Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Wo melde ich meinen Beruf an, mit welcher Steuerlast muss ich rechnen, womit ist zu rechnen, wenn ich die Anmeldung verabsäume, ... Fragen über Fragen. Hier sollen sie Antworten finden.
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Lycisca
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Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Lycisca »

Quelle: Die Presse, Rechtspanorama vom 9.2.2015

Recht auf Vernichtung von Papierakten

Der Verfassungsgerichtshof (B1187/2013) anerkennt das Recht auf physische Vernichtung von Papierakten, die eine Behörde aufbewahrt. Und zwar dann, wenn deren Aufbewahrung gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel acht EMRK) verstößt. Im Anlassfall ging es um verdeckte polizeiliche Ermittlungen wegen des Verdachts der illegalen Prostitution. Sie hatten eine Anzeige bei einem Finanzamt und bei einer Bezirkshauptmannschaft zur Folge. Die Beschwerdeführerin beschritt den Rechtsweg, weil sie nicht - wie in den Akten - als Prostituierte bezeichnet werden möchte und eine Missachtung ihres Sexuallebens erblickte.

Kommentar Lycisca: Der Verfassungsgerichtshof hat damit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstmals zur Kenntnis genommen, wonach grundsätzlich ins Privatleben eingegriffen wird, wenn Behörden persönliche Daten aufbewahren. Weiter hat der Verfassungsgerichtshof zugegeben, dass konkrete gesetzliche Vorgaben fehlen, wie lange Informationen aufbewahrt werden dürfen und nach welchen Verfahren von Betroffenen ihre Löschung durchgesetzt werden kann. Solche Regelungen gibt es nur nach dem Datenschutzgesetz, das nach demselben Urteil nicht auf Papierakten anwendbar ist und wo die Datenschutzbehörde daher unzuständig ist. Es wird also in einem internationalen Verfahren zu klären sein, ob die Aufbewahrung von personenbezogener Information in Papierakten ohne derartige Regelungen überhaupt gesetzmäßig war.

Klaus Fricke
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RE: Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Klaus Fricke »

Wenn Du einen Quellenhinweis zum Urteil hast, ich würde es sehr gerne zur Kenntnis nehmen, auch wenn es natürlich im Augenblick wohl, so habe ich das verstanden, "nur" für Österreich rechtswirksam ist.

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Jupiter
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RE: Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Jupiter »

@Klaus, ich erinnere mich, dass es etwas ähnliches auch in Deutschland gab/ gibt. Das war in Zusammenhang damit, als herauskam, dass in bestimmten Polizeidaten als "besondere" Personengruppe "Prostituierte" vermerkt war (muß hier im Forum auch irgendwo verewigt sein).
Im übrigen war ich bislang der Ansicht, dass der Datenschutz wg. pers. Daten unabhängig von der Technik gilt. Also egal Papierkartei oder elektronische Datenbank.
Vielleicht kann dazu mal ein Rechtsgelehrter etwas sagen.

Gruß Jupiter
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RE: Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Adultus-IT »

Wenn man das Aktenzeichen im "RIS" sucht, findet man folgendes.

http://goo.gl/FlOhCj

Gruss Micha
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RE: Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Jupiter »

Ich habe gerade etwas Zeit zum Suchen verbracht. Es geht mir um diese Angelegenheit:
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... highlight=

Da die hier beschriebene Verfahrensweise sehr alt ist, hat dies sicher vor EDV per Karteikarte funktioniert und ist dann in die EDV eingegeben worden (wie damals üblich ev. durch Dritte im Lohnauftrag)

Gruß Jupiter
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Beitrag von Lycisca »

Quellenhinweis zum Urteil: Österreichisches Rechtsinformationssystem

... und ja, es handelt sich um den österr. VfGH (entspricht BVerfG in D)

Zur Rechtslage in Deutschland: Grundsätzlich hat dort BVerfG unter dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Sammeln von Informationen aus dem Kernbereich des Privatlebens untersagt. Bemerkenswert ist auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwG 6A.07 vom 28.11.2007: Rechtswidrig gesammelte Informationen über einen Journalisten waren zu löschen.

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RE: Urteil des Verfassungsgerichtshofs

Beitrag von Lycisca »

Neu im Rechtsinformationssystem; ein Update zum oben zitierten Erkenntnis. Oben hat der VfGH festgestellt, dass jeder ein Recht auf Datenlöschung hat. Bei elektronischen Daten ist dies im Datenschutzgesetz festgeschrieben und man wendet sich zur Rechtsdurchsetzung an die Datenschutzbehörde. Bei Daten in Papierakten ist das Datenschutzgesetz nicht anwendbar, aber das Recht auf Löschung (Vernichtung von Akteninhalten) ergibt sich aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens und man wendet sich an ein Verwaltungsgericht (bzw. das Bundesfinanzgericht bei Akten am Finanzamt).

Im Anschluss an das zitierte Erkenntnis hat sich das Finanzamt weiterhin geweigert, die Papierakten zu vernichten. Zur Begründung hat das Finanzamt alle Argumente aus dem Rechtsinformationssystem angeführt, die gegen eine Datenlöschung sprechen. Das Bundesfinanzgericht hat diese Begründungen noch akzeptiert, aber der VfGH hat sie nun in E3249/2016 vom 12.12.2018 verworfen: Die Akten betreffen ein Steuerverfahren, das seit mehr als fünf Jahren mit einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs abgeschlossen wurde. Die Begründungen hatten daher nur hypothetischen Charakter ohne konkreten Hintergrund und waren daher nicht nachvollziehbar.
Zuletzt geändert von Lycisca am 22.01.2018, 15:07, insgesamt 3-mal geändert.

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Beitrag von Kasharius »

@Lycisca

ganz herzlichen Dank. Sehr interessant.

Kasharius grüßt Dich