Ein Erlebnisbericht

Hier könnt Ihr Eure Erlebnisse und Eure Gedanken zum Thema "Sexarbeit mit behinderten Kunden" aber auch "behinderte SexarbeiterInnen" posten, oder Anregungen holen, wie man mit dem sicherlich sensiblen Themen umgehen kann bzw. soll.
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Soul1984
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RE: Ein Erlebnisbericht

Beitrag von Soul1984 »

Ich bin neu hier im Forum und finde es wahnsinnig interessant, was hier diskutiert wird. Leider habe ich jetzt gerade zu wenig Zeit, um längere Ansichten zu verfassen, aber ich werde in den nächsten Tagen sicher noch das ein oder andere ergänzen können. Vor allem auf diesen Thread freue ich mich, da ich selbst auch Muskelatrophie habe und einige der hier angesprochenen "Phänömene" erklären bzw. bewerten kann. Bis bald!

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Rolliman
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RE: Ein Erlebnisbericht

Beitrag von Rolliman »

@Soul
Jeder neue Behinderte der hier schreibt, trägt zur normalisierung und zur Enttabuisierung dieses Themas bei.
Schon deshalb herzlich willkommen und auf Deine Berichte und Ansichten freue ich mich jetzt schon.

so long
Rolliman

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Soul1984
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Beitrag von Soul1984 »

Also ich weiß jetzt gar nicht, wo ich anfangen soll. Gestern hatte ich den Thread komplett durchgelesen, aber jetzt ist er mir zu lang, um ihn noch mal zu lesen. Deshalb schreib ich jetzt erst mal auf, was mir alles einfällt. Weiteres entwickelt sich dann noch aus der Diskussion, denke ich.

Wie schon erwähnt, habe auch ich eine (Spinale) Muskelatrophie. Wahrscheinlich bin ich mit dem Spanier aus Jennys Bericht zu vergleichen - obwohl ich viel jünger bin -, denn auch ich kann mich so gut wie überhaupt nicht bewegen und brauche für jede Kleinigkeit Hilfe. Das bedeutet, dass ich fast keine Privatsphäre habe. Es ist immer jemand da, jedes Telefongespräch wird mitgehört. Die einzige Möglichkeit, von meinen Eltern oder Assistenten unbeobachtet mit der Außenwelt zu kommunizieren, ist für mich das Internet. Das ist auch der Grund, warum ich - wie Rolliman auch - mit Sexarbeiterinnen ausschließlich über E-Mail kommuniziere. Ein Telefongespräch wäre für eine Kontaktaufnahme ungünstig, da mir jemand die Nummer wählen muss und zum Teil auch mitgehört werden kann, was ich spreche.
Ein anderer Grund, warum ich Telefonate zu vermeiden versuche ist, dass meine Stimme/Ausprache aufgrund meiner Muskelschwäche etwas undeutlich ist. So etwas macht manche Leute, die mich nicht kennen, unsicher oder teilweise auch unfreundlich.

Zum Punkt: Was sollte man über seine Behinderung preisgeben?
Wie Melanie gesagt hat (ich glaube, es war Melanie), war es wirklich unglücklich von ihrem Kunden, dass er die Art seiner Lähmung verschwiegen hat. Den kompletten medizinischen Fachbegriff zu nennen, bringt aber auch nichts. Ich denke, man muss einfach die wichtigsten äußerlich sichtbaren Symptome verständlich beschreiben und dazu zählen Spasmen nun mal. Weitere Punkte sind zum Beispiel: Bewegungsunfähigkeit, extrem dünner Körper, verkrümmte Gliedmaßen,... Ich meinerseits beschreibe das aber nie mit einzelnen Wörtern sondern immer in ganzen Sätzen, dann wird es noch verständlicher.

Was mir als Muskelatrophiker auch noch mal wichtig ist zu erwähnen, ist, dass diese scheinbare Pingeligkeit beim Ankleiden, dieses ewige Gezupfe usw. leider zu unserer Behinderung dazu gehört. Ein Nicht-Muskelkranker kann sich das wahrscheinlich nicht vorstellen, dass uns schon ein leicht verdrehter Unterhemdsärmel daran hindern kann, den Joystick zu bedienen und zu fahren.
Dass sich das Ganze aber auf 60 Minuten erstreckt und der Betroffene nicht einmal klare Anweisungen geben kann, was zu machen und "wo zu zupfen" ist, ist auch für mich erschreckend und nicht nachvollziehbar. Wenn er schon keinen Assistenten finden kann, der die Anzieharbeit erledigt, dann sollte er zumindest versuchen, die Zeit der SW nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen.
Es ist also völlig verständlich, JennyHN, dass du sehr erzürnt warst und ihm das auch deutlich geschrieben hast.

So. Jetzt muss ich zum Essen... hihi
Ich hoffe, dass ich ein bisschen dazu beitragen konnte, die Schwierigkeiten, die in der Arbeit mit behinderten Menschen auftreten, zu verstehen. Sie zu lösen, wird immer schwierig sein, aber wenn man sie verstanden hat, dann kommt man damit auch besser zurecht, denke ich.

Also, lasst euch schon mal über mich aus! Ich bin dann morgen wieder dabei...

Artanis666
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RE: Ein Erlebnisbericht

Beitrag von Artanis666 »

Hallo

Der Thread ist zwar schon etwas älter, hoffe aber, dass die Community trotzdem aktiv ist ;)

Ich möchte hier ein paar Sachen ansprechen, die schon in den Raum geworfen wurden, muss dazu aber etwas ausholen.

Ich bin schwer körperbehindert (habe eine Muskelerkrankung, die mehr den Oberkörper als die Beine betrifft, was nicht heißt, dass die Beine total gesund sind, sondern dass der Oberkörper sehr stark betroffen ist), ich habe Mitochondriale Myopathie, falls das jemanden etwas sagt. Meine Arme kann ich nicht selbst heben, bzw. großartig von alleine Bewegen. Zum tippen am PC reichts noch, überall anders wo, brauche ich Hilfe. Seit 13 Jahren, ich bin jetzt 22, habe ich einen Luftröhrenschnitt und muss in unregelmäßigen Abständen abgesaugt werden, weil ich den Schleim aus der Lunge nicht rauf husten kann.

Ich beschreibe meine Behinderung hier so genau (geht natürlich immer genauer aber soweit sollte es fürs erste reichen) damit man meine Aussagen versteht.

Zum Erfahrungsbericht von Jenny: Ich finde es wirklich dreist und respektlos, wie der Spanier mit dir umgegangen ist. Dass er gewisse Dinge braucht, die nicht Behinderte nicht brauchen (waschen, anziehen, usw) ist klar, aber bedeutet nicht, dass du dafür zuständig sein musst. Wenn du es machst, ist es ok, wenn nicht ist es aber genau so ok, weil es, wie ich finde, nicht zu deinen Aufgaben gehört.
Ich kann vor dir Jenny nur den Hut ziehen, dass du es trotzdem durchgezogen hast.

Zum Thema Privatsphäre: Eine Person hier im Thread hat geschreiben, wenn man keine Privatsphäre mehr hat und deswegen nicht Anrufen kann, dann braucht man auch keine Sexworker mehr. Das ist eine sehr drastische Ansicht. Ich selbst habe rund um die Uhr jemanden bei mir in der Nähe (Wohnung). Es gibt keine Minute, wo ich alleine bin bzw. alleine sein kann. Es muss immer jemand in hörweite sein. Telefonieren kann ich nur über eine Freisprecheinrichtung, d.h. es kann jeder hören, wenn ich telefoniere. Deshalb telefoniere ich auch sehr ungern ;) Ich muss dazu sagen, ich selbst habe noch nicht die Dienste eines SW in anspruch genommen, aber überlege schon etliche Jahre. Warum ich es noch nicht getan habe ist kurz erklärt, wenn ich es mache, muss es mindestens eine Person wissen. Ich habe mich aber noch nicht dazu durchgerungen, irgendwem das anzuvertrauen, dass eben eine SW zu mir kommt.
Ich bin 22, die Eltern müssen nicht alles wissen, und die Assistenten, die sonst bei mir sind, eigentlich auch nicht. Aber anders gehts nicht.
Was ich damit sagen will ist, wenn Behinderte nur SMS oder Mails schreiben, hat das nicht zwangsläufig was mit Angst zu tun, sondern kann auch daher kommen, weil nicht jeder alles mitbekommen soll, was wir Behinderten machen.

Das ganze Thema ist schwierig, wenn man nur bestimmte Bilder von Behinderten im Kopf hat. Manche denken, wenn man von Rollstuhl spricht an Lähmung der Beine, oder andere Beinprobleme, dass es aber so viele verschiedene Arten von Behinderungen gibt, manche weniger schwer, manche schwerer, ist noch nicht allen klar.
Leider, so glaube ich, haben auch viele Behinderte Angst vor zurückweisung. Ich selbst hatte bis jetzt kein Glück in der Liebe, keine Freundin, keinen Kuss. Klar, ich bin noch Jung und verzweifelt bin ich jetzt auch nicht, aber dennoch ist es etwas, was man erst einmal verkraften muss, wenn man von Freunden und Bekannten immer wieder ihre Stories über die neue Freundin, oder die letzte Nacht hört.
Ich muss zugeben, ich wusste nicht, dass es soviele SW gibt, die mit Behinderungen kein Problem haben (wenn die Vorbesprechung passt). Ich habe die letzten Tage im Internet nach SW für Behinderte gesucht. Dass ich nichts gefunden habe, ist mir jetzt klar, weil es da keinen speziellen Service gibt, sondern es alle möglichen anbieten. Darüber war ich positiv überrascht und so bin ich auch auf das Forum hier gekommen.

Ich bin gespannt, welche Threads ich hier noch so finde!

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Aoife
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Beitrag von Aoife »

Hallo Artanis666,

um den eigentlichen thread nicht zu unterbrechen, hier nur ganz kurz:
Herzlich willkommen im Forum, und fühl dich wohl bei uns!
Wenn du ohne Bezug zu speziellen Themen einfach nur mal DICH vorstellen magst,
steht dir das Unterforum "Community-Mitglieder stellen sich vor" zur Verfügung.
viewforum.php?f=29

Liebe Grüße, Aoife
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Artanis666
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Beitrag von Artanis666 »

Hallo

Danke!
Sorry wenn ich hier vielleicht etwas zuviel auf mich eingegangen bin, aber ich hielt das für eine sinnvolle Bereicherung zu dem Thema.

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Aoife
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Beitrag von Aoife »

Hallo Artanis,

SO habe ich das bestimmt nicht gemeint ...
Ich dachte eher, vielleicht wollen dich auch noch andere begrüßen - und wir sollten damit nicht den thread hier überlasten.
Und hier IST es eine sinnvolle Bereicherung, aber vielleicht magst du ja noch mehr von dir erzählen ...

Liebe Grüße, Aoife
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Blanca
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Beitrag von Blanca »

Hallo Artanis.

Ich habe auch das Gefühl, daß Du eine Bereicherung für das Forum bist. Und ich bin gespannt darauf, deine Meinungen zu den verschiedenen Themen zu lesen!

Blanca

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Rolliman
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RE: Ein Erlebnisbericht

Beitrag von Rolliman »

Hallo Artanis,

Auch von mir ein herzliches "Willkommen im Club"! ;-)

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Soul1984
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Beitrag von Soul1984 »

Hallo Artanis,

danke für deine Ausführungen.
Obwohl du eine andere Behinderung hast, hast du ähnliche Sorgen und Probleme wie ich. Für mich war es auch eine riesengroße Überwindung, meine Freunde und Familie von meinen Wünschen in Kenntnis zu setzen, aber letztendlich habe ich es geschafft. Falls du Tipps brauchst, bin ich gerne dazu bereit, dir so zu helfen.
Vorweg schon mal ein ganz praktischer Tipp: Besorg dir doch mal ein Headset für dein Telefon (gibt's in jedem Elektronikhandel). Dann hören deine Eltern dich zwar noch immer beim Telefonieren, aber zumindest dein Gesprächspartner bleibt ungehört...