Profilierungssucht auf Kosten von Sexarbeiter*innen

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fraences
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Profilierungssucht auf Kosten von Sexarbeiter*innen

Beitrag von fraences »

Die Klöckners und Warkens kommen und gehen, die Prostitution bleibt

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, beide Mitglieder der Regierungspartei CDU, sind gegen Prostitution. Wer hätte das gedacht? Wären sie nicht gegen Sexarbeit in der Prostitution, hätten sie die politischen Position nicht inne, die sie gegenwärtig bekleiden.

Beide Politikerinnen sind römisch-katholisch sozialisiert. Wer in diesem Milieu aufwächst, bleibt meist sein Leben lang geschädigt und neigt erfahrungsgemäß zu Ausgrenzung und Verbotsfantasien in puncto Prostitution. Sexualität jenseits von Ehe und Familie bleibt Angst besetzt. Mit sexueller Vielfalt hadert man. Dies um so mehr, als sowohl der katholischen Kirche als auch der CDU seit langem die Felle davonschwimmen. Die Katholische Kirche hatte 2022 einen Schwund von über 500.000 Mitgliedern zu verzeichnen, 2023 waren es rund 400.000 und im Jahr 2024 noch mal weitere 300.000 Mitglieder. Die CDU hatte 1990 noch 790.000 Mitglieder, 2024 waren es mit 364.000 weniger als die Hälfte.

Diese Entwicklung verunsichert die CDU und ihre politischen Exponenten. In solchen Zeiten der Verunsicherung haut man gerne mal einen raus. Diesmal auf Kosten von Sexarbeiter*innen.

Faktenfrei, pauschalisierend, ohne die geringste Sachkenntnis: Hauptsache man kommt “rüber”, vermüllt die Medien und generiert Aufmerksamkeit.

Die prostitutionsfeindlichen Stellungnahmen von Klöckner und Warken verdeutlichen: Nicht das Stadtbild ist das eigentliche Problem hierzulande, sondern die politischen Positionen und das Erscheinungsbild, dass das jetzige Parlament und die jetzige Bundesregierung abgeben.

Gerade deshalb besteht kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Mindestens drei Probleme stehen im Raum:

Problem Nr.1:
Wieder einmal gefallen sich die Qualitätsmedien und alle, die sich dafür halten, in der Rolle des Papageien. Mit Verweis auf die Pflicht zur Berichterstattung werden selbst die dämlichsten Statements gewissenhaft nacherzählt und massenhaft verbreitet, obwohl sie weder einen Informations-, noch Neuigkeitswert haben. Die Frage, welche politische Funktion die getätigten Äußerungen haben, stellen die Medien hierzulande gar nicht erst. Was zeigt, dass sie selbst Teil des Problems sind, weil sie sich im Routinebetrieb über ihre eigene Funktion keine Rechenschaft ablegen. Auch hier sinken die Auflagen. Wen wundert’s?

Problem Nr.2:
Werden wir mal inhaltlich und nehmen Frau Klöckner beim Wort. Sie erklärt, sie sei für ein Sexkauf- und somit für ein Prostitutionsverbot. Damit wollte sie eine Person ehren, die sich seit Jahren darum bemüht, die Öffentlichkeit an der Nase herum zu führen und vom Gegenteil zu überzeugen: Sexkaufverbot sei gar kein Prostitutionsverbot, sondern viel humaner, weil man darauf verzichte, Sexarbeiter*innen qua Prostitutionsverbot zu kriminalisieren. Das ist natürlich glatt gelogen.Und Klöckner bringt die Lüge an den Tag, weil sie ohnehin nichts rafft und gedankenlos drauflos plappert.

Für Klöckner ist keine Binse zu blöd, um sie nicht ein weiteres Mal zu präsentieren. So meint sie, die Öffentlichkeit mit der ungeheuren Entdeckung zu konfrontieren, dass Prostitution kein Beruf wie jeder andere sei. Wer hätte das gedacht?

Was aber folgt eigentlich daraus?

Bekanntlich sind tausende Berufe hierzulande verschieden. Und gleichwohl fallen sie unter eine Gewerbeordnung. Den Rest an Besonderheiten lässt sich per Verordnung regeln. Tausende Berufe sind verschieden und nicht wie jeder andere. Trotzdem haben wir kein Problem damit, sie allesamt als freiberuflich einzustufen. Tausende Berufe sind hierzulande verschieden. Und trotzdem kommt kein vernünftiger Mensch auf die Idee, sie mit einem berufsspezifischen Sonderstrafrecht zu beglücken, wie es seit 170 Jahren bei Prostitution der Fall ist.

Warum ist das eigentlich so? Dieses Problem hätten Medien, die sich auf ihre vermeintliche Qualität etwas zugute halten, längst ansprechen müssen. Denn aus der simplen Tatsache, dass Prostitution kein Beruf wie jeder andere ist, folgt weder zwingend ein Sexkaufverbot noch ein Prostitutionsverbot, wie Klöckners Geplapper es nahelegt.

Warum wird Prostitution hierzulande nicht endlich mal auf der Grundlage einer rechtlichen Gleichbehandlung mit anderen Berufen reguliert? Warum wird der rechtliche Umgang mit Prostitution noch immer über ein prostitutionsspezifisches Sonderstrafrecht, über Polizeigesetze, über Sperrgebietsverordnungen, über Sonderbestimmungen in der Strafprozessordnung und im Ordnungswidrigkeitenrecht, über Tätigkeitsverbote in unterschiedlichen Rechtsmaterien, über das Verbot der Arbeitsvermittlung im Widerspruch zu allgemein geltenden Regelungen im Sozialgesetzbuch etc. etc. geregelt?

Stattdessen wird hierzulande so getan, als sei man besonders liberal, weil man Prostitution als Beruf anerkenne. Diese herrschende Heuchelei müsste man in der öffentlichen Debatte aufgreifen. Dazu bedarf es keiner geistlosen Stellungnahmen von Frau Klöckner und Frau Warken. Doch dieser Verpflichtung entziehen sich Medienvertreter*innen hierzulande jeden Tag aufs Neue. Auch das ist ein Problem.

Problem Nr.3
Seit einem Vierteljahr liegt der Bundesregierung und der Öffentlichkeit eine rund 800-seitige Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes, also des seit 2017 existierenden Regelungsrahmens der Prostitution hierzulande, vor. Der Evaluations-Abschlussbericht wirft sämtliche Grundannahmen des Prostituiertenschutzgesetzes inhaltlich über den Haufen, unternimmt aber gleichzeitig den Versuch, so zu tun, als wäre dem nicht so. Die Evaluation dichtet dem Prostituiertenschutzgesetz “Potenziale“ an, die es nicht hat. Nachzulesen in einer von Doña Carmen veröffentlichten, umfangreichen “Gegen-Evaluation”. Eine mediale Auseinandersetzung mit dieser Kontroverse findet nicht statt. Ist man mit inhaltlich-argumentativ geführten Kontroversen überfordert? Reicht es nur noch zur Gegenüberstellung von Meinungen, wo einzig und allein zählt, wer es sagt und welche gesellschaftliche Funktion jemand bekleidet?

Anstatt die Medien noch weiter mit Klöckner-Warken-Quark zu fluten, sollte man sich einmal die Frage stellen, ob all das nicht deshalb geschieht, um inhaltlich gehaltvollen Debatten auszuweichen.

https://www.donacarmen.de/profilierungs ... #more-3278
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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deernhh
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Re: Profilierungssucht auf Kosten von Sexarbeiter*innen

Beitrag von deernhh »

Erst mal vielen Dank an fraences und DonãCarmen für den Beitrag!
Gute Argumentationen von Euch!
Diese leidigen Diskussionen laufen schon seit 20 Jahren und immer noch existieren Papagaeien-Politiker*innen, die alles nachgaggern müssen. Scheinbar existiert hier zudem noch ein Wettbewerb unter den Politiker*innen, wer es zudem schafft, das Sexkaufvervot auch wirklich durchzusetzen nach 20 Jahren.



Es gab heute Morgen im Morgenmagazin (ARD und ZDF) eine Diskussion zwischen Johanna Weber und Frau Warken.
Die Diskussion könnt Ihr im Video sehen, wenn Ihr den Link ganz unten anklickt.


moma duell: Verbot von Sexkauf?
13.11.2025 | 05:30

Braucht Deutschland ein Sexkaufverbot? Ja, sagt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Nein, sagt Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des Berufsverbandes.

https://www.zdfheute.de/video/zdf-morge ... r-100.html

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Kasharius
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Re: Profilierungssucht auf Kosten von Sexarbeiter*innen

Beitrag von Kasharius »

https://www.tagesschau.de/inland/gesell ... l-100.html

Und hier noch ein Bericht zum Thema von tageschau.de

https://www.tagesschau.de/inland/gesell ... l-100.html

Kasharius grüßt