Verbot geplant
Prostitutionsgesetz in Wien: Es wird eng in der Leopoldstadt
Julia Herrnböck, 12. April 2012 18:56
Der Straßenstrich konzentriert sich nun weitgehend auf den Prater, die Neuanmeldungen steigen weiterhin
Wien - Seit fast sechs Monaten gilt in Wien das neue Prostitutionsgesetz. Wie sieht eine erste Bilanz aus? Der Straßenstrich ist durch das Verbot weitgehend aus den Wohngebieten verschwunden. Die angekündigten Erlaubniszonen sind ausgeblieben, dafür drängen sich laut der Organisation sexworker.at "bis zu 70 Frauen" in einem Teil des Wiener Praters in der Leopoldstadt.
"Die Eskalation ist programmiert", befürchtet Christian Knappik von der Organisation. Auch seitens der Polizei kommt Kritik an den Platzverhältnissen, allerdings anonym: Stammplatzerpressungen drängten die Frauen ohne "schwergewichtige Beschützer" (sprich: Zuhälter) in die Illegalität. Weil kein anderer Bezirk den Straßenstrich erlauben will, bremst jetzt die Leopoldstadt und will ein Verbot erwirken.
Neuanmeldungen steigen
Selbstbestimmtheit sollte das neue Gesetz den Prostituierten ermöglichen und Menschenhandel weniger lukrativ machen. Doch solange die Sittenwidrigkeit aufrechterhalten bleibt, können Prostituierte weder angestellt werden, noch Honorare einklagen.
Die Neuanmeldungen steigen kontinuierlich: Aktuell arbeiten rund 2700 Frauen und 100 Männer in Wien als Sexarbeiter. Zum Vergleich: Im Jänner waren es 2500, vor zwei Jahren 2000. Knappik vermutet, dass weit mehr ihre Kunden nun illegal in der U-Bahn oder in Einkaufsstraßen suchen - nur eben nicht erkennbar und somit nicht kontrollierbar.
"Paket Menschenhandel"
Die Anrainer konnten mit der neuen Regelung entlastet werden, bilanziert Birgit Hebein von den Grünen. Doch bei der Umsetzung der Erlaubniszonen und der Abschaffung der Sittenwidrigkeit stocke es derzeit. Die milde Verurteilung von Menschenhändlern in der jüngsten Zeit sei ein " verheerendes Signal". Deswegen arbeite das Innenministerium und die Steuerungsgruppe, wo auch SPÖ, die Polizei und NGOs vertreten sind, intensiv an einem "Paket Menschenhandel".
Über die Frauen versuche man an die Drahtzieher zu kommen, erklärt ein Polizist der Einsatzgruppe Menschenhandel. Das Gesetz gebe der Exekutive mehr Zugriffsrechte, aber es sei noch zu früh, um die Wirksamkeit beurteilen zu können. Laut Außenministerium werden jährlich rund 200 Fälle von Menschenhandel in Österreich bekannt, über die Dunkelziffer gibt es keine Auskunft.
Opferschutz gebe es in Österreich so gut wie keinen, kritisiert Knappik. In vielen Fällen sei eine Aussage gegen den Peiniger wie eine Selbstanzeige; etwa wenn die Frau illegal in der Wohnung anschaffen musste
http://derstandard.at/1334132451588/Ver ... opoldstadt
Gespräch mit Opferanwältin
"Die Frauen haben null Benefit von einer Anzeige"
Julia Herrnböck, 12. April 2012 18:57
Milde Urteile und kaum Entschädigungen halten Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel davon ab, gegen die Täter auszusagen, erklärt Anwältin Barbara Steiner
Standard: Wie viele angezeigte Fälle von Menschenhandel werden verurteilt?
Barbara Steiner: In einer Studie haben wir einen Ausschnitt gemacht: Von 76 Fällen gab es 36 Verurteilungen. Eine Handvoll wurde entschädigt.
Standard: Wie schwierig ist es, jemanden zu einer Zeugenaussage zu bringen?
Steiner: Alle haben Angst, dass ihren Familien oder Kindern etwas passiert. Meist wissen die Täter, wo die Frauen wohnen, haben Kontakte in der Nachbarschaft. Die Angst ist also real. Die Entschädigungen sind ein weiteres Thema. Sie haben null Benefit von einer Anzeige. Ich hatte den Fall einer Frau, die vier Jahre ausgebeutet wurde und 170.000 Euro gebracht hat. Am Ende bekam sie 10.000 Euro zugesprochen. Das steht in keiner Relation.
Standard: Menschenhandel ist auch ein Thema von Hausangestellten in Botschaftshäusern.
Steiner: Die können in den meisten Fällen nicht verfolgt werden, weil sie immun sind.
Standard: Wie oft steht Aussage gegen Aussage, und es kommt nicht zu einer Verurteilung?
Steiner: Oft, das ist problematisch. Über die Daten der Frau wird versucht, die Zeugenaussagen zu stützen. Bei dem Urteil Ende März gegen die sechs Bulgaren waren die Strafen relativ niedrig - obwohl es objektive Beweise gab, sogar eine Telefonüberwachung, Zeuginnen und offensichtlich über 30 Opfer.
Standard: Oft argumentiert die Verteidigung, die Opfer wären schon im Heimatland der Prostitution nachgegangen.
Steiner: Es ist weder für den Tatbestand des Menschenhandels noch für den grenzüberschreitenden Prostitutionshandel relevant, was die Frau vorher gemacht hat.
Standard: Was bewirken solche milden Urteile?
Steiner: Wenn die Verurteilten im Anschluss an die Verhandlung nach Hause geschickt werden, ist das heftig für die Opfer. Sie müssen nun davon ausgehen, dass sie die Täter irgendwo treffen. Oder dass die ihre Drohungen wahr machen, sie suchen und bis in die Heimat verfolgen. Wenn die Urteile strenger ausfallen, haben die Opfer einen gewissen zeitlichen Spielraum, sich zu erholen.
Standard: Wie lukrativ ist Menschenhandel?
Steiner: Es ist eines der gewinnbringendsten Geschäfte der Welt. Viele Täter gelten bei der Verhandlung als mittellos, fahren aber Mercedes. Das größte Pro-blem ist, dass die Ermittlungsbehörden kein Augenmerk darauf legen, ob in den Kästen ein Pelzmantel hängt, den sie beschlagnahmen könnten.
Standard: Sehen Sie beim neuen Prostitutionsgesetz in Wien schon mehr Möglichkeiten, Menschenhandel aufzudecken?
Steiner: Ich habe im Rahmen meiner Tätigkeiten überhaupt keine Änderung wahrnehmen können. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 13.4.2012)
Barbara Steiner (39) ist spezialisiert auf Familienrecht und arbeitet als Opferanwältin und Prozessbegleitung für diverse Organisationen. 2011 erstellte sie, gemeinsam mit Experten von Lefö und dem Weißen Ring, die Studie "Entschädigung für Betroffene des Menschenhandels".
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