Bundesgericht in der Schweiz urteilt: Sexarbeit ist nicht mehr sittenwidrig

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deernhh
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Bundesgericht in der Schweiz urteilt: Sexarbeit ist nicht mehr sittenwidrig

Beitrag von deernhh »

Medienmitteilung des Bundesgerichts
Urteil vom 8. Januar 2021 (6B_572/2020)


Anspruch auf Entgelt für Sexarbeit geniesst strafrechtlichen
Schutz – Betrugsverurteilung von Mann bestätigt
Das Bundesgericht bestätigt die Betrugsverurteilung eines Mannes, der eine Frau um
das vereinbarte Entgelt für die von ihr erbrachten sexuellen Dienstleistungen geprellt
hat. Ihr Anspruch auf Entschädigung ist strafrechtlich zu schützen, da der Prostitu-
tionsvertrag unter diesem Aspekt nicht mehr als sittenwidrig gelten kann.
Der Mann hatte 2016 in einem Internet-Inserat "jungen" Frauen 2000 Franken Verdienst
in Aussicht gestellt. Einer Interessentin teilte er per Mail mit, dass er für 2000 Franken
eine Nacht mit ihr verbringen und Sex haben wolle. Bei weiteren Mail-Kontakten
versicherte er ihr, über das Geld zu verfügen. Am Tag des Treffens forderte die Frau auf
der Fahrt zum Hotelzimmer vorgängige Bezahlung. Aufgrund des Auftretens des
Mannes und seiner Versicherung, das Geld bei sich zu haben und nach dem Ge-
schlechtsverkehr zu zahlen, liess sie sich auf eine nachträgliche Zahlung ein. Nach
zweimaligem Geschlechtsverkehr verliess er das Hotelzimmer ohne Bezahlung des
vereinbarten Betrages. Das Kreisgericht St. Gallen verurteile ihn 2019 wegen Betruges
zu einer bedingten Geldstrafe. Das Kantonsgericht bestätigte den Entscheid.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Mannes ab. Er hatte einen Freispruch
vom Betrugsvorwurf beantragt und unter anderem geltend gemacht, dass der Pros-
titutionsvertrag gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts sittenwidrig sei. Die Frau
habe deshalb keinen rechtlich geschützten Anspruch auf das Entgelt. Mangels eines
Vermögensschadens sei der Betrugstatbestand damit nicht erfüllt.
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob dem Anspruch der Frau auf Entschädigung
nach Erbringung ihrer Leistungen strafrechtlicher Schutz zuerkannt werden muss. Das
ist zu bejahen. Auszugehen ist grundsätzlich davon, dass das Erwerbseinkommen einer
sich prostituierenden Person als rechtmässig anerkannt ist und in verschiedener
Hinsicht rechtlich erfasst wird. So unterliegt die Prostitution etwa der Einkommens- und
Vermögenssteuer und der AHV. Zudem handelt es sich bei der Prostitution um eine
sozialübliche und zulässige Tätigkeit, deren Ausübung denn auch unter dem ver-
fassungsrechtlichen Schutz der Wirtschaftsfreiheit steht. Insgesamt kann der Schluss
gezogen werden, dass der Dienstleistung der sich prostituierenden Person in der
Rechtsordnung zumindest teilweise ein Vermögenswert beigemessen wird. Der Vertrag
über die entgeltliche Erbringung von sexuellen Dienstleistungen widerspricht damit
offensichtlich nicht in jeder Hinsicht den ethischen Prinzipien und Wertmassstäben,
welche die Gesamtrechtsordnung beinhaltet. In Anbetracht dessen lässt es sich nicht
mehr aufrecht erhalten, den Vertrag zwischen der sich prostituierenden Person und
ihrem Kunden uneingeschränkt als sittenwidrig zu würdigen. In Bezug auf die hier zu
beurteilende Konstellation lässt sich auf jeden Fall nicht mehr sagen, dass der – von der
Rechtsordnung offensichtlich nicht missbilligten – sexuellen Dienstleistung kein Ver-
mögenswert zukomme.
Bestätigt hat das Bundesgericht im Weiteren, dass der Verurteilte sein Opfer im Sinne
des Betrugstatbestandes "arglistig" über seine Zahlungsbereitschaft getäuscht hat. Der
Frau kann kein leichtfertiges Verhalten vorgeworfen werden. Es mag zwar zutreffen,
dass sie in gewissem Masse leichtgläubig war, indem sie nicht auf vorgängiger
Bezahlung bestand. Selbst ein erhebliches Mass an Naivität oder Leichtsinn beim Opfer
führt jedoch nicht zwingend zur Straflosigkeit des Täters.
Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter, Caroline Brunner, Stellvertretende
Medienbeauftragte
Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00
E-Mail: presse@bger.ch
Hinweis: Die Medienmitteilung dient zur Information der Öffentlichkeit und der Medien. Die
verwendeten Formulierungen können vom Wortlaut des Urteils abweichen; für die Recht-
sprechung ist einzig das schriftliche Urteil massgebend.
Das Urteil ist ab 4. Februar 2021 um 13:00 Uhr auf www.bger.ch abrufbar: Rechtsprechung >
Rechtsprechung (gratis) > Weitere Urteile ab 2000 > 6B_572/2020 eingebeben.

6b_0572_2020_2021_02_04_T_d_11_10_37 (1).pdf


Falls es mit der PDF nicht klappt, dann geht es vielleicht mit diesem komischen Link:

https://www.google.com/url?sa=t&source= ... yWQ_mGsXyN

Siehe auch hier:

viewtopic.php?f=18&t=10825#p164803