Lokalnachrichten: HAMBURG

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Ariane
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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von Ariane »

Ein ausgesprochen lesenswerter Artikel, der die aktuellen Kriminalisierungspolitiken in Hamburg und Dortmund in die Kontinuität staatlicher Kontrolle von Sexarbeit in Deutschland stellt. Meinen Dank dafür an Hannes Soltau.


Jungle World Nr. 8, 23. Februar 2012

HANNES SOLTAU: Die Kriminalisierung von Prostitution

Zehn Jahre nach der weitestgehenden Legalisierung der Prostitution in Deutschland sind Sexarbeiterinnen in einigen deutschen Städten wieder verstärkt von Repression und Kriminalisierung betroffen.

Vor über einem Jahrzehnt stimmten die Unionsparteien im Bundestag als einzige im Bundestag gegen das Prostitutionsgesetz. Die Aufmerksamkeit anlässlich des zehnten Jahrestags des Inkrafttretens dieses Gesetzes nutzte der CSU-Rechtsexperte Stephan Mayer nun für eine Abrechnung: »Es war ein Fehler, die Prostitution zu legalisieren.« Und auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, forderte jüngst: »Das Gesetz muss auf den Prüfstand.«

Nun ist es ausgerechnet der mit absoluter Mehrheit regierende SPD-Senat in Hamburg, der den Befürwortern einer Abolitionspolitik zuarbeitet. Im Januar beschloss er die sogenannte Kontaktverbots-verordnung für den Stadtteil St. Georg. Freier, die dort Prostituierte ansprechen, müssen seitdem mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro rechnen. Die Innenbehörde sieht darin ein angemessenes Mittel, um die seit 1980 geltende Sperrgebietsverordnung, die Prostitution in diesem Stadtteil untersagt, endlich durchzusetzen.

Der Innensenator Michael Neumann (SPD) kommentierte den Beschluss mit den Worten: »Das ist ein Ansatz, der sich nicht gegen die Frauen richtet, sondern gegen die Männer, denn das Problem sind in Wirklichkeit die Männer, die diese Dienstleistungen nachfragen.« Was Neumann dabei nicht erwähnte, ist die Tatsache, dass ausgerechnet jene Frauen, für die der Politiker seine empathischen Worte fand, zur gleichen Zeit ihren Unmut über die Verordnung zum Ausdruck brachten: Zusammen mit dem Bündnis »Recht auf Straße« demonstrierten Sexarbeiterinnen auf dem Hansaplatz und kritisierten das Kontaktverbot als weitere Eskalation einer gegen sie gerichteten Repression.

Am 20. Dezember 2001 verabschiedete der Bundestag mit dem »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten« eines der liberalsten Prostitutionsgesetze der Welt.
Ziel des mit den Stimmen der SPD, Grünen, FDP und PDS beschlossenen Gesetztes war es, die rechtliche und soziale Stellung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Deutschland zu verbessern. Prostituierte können sich seitdem offiziell als solche melden und entsprechend Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung beanspruchen. Vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes wurden Verträge über sexuelle Dienstleistungen noch als sittenwidrig angesehen, was es für Prostituierte unmöglich machte, ihre Arbeit auf einer rechtssicheren Grundlage auszuüben. Zudem hatte der Staat jährlich mit Steuereinnahmen in Milliardenhöhe von Sexarbeit profitiert, Prostituierten aber zugleich den Zugang zu den Sozialsystemen versperrt. Das Gesetz stärke die Rechte der Prostituierten und trage auch den veränderten Moral­vor­stellungen in der Bevölkerung Rechnung, gab damals die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk im Bundestag zu Protokoll.

Ein Jahrzehnt später hat sich die Annahme Schewe-Gerigks nicht bestätigt. So stellte jüngst das »Feministische Institut Hamburg« in einer Evaluation fest, dass die neuen rechtlichen Bedingungen kaum Nutzen brächten. Denn wegen fehlender praktischer Bestimmungen zum Prostitutionsgesetz bestehe weiterhin eine große Rechtsunsicherheit, in deren Folge etwa Finanzämter geradezu willkürlich hohe Steuerabgaben nachverlangte. Zahlreiche Sexarbeiterinnen seien nachträglich wegen Steuerhinterziehung angezeigt worden. Zusätzlich führten Städte und Kommunen vielerorts Sondersteuern ein, wie beispielsweise in Bonn, wo Sexarbeiterinnen für sechs Euro ein Ticket für eine Arbeitsnacht ziehen müssen. Das Institut macht auch darauf aufmerksam, dass sich ein Großteil der Sexarbeiterinnen im illegalisierten Bereich bewege, oft keine Aufenthaltserlaubnis habe oder in Beschaffungsprostitution verwickelt sei, und deshalb von den Gesetzen nicht im Geringsten profitiere. Vielmehr riskierten Frauen ohne deutschen Pass die sofortige Abschiebung bei einer Kontaktaufnahme mit Behörden.

Wie das Beispiel Hamburg zeigt, lässt sich Sexarbeit illegalisieren, selbst wenn sie nicht mehr als sittenwidrig gilt. Möglich wird dies dadurch, dass sie von Landesregierungen – etwa mit dem Verweis auf den Jugendschutz oder Anwohner – lokal verbannt werden kann. Denn entgegen der Behauptung, die Verordnung richte sich gegen die Freier, trifft sie vielmehr die Sexarbeiterinnen, die durch den Entzug ihrer Einkommensmöglichkeiten prekarisiert werden. Dabei wird auch der Konkurrenzdruck unter ihnen verschärft und ihre Selbstbestimmung bei der Wahl der Arbeit eingeschränkt. Auf diese Weise wird den Frauen nicht geholfen, sondern werden die Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich Prostituierte befinden, nur weiter gefestigt.

Die Erfahrung zeigt auch, dass physische und psychische Gewalt gegen Prostituierte zunimmt, je stärker Sexarbeit kriminalisiert wird. Welche Folgen die repressive Verdrängung und Kriminalisierung von Sexarbeit haben kann, kann etwa in Dortmund beobachtet werden. Dort wurde im Mai vergangenen Jahres kurzerhand das gesamte Stadtgebiet zum Sperrgebiet für die Straßenprostitution erklärt. Der Leiter der zuständigen Landesbehörde, Gerd Bollermann (SPD), begründete dies offiziell damit, dass Jugendschutz und öffentlicher Anstand kaum noch zu gewährleisten seien. Zudem zögen viele Mieter weg und neue blieben aus. Herkömmliche Geschäfte würden schließen und Wettbüros, Internetcafés und türkischen Teestuben Platz machen, beklagte Bollermann. »Für Dortmund ist die Straßenstrichschließung ein großes Drama«, kommentierte hingegen Astrid Gapp vom Bochumer Beratungsverein Madonna die Entscheidung in einer WDR-Dokumentation. »Vieles findet jetzt im Verborgenen statt, das bedeutet eine krasse Verschlechterung für die Frauen«, so Gapp. Für Betroffene wie die ebenfalls befragte Sexarbeiterin Dany hat die Verordnung gravierende Auswirkungen: »Auf dem Strich kann ich arbeiten, wann ich will, für wie viel ich will und für wen ich will. Diese Unabhängigkeit will ich nicht aufgeben. Zimmer sind horrend teuer und im Puff verliere ich meine Selbstständigkeit.«

Im Zuge der Dortmunder Verordnung wurde auch das Modellprojekt »Ravensberger Straße« beendet. Bei diesem Projekt waren zwanzig sogenannte »Verrichtungsboxen« – garagenähnliche Unterkünfte, in die die Freier mit ihren Autos fahren können – errichtet worden, die es Sexarbeiterinnen ermöglichten, ihrer Arbeit in einem abgesicherten Umfeld nachzugehen. Über einen Alarmknopf auf der Beifahrerseite konnte im Notfall Hilfe gerufen werden. Allein diese Vorrichtung bewirkte einen drastischen Rückgang der gewalttätigen Übergriffe auf die Frauen. Elke Rehpöhler, die für »Kober«, eine Dortmunder Beratungseinrichtung für Sexarbeiterinnen, tätig ist, befürchtet denn auch, dass nach der Schließung des Straßenstrichs schlechte Zustände zurückkehren, wie sie vor der Einführung des Prostitutionsgesetzes vorzufinden waren. Tatsächlich stach ein Freier bereits einen Tag, nachdem die Verrichtungsboxen abgerissen worden waren, eine 25jährige Sexarbeiterin nieder und warf sie kopfüber aus dem Fenster seiner Wohnung. Rehpöhler bezweifelt, dass dies ein Einzelfall bleiben wird, denn Sexarbeiterinnen müssten nun wieder im Auto der Freier mitfahren oder auf Hausbesuche ausweichen. Die Wiederkehr von Übergriffen bis hin zum Mord sei ihres Erachtens vorprogrammiert, ebenso wie die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten wie Tripper, Syphilis und Chlamydien, die zuletzt durch die Aufklärungsarbeit von Streetworkerinnen deutlich eingedämmt werden konnte.

Was in Dortmund, Bonn und Hamburg derzeit geschieht, bezeichnet Susanne Frank, Professorin für Stadtsoziologie an der Universität Dortmund, als einen Prozess, in dem »die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper entzogen und dieser unter staatliche Aufsicht und Verwaltung gestellt« werde.

Wenn nun in St. Georg nicht nur willkürliche Platzverweise an verdächtige Frauen verteilt werden, sondern auch Freier bei einem Gespräch eine Festnahme riskieren, so reiht sich dies in eine lange Geschichte der staatlichen Kontrolle von Sexarbeit in Deutschland ein. Diese staatliche Regulierung konnte im vergangenen Jahrhundert zwar Geschlechtskrankheiten zurückdrängen und auch den einen oder anderen Stadtteil »aufwerten«, doch die damit verbundene Repression verbaute schon immer einen Ausweg aus den pre­kären Verhältnissen der Sexarbeit. Sie festigte außerdem jene bürgerliche Doppelmoral, die Prostitution einerseits ächtet, anderseits aber käuflichen Sex als willkommenes Angebot und Erprobungsfeld für Männer ansieht.

Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2012/08/44927.html
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Marc of Frankfurt
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Update

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Korrektur:
Das Kontaktverbot gilt für den ganzen Sperrbezirk St. Georg (oben in der Karte in rot eingezeichnet).


Was ist also die kleinere gelbe Zone? Die Zone wo die Polizei Streife laufen soll?





Hier die Senatsvorlage mit Gesetzes-Begründung der Kontaktverbots-Verordnung:

Ein erschütterndes Dokument juristischer Prostitutionsfeindlichkeit im Jahre 2012


mit Kommentaren

habe es weiter oben zum Foto vom Sperrbezirk als Attachment hinzugefügt

hier als PDF-Download (11 Seiten):

:010 :013 www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=992 pdf :013 :010





.

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Sehe gerade der PDF-Download ist nur eingeschränkt und nur für registrierte Forum User möglich. Evt. wollen wir ändern?





Eine Sperrbezirksregel und Kontaktverbotsregel für bestimmte Gebiete ist ja grundsätzlich akzeptabel, aber mit so einer diskriminierenden und vorgeschoben klingenden Argumentation ist es eine wirkliche Beleidigung für Sexworker.

Da kann man verstehen, warum viele Sexworker es strategisch vorziehen nicht gegen die Bastionen der Stigmatisierung anrennen zu wollen und eine Position vertreten wie Camilla Paglia im tollen Buch von Tamara Domentat hier von rainman und annainga zitiert:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=110845#110845

Allerdings gibt ganz handfeste ökonomische Gründung für die herrschende Prostitutionskontrolle und Stigmatisierung:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=111071#111071





Hier eine Bürgerinitiative, die die Senats-Begründung auch für inhaltlich falsch hält.

Presseerklärung Einwohnerverein St. Georg
www.farid-mueller.de/wp-content/uploads ... 2-1-12.doc

Sehe gerade der PDF-Download ist nur eingeschränkt und nur für registrierte Forum User möglich. Evt. wollen wir ändern?





Eine Sperrbezirksregel und Kontaktverbotsregel für bestimmte Gebiete ist ja grundsätzlich akzeptabel, aber mit so einer diskriminierenden und vorgeschoben klingenden Argumentation ist es eine wirkliche Beleidigung für Sexworker.

Da kann man verstehen, warum viele Sexworker es strategisch vorziehen nicht gegen die Bastionen der Stigmatisierung anrennen zu wollen und eine Position vertreten wie Camilla Paglia im tollen Buch von Tamara Domentat hier von rainman und annainga zitiert:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=110845#110845

Doch es gibt bekanntlich ganz handfeste ökonomische Gründe für die herrschende Prostitutionskontrolle und Stigmatisierung:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=111071#111071





Hier eine Bürgerinitiative, die die Senats-Begründung auch für inhaltlich falsch hält.

Presseerklärung Einwohnerverein St. Georg
www.farid-mueller.de/wp-content/uploads ... 2-1-12.doc


Die Fraktionen der Grünen will eine Anhörung:

- Bewirkt das Freier-Kontaktverbot eine Verdrängung in andere Stadtteile oder in Bordells und “Modellwohnungen”?

- Wenn ja, ist das eine Verschlechterung für die betroffenen Frauen, wenn sie nicht mehr Straßenprostitution nachgehen oder vielleicht sogar eine Verbesserung? Soweit man davon überhaupt bei Zwangsprostitution sprechen kann.

- Führt ein Freier-Kontaktverbot vielleicht zu einem Austrocknen des “Marktes” für Zwangsprostitution, weil die Rahmenbedingungen für das Anschaffen zu teuer werden (Bordells und Wohnungen kosten mehr als Stundenhotels)?

- Bedeutet eine Verdrängung der Prostituierten in weniger bewohnte Stadtteile eine verschlechterte Sicherheitssituation?
(Und hier die Frage, Schutz vor wem? Vor dem Freier? Vor dem Zuhälter und Menschenhändler?

- Welche Maßnahmen bedarf es, dem Grundübel des Menschenhandels und der Zwangsprostitution erfolgreich entgegenzutreten?

www.farid-mueller.de/2012/01/freier-kontaktverbot-sc/

www.sexworker.at/menschenhandel

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Beitrag von ehemaliger_User »

Wenn ich solche Verordnungen lese wünschte ich mir einen Goldesel, um die betroffenen Frauen monatelang finanzieren zu können damit sie dort kostenlos ihre Dienstlesitung anbieten könnten...
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

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Ariane
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Beitrag von Ariane »

Hab dazu heute im Kaufmich-Blog einen Beitrag eingestellt, an dem ich mehrere Tage rumgefrickelt habe, inkl. Lektoren. :003 Kommentare sind willkommen!

http://www.kaufmich.com/blog/kontaktverbotsverordnung/

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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von fraences »

UMFRAGE: DAS HALTEN DIE BÜRGER DAVON
Hamburg, die Stadt der Verbote


Kontakt-Verbot

Weil in St. Georg trotz einer bestehenden Sperrgebiets-Verordnung weiter der Prostitution nachgegangen wird, hat der Senat Ende Januar eine Verordnung „über das Verbot der Kontaktaufnahme zu Personen zur Vereinbarung entgeltlicher sexueller Dienstleistungen im Sperrgebiet“ beschlossen.

65 Prozent der MOPO-Leser finden: Ein absolut unsinniges Verbot.

http://www.mopo.de/nachrichten/umfrage- ... 94170.html



% - Verbot
83 - Rasen betreten
65 - Prostitutions-Kontakt-Verbot St. Georg
56 - Fahrrad-Verbot in Parks...
55 - Grillen
41 - Alkohol
37 - Rauchen
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31 - Glasflaschenverbot St.Pauli
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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Die Internet-MOPO-Leser sehen also das Prostitutions-Kontaktverbot (pdf) so sinnvoll wie "Rasen betreten verboten" und "Fahrradfahren verboten".

*LOL*

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annainga
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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von annainga »

Neue Online-Beratung für Prostituierte in Hamburg

Diakonie setzt neben Wohnprojekt auf Sozialarbeit im Internet und per Telefon. Prostitution findet verstärkt in privaten Räumen statt.

Hamburg. Mehr Hilfe für Prostituierte bietet die Hamburger Diakonie. Dabei setzt die kirchliche Einrichtung neben einem Wohnprojekt für Aussteigerinnen, das künftig in neuen Räumen firmiert, verstärkt auf Online-Beratung für Prostituierte.

Das Hamburger Diakonie-Projekt „Sperrgebiet“ in St. Georg startet für ausstiegswillige Prostituierte ein dreijähriges Wohnprojekt. Bis zu vier junge Frauen können dort bis zu zwei Jahre leben, teilte das Diakonische Werk am Freitag mit. Die Anlaufstelle in der Rostocker Straße am Hansaplatz wird aufgegeben und zieht Mitte Juli in die nahe gelegene Lindenstraße. Ärztliche Sprechstunde und Beratungen werden fortgeführt. Schwerpunkt des 1985 gegründeten „Sperrgebiets“ sind Hilfsangebote für junge und minderjährige Prostituierte in Hamburg. Die Arbeit wird von der Sozialbehörde unterstützt.

Neben der Straßensozialarbeit soll auch die telefonische und Online-Beratung verbessert werden. Hierfür wurde die neue Internetseite www.sperrgebiet-hamburg.de entwickelt. Außerdem sollen Multiplikatoren wie Lehrkräfte verstärkt angesprochen werden. Hintergrund des neuen Konzepts ist die Verlagerung der Prostitution von der Straße in private Räume.

Die Vermittlung geschehe immer häufiger über Telefon und Internet, sagte Angela Bähr, zuständige Fachbereichsleiterin der Diakonie. Auch habe sich die Motivation für die Prostitution verändert. „Während früher oft die Beschaffungsprostitution im Vordergrund stand, sehen heute junge Frauen das Gewerbe oft als einzige Alternative, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.“ (epd/HA)

http://www.abendblatt.de/hamburg/hambur ... mburg.html

mit umfrage:

Im Sperrgebiet St.Georg sollen potenzielle Freier künftig bis zu 5000 Euro Bußgeld zahlen, wenn sie eine Prostituierte ansprechen. Halten Sie dieses Vorgehen für richtig?

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Marc of Frankfurt
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Re: Evangelischer Hilfsverein "Sperrgebiet"

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Kann die Umfrage/Abstimmung nicht sehen/nicht abstimmen, weil die Online-Zeitung kostenpflichtig ist. ;-((
(Poste mal bitte einer den aktuellen Stand)


Angela Bähr wird im Netz auch als Leiterin der Arbeitstelle Vielfalt im Hamburger Senat genannt. Doppelfunktion / Drehtüreffekt Kirche-Staat? Oder zwei verschiedene Personen?


Schöne neue Website mit professionellem Look. Leider kein zeitgemäßes Web2.0-Projekt sondern eher ein statischer on-line gestellter Prospekt. Aber gute knappe Texte und halt nicht so unübersichtlich wie ein dynamisches Forum. Wir sollten uns überlegen, ob wir so etwas nicht auch noch zusätzlich für uns brauchen...

Zum Thema Ausstieg bei uns im Forum mehr z.B. hier:
www.sexworker.at/exit

Zum Thema Hartz IV gibt es ein Thread im SW-only Bereich und dies
www.google.de/search?q=Hartz+site:sexwo ... wtopic.php




Bild
fraences hat geschrieben:St. Georg ist seit 1980 Sperrgebiet
Bild
annainga hat geschrieben:Das Hamburger Diakonie-Projekt „Sperrgebiet“ in St. Georg ... des 1985 gegründeten „Sperrgebiets“ sind Hilfsangebote ...
Die Stadt hat also zuerst mit Verbot reagiert. Um dann nach 5 Jahren zu merken das klappt nicht, da braucht es zusätzlich Hilfsangebote...


Mehr über Sperrgebiete im SW Forum
www.bit.ly/sperrgebiet

Und im Sexwork Atlas
www.bit.ly/sexworkatlas

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nina777
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Beitrag von nina777 »

9.7.2012

ST. GEORG

„Kontaktverbot“: 19.200 Euro Bußgeld für Freier

Das Prostitutionsverbot in St. Georg wird für die Stadt zum richtig guten Geschäft: Mehr als 40.000 Euro mussten Freier und Huren seit Februar an Bußgeldern abdrücken!

Prostituierte gehören zu St. Georg wie Segler zu Blankenese. Doch seit dem 1. Februar gilt das „Kontaktanbahnungsverbot“: Östlich des Hauptbahnhofs dürfen Freier keine Huren mehr ansprechen – sonst hagelt es Geldbußen.

Doch das scheint viele nicht abzuschrecken: 89 willige Kunden des horizontalen Gewerbes hat die Polizei in den ersten fünf Monaten der neuen Verordnung erwischt. Die meisten mussten 200 Euro zahlen, einige Wiederholungstäter bis zu 600 Euro (mögliche Höchststrafe: 5000 Euro). Insgesamt kamen so 19.200 Euro zusammen.

Aber auch die Prostituierten mussten löhnen. St. Georg ist schon seit 1981 Sperrgebiet, nur hat das nie wirklich interessiert. Doch seit die Gegend rund um den Hansaplatz schick wird, geht die Polizei gegen die Huren vor: Angeblich zum „Schutz Unbeteiligter vor aufdringlichem Ansprechen und Belästigungen“, zur „Reduzierung des Lärms“ (welcher Lärm gemeint ist, wird nicht präzisiert) und damit Kinder keine Prostitution beobachten, so der Senat in seiner Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion. Insgesamt 78 Geldbußen von 200 bis 800 Euro kassierte die Stadt von den Huren, diese zahlten zusammen 22.400 Euro in die öffentlichen Kassen.

Zurückgegangen sei die Prostitution deshalb jedoch nicht, sagen Beratungsstellen. Sie finde nur verdeckter statt. Das erhöhe die Risiken für die Prostituierten, da der Schutz vor gewalttätigen Freiern sinke, kritisiert Kersten Artus (Linke). Zudem komme es zu „absurden Situationen“ auf St. Georgs Straßen, weil Männer zu Verdächtigen werden, die gar keinen Sex suchten. Das zeige die hohe Zahl der Widersprüche: Elf Prozent der Männer wehren sich juristisch gegen die Geldbuße.

http://www.mopo.de/nachrichten/st--geor ... 73814.html
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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von fraences »

SANKTIONIERTE SEXARBEIT
40.000 Euro fürs Ansprechen


Mit einem Kontakt-Verbot geht der Hamburger Senat seit Februar gegen Prostitution im Bahnhofsviertel St. Georg vor, nun gibt es erste Zahlen.

| Seit Februar gilt im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg ein sogenanntes Kontakt-Verbot für die Verhandlung von bezahlten sexuellen Dienstleistungen. Mit den erhöhten Bußgeldern will der Hamburger Senat so gegen Prostitution im Bahnhofsviertel St. Georg vorgehen. Während durch eine Sperrgebietsverordnung bislang vor allem die SexarbeiterInnen bestraft wurden, werden seither auch Freier belangt. Eine Kleine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Kersten Artus liefert nun erste Zahlen. Den größten Teil der Bußgelder zahlen immer noch die SexarbeiterInnen. Denn bei wiederholtem Verstoß verdoppelt sich das Bußgeld.
Prostitution hat in St. Georg wie auf der Reeperbahn in St. Pauli Tradition. Dennoch gelten in beiden Vierteln Sperrgebietsverordnungen, die es der Polizei erlauben, trotz grundsätzlich legaler Prostitution, Sexarbeit mit Bußgeldern zu belangen. Im Unterschied zu St. Pauli, wo das Sperrgebiet ab 20 Uhr bis in die frühen Morgenstunden ausgesetzt wird, ist Sexarbeit in St. Georg durchgehend verboten, wurde aber lange nicht verfolgt.


Nun aber soll das Bahnhofsviertel familienfreundlich werden. Und um die Sexarbeit aus dem Bahnhofsviertel zu vertreiben, soll die Polizei hart durchgreifen. Durch die Verordnung, müssen Freier und SexarbeiterInnen, werden sie bei der Kontaktaufnahme erwischt, mit einer Höchststrafe von 5.000 Euro rechnen. Beim ersten Mal kostet der Verstoß 200 Euro, beim nächsten mal verdoppelt sich der Betrag. Die meisten Fälle liegen aber bei 200 Euro.
Laut Polizeiangaben gab es seitdem rund 2.000 Anzeigen gegen Freier. Bußgelder wurden in 89 Fällen erhoben. SexarbeiterInnen mussten in 78 Fällen zahlen. Nach der Kleinen Anfrage zahlten die Freier seit Februar 19.200 Euro, die SexarbeiterInnen 22.400 Euro.
Mit dem Ansprechverbot trage man der extremen Beschwerdelage Rechnung, sagt Innenbehördensprecher Frank Reschreiter. Die Sexarbeit habe sich seitdem in Kneipen verlagert. „Das ist aber auch in Ordnung“, so Reschreiter, denn damit sei dem Jugendschutz gedient.
„Seitdem die Bußgelder erhöht wurden, müssen die SexarbeiterInnen mit hohen Strafen rechnen“, sagt Emilija Mitrovic, vom Arbeitskreis Prostitution der Gewerkschaft Ver.di. „Das Prostitutionsgesetz sollte beste Arbeitsbedingungen für Sexarbeit schaffen“, so Mitrovic. Das Gesetz werde nun ausgehölt, wenn man die Arbeit auf der Straße verbietet und damit verdrängt. Frauenrechtsorganisationen fordern schon seit Jahren eine Aufhebung der Sperrgebietsverordnung und einen runden Tisch zum Thema.

Die 40.000 Euro, die Hamburg seit Februar eingenommen hat, sollte die Stadt laut Mitrovic dringend für Informationen und Beratungsstellen einsetzen. Was die Stadt aber für die Polizeieinsätze zahlt, ist unklar. „Wir sind sowieso im Dienst, dazu gibt es keine Angaben“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Sweden.
Mit dem Bußgeld für Sexarbeit trifft der Hamburger Senat die Ärmsten. Denn im Viertel hinter dem Bahnhof handelt es sich vor allem um Armuts- und Drogenprostitution.

http://www.taz.de/Sanktionierte-Sexarbeit/!97072/
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Beitrag von nina777 »

12.07.2012

Die Polizei vertreibt die Freier in St. Georg

Das Kontaktverbot auf dem illegalen Straßenstrich bringt 41.600 Euro Bußgeld. Das bewirkt aber nur, dass die Szene in die Bars ausweicht.


ST. GEORG. Schwere Zeiten für Prostituierte und Freier in St. Georg. Seit Februar gilt dort die Kontaktverbotsverordnung, und die Polizei greift durch: Bislang wurden gegen Freier 89 Bußgelder zwischen 200 und 800 Euro erhoben - insgesamt müssen die Herren 19 200 Euro bezahlen, weil sie Prostituierte auf dem illegalen Straßenstrich angesprochen hatten. Im Wiederholungsfall drohen Geldbußen von bis zu 5000 Euro. In 78 Fällen wurden zudem Prostituierte wegen der verbotenen Straßenprostitution im Sperrgebiet belangt und mussten insgesamt 22 400 Euro bezahlen. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Kersten Artus (Linke) hervor.

Die Polizei wertet die Kontaktverbotsverordnung als Erfolg. "Die Zahl der Prostituierten und der Freier ist im Bereich St. Georg seit Februar zurückgegangen", sagt Uwe Stockmann, Stabsleiter im Polizeikommissariat 11 (PK 11) am Steindamm. Die Prostitution habe sich verlagert in Milieukneipen innerhalb des Stadtteils, und dort sei die Kontaktaufnahme nicht verboten, so Stockmann weiter.

Der Polizei ist wichtig: "Die Präsenz der Prostitution im öffentlichen Straßenraum soll eingedämmt werden, und das haben wir erreicht", sagt Stockmann. Die Polizei, die im PK 11 um zehn zusätzliche Mitarbeiter verstärkt wurde, greift durch: "Wenn wir einen Freier bei der Kontaktanbahnung erwischen, dann gibt es keine Verwarnung, sondern sofort ein Bußgeld. Auch wirkt das abschreckend, und die Freier machen dann einen Bogen um den Straßenstrich in St. Georg", sagt Stockmann.

"Der Verfolgungsdruck auf Freier und die Prostituierten durch die Polizei muss weiter verschärft werden." - Karl-Heinz Warnholz (CDU)

Die Zahl derer, die sich im Bereich St. Georg prostituieren, schätzt die Polizei zurzeit auf 225 Personen.

Trotz der ersten Erfolge gehören die Prostituierten vor allem ab den Nachmittagsstunden im Bereich Steindamm/Hansaplatz noch immer zum Straßenbild: "Einen Stadtteil im Bereich des Hauptbahnhofs werden sie nie ganz clean bekommen. Aber zumindest sind die ersten Erfolge sichtbar, und die verstärkte Polizeipräsenz zeigt Wirkung", sagt Helmut Voigtland, Vorsitzender des Bürgervereins St. Georg.

Aber das reicht dem CDU-Innenexperten Karl-Heinz Warnholz noch nicht: "Der Verfolgungsdruck auf die Freier und die Prostituierten durch die Polizei muss weiter verschärft werden. Dass in 89 Fällen seit Februar ein Bußgeld verhängt wurde, ist ein Anfang, aber damit ist der illegale Straßenstrich noch lange nicht verschwunden." In einem Stadtteil wie St. Georg, in den immer mehr Familien ziehen, habe Straßenprostitution nichts zu suchen. Quartiersmanager Wolfgang Schüler: "St. Georg hat sich im Bereich der Langen Reihe, in der Prostitution schon lange kein Thema mehr ist, zu einem charmanten Stadtteil mit hoher Lebensqualität entwickelt." Das wünsche er sich auch für den Bereich Steindamm/Hansaplatz. Schüler sagt: "Es ist nicht länger hinzunehmen, dass ein Riss durch St. Georg geht."

Aber es gibt auch eine ganz andere Position. Die Vizepräsidentin der Bürgerschaft und Expertin für Frauenpolitik, Kersten Artus (Die Linke), fordert: "Das Kontaktverbot muss sofort wieder abgeschafft werden. Es dient einzig und allein dazu, ein schönes Bild vom Hansaplatz zu vermitteln. Aber den betroffenen Sexarbeiterinnen wird dadurch geschadet." Die Frauen seien auf die Einkünfte angewiesen und dürften nicht aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt werden. Der Linken-Politikerin Artus ist zudem wichtig: "Wir brauchen mehr Ausstiegsangebote für die Betroffenen." Der Grünen-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte, Michael Osterburg, sagt: "Wir müssen die Prostituierten vor Gewalt und Unterdrückung schützen, deshalb ist es richtig, die Freier wegen der Kontaktaufnahme zu bestrafen." Wichtig sei auch, durch spezielle Programme den betroffenen Frauen zu helfen, Alternativen zur Prostitution zu finden.

Der Stadtteil St. Georg ist bereits seit 1980 Sperrgebiet, das heißt Prostitution ist hier offiziell verboten. Doch das hat in den vergangenen Jahrzehnten die Huren und Zuhälter wenig gekümmert. In einer Senatsdrucksache zum Kontaktverbot hieß es dazu: "Insbesondere im Zuständigkeitsbereich des PK 11 sind mit der Straßenprostitution erhebliche Beeinträchtigungen für den Stadtteil beziehungsweise deren Bewohner verbunden.

http://www.abendblatt.de/hamburg/hambur ... Georg.html
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Kasharius
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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von Kasharius »

St. Georg: Man könnte den Eindruck bekommen (soll man wohl auch ) den Verantwortlichen in HH geht es um die rigide Bekämpfung einer gefährlichen Seuche. KONTAKTSPERRE hatten wir schon mal im anderen Kontext - genauso skandalös. Ich finde:

SHAME ON YOU - Hamburger Senat :013 :019

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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von Kasharius »

Ich hoffe ich komme jetzt nicht aus dem Musstopf, aber ich glaube dieses Urteil war hier trotz der umfangreichen Wiedergabe der Presseberichterstattung noch nicht eingestellt:


Urteil: Bordell ist Gewerbe, kein Vergnügen
06.12.2011, 05:42 Uhr Matthias Rebaschus

Gericht entscheidet, dass das "Geizhaus" mit 19 Prostituierten in der Nähe der Wandsbeker Automeile nicht geschlossen werden muss.

Viel Plüsch, verspielte Leuchter, schwere Bordüren und alles in warmes Rot getaucht - so präsentiert sich der Barbereich eines Bordells
Foto: Arning

Wandsbek. Das Hamburger Verwaltungsgericht hat ein Urteil im sogenannten Wandsbeker Bordellstreit gefällt: Das Geizhaus an der Angerburger Straße in der Nähe der Wandsbeker Automeile darf bleiben. Eine benachbarte Immobilienverwaltung hatte gegen den Bordellbetrieb geklagt, weil sie eine Beeinträchtigung ihrer Geschäfte fürchtete. Doch das Gericht erklärte jetzt Bordelle zum "Gewerbe aller Art" - und so ist eben jenes Gewerbe, das der Volksmund für das älteste der Welt hält, in einem Gewerbegebiet wie in Wandsbek zulässig.

Anders als vermutlich mancher Besucher es sieht, sind Bordelle nach Auffassung des Gerichts keine "Vergnügungsstätten", zumindest baurechtlich. Stätten des Vergnügens sind zum Beispiel "Kinos, Tanzbars und Kabaretts" und nur dieses Vergnügen ist in Kerngebieten, also Gebieten mit Wohnungen, Geschäften aller Art und Behörden, "allgemein zulässig". So steht es in dem 25-seitigen Urteil, das dem Abendblatt vorliegt. Demnach gehörten Bordelle nicht in die Nachbarschaft von Wohnungen oder ins Blickfeld allgemeiner Öffentlichkeit.

+++ Am Anfang war ein Gerücht +++

+++ Bezirk duldet seit Jahren illegales Bordell +++

+++ Prostitution für jeden vierten Studenten vorstellbar +++

Das Geizhaus liegt jedoch im Gewerbegebiet an der Angerburger Straße 20. Auf den ersten Blick ist es nicht als Rotlichtbetrieb zu erkennen: Das Firmenschild mit gelben Lettern wirkt neutral, ein Comic-Geier soll auf die günstigen Preise hinweisen. Nur wer den ersten Stock des ehemaligen Geschäftshauses näher kennt, weiß, dass hier 19 Frauen ihrer Beschäftigung nachgehen. Den Eigentümern eines benachbarten Gewerbehauses ist der Betrieb jedoch ein Dorn im Auge: Sie hatten den Bezirk Wandsbek verklagt.

Ihrer Meinung nach sind Bordelle Vergnügungsbetriebe, die "das Rotlicht" fördern würden und ein "negatives gesellschaftliches Umfeld" schaffen würden. Die Kritiker befürchten ein "Trading down", also die Entwicklung eines Quartiers mit pulsierendem Leben hin zu Leerständen und ausbleibender Kundschaft. Doch das Verwaltungsgericht findet am Geizhaus nichts "Anstößiges" oder für das Gewerbegebiet Schädliches.

Laut Urteil sei nicht zu befürchten, dass es durch das Geizhaus "zur Ansiedlung eines Rotlichtmilieus mit erheblichen geschäftsschädigenden Wirkungen für die umliegenden Gewerbebetriebe kommt". Das Gericht hatte eigens einen Richter mit Fotoapparat in die Angerburger Straße zur Ortsbesichtigung geschickt, dessen Bilder vom Geizhaus im Prozess begutachtet wurden. Die Vorsitzende Richterin Sabine Krüger beurteilte die Wirkung des Bordells als "unspektakulär", zumindest rein optisch. Sie sagte: "Das ist nicht besonders aufregend."

Aufgeregt hatten sich dagegen bereits 2009 Politiker im Bezirk Wandsbek. Der Streit über angeblich große Bordelle hatte zu Zerwürfnissen innerhalb der Wandsbeker CDU geführt. Nach heftigen Bürgerprotesten hatte sich die CDU-Fraktion gegen die damalige Bezirksamtsleiterin Cornelia Schroeder-Piller (CDU) gestellt, die keine rechtlichen Bedenken gegen den Betrieb des Geizhauses hatte.

Auch die SPD übte scharfe Kritik und forderte "die Verhinderung der Angerburger Straße mit allen rechtlichen Mitteln", wie der SPD-Bezirksabgeordnete Rainer Schünemann sagte. Richtig in Fahrt war die Diskussion gekommen, als angeblich ein Großbordell mit 300 Prostituierten und einer Vergnügungsmeile mit eigenem Autostrich unter Palmen in Wandsbek errichtet werden sollte. So warnte SPD-Politiker Schünemann damals: "Es steht zu befürchten, dass manche Leute viel vorhaben am Friedrich-Ebert-Damm. " Doch es blieb bei Gerüchten.

In dem langjährigen Streit wird die Geizhaus Verwaltungs GmbH vom Rechtsanwaltsbüro Klemm & Partner vertreten. Anwalt Gero Tuttlewski begrüßt die Entscheidung und sagt: "Es bleibt also dabei: Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass sich Bordellbetriebe grundsätzlich in allen Gewerbegebieten ansiedeln dürfen."

Sei dies im Einzelfall städtebaulich unerwünscht, so müssten die Bezirke den Ausschluss von Bordellbetrieben ausdrücklich in ihren Bebauungsplänen aufnehmen. Anwalt Gero Tuttlewski erwartet, dass die Kläger in die Berufung gehen, er ist jedoch "zuversichtlich, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor dem Oberverwaltungsgericht Bestand haben wird". Die unterlegene Klägerseite wollte sich allerdings noch nicht äußern, sondern erst einmal das Urteil lesen.

Pikant: Das Urteil des Gerichts fußt auf einem Bebauungsplan, der inzwischen wieder geändert wurde. Der Bezirk Wandsbek hat nun die Ansiedlung von Bordellen nahe der Automeile Friedrich-Ebert-Damm verboten.

http://www.abendblatt.de/hamburg/articl ... uegen.html

Kasharius grüßt :006

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Beitrag von Kasharius »

Entscheidungsgründe im Volltext:

Ein Bordell ist nach den mit der BauNVO 1990 einhergehenden Änderungen den Gewerbebetrieben aller Art nach § 8 Abs 2 Nr 1 BauNVO 1990 und nicht den Vergnügungsstätten nach § 8 Abs 3 Nr 3 BauNVO 1990 zuzuordnen.

VG Hamburg 11. Kammer, Urteil vom 22.11.2011, 11 K 1237/09

Entscheidungsgründe

I.

34

Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2011 erklärte Änderung des Klageantrags ist gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zulässig, da die Kammer die Änderung für sachdienlich hält.

35

Auch für die geänderte Klage unter Einbeziehung der Vereinbarung zwischen den Rechtsvorgängern der Beigeladenen und der Beklagten vom 23.09.2010 bzw. 29.09.2010 bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe. Auswirkungen hat die genannte Vereinbarung auf die ursprünglich allein angefochtenen Bescheide nur insoweit, als nicht mehr nur wie im Baugenehmigungsbescheid vom 05.03.2009 ursprünglich geregelt zehn, sondern nunmehr maximal 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitgleich sexuelle Dienstleistungen ausüben dürften. Die Klageänderung fördert die endgültige Beilegung der Streitigkeit und kann dazu beitragen, einen weiteren Prozess zu vermeiden.

II.

36

Die geänderte Klage ist zulässig (dazu unter 1.), aber unbegründet (dazu unter 2.).

37

1. Die Klage ist zulässig.

38

Insbesondere ist die Klage unter Einbeziehung der Vereinbarung vom 23.09.2010 bzw. 29.09.2010 nicht wegen Nichteinhaltung der Klagefrist unzulässig. Die Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO kommt hier insoweit nicht zur Anwendung, weil die Vereinbarung der Klägerin nicht zugestellt worden ist. Die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO ist gewahrt, weil die Klägerin von der Vereinbarung erst mit dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 22.08.2011 Kenntnis erlangt hat.

39

2. Die Klage ist jedoch unbegründet.

40

Der Vorbescheid vom 12.09.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.04.2009 und die Baugenehmigung vom 05.03.2009 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.04.2009 sowie der Vereinbarung zwischen Herrn N., Frau N. und der Beklagten vom 23.09.2010 bzw. 29.09.2010 verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

41

Rechtsgrundlage des Vorbescheides ist § 63 der Hamburgischen Bauordnung (im Folgenden: HBauO). Nach dieser Vorschrift ist einer Bauherrin oder einem Bauherrn auf Antrag zu einzelnen Fragen des Vorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Rechtsgrundlage der Baugenehmigung ist § 72 HBauO. Danach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.

42

Ein Grundstückseigentümer kann sich gegen ein Vorhaben auf einem Nachbargrundstück nur dann mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn die Genehmigung dieses Vorhabens ihn in seinen eigenen Rechten verletzt. In diesem Sinn nachbarschützend sind nur solche baurechtlichen Bestimmungen, deren Verletzung nach dem erkennbaren Willen des Normgebers ein subjektiv-öffentliches (eigenes) Abwehrrecht des betroffenen Nachbarn begründet (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19.09.1986 – 4 C 8/84, Rn. 11, juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 07.05.1990 – Bs II 65/90, Rn. 6, juris; VG Hamburg, Urteil vom 16.11.2010 – 11 K 3202/09, Rn. 14, juris). Eine umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Vorbescheides und der Baugenehmigung findet nicht statt. Entscheidungserheblich ist allein, ob solche baurechtlichen Normen verletzt sind, die dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt sind. Dies ist hier nicht der Fall.

43

Ein Abwehrrecht gegen das Bauvorhaben steht der Klägerin nicht wegen Verletzung ihres Gebietserhaltungsanspruchs zu (dazu unter a)). Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO verankerte nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme (dazu unter b)).

44

a) Die Klägerin ist nicht in ihrem sie als Nachbarin schützenden Gebietserhaltungsanspruch verletzt.

45

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Ein Nachbar im Baugebiet soll sich selbst dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007 – 4 B 55/07, Rn. 5, juris; BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28/91, Rn. 12, juris).

46

Im vorliegenden Fall ist die Klägerin nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Abzustellen ist dabei auf die Festsetzungen des Bebauungsplans in seiner ursprünglichen Fassung vom 11.08.1999 (dazu unter aa)). Das Vorhaben der Beigeladenen widerspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung (dazu unter bb)). Es liegt auch keine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Aufrechterhaltung der gebietstypischen Prägung vor, weil das Vorhaben nach 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO unzulässig wäre (dazu unter cc)).

47

aa) Anwendung findet der Bebauungsplan in der Fassung vom 11.08.1999.

48

Die Verordnung zur Veränderung des Bebauungsplans vom 11.01.2010, in der die Zulassung von Bordellen ausdrücklich ausgeschlossen worden ist, bleibt für den vorliegenden Fall außer Betracht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Frage, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, wenn das Tatsachengericht über eine baurechtliche Nachbarklage zu entscheiden hat, zu differenzieren: Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Spätere Änderungen zu Lasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben. Nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten sind dagegen zu berücksichtigen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht vereinbar wäre, eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (BVerwG, Beschluss vom 23.04.1998 – 4 B 40798, NVwZ 1998, 1179). Um eine solche für den Bauherrn günstige Änderung handelt es sich hier bei der Veränderung des Bebauungsplans vom 11.01.2010 eindeutig nicht.

49

bb) Das Vorhaben der Beigeladenen widerspricht nicht den Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung.

50

Es ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO in dem Gewerbegebiet allgemein zulässig (dazu unter (1)). Weder § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan (dazu unter (2)) noch § 2 Nr. 6 S. 1 der Verordnung über den Bebauungsplan (dazu unter (3)) stehen dem Vorhaben entgegen.

51

(1) Das Vorhaben der Beigeladenen ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO in dem Gewerbegebiet als Gewerbebetrieb aller Art zulässig.

52

(a) Der Bebauungsplan weist sowohl das Grundstück der Klägerin als auch das Vorha-bengrundstück als Gewerbegebiet aus. Durch diese Festsetzung ist § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO 1990 Bestandteil des Bebauungsplans geworden (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO).

53

(b) Das von der Beigeladenen betriebene Bordell ist den Gewerbebetrieben aller Art zuzuordnen.

54

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur BauNVO 1968 und BauNVO 1977 fällt ein Bordell, in dem die Prostituierten nicht wohnen, unter die Gewerbebetriebe aller Art, die im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind (BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 – 4 C 21/83, Ls. 1, juris). Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch nach den mit der BauNVO 1990 einhergehenden Änderungen (ebenso „jedenfalls für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes“ OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 11, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 11.05.2005 – 8 C 10053/05, Rn. 15, juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 10.07.2009 – 2 K 3262/08, Rn. 31, juris; VG Berlin, Urteil vom 06.05.2009 – 19 A 91.07, Rn. 32, juris; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Auflage 2008, § 4a, Rn. 23.73; Stock, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 100. EL 2011, § 4a BauNVO, Rn. 60; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Auflage 2003, § 7, Rn. 16; Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Auflage 2001, Rn. 1581; Rhein/Zitzen, NJOZ 2009, 267 (278 f.); a.A. OVG Saarlouis, Beschluss vom 30.06.2009 – 2 B 367/09, Rn. 13, juris; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, Band 6, § 4a BauNVO, Rn. 74; Stühler, NVwZ 1997, 861 (867)).

55

Abzugrenzen ist der Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“ vom Begriff der „Vergnügungsstätten“. Diese beiden Begriffe stehen nach den mit der BauNVO 1990 einhergehenden Änderungen zueinander nicht mehr im Verhältnis der Spezialität, sondern in einem Exklusivitätsverhältnis. Insoweit folgt die Kammer der von der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung. Denn die BauNVO 1990 hat die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in den einzelnen Baugebieten gegenüber dem vorher geltenden Recht eingeschränkt und grundlegend neu geregelt. Es war eines der wesentlichen Ziele der Neuregelung, die Vergnügungsstätten im Sinne einer abschließenden Regelung den Baugebieten zuzuordnen (Bundesrat, Drucks. 354/89, Verordnung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 30.06.1989, S. 32 f.). Dies gilt unbeschadet der im Laufe des Rechtssetzungsverfahrens eingetretenen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Verordnungsentwurf. Während dieser in Gewerbegebieten die allgemeine Zulässigkeit nur nicht kerngebietstypischer Vergnügungsstätten vorsah (Bundesrat, Drucks. 354/89, Verordnung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 30.06.1989, S. 7 f.), wurde dies zur ausnahmsweisen Zulässigkeit auch kerngebietstypischer Vergnügungsstätten geändert (Bundesrat, Drucks. 354/89, Beschluss des Bundesrates vom 21.12.1989, S. 4). Auch mit der endgültigen Fassung hat der Verordnungsgeber die Vergnügungsstätten durchgehend als besondere Nutzungsart erfasst und sie zugleich – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – aus dem allgemeinen Begriff der Gewerbebetriebe herausgenommen. Das bedeutet, dass Vergnügungsstätten nicht mehr daneben als sonstige Gewerbebetriebe beurteilt und zugelassen werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.10.1990 – 4 B 120/90, Rn. 2, juris; Stühler, BauR 2010, 1013 (1021)).

56

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung ausführt, es könne dahinstehen, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnungen und damit in erster Linie den Kerngebieten (und nach der BauNVO 1977 in zweiter Linie auch den besonderen Wohngebieten) zugeordnet seien, jedenfalls seien sie eine atypische Art der von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätten (BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 – 4 C 21/83, Rn.11, juris), dürfte dies deshalb nach jetziger Rechtslage überholt sein.

57

Gegen die Einordnung von Bordellbetrieben als „Vergnügungsstätten“ spricht aber auch nach den mit der BauNVO 1990 einhergehenden Änderungen, dass Bordellbetriebe nicht dem Erscheinungsbild der Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnung entsprechen. Allgemein zulässig sind Vergnügungsstätten nämlich einschließlich größerer, sog. kerngebietstypischer Vergnügungsstätten, nur in Kerngebieten (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO). In Gewerbegebieten können Vergnügungsstätten nur ausnahmsweise zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO). In besonderen Wohngebieten können Vergnügungsstätten, soweit sie nicht wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten allgemein zulässig sind, ebenfalls ausnahmsweise zugelassen werden (§ 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Derartige Vergnügungsstätten sind in Mischgebieten in den Teilen des Gebiets allgemein zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO) und können in Mischgebieten außerhalb dieser Teile ausnahmsweise zugelassen werden (§ 6 Abs. 3 BauNVO). Letzteres gilt auch für Dorfgebiete (§ 5 Abs. 3 BauNVO).

58

Das Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO ist damit das einzige Baugebiet, in dem auch größere, sog. kerngebietstypische Vergnügungsstätten allgemein zulässig sind. Es ist ein Gebiet für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen und einem – urbanen – Angebot an Gütern und Dienstleistungen wie etwa den von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätten wie Kinos, Tanzbars, Kabaretts usw. für Besucher der Stadt und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Kerngebiete dienen darüber hinaus in beschränktem Umfang dem Wohnen. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 25.11.1983 zutreffend darlegt, sind Bordellbetriebe demgegenüber Einrichtungen, für die sich im Hinblick auf die allgemeine sozialethische Bewertung und auf die sich aus dem „Milieu“ ergebenden Begleiterscheinungen eher ein Standort eignet, der außerhalb oder allenfalls am Rande des „Blickfeldes“ und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit liegt und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen. Insoweit bleiben die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts maßgebend (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983, a.a.O., Rn.11).

59

Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung kann diese allgemeine sozialethische Bewertung der Prostitution auch im Rahmen der Auslegung des städtebaulichen Begriffs der Vergnügungsstätten Berücksichtigung finden.

60

Diese vom Bundesverwaltungsgericht im Jahre 1983 angenommene Bewertung hat sich nach Auffassung der Kammer zwischenzeitlich nicht geändert. Insbesondere hat sich auch nicht infolge des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten vom 20.12.2001 (BGBl. I 3983, im Folgenden: Prostitutionsgesetz) eine grundlegende Änderung der Bewertung ergeben. Maßgebend für die negative sozialethische Bewertung der Prostitution war und ist vor allem, dass hier in für die Prostituierten entwürdigender Weise der Intimbereich zur Ware gemacht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.1990 – 1 C 26/87, Rn. 21, juris). Dies steht mit dem Prostitutionsgesetz nicht im Widerspruch.

61

Denn Ziel des Prostitutionsgesetzes war es, die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten zu verbessern. Die rechtlichen Nachteile der vorherigen Bewertung der Prostitution als sittenwidriges und damit unwirksames Rechtsgeschäft, die sich vor allem zu Lasten der Prostituierten ausgewirkt hatte, sollten beseitigt, der Zugang von Prostituierten zur Sozialversicherung sollte erleichtert werden (Deutscher Bundestag, Drucks. 16/4146, Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG), S. 4). Hingegen wollte der Gesetzgeber weder die rechtliche Stellung der Kunden und Bordellbetreiber aufwerten (Deutscher Bundestag, Drucks. 14/5958, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, S. 4) noch die Prostitution an sich (Deutscher Bundestag, Drucks. 16/4146, Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG), S. 4).

62

Diese Bewertung kann auch zur Auslegung des städtebaulichen Begriffs der „Vergnügungsstätten“ berücksichtigt werden. Es ist nämlich gerade die Zweckbestimmung von Gewerbegebieten, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 – 4 C 21/83, Rn.11, juris). Dies gilt aufgrund der sozialethischen Bewertung der Prostitution auch für Bordellbetriebe.

63

Andererseits bringt ein Bordell keine so erheblichen Belästigungen im Sinne von § 8 Abs. 1 BauNVO mit sich, dass es – von dem nach § 15 Abs. 1 BauNVO zu behandelnden Einzelfall abgesehen – schlechthin nicht in einem Gewerbegebiet zugelassen werden könnte. Die von einem Bordell ausgehenden Nachteile und Belästigungen, nämlich vor allem der Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und sonstige „milieubedingte“ Unruhe erreichen die Schwelle der Erheblichkeit nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983, a.a.O., Rn.12).

64

(2) § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan steht dem Vorhaben der Beigeladenen nicht entgegen.

65

Danach werden im Gewerbegebiet Ausnahmen für Vergnügungsstätten ausgeschlossen. Dieser Ausschlusstatbestand greift im vorliegenden Fall nicht ein, weil es sich bei dem von der Beigeladenen betriebenen Bordell nicht um eine Vergnügungsstätte handelt.

66

Wie bereits dargelegt, sind Bordelle den „Gewerbebetrieben aller Art“ nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO und nicht den „Vergnügungsstätten“ im Sinne der Baunutzungsverordnung zuzuordnen. Dies gilt auch für die Vorschrift des § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan, da der dort verwendete Begriff der „Vergnügungsstätten“ demjenigen in der Baunutzungsverordnung entspricht.

67

Denn § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan nimmt auf die Regelung in § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO Bezug, nach der im Gewerbegebiet ausnahmsweise Vergnügungsstätten zugelassen werden können. Während es in früheren Entwürfen des Bebauungsplans noch hieß, Vergnügungsstätten seien unzulässig (Bebauungsplan-Entwurf Wandsbek 69/Tonndorf 29 vom 12.05.1995, Bebauungsplan-Aufstellungsakten, Ordner 1-3), werden nach der Endfassung des § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan ausdrücklich Ausnahmen für Vergnügungsstätten ausgeschlossen. Es handelt sich dabei um eine Festsetzung nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO, wonach im Bebauungsplan festgesetzt werden kann, dass alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 BauNVO vorgesehen sind, nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden. Zudem verweist die Begründung zum Bebauungsplan zur Zulässigkeit von Vergnügungsstätten im Mischgebiet ausdrücklich auf die differenzierte Regelung in § 6 BauNVO (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 10).

68

Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen des Plangebers vom Begriff der „Vergnügungsstätten“ in § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan anders als vom Begriff der „Vergnügungsstätten“ in der Baunutzungsverordnung auch Bordelle erfasst sein sollten, sind nicht ersichtlich. Dem stünde schon sprachlich entgegen, dass Bordelle als Gewerbebetriebe aller Art nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BauNVO in Gewerbegebieten nicht nur im Wege der Ausnahme, sondern allgemein zulässig sind, so dass sich der Ausschluss von Ausnahmen für Vergnügungsstätten nicht auf Bordelle beziehen kann. Gegenteiliges ergibt sich auch weder aus der Begründung zum Bebauungsplan, in der als Vergnügungsstätten beispielhaft Nachtlokale, Diskotheken sowie Spiel- und Automatenhallen aufgezählt werden (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 9) noch aus den beigezogenen Bebauungsplan-Aufstellungsakten, in denen als Beispiele Spielhallen, Anlagen mit Sex-Darbietungen und Nachtlokale genannt werden (Schreiben der Stadtplanungsabteilung des Bezirksamts Wandsbek vom 23.07.1997, S. 2, Bebauungsplan-Aufstellungsakten, Ordner 6).

69

Im Übrigen entspricht die Einstufung von Bordellen als Gewerbebetriebe der an der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts orientierten Praxis in allen sieben Hamburger Bezirken (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucks. 19/1865, Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Jan Balcke (SPD) vom 05.01.2009 und Antwort des Senats, S. 2). Davon ging auch der Plangeber beim späteren Erlass der hier nicht anwendbaren Verordnung zur Änderung des Bebauungsplans aus. In deren Begründung heißt es, der geltende Bebauungsplan schließe zwar bereits Ausnahmen für Vergnügungsstätten aus. Nach geltender Rechtsprechung würden Bordellbetriebe grundsätzlich jedoch als gewerbliche Nutzungen eingestuft und könnten daher, sofern Beschäftigte dort nicht auch wohnten, regelhaft unter die in den Gewerbegebieten allgemein zulässigen Betriebe im Sinne von „Gewerbebetrieben aller Art“ subsumiert werden (Begründung zur Änderung des Bebauungsplans Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 2).

70

Angesichts des Vorstehenden kann eine von § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO abweichende und auch Bordelle umfassende Auslegung des Begriffs der Vergnügungsstätten in § 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan nicht mit dem auch auf die Verhinderung des Verlusts an Attraktivität gerichteten Sinn und Zweck der Vorschrift (vgl. Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 9) gestützt werden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG Stuttgart, Urteil vom 21.04.2004 – 3 K 4344/02, Rn. 57, juris), die die Klägerin insoweit zur Begründung ihrer Auffassung zitiert, kann hier schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sie zur BauNVO 1977 erging, die keine dem heutigen § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO vergleichbare Regelung enthielt.

71

(3) § 2 Nr. 6 S. 1 der Verordnung über den Bebauungsplan steht dem Vorhaben der Beigeladenen ebenfalls nicht entgegen.

72

Danach sind im Industrie- und Gewerbegebiet gewerbliche Freizeiteinrichtungen (wie Squash- und Tennishallen, Bowlingbahnen) unzulässig. Mit dieser Festsetzung hat der Plangeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 1 Abs. 9 BauNVO i.V.m. § 1 Abs. 5 BauNVO festzusetzen, dass gewerbliche Freizeiteinrichtungen als eine Unterart der Gewerbebetriebe aller Art im Gewerbegebiet unzulässig sind. Dieser Ausschlusstatbestand greift nicht ein, da es sich bei dem von der Beigeladenen betriebenen Bordell nicht um eine gewerbliche Freizeiteinrichtung handelt. Denn ein Bordellbetrieb entspricht nicht der Art der im Bebauungsplan für gewerbliche Freizeiteinrichtungen beispielhaft aufgezählten Squash- und Tennishallen sowie Bowlingbahnen.

73

cc) Das Vorhaben ist auch nicht nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO unzulässig.

74

Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO soll innerhalb des betroffenen Baugebiets Nachbarn einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets vermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983, a.a.O., Rn.14; OVG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2009 – 2 Bs 154/08, Ls. 3, juris). Die Voraussetzungen für diesen Anspruch liegen hier jedoch nicht vor.

75

Der Eigenart des im Bebauungsplan ausgewiesenen Gewerbegebiets (hierzu unter (1)) widerspricht das von der Beigeladenen betriebene Bordell nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung (hierzu unter (2)). Die im Beschluss vom 04.06.2009 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. 11 E 929/09) vertretene Auffassung, ein Bordell dürfte der Eigenart des Gewerbegebiets widersprechen, das vor allem auch Betrieben mit hohem Störfaktor, solchen des produzierenden Gewerbes und Betrieben der sog. Automeile vorbehalten bleiben solle, hält die Kammer nicht aufrecht.

76

(1) Die Eigenart des Baugebiets ergibt sich zum einen aus seiner allgemeinen Zweckbestimmung, zum anderen wird sie durch die sonstigen Festsetzungen des Bebauungsplans, wie z.B. dem Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise, geprägt (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Auflage 2008, § 15, Rn. 8; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, BauGB, 100. EL 2011, § 15 BauNVO, Rn. 10 ff.). Die typisierenden Regelungen der Baunutzungsverordnung sollen allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Hamburgische Oberverwaltungsgericht gefolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.05.1988 – 4 C 34/86, Rn. 21, juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2009 – 2 Bs 154/08, Rn. 14, juris), nicht allein entscheidend sein. Vielmehr soll sich die Eigenart eines Baugebiets nur auf die Weise abschließend bestimmen lassen, dass zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die in Gebiet „hineingeplant“ worden ist, sowie der jeweilige Planungswille, soweit dieser in den Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.05.1988 – 4 C 34/86, Rn. 21, juris). Dabei muss der Planungswille im Wesentlichen durch die Festsetzungen selbst zum Ausdruck kommen. Die Begründung zu einem Bebauungsplan hat demgegenüber nur die Funktion einer Auslegungshilfe und kann einem Planungswillen, der in den Festsetzungen nicht zum Ausdruck kommt, nicht zum Durchbruch verhelfen (OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 7, juris). Auf die tatsächlich vorhandene Bebauung kommt es für die Bestimmung der Eigenart des Gebiets dagegen grundsätzlich nicht an. Sie ist nur insoweit beachtlich, als sie sich im Rahmen der durch die Festsetzungen zum Ausdruck gebrachten städtebaulichen Ordnungsvorstellungen für das Baugebiet hält (OVG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2009 – 2 Bs 154/08, Rn. 14, juris).

77

Ausgehend von diesen Maßstäben lässt sich die Eigenart des hier maßgeblichen Gewerbegebiets wie folgt bestimmen: Gewerbegebiete dienen nach § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Allgemein zulässig sind in Gewerbegebieten nach § 8 Abs. 2 BauNVO Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (Nr. 1), Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude (Nr. 2), Tankstellen (Nr. 3) und Anlagen für sportliche Zwecke (Nr. 4). Ausnahmsweise sind im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 BauNVO zulassungsfähig Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind (Nr. 1), Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke (Nr. 2) sowie Vergnügungsstätten (Nr. 3).

78

Von diesen grundsätzlich in Gewerbegebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sind im hier maßgeblichen Gewerbegebiet nach § 2 Nr. 4 bis 6 der Verordnung über den Bebauungsplan Einzelhandelsbetriebe (Nr. 4 S. 1), Vergnügungsstätten (Nr. 5 S. 2) und gewerbliche Freizeiteinrichtungen (wie Squash- und Tennishallen sowie Bowlingbahnen, Nr. 6 S. 1) ausgeschlossen. Einzelhandelsbetriebe, die mit Kraftfahrzeugen einschließlich Zubehör handeln sowie Läden, die der täglichen Versorgung der im Plangebiet arbeitenden Menschen dienen, sind allerdings ausnahmsweise zulässig (Nr. 4 S. 2). Auf den in der Anlage zum Bebauungsplan schraffiert dargestellten Flächen mit vorhandenem Einzelhandel sind Einzelhandelsbetriebe zudem ausnahmsweise zulässig, wenn sie mit Kraftfahrzeugen, Booten, Möbeln, Teppichen und sonstigen flächenbeanspruchenden Artikel einschließlich Zubehör oder mit Baustoffen, Werkzeugen, Gartengeräten und sonstigem Bau- und Gartenbedarf handeln, diese Artikel ausstellen oder lagern (Nr. 4 S. 3). Auch gewerbliche Freizeiteinrichtungen im Zusammenhang mit kraftfahrzeugbezogenen Nutzungen können ausnahmsweise zugelassen werden (Nr. 6 S. 2). Büro- und Verwaltungsgebäude sind entgegen der grundsätzlich allgemeinen Zulässigkeit nur ausnahmsweise zulässig (Nr. 5 S. 1).

79

Ausweislich der als Auslegungshilfe für diese Festsetzungen heranzuziehenden Begründung zum Bebauungsplan erfolgte die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens insgesamt mit der Zielsetzung, erstens die Ansiedlung zentrengefährdender Einzelhandelsbetriebe zu unterbinden, zweitens die Zulässigkeit von Betrieben mit flächenbeanspruchenden Waren zu regeln und drittens das Plangebiet für das produzierende Gewerbe zu sichern (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 1). Als vierte planerische Zielsetzung lässt sich der Begründung zum Bebauungsplan die Sicherung und Entwicklung der „Automeile“ im Bereich des F. Damms entnehmen (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/ Tonndorf 29, S. 9).

80

Allerdings bezieht sich die dritte planerische Zielsetzung nach den Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 13.08.2009 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, denen sich die Kammer anschließt, vor allem auf das festgesetzte Industriegebiet (OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 7, juris). In der Begründung zum Bebauungsplan wird im Abschnitt speziell zum Gewerbegebiet (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 5-6) nicht darauf eingegangen. Insoweit heißt es lediglich im allgemeinen Abschnitt zur Gliederung der Baugebiete, die rückwärtigen Bereiche des Gewerbegebiets seien möglichst für produzierendes Gewerbe bzw. Betriebe mit hohem Störungsgrad vorzuhalten (Begründung zum Bebauungsplan Wandsbek 69/Tonndorf 29, S. 9). Im Übrigen findet sich diese planerische Zielsetzung aber auch nicht in einer Deutlichkeit in den Festsetzungen des Bebauungsplans wieder, als dass dadurch die Eigenart des Gewerbegebiets charakterisiert werden könnte. Denn obgleich im Bebauungsplan bestimmte Nutzungen ausgeschlossen sind, bleibt eine große Bandbreite an Nutzungen durch Betriebe möglich, die nicht zum produzierenden Gewerbe bzw. zu den Betrieben mit hohem Störungsgrad gehören (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 6, juris).

81

(2) Das von der Beigeladenen betriebene Bordell widerspricht der sich so darstellenden Eigenart des Gewerbegebiets nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung.

82

Der Widerspruch zur Eigenart des jeweiligen konkreten Baugebiets kann nur durch eine sorgfältige Würdigung der besonderen Gebietsstruktur ermittelt werden. Die Nichteinfügung der baulichen Anlage oder Nutzung in die Eigenart des Baugebiets muss sich bei objektiver Betrachtungsweise, d.h. im Sinne eines unvoreingenommenen durchschnittlich vorgebildeten Betrachters – und nicht etwa eines bestimmte städtebauliche Leitbilder vertretenden Beobachters – offensichtlich aufdrängen. Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets setzt mehr voraus, als dass die bauliche Anlage dem Baugebiet lediglich nicht entspricht. Für die Unzulässigkeit genügt es nicht, wenn ein Vorhaben die vorhandene Gebietsstruktur nur geringfügig verschlechtert und damit eine gewisse Beeinträchtigung darstellt, sich nicht eindeutig „einfügt“ oder nicht „im Einklang steht“. Vielmehr muss die bauliche und/oder sonstige Anlage dem konkreten Gebietscharakter vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG und der in ihm wurzelnden Baufreiheit eindeutig entgegenstehen (Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Auflage 2008, §15, Rn. 9.1). Dies ist hier nicht der Fall.

83

(a) Das Vorhaben der Beigeladenen widerspricht der Eigenart des Gewerbegebiets nicht nach Anzahl.

84

„Nach Anzahl“ kann ein Bordell der Eigenart des Baugebiets widersprechen, wenn in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist und das Gebiet durch die Zulassung des Bordells eine Prägung erlangen könnte, die es nach seiner Eigenart und Zweckbestimmung gleichsam als ein Sondergebiet für Bordellbetriebe erscheinen ließe (BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 – 4 C 21/83, Rn. 14). Dies droht hier jedoch nicht. Denn das von der Beigeladenen betriebene Bordell ist der einzige Betrieb dieser Art im Gewerbegebiet.

85

(b) Auch nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung widerspricht das Bordell nicht der Eigenart des Gewerbegebiets.

86

Soweit die planerischen Zielsetzungen in den Festsetzungen des Bebauungsplans ihren Ausdruck gefunden haben und geeignet sind, die Eigenart des Gewerbegebiets zu bestimmen, kann nach dem beschriebenen Maßstab ein Widerspruch des Bordellbetriebs hierzu nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung nicht festgestellt werden. Im Einzelnen:

87

(aa) Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets ergibt sich insbesondere nicht im Hinblick auf die erste planerische Zielsetzung, die Ansiedlung zentrengefährdender Einzelhandelsbetriebe zu unterbinden, die in der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben nach § 2 Nr. 4 S. 1 der Verordnung über den Bebauungsplan ihren Ausdruck gefunden hat. Denn Bordelle gehören nicht zu den Einzelhandelsbetrieben.

88

(bb) Auch im Hinblick auf die zweite Zielsetzung des Plangebers, die Zulässigkeit von Betrieben mit flächenbeanspruchenden Waren zu regeln, die in der ausnahmsweisen Zulässigkeit von vorhandenem Einzelhandel mit flächenbeanspruchenden Artikeln (§ 2 Nr. 4 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan) ihren Ausdruck gefunden hat, liegt ein Widerspruch des Bordellbetriebs zur Eigenart des Baugebiets nicht vor. Denn die Regelung der Zulässigkeit von Betrieben mit flächenbeanspruchenden Waren ist weder mit deren genereller Zulässigkeit noch mit der generellen Unzulässigkeit anderer Betriebe gleichzusetzen.

89

(cc) Die dritte Zielsetzung, das Plangebiet für produzierendes Gewerbe zu sichern, charakterisiert – wie bereits dargelegt – die Eigenart des hier maßgebenden Gewerbegebiets nicht.

90

(dd) Schließlich steht das Vorhaben der Beigeladenen auch im Hinblick auf die vierte planerische Zielsetzung, die im Bereich des F. Damms vorhandene „Automeile“ zu sichern und zu entwickeln, nicht mit der Eigenart des Baugebiets im Widerspruch. Diese planerische Zielsetzung hat zwar ihren Ausdruck gefunden im Ausschluss von Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet (§ 2 Nr. 5 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan), in der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben, die mit Kraftfahrzeugen einschließlich Zubehör handeln (§ 2 Nr. 4 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan) sowie in der ausnahmsweisen Zulassungsfähigkeit von gewerblichen Freizeiteinrichtungen, die im Zusammenhang mit kraftfahrzeugbezogenen Nutzungen stehen (§ 2 Nr. 6 S. 2 der Verordnung über den Bebauungsplan). Doch nach den Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 7, juris), denen sich die Kammer anschließt, bezieht sich die Zielsetzung ausdrücklich auf die sog. „Automeile“ im Bereich des F. Damms und damit nicht auf das im … des Plangebiets liegende Vorhabengrundstück. Das darauf betriebene Bordell kann hierzu nicht im Widerspruch stehen.

91

b) Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht gegen das in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme.

92

Nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO sind bauliche und sonstige Anlagen auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Das in dieser Vorschrift verankerte Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die als rücksichtslos zu werten sind. Davon kann erst die Rede sein, wenn die mit dem Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstücks bei einer Abwägung, in der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Nachbarn billigerweise unzumutbar erscheinen (OVG Hamburg, Beschluss vom 08.12.2003 – 2 Bs 439/03, MMR 2004, 709 (712)). Dies ist hier nicht der Fall.

93

Die Klägerin wird durch das von der Beigeladenen betriebene Bordell nicht unzumutbar in der Nutzung ihres Grundstücks beeinträchtigt. Angesichts der Größe des Bordells mit 19 Zimmern, Sanitäreinrichtungen, einer Küche, einem Aufenthaltsraum und einer Bar sowie des Umstands, dass nach der Vereinbarung zwischen den Rechtsvorgängern der Beigeladenen und der Beklagten vom 23.09.2010 bzw. 29.09.2010 maximal 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitgleich sexuelle Dienstleistungen ausüben dürfen, steht im Gegensatz zur Einschätzung der Klägerin nicht zu befürchten, dass es dadurch zur Ansiedlung eines Rotlichtmilieus mit so erheblichen geschäftsschädigenden Wirkungen für die umliegenden Gewerbebetriebe kommt, die als rücksichtslos im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO eingestuft werden könnten. So hat die Beigeladene Schreiben der benachbarten Gewerbebetriebe in der A. Straße …, … und … vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass diese sich durch den Betrieb des Bordells nicht gestört fühlen. Es ist von der Klägerin nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das Vorhaben gerade ihr gegenüber rücksichtslos sein sollte. Allein der Umstand, dass die Klägerin das Gebäude auf ihrem Grundstück an die … GmbH vermietet hat, die dort Menschen mit Behinderung in einem produzierenden Betrieb beschäftigt, begründet ein Verstoß des Bordellbetriebs gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht.

94

Auch die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Schwierigkeiten beim Verkauf oder bei der Verpachtung eines Teils ihres Grundbesitzes führen nicht zur Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Denn wie bereits das Hamburgische Oberverwaltungsgericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeführt hat, kann eine etwaige Wertminderung des Grundstücks nicht zur Begründung der Rücksichtslosigkeit herangezogen werden. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass ein Nachbar im Baurecht einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht. Abwehransprüche sind deshalb nur insoweit gegeben, als sie die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit seines Grundstücks oder der Verletzung einer anderen nachbarschützenden Norm sind (OVG Hamburg, Beschluss vom 13.08.2009 – 2 Bs 102/09, Rn. 15, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier, wie bereits ausgeführt, nicht vor.

III.

95

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren billigerweise der Klägerin aufzuerlegen, weil die Beigeladene sich durch Stellung eines Antrags auf Klageabweisung am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

IV.

96

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage hinsichtlich der Vollstreckung der Beklagten gegen die Klägerin in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO und hinsichtlich der Vollstreckung der Beigeladenen gegen die Klägerin in § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Wenn ich es richtig sehe, wurde die Berufung vor dem OVG nicht zugelassen. Der Kläger kann hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.

Kasharius

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Beitrag von Kasharius »


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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von annainga »

urteile in volltext haben wir selten. denn die erscheinen nicht in der google-suche, sondern man muss sie gezielt suchen und oft sind sie kostenpflichtig. dankeschön dafür.

zu dem urteil, und was ich interessant daran finde:

- bordelle sind im gewerbegebiet allgemein zulässig, wenn es der baubeplanungsplan erlaubt, (aber der baubeplanungsplan kann bordelle grundsätzlich ausschließen.) (50)

- bordelle sind "gewerbebetriebe aller art" und keine vergnügungsstätte (55)

- Maßgebend für die negative sozialethische Bewertung der Prostitution war und ist vor allem, dass hier in für die Prostituierten entwürdigender Weise der Intimbereich zur Ware gemacht wird (60)

- Diese Bewertung kann auch zur Auslegung des städtebaulichen Begriffs der „Vergnügungsstätten“ berücksichtigt werden (62) (und deswegen ist es keine vergnügungsstätte?)

- Dieser Ausschlusstatbestand greift nicht ein, da es sich bei dem von der Beigeladenen betriebenen Bordell nicht um eine gewerbliche Freizeiteinrichtung handelt. Denn ein Bordellbetrieb entspricht nicht der Art der im Bebauungsplan für gewerbliche Freizeiteinrichtungen beispielhaft aufgezählten Squash- und Tennishallen sowie Bowlingbahnen. (72) (also wäre eine tennishalle nicht genehmigt worden, ein bordell schon)

- Die Nichteinfügung der baulichen Anlage oder Nutzung in die Eigenart des Baugebiets muss sich bei objektiver Betrachtungsweise, d.h. im Sinne eines unvoreingenommenen durchschnittlich vorgebildeten Betrachters – und nicht etwa eines bestimmte städtebauliche Leitbilder vertretenden Beobachters – offensichtlich aufdrängen. (82) (wie reizend, welcher standardmensch wird zur beurteilung herangezogen?)

das bordell "geizhaus" hat eine für sich positve entscheidung erhalten und darf ansässig bleiben. insofern ist das urteil ein erfolg. andererseits lesen sich die urteilsbegründungen für mich, als wäre es zu 95 % glückssache wie entschieden wird. die begründungen sind unnachvollziehbar. dieser trading-down-effekt ärgert mich besonders - wer beurteilt es, ob eine wertminderung eintritt? gibt es eine vielzahl an gutachten?

lieben gruß, annainga

"ich komme jetzt nicht aus dem Musstopf". was bedeutet das?

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Beitrag von Kasharius »

@annainga

die Materie ist in der Tat recht kompliziert. Wenn Du mir etwas Zeit einräumst werde ich versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Auf bald

Kasharius :002

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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von Kasharius »

@annainga

wenn man dieses Urteil als juristischer Laie liest kann man sich den Eindruck bekommen, es sei reine Glückssache als Bordellbetreiber zu obsiegen aber eigentlich ist dem nicht so. Erinnere Dich an die von mir hier im Sexworkerforum eingestellten neueren Urteile des VGH Baden-Württemberg vom März 2012 und die Laufhausentscheidung des OVG Berlin-Brandenburg vom Juni 2012 und natürlich nicht zu vergessen, die Prestige-Entscheidung des VG Berlin, die hier in diesem Urteil auch zitiert wird. Es geht hier immer um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bordellen und nicht, wie beispielsweise in der hier ebenfalls eingestellten Entscheidung des OVG NRW um die Rechtmäßigkeit einer Sperrgebietsverordnung. Generell werden derartige Entscheidungen immer danach getroffen, ob die gesetzlichen Grundlagen gegeben sind oder nicht; die Auslegung erfolgt dann natürlich durch die Gerichte. Hier geht es, wie immer bei bauplanungsrechtlichen Entscheidungen um die Regelungen der Baunutzungsverordnung. Sie beschreibt bestimmte Gebiete, die zuvor in einem von der Gemeinde aufgestellten Bebauungsplan festgesetzt wurden und in denen dann eben nur bestimmte Bauvorhaben genehmigungsfähig sind. diese Festsetzungen haben drittschützenden Charakter d.h., auch der Nachbar, der nicht selbst von einer baurechtlichen Genehmigung betroffen ist kann klagen, wenn er in seinen Rechten verletzt ist - so war es bei der Entscheidung des VGH BW und so war es auch hier!

Das Gericht trifft hier folgende Kernaussagen:

Ein Bordellbetrieb ist keine Vergnügungsstätte im Sinne der Baunutzungsverordnung sondern ein allgemeiner Gewerbebetrieb. Deshalb ist er generell und nicht nur ausnahnmsweise zu genehmigen.

§ 15 Baunutzungsverordnung, der davon wiederum eine Ausnahme macht wenn das Vorhaben seiner Eigenart nach oder wegen seines Störpotentials doch nicht zu genehmigen wäre (über diese Vorschrift werden gerne Bordelle die eigentlich zu genehmigen wären "rausgeschossen") findet auf das GEIZHAUS keine Anwendung.

Die Entscheidung legt in bemerkenswerter Deutlichkeit die Schwachstellen des ProstG offen; das Verdikt der Sittenwidrigkeit wurde gerade nicht beseitigt da lt. Intension des Gesetzgebers nur die Rechtsstellung der Prostituierten, nicht aber jene des Betreibers oder des Kunden, also des gesamten Gewerbezweiges aufgewertet wurde. Man kann darüber viel und intensiv diskutieren und in meiner Promotion habe ich dsas auch getan. Aber ganz Unrecht hat die Entscheidung nicht. Hätte man das gesamte Gewerbe, also alle daran Beteiligten rechtlich aufgewertet und auch die Baunutzungsverordnung geändert bzw. die Regelungen über Sperrgebietsverordnungen novelliert oder abgeschafft, wäre das effektiver und gegenüber den Betroffenen SW auch ehrlicher gewesen. Aber dann hätte der Bundesrat mitentscheiden müssen und der war damals CDU-dominiert. Deren Haltung ist ja hinlänglich bekannt.

Ich hoffe das reicht zunächst als Erläuterung. Ansonsten einfach nachfragen.

Kasharius grüßt herzlich :006

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annainga
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RE: Lokalnachrichten: HAMBURG

Beitrag von annainga »

"Hier geht es, wie immer bei bauplanungsrechtlichen Entscheidungen um die Regelungen der Baunutzungsverordnung. Sie beschreibt bestimmte Gebiete, die zuvor in einem von der Gemeinde aufgestellten Bebauungsplan festgesetzt wurden und in denen dann eben nur bestimmte Bauvorhaben genehmigungsfähig sind."
schreibst du.
daran glaube ich nicht.
im gegenteil bin ich überzeugt, dass "trading-down-effekt", nachträgliche änderungen und politische entscheidungen viele male das baurecht unterlaufen.

aber dafür kannst du ja nichts.
also danke, dass du alles im original einstellst.

lieben gruß, annainga