der Steuerfahndung hiesige Bordellbetreiber/innen jeden Tag auf die Miete noch 25 € draufschlagen und das Geld ans Finanzamt weiterleiten.
Ich möchte Ihnen gleich zu Anfang sagen, dass Doña Carmen für eine Besteuerung des Prostitutionsgewerbes eintritt. Dies ist Ausdruck der anerkannten Teilnahme am Wirtschaftsleben. Prostitution ist ein Beruf und eine aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenkende Dienstleistung. Es ist klar, dass die Erträge wie in jedem anderen Beruf auch hier versteuert werden müssen.
Das ist - um daran zu erinnern - noch nicht lange der Fall. Prostituierten ist erst seit 1964 gestattet Einkommenssteuer zu zahlen, seit 1987 auch Umsatzsteuer und erst seit 2004 Gewerbesteuer. Steuerzahlen in der Prostitution ist also keine Selbstverständlichkeit. Das ist historisch gesehen relativ neu. Steuerzahlen ist Ausdruck der Anerkennung als normaler Wirtschaftszweig.
Genau das wollen wir. Aber wer hier Steuern kassieren will, der sollte bitte schön dafür Sorge tragen, dass dies auf einer rechtstaatlichen Grundlage geschieht. Und: Prostituierte sollten wie andere Berufe behandelt, das heißt gleichbehandelt werden und keiner diskriminierenden Sonderbehandlung unterworfen werden – wie das beim „Düsseldorfer Verfahren“ der Fall ist, dass die Finanzbehörden nun auch in Hessen einführen wollen.
Also, damit keine Missverständnisse entstehen. Wir sagen:
Steuer Ja, aber Sonderbesteuerung: Nein Danke.
Lassen Sie mich - bevor wir zur Frage der politischen Bewertung kommen - noch etwas zur Vorgeschichte und zum Hintergrund der Einführung der pauschalierten Besteuerung von Prostituierten in Hessen sagen.
Bereits im Dezember 2007 hatte der hessische Finanzminister Weimar die Einführung des Verfahrens in einem Schreiben an Dona Carmen angekündigt.
Damals war noch von einer „Konzeptionsphase“ die Rede. Die scheint nun beendet. In dieser Phase wurden weder Betreiber/innen hiesiger Etablissements noch Dona Carmen um eine Stellungnahme gebeten.Jetzt soll diese Form der Sonderbesteuerung im Hau-Ruck-Verfahren durchgepeitscht werden.
In Einzelgesprächen zu denen die Betreiber/innen in den letzten Tagen ins hiesige Finanzamt geladen wurden, wurde ihnen bedeutet, dass jeder, der da nicht mitmache, mit „Betriebsstörungen“ zu rechnen habe: Konkret heißt das: Kontrollen und Razzien zu den besten Geschäftszeiten. Dass also sind die schlagenden Argumente, die die Steuerfahndung vorzuweisen hat: Druck ausüben und die Betroffenen nötigen.
Hessen wäre das 7. Bundesland nach NRW, Baden-Württemberg, Sachsen, Berlin, Rheinland-Pfalz und dem Saarland – wenn die Einführung des Verfahrens hier tatsächlich erfolgen würde. 9 Bundesländer haben sich dem verfahren bislang nicht angeschlossen.
Eine von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück geplante bundesweit einheitliche gesetzliche Regelung der Pauschalbesteuerung von Prostituierten ist zwar im Mai 2007 ins Gespräch gebracht worden, aber offensichtlich bis heute nicht vorangekommen. Möglicherweise haben Juristen ja geraten, davon die Finger zu lassen, weil das Verfahren nicht sauber ist. Das könnten sie ja mal recherchieren.
Jetzt gehen die Finanzbehörden über die Dörfer: von Bundesland zu Bundesland. Und zwar – um es deutlich zu sagen - ohne rechtliche und ohne gesetzliche Grundlage, nur auf der Basis von ministeriellen Erlassen und Dienstanweisungen. Doch dazu später.
Was bedeutet das „Düsseldorfer Verfahren“, wie funktioniert es?
- Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts wendet sich an die örtlichen Betreiber/innen von Bordellen und bordellartigen Betrieben, lädt sie vor und empfiehlt ihnen die Teilnahme am alsbald einzuführenden „Düsseldorfer Verfahren“. In der Theorie ist die Teilnahem freiwillig, praktisch wird aber Druck ausgeübt.
- Wenn ein(e) Betreiber/in am pauschalierten Besteuerungsverfahren für Frauen in der Prostitution mitwirkt, muss sie/er diese Mitwirkung gegenüber dem zuständigen Finanzamt schriftlich erklären.
- Eine Teilnahme bedeutet: Betreiber/innen kassieren täglich bei den Frauen zusätzlich zu Raummiete eine Tagespauschale in Höhe von (in der Regel) 25 €. Diese Tagespauschale der Frauen beinhaltet eine Vorauszahlung auf die Einkommenssteuer, den Solidaritätszuschlag, die Umsatz- und ggf. die Gewerbesteuer.
Die Tagespauschale beruht auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlage gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) und soll unabhängig vom tatsächlichen Einkommen der betroffenen Frauen täglich in der gleichen Höhe abgeführt werden.
Der Theorie nach sollen Betreiber/innen von Prostitutionsetablissements den Frauen die einbehaltenen und an die Finanzbehörde abgeführten Vorauszahlungen bescheinigen.
Die so ein behaltenen Summen müssen dem zuständigen Finanzamt gemeldet und je nach Bundesland monatlich – in Frankfurt: vierteljährlich - an das Finanzamt überwiesen werden. - Die Mitwirkung von Betreiber/innen an dem Verfahren schließt ein, dass sie so genannte „Sammelanmeldungen“ bzw. „Sammellisten“ der am Verfahren teilnehmenden Frauen führen. Darin werden die einzelnen Anwesenheitstage der Frauen in der jeweiligen Einrichtung sowie Angaben zur Person (siehe Kopien) erfasst, damit anschließend ein zweifelsfreier Personenbezug der jeweils einbehaltenen Beträge hergestellt werden kann.
Zusätzlich zu diesen „Sammellisten“ müssen die Betreiber/innen in einer weiteren „Anlage“ nicht nur die vollständigen Personalien all derjenigen Frauen erfassen, die erklären, nicht die 25 € zu zahlen. Sie wollen darüber hinaus Name und Adresse des Ehegatten wissen und seit wann die Frau überhaupt der Prostitution nachgeht! Die Betreiber/innen sollen dabei zur „Meldung der persönlichen Besteuerungsdaten“ verpflichtet werden „Sammellisten“ samt zugehörigen „Anlagen“ müssen von den Betreiber/innen ebenfalls, in der Regel monatlich, dem Finanzamt übermittelt werden. - In der Regel wird gesagt, dass die Teilnahme am „Düsseldorfer Verfahren“ die teilnehmenden Frauen nicht von der Abgabe einer Steuererklärung befreie. In einigen Bundesländern, wie z. B. Rheinland-Pfalz, teilweise auch NRW, wird allerdings so verfahren, als ob es sich um eine Abgeltungssteuer handele und mit der Vorauszahlung die Steuerschuld beglichen sei.
Zum Hintergrund der Einführung dieses Verfahrens:
- Vor 2007 gab es das Verfahren lediglich in Teilen von NRW und Baden-Württemberg. Erst seit 2007 gibt es einen regelrechten Run auf das „Düsseldorfer Verfahren“: So schlossen sich allein in den letzten beiden Jahren die Bundesländer Berlin, Sachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und jetzt Hessen dem Verfahren an.
- Anlass war - und auf den verweist auch Finanzminister Weimar in seinem Schreiben an uns – der Bericht des Bundesrechnungshofs von 2003. Dieser enthielt folgende Behauptungen hinsichtlich des Prostitutionsgewerbes:
- In Deutschland arbeiten 400.000 Prostituierte,
- Sie erzielen einen Jahresumsatz von 6 Mrd. €;
- Es gibt jährliche Steuerausfälle in disem bereich von 2 Mrd. Euro.
- Nur 1% der Prostituierten zahlen ihre Steuern
(Deutscher Bundestag, 2003, Drucksache 15/2020, S.185-187)
- Fazit:
Das Prostitutionsgewerbe arbeitet so gut wie völlig an der Steuer vorbei. Um diesen Missständen zu begegnen, schlug der Rechnungshof vor:- bundesweite Einführung einer „pauschalen Steuer mit Abgeltungswirkung“ für Frauen in der Prostitution und
- die pauschalierte Besteuerung von Prostituierten sollte „das übliche Besteuerungsverfahren der Einzelveranlagung“ ersetzen. (S.188)
- Die vom Rechnungshof genannten Zahlen hatten allerdings einen Schönheitsfehler: Sie beruhten allesamt auf Schätzungen, ohne darzustellen, auf Grundlage welcher Annahmen diese Schätzungen zustande kamen. Das ist - um es höflich zu formulieren - unseriös.
- In der Fachöffentlichkeit wurde das ebenso gesehen und auch ausgesprochen, so etwa im wissenschaftlichen Abschlussbericht der Bundesregierung zur Evaluation des ProstG (2007).
„Es gibt jedoch weder empirisch gesicherte Erkenntnisse zur tatsächlichen Zahl der Prostituierten noch zu ihren Umsätzen“, heißt es dort in einer kritischen Anmerkung zum Bundesrechnungshof.
Der Abschlussbericht des Familienministeriums sprach zudem von „zunehmenden steuerlichen Anmeldungen von selbständig tätigen Prostituierten“ – was wir übrigens hier in Frankfurt bestätigen können.
Eine Befragung im Rahmen dieser Evaluation ergab, dass rund 40% der Frauen in der Prostitution ihr Einkommen versteuern. - Der Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem Jahre 2003 bleibt aber der Hintergrund für die wundersame Reaktivierung des aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammenden „Düsseldorfer Verfahrens“.
Wenn verantwortliche Politiker auf die Idee verfallen, die betroffene Personengruppe der Prostituierten mit einem Verfahren der Steuereintreibung zu beglücken, das aus dem Jahre 1966 stammt, also aus Zeiten, als die Entrechtung und gesellschaftliche Diskriminierung von Prostitution noch salonfähig war, dann müssten sie dafür gute Argumente haben.
Warum ist das „Düsseldorfer Verfahren“ rechts- und verfassungswidrig?
Bevor wir noch etwas zur aktuellen Situation in Frankfurt sagen, möchten wir unsere grundsätzlichen Einwände kurz skizzieren, da ansonsten die Empfehlungen, die wir aussprechen, nicht verständlich wären.
Wir haben es bereits angedeutet: Wir halten das Verfahren einer pauschalierten Besteuerung von Prostituierten
* für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz
* für ein steuerrechtlich diskriminierendes Verfahren, dass mit den gesetzlichen Vorgaben zur Besteuerung unvereinbar ist.
Dies sei im Folgenden kurz erläutert:
- Widerspruch zu Art. 20 GG - Vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden
Nach Art. 20 GG ist die vollziehende Gewalt „an Gesetz und Recht gebunden“. Wo dies im Falle des DV gewährleistet sein soll, ist nicht erkennbar.
Auf welches Recht bzw. welches Gesetz bezieht sich die vollziehende Gewalt, im Falle des DV die Finanzbehörden? Dem DV liegt kein rechtsverbindlicher, die Betroffenen verpflichtender Verwaltungsakt zugrunde. Eben weil dem so ist, wird ja immer auf die „Freiwilligkeit“ der Teilnahme verwiesen.
Mehrfach - sowohl seitens des Bundesrechnungshofes wie auch seitens des Bundesfamilienministeriums -wurde eine „rechtliche Absicherung“ des „Düsseldorfer Verfahrens“ gefordert. Das kann ja nur heißen, dass es die nicht gibt. Ansonsten ist eine solche Forderung sinnlos.
Eine rechtliche Absicherung ist aber bis heute nicht erfolgt und u. E. für dieses Verfahren auch gar nicht möglich. Und eine gesetzliche Grundlage hat das Verfahren bis heute nicht. - Widerspruch zu Art. 19 GG – Rechtsweggarantie
Nach Art.19, Absatz 4 GG steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, „der Rechtsweg offen“. Da die vom „Düsseldorfer Verfahren“ betroffenen Frauen keinen förmlichen, offiziellen „Bescheid“ über ihre Beteiligung am pauschalierten Besteuerungsverfahren erhalten, können sie gegen einen nicht vorhandenen Bescheid auch keinen Widerspruch einlegen. Das ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar. - Widerspruch zu Art. 3 GG - Gleichheitsgrundsatz
Das Düsseldorfer Verfahren verlangt, dass Vermieter - nichts anderes sind die Betreiber/innen von Prostitutions-Etablissements in aller Regel - die Steuervorauszahlungen ihrer Mieter/innen kassieren und den Finanzbehörden überweisen. Das gibt es bei keiner anderen Berufsgruppe in dieser Republik.
Die Praxis des DV steht im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz. Dort heißt es in Absatz 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Hinzu kommt: Kein anderer Berufszweig, kein anderes Gewerbe in dieser Republik wird wie die Prostitution dazu angehalten, täglich eine pauschale Steuervorauszahlung zu entrichten. Auch diese Praxis steht im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz. - Widerspruch zu Art.12 GG:
Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit
Die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art.12 GG ist bereits im wissenschaftlichen Abschlussbericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des ProstG festgestellt worden, wo es heißt:
„Prostituierte haben jedoch nicht immer die Wahlmöglichkeit, sondern müssen sich nach den Gegebenheiten des Betriebes richten. Einige Prostitutionsbetriebe oder gewerbliche Zimmervermietungen ziehen automatisch mit der Tagesmiete auch den Tagessteuersatz ein. Wer dort arbeiten möchte, muss das vorgegebene System akzeptieren.“ (Fußnote S.170). - Weitere Punkte:
Mangelnde Bestimmtheit der Zuordnung der Steuervorauszahlung zu unterschiedlichen Steuerarten; keine Berücksichtigung des Familienstands bei den Frauen, die dem DV unterworfen sind; problematisch früher Zeitpunkt der Vorauszahlung; etc.
Wir ziehen aus den hier aufgeführten Punkten den Schluss, dass eine Verfassungsklage gegen das DV Aussicht hat, das gesamte Verfahren bundesweit zu kippen. Wir sind in dieser Überzeugung von namhaften Anwälten bestärkt worden und nehmen den gegenwärtigen Versuch der Einführung des DV nun auch in Hessen zum Anlass für den Start einer politische Kampagne, deren Ziel es ist, das DV vor dem Bundesverfas-sungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
Hinzu kommt auch noch die steuerrechtliche Diskriminierung der Frauen in der Prostitution:
- Pauschalbesteuerung contra Recht auf Einzelveranlagung
Das jedem in diesem Land zustehende Recht auf eine seinen individuellen Einkommensverhältnissen entsprechende Steuererklärung soll den vom DV Betroffenen streitig gemacht werden.
An deren Stelle soll die Pauschalbesteuerung treten. Und zwar mit Abgeltungswirkung. So bereits jetzt in Rheinland-Pfalz. Der Bundesrechnungshof fordert das explizit. Diese Ausgrenzung aus dem Steuersystem wäre ganz eindeutig eine steuerrechtliche Diskriminierung, eine Sonderbehandlung.
Man lässt die Frauen in eine steuerrechtliche Falle laufen, wenn sie im Glauben gelassen werden, dass es mit der Tagespauschale getan wäre. Man kann sie durch Nachforderungen in den wirtschaftlichen Ruin treiben. - Frauen nicht auskunftspflichtig hinsichtlich ihrer persönlichen Besteuerungsdaten
Die Frauen stehen zu ihren Vermietern weder in einem Beschäftigungs- noch in einem Auftragsverhältnis, sodass diese nicht befugt sind, deren persönliche Besteuerungsdaten aufzunehmen und weiterzuleiten oder gar deren Steuervorauszahlungen zu tätigen.
Es ist ein Unding, wenn Finanzbehörden glauben über die Köpfe der Frauen hinweg festlegen zu können, wer, wann, auf welche Weise und wie viel Steuervorauszahlung für die Frauen leisten und bei ihnen eintreiben soll. Das ist eine Komplett-Entmündigung. Die Frauen sind nicht die Sklaven der Bordellbetreiber – auch wenn die Steuerfahndung es vielleicht gerne so hätte.
Gestatten Sie mir ein Zitat: „Im Sinne der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen wären Spezialvorschriften ausschließlich für Prostituierte bzw. den Prostitutionsbereich auch nicht zu rechtfertigen.“ Dieses Zitat stammt aus dem „Bericht der Bundesregierung“ zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes. Dieser Aussage können wir uns vollinhaltlich anschließen. - Widerspruch zu § 162 Abgabenordnung (AO)
Die Festlegung von Frauen in der Prostitution auf Zahlung eines einheitlichen Betrags der Steuervorauszahlung beruht auf einer Schätzung ihrer Einnahmen. Als rechtliche Grundlage für das gesamte „Düsseldorfer Verfahren“ wird immer gerne auf den § 162 AO verwiesen.
Zu schätzen ist aber laut § 162 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung geben kann, Auskünfte verweigert oder Mitwirkungspflichten verletzt bzw. Aufzeichnungen nicht vorlegen kann, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat.
§ 162 AO geht allerdings vom einzelnen Steuerpflichtigen aus, bei dem im Einzelfall das Nichteinhalten gesetzlicher Anforderungen hinreichend belegt sein muss.
Das auf Schätzungen beruhende „Düsseldorfer Verfahren“ aber unterstellt, dass ein ganzer Wirtschaftszweig kollektiv Aussage-verweigerung praktiziert. Das läuft auf die Kriminalisierung eines ganzen Wirtschaftszweiges hinaus. - Widerspruch zum Grundsatz gleichmäßiger Besteuerung nach § 85 AO
In § 85 Abgabenordnung heißt es: „Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben.“ Gegen diesen allgemeinen Grundsatz der Besteuerung - rechtliche Grundlage von Steuergerechtigkeit - verstößt das Verfahren der Pauschalbesteuerung im Prostitutionsgewerbe gleich mehrfach:
Dagegen existiert mit dem DV: Verschiedene Praxis zwischen den einzelnen Bundesländern, innerhalb einzelner Bundesländer, Verschiedenheit in der Höhe der Steuervorauszahlung; und schließlich Verschiedenheit innerhalb einzelner Bereiche des Prostitutionsgewerbes (Ausschluss Wohnungsprostitution, Straßenprostitution) = gereicht der Kleinstaaterei Deutschlands im 19. Jahrhundert zur Ehre, widerspricht aber den gesetzlichen Vorgaben. - Widerspruch zu § 208 AO – Zuständigkeit der Steuerfahndung
Laut § 208 Abgabenordnung (AO) hat die Steuerfahndung nur dann in Aktion zu treten, wenn entweder eine Steuerstraftat oder zumindest der Verdacht eines Steuerdelikts vorliegt.
Mit der grundsätzlichen institutionellen Zuständigkeit der Steuerfahndung im Kontext des „Düsseldorfer Verfahrens“ aber wird ein ganzer Wirtschaftszweig vorab unter Generalverdacht gestellt und die dort Tätigen vorab als kriminelle Steuerhinterzieher gebrandmarkt. Auch das ist steuerrechtliche Diskriminierung. - Widerspruch zu § 30 AO – Verletzung des Steuergeheimnisses
Die Behauptung, Frauen in der Prostitution würden ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten bei Steuerangelegenheiten grundsätzlich nicht nachkommen, dient als Rechtfertigung für die Einschaltung unbefugter Dritter, nämlich der Bordellbetreiber/innen, die weder Arbeit- noch Auftraggeber der Frauen sind. Damit wird den in der Prostitution tätigen Frauen die Inanspruchnahme des in § 30 AO gesetzlich geschützten Steuergeheimnisses streitig gemacht. - Steuerrechtliche Diskriminierung von Migrantinnen:
Wie wird eigentlich mit Migrantinnen verfahren, die hier lediglich kurzfristig und vorübergehend in der Prostitution arbeiten, ihre Steuer in ihrem Heimatland entrichten und keine deutsche Steuernummer haben?
1966 gab es kaum Migrantinnen in der Prostitution. Jetzt mit den gleichen Verfahren wie damals zu operieren, ist völlig abenteuerlich. Denn: Für hier selbständig tätige Migrantinnen gilt: Sie müssen ihre Einkommenssteuer nicht automatisch in Deutschland, sondern können sie im Heimatland entrichten entsprechend den Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den jeweiligen Herkunftsländern.
Daraus ergibt sich für Prostitutionsmigrantinnen das Recht auf Entrichtung der Einkommenssteuer in ihrem Herkunftsland. Das wiederum bedeutet, dass ihre Einbeziehung in die Pauschalversteuerung hierzulande völlig problematisch ist und sie durch die Entrichtung von Tagessteuerpauschalen lediglich um ihr Geld gebracht werden: Sei es, dass die Höhe der Steuerpauschale nicht den Steuersätzen ihres Herkunftslandes entspricht, oder sei es, dass sie hier möglicherweise gar keine Steuererklärung einreichen und damit die im Rahmen des Düsseldorfer Verfahrens einkassierten Beträge gar nicht mit ihrer Steuerschuld verrechnet, sondern von den Finanzbehörden schlicht einbehalten werden.
Dazu hat die Steuerfahndung u. W. noch nirgends zu Stellung genommen. Hier fordern wir definitiv eine Aufklärung. Und zwar von offizieller Seite.
Zum Schluss noch der Hinweis, dass das DV in zweifacher Hinsicht im Widerspruch steht zum ProstG:
- In der Gesetzesbegründung zum ProstG heißt es, „dass es dem Gesetzgeber um die Besserstellung von Prostituierten, nicht aber Dritter, insbesondere von Zuhältern geht.“
Wenn im Rahmen der Verfahren zur pauschalen Steuervorauszahlung Bordellbetreiber/innen das Recht eingeräumt wird, Gelder der Frauen zum Zwecke der Steuervorauszahlung einzubehalten und deren Zahlungen erst im Quartalsabstand an die jeweilige Finanzbehörde zu überweisen, so bedeutet das, dass Betreiber/innen größerer Etablissements damit über längere Zeit hinweg hohe, oftmals fünf- bzw. sechsstellige Beträge zukommen.
Diese von den Frauen erwirtschafteten Gelder können zwischenzeitlich zinsgünstig angelegt oder auch investiert werden. Ob dies mit den Zielvorgaben des Prostitutionsgesetzes von 2002 übereinstimmt, dürfte mehr als fragwürdig sein. - Eine am „Düsseldorfer Verfahren“ orientierte Pauschalbesteuerung der Frauen im Prostitutionsgewerbe unterstellt grundsätzlich und ungeprüft das Vorliegen selbständiger Beschäftigung. Das kann, muss aber nicht der Fall sein. Damit wird die noch vom Prostitutionsgesetz zugrunde gelegte und als rechtliche Möglichkeit eröffnete Option sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse durch die Hintertür wieder kassiert.
Was wir fordern
Aus dem Gesagten geht hervor, dass wir der Einführung des DV nicht zustimmen können. Wir raten daher den Betreiber/innen, die ja als einzige von der Steuerfahndung angesprochen werden - die Frauen existieren für die Steuerfahnfung nicht als Subjekte, nur als Objekte von Besteuerung und Razzien - sich nicht am DV zu beteiligen.
Dazu, das wissen wir, gehört Zivilcourage. Denn die Betreiber/innen müssen natürlich abwägen, inwiefern sie es sich leisten können, sich von der Steuerfahndung - wie bereits angekündigt - das Leben schwer machen zu lassen.
Was raten wir den Frauen?
Zunächst einmal werden wir sie informieren müssen, weil das niemand anders tut. Sie werden auch diesmal bestenfalls aus der Zeitung erfahren, wie sich ihre Situation ändern wird, was ein Unding ist.
Wir raten den Frauen konkret, im Falle der Einführung des DV auf den Sammellisten bei der Beteiligung „Nein“ anzukreuzen. Ganz egal, ob sie eine Steuernummer haben oder nicht.
Und wir raten ihnen, auch die dann für sie vorgesehene Anlage nicht auszufüllen, weil ihre persönlichen Besteuerungsdaten die Betreiber/innen, die weder Arbeitgeber noch Auftraggeber der Frauen, sondern lediglich gewerbliche Zimmervermieter sind, nichts angehen.
Es gibt aus datenschutzrechtlichen Erwägungen für die Frauen keinen Grund, solche Angaben über die Betreiber/innen an die Steuerfahndung weiterzuleiten.
Was wird dann passieren?
Dann wird die Steuerfahndung zu diesen Frauen gehen müssen, dann sollen sie sie fragen, ob sie eine Steuernummer haben oder nicht.
Die Steuerfahndung wird auf drei Gruppen von Frauen treffen:
- die die eine Steuernummer haben. Die müssten Sie in Ruhe lassen.
- Die, die hier keine Steuernummer haben und ihre Steuern in ihrem Heimatland bezahlen. Dann sollen sie ruhig mal die Steuerbehörden im Ausland anschreiben.
- Schließlich die Frauen, die keine Steuernummer haben. Dann können sie diese Frauen auffordern eine solche zu beantragen.
Wir möchten allerdings dringend darauf hinweisen:
Wenn Frauen keine Steuern bezahlen, so in den meisten Fällen deshalb, weil sie Angst davor haben, dass ihre Tätigkeit in der Prostitution bekannt wird.
Und viele haben Angst, dass sie rückwirkend für viele Jahre veranlagt werden. Hier muss endlich eine Steueramnestie her, um diesem Teil der Frauen den Weg in die Steuerehrlichkeit zu ebnen.
Und wir sagen ganz klar: Hier haben der Staat und die Behörden nach Jahrzehnten und Jahrhunderten der rechtlichen Diskriminierung eine historische Bringschuld, von der sie auch nicht ablenken können.
Es gab - um das mal konkret zu machen - nie eine Information der Frauen zu Steuerangelegenheiten weder auf Deutsch, noch in ihren Herkunftssprachen. Das muss sich ändern.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal den Bericht von Frau von der Leyen zum ProstG zitieren:
„Gezielte Aufklärung durch Finanzämter und eine im Rahmen ihrer Möglichkeiten flexible Handhabung von Steuernachforderungen würde es etlichen Prostituierten, die bislang ihre Einkünfte nicht versteuern, sicherlich erleichtern, sich steuerlich anzumelden.“
Bedauerlicherweise entsprechen dieser Einsicht hier vor Ort keine Taten. Hier gibt es nur das Machtgerangel der Steuerfahndung mit den Bordellbetreiber/innen - auf dem Rücken der Frauen. Und das haben wir Leid.
Die Steuerfahndung des Finanzamts Frankfurt soll den Versuch der überfallartigen Einführung des DV in Hessen sofort stoppen und sich mit allen Betroffenen an einen Tisch setzen.
Sie sollte endlich beginnen zu begreifen, dass die Frauen, um die es geht, Subjekte und nicht Objekte sind, mit denen sie ungefragt machen können, was sie wollen und für richtig halten.
Sollte sich das Finanzamt dazu nicht durchringen können, sind die politisch Verantwortlichen gefragt.
Im übrigen gilt: Solange das Düsseldorfer Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht rechtlich überprüft worden ist und dieser Überprüfung standgehalten hat, besteht weder für die Frauen, noch für die Betreiber/innen eine Veranlassung, sich an diesem dubiosen Verfahren zu beteiligen. Wir können davon nur abraten.
Doña Carmen e.V. fordert:
- Steuer: Ja – Sonderbesteuerung: Nein danke!
- Keine Einführung des Düsseldorfer Verfahrens - weder in Frankfurt noch anderswo!
- Überprüfung des Düsseldorfer Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht
- Schluss mit der Politik der Einschüchterung und Drohungen durch Kontrollen und Razzien - Gemeinsame Suche nach einvernehmlichen Lösungen mit allen Betroffenen
- Öffentliche Aufklärungskampagne zu steuerrechtlichen Regelungen, insbesondere für Migrantinnen in der Prostitution
- Steueramnestie für Frauen in der Prostitution - Lösungen unter Berücksichtigung des Wunsches der Frauen nach Anonymität!
- Überprüfung sämtlicher steuerrechtlichen Regelungen für Prostituierte hinsichtlich diskriminierender Aspekte – Beendigung
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