Flucht vom Alltag: Die braven Stundenhotels

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Zwerg
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Flucht vom Alltag: Die braven Stundenhotels

Beitrag von Zwerg »

Stundenhotels haben längst ihr Schmuddel-Image abgelegt. Das legendäre Hotel Orient in der Wiener Innenstadt ist daran nicht ganz unbeteiligt. Liebespaare frischen nicht nur am Valentinstag dort ihre Beziehung auf.

................. Wer aber seine Beziehung etwas auffrischen will, und dabei auch nicht ganz uneigennützig ist, schenkt Gutscheine – fürs Stundenhotel.

Die haben nämlich längst ihr Schmuddel-Image abgelegt – zumindest einige. Das legendäre Hotel Orient in der Wiener Innenstadt ist daran nicht ganz unbeteiligt. Natürlich gibt es auch die kleinen, billigen Stundenhotels, etwa am Gürtel oder beim Wiener Prater, die Prostituierten Räumlichkeiten für ihre Geschäfte bieten. Die wird es auch immer geben und manche Pärchen sehen durchaus einen „Kick“ darin, auch solche Absteigen zu besuchen. Aber die machen sich als Valentinstagsgeschenk wohl nicht so gut.

Ganz im Gegensatz zu den edlen Stundenhotels, die längst brav geworden sind und deren Angebot sich teilweise wie jenes von biederen Romantik- oder Wellnesshotels liest: „Gutscheine an die Liebsten oder Freunde von 95€ bis 180€“ oder ein „Erotikweekend für zwei um 180€ inklusive Sektfrühstück“. Im Wellnesshotel nennt man das „Kuschelweekend“.
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Flucht vom Alltag. Das war natürlich nicht immer so. „Früher musste man ins Stundenhotel gehen, weil es in den Studentenbuden nicht erlaubt war, ein Mädchen mitzunehmen“, sagt der Soziologe Roland Girtler. Heute werden solche Hotels zwecks Abwechslung und „Kick“ besucht. „Dadurch ist das Ansehen der Stundenhotels gestiegen“, meint Psychologin und Sexualtherapeutin Daniela Renn.

Die Geschichte der Stundenhotels ist eng mit jener der Prostitution verbunden. Die Historikerin und Fremdenführerin Anna Ehrlich hat sich mit beiden Phänomenen näher auseinandergesetzt. Fragt man sie nach den Wiener Stundenhotels, holt sie erst einmal aus. „Ursprünglich waren Dirnen in Wien ein relativ integrierter Bestandteil der Gesellschaft. Es gab Frauenhäuser, und wenn es hohen Staatsbesuch gab, wurden die Dirnen auf Staatskosten neu eingekleidet. Sie mussten den Staatsgästen zur Verfügung stehen, die Rechnung zahlte der Landesfürst. Das war bis 1515 so, dann kam die Syphilis.“ Hotels oder sonstigen Unterschlupf für Pärchen gab es damals, mangels Bedarf, nicht. „Dann kam Kaiser FerdinandI, der Moralische, der den Wienern die Lust und Laune ausgetrieben hat, und mit ihm die neue Keuschheit.“

Separeekultur im Biedermeier. Und genau diese Keuschheit und Frömmigkeit machte Stundenhotels und Separees überhaupt erst möglich. „Das kam erst mit dem neuen, moralinsauren Stand, dem Bürgertum. Moral ist eine Sache der sozialen Schichten. Der Oberschicht war so etwas wie eheliche Treue egal, die hätten einen Lachkrampf bekommen.“ In der braven Biedermeierzeit im 19.Jahrhundert musste das sündige Treiben plötzlich gut versteckt werden. Gasthäuser bestanden aus einem langen Gang mit einzelnen Separees, in denen neben dem Tisch praktischerweise gleich das Bett stand. Die Türen ließen sich nur von innen öffnen, damit kein Kellner stört. „Und wer machte den Anfang? Die Habsburger mit dem Sacher“, sagt Ehrlich. Wer es sich leisten konnte und einen Ruf zu verteidigen hatte, ging ins Separee, der Rest ins Stundenhotel. „Im Stundenhotel gab es Betten, im Separee Tische und einen Kellner. Das hatte ein schöneres Mascherl.“


Aufwertung dank Emanzipation. Dieses Mascherl verlor erst mit der Emanzipation der Frauen an Bedeutung. „Ende des 19.Jahrhunderts gingen emanzipierte Frauen erstmals ungeniert mit ihrem Mann ins Stundenhotel.“ Richtig schick wurde diese Lokalität erst mit der sexuellen Revolution der 1960er-Jahre – Oswalt Kolle und die Pille inklusive. „Heute kann man ja in jedes Hotel gehen, im Voraus zahlen und nur ein paar Stunden bleiben. Die Grenzen sind verschwommen“, sagt Ehrlich.

Das Hotel Orient hingegen hat mit seinem edlen Ambiente aus dem 19.Jahrhundert eine Marktlücke entdeckt. Wobei auch das nicht immer so war. Bereits im 17.Jahrhundert gab es das Orient in Form einer schlichten Schenke. Damals führte an der Adresse noch ein Fluss vorbei, der in die Donau mündete. Seemänner stachen von dort in den Orient – daher der Name des Hotels – und vergnügten sich in der Schenke mit leichten Mädchen. „Das Orient war lange eine Absteige“, sagt Ehrlich. Bis es in den 1970er-Jahren von der einstigen Rotlichtgröße Heinz Werner Schimanko übernommen wurde. Anfangs gingen dort nach wie vor leichte Mädchen ein und aus. Erst als Schimanko in den 1980er-Jahren der Rotlichtszene den Rücken kehrte, hat sich das Orient zu einem Pärchenhotel entwickelt. Mittlerweile wird das Haus von dessen Sohn Heinz Rüdiger Schimanko geführt. Und vor allem zu Weihnachten, im Frühling und am Valentinstag von Pärchen besucht.

Sexualtherapeutin Daniela Renn kann das übrigens nur empfehlen. „Sobald sich Alltag einschleicht, ist es gut, wenn es Möglichkeiten gibt, dem zu entfliehen. Und wenn das ganze in einem schönen luxuriösen Rahmen passiert, hält der Genuss länger an.“

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