Handreichung DjV zu Berichterstattung über Sexarbeit

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Kasharius
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Handreichung DjV zu Berichterstattung über Sexarbeit

Beitrag von Kasharius »


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deernhh
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Re: Handreichung DjV zu Berichterstattung über Sexarbeit

Beitrag von deernhh »

Journalismus-Leitfaden für Sexarbeit: Ein Grundkurs in Anstand, der überfällig war

von Christian Knuth

19. September 2025

Endlich! Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat sich mit Leuten zusammengetan, die es wissen müssen – dem Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) – und eine „Handreichung“ zur Berichterstattung über Sexarbeit veröffentlicht. Man könnte auch sagen: eine Anleitung für respektvollen Journalismus, die gefühlt ein Jahrhundert zu spät kommt. Aber hey, besser spät als nie.

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Bildschirmfoto 2025-09-19 um 14.33.36.pngFoto: Screenshot djv.de
👉 Handreichung hier downloaden

Auf 28 Seiten wird Medienschaffenden erklärt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Sexarbeit ist nicht automatisch Menschenhandel, Sexarbeiter*innen sind Menschen mit eigener Stimme, und „Rotlichtmilieu“ ist ein Begriff, der direkt aus einem 1980er-Jahre-Krimi stammt und dort auch bleiben sollte. Wer hätte das gedacht?

Von „Huren“ und „Zuhältern“: Einmal Nachsitzen in Wording, bitte!

Die Lektüre fühlt sich an wie ein Grundkurs in „Wie vermeide ich es, ein ignorantes A… zu sein?“. Es wird liebevoll erklärt, dass man die Menschen am besten so bezeichnet, wie sie sich selbst nennen – sei es Escort, Sexarbeiter oder von mir aus auch selbstbewusst „Hure“. Und dass der Betreiber eines legalen Etablissements eben kein „Zuhälter“ ist, sondern – Überraschung! – ein Betreiber. Bahnbrechende Erkenntnisse für Redaktionen, die bisher dachten, Sexarbeit fände ausschließlich in dunklen Gassen und verrauchten Hinterzimmern statt.

Besonders erfrischend ist der Hinweis, dass es zwischen dem Elendsstrich und dem „Pretty Woman“-Luxus-Escort eine riesige, vielfältige Branche gibt. Eine Branche, die aus weit mehr als nur normschönen Frauen in Strapsen besteht, auch wenn die Bildredaktionen dieser Republik das anscheinend noch nicht mitbekommen haben. Die Handreichung rät hier zu „Kreativität“ – ein Fremdwort in vielen Verlagen, wenn es darum geht, Klischees zu vermeiden.

„Nicht über uns ohne uns“
Der vielleicht wichtigste Satz des gesamten Dokuments: „Nicht über uns ohne uns.“ Ein simpler Wunsch, der im Journalismus leider allzu oft ignoriert wird. Stattdessen wird lieber die immer gleiche Leier von Opfern und Tätern gespielt, weil sich das besser verkauft. Dass Sexarbeit für manche einfach nur ein Job ist, mit dem sie ihre Miete zahlen, passt oft nicht ins moralisch aufgeladene Weltbild.

Die Handreichung ist ein längst überfälliger Appell an die journalistische Sorgfalt und den Respekt vor den Menschen, über die berichtet wird. Sie ist eine Einladung, die eigene Voreingenommenheit zu hinterfragen und die Realität anzuerkennen, statt Schauermärchen zu verbreiten.

Für uns in der queeren Community, die Stigmatisierung und falsche Darstellungen nur zu gut kennen, ist diese Initiative ein Hoffnungsschimmer. Vielleicht, aber nur vielleicht, führt sie ja dazu, dass wir in Zukunft weniger Berichte lesen müssen, bei denen man sich fremdschämend fragt, in welchem Jahrhundert die Autor*innen hängengeblieben sind. Bis dahin bleibt es wohl dabei: Aufklärung ist und bleibt die beste Dienstleistung. *Christian Knuth

https://maenner.media/gesellschaft/comm ... n-anstand/