Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

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Marc of Frankfurt
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Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Offener Brief

an Nordrhein-Westfalens „Emanzipations“- Ministerin Barbara Steffens


Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution




Sehr geehrte Frau Steffens,


als Sprecherin von Doña Carmen e.V., einer Organisation, die sich seit vielen Jahren für soziale und politische Rechte von Prostituierten einsetzt, schreibe ich [Juanita Henning] Ihnen heute und möchte Ihnen meine Besorgnis mitteilen.

Anlass dafür ist die Tatsache, dass Sie sich kürzlich bei dem Besuch einer Bochumer Prostituierten-Beratungsstelle öffentlich für einen Kondomzwang bei Prostitution ausgesprochen und Ihre Absicht bekundet haben, dafür einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen.

Es kann kein Zweifel bestehen: Mit dieser kalkulierten Provokation haben Sie den Interessen von Frauen in der Prostitution zuwider gehandelt und dafür das Forum missbraucht, das Ihnen die Einweihung neuer Räumlichkeiten einer von Ihrem Ministerium finanziell abhängigen Beratungsstelle bot.





Sie wissen nur zu gut, dass Ihre markige Forderung nach Kondomzwang bei Prostitution ganz nach dem Geschmack konservativer Hardliner ist. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Peter Gauweiler - in den 80er Jahren gesundheitspolitischer Scharfmacher der CSU - die AIDS-Hysterie jener Jahre anheizte und für eine Politik der Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten instrumentalisierte. Dazu gehörte auch die in der Geschichte der Bundesrepublik erstmals von Peter Gauweiler erhobene Forderung nach einem Kondomzwang bei Prostitution. Sie war Teil des 1987 präsentierten bayerischen „Maßnahmekatalogs“ gegen die Ausbreitung von AIDS, der republikweit als „Horrorkatalog“ bekannt wurde. Eine Parteikollegin von Ihnen, damals grüne Vorsitzende des Bonner Gesundheitsausschusses, bezeichnete diesen „Maßnahmekatalog“ zu Recht als „eine Art Endlösung für Aids-Betroffene“ und der bayerische Landesverband der Grünen nannte ihn seinerzeit einen „Fall für die Altpapierverwertung“.

Alles Schnee von gestern? Heute präsentieren Sie sich als Nachlassverwalterin des Herrn Gauweiler und sind sich nicht zu schade dafür, die erzkonservative Forderung nach einem Kondomzwang für Prostitution wieder aufzuwärmen und salonfähig zu machen. Was für ein Abstieg!

Bleiben wir beim geschichtlichen Kontext, den Sie glauben ausblenden zu können. In den 80er und 90er Jahren hat eine breite Bewegung von Selbsthilfeorganisationen der Prostituierten, von Beratungsstellen sowie von engagierten Mitarbeiter/innen der Gesundheitsämter den entwürdigenden Zwang bekämpft, der mit den regelmäßigen wöchentlichen Kontrolluntersuchungen von Frauen in der Prostitution verbunden war. Die billige Instrumentalisierung von Gesundheitspolitik zum Zwecke von Sittenpolitik und Prostitutionskontrolle fand ihr verdientes Ende mit dem 2001 auch von Ihrer Partei, Bündnis 90 / Die Grünen, beschlossenen Infektionsschutzgesetz. Endlich sollte die Selbstverantwortung der Betroffenen an die Stelle einer Politik der Entmündigung und des staatlich verordneten Zwangs in der Gesundheitsvorsorge von Prostituierten treten.

Heute, keine zehn Jahre später, verabschieden Sie sich von dieser Politik und versuchen das Rad der Entwicklung zurückzudrehen. Mit einer knalligen Forderung versuchen Sie, sich auf Kosten von Frauen in der Prostitution zu profilieren und die Aufmerksamkeit der Medien auf Ihre Person zu lenken. Wie oft haben wir das schon erlebt: Kaum auf einem Ministersessel – und schon weiß man alles besser als die Betroffenen. Wie erbärmlich!

Als das Infektionsschutzgesetz 2001 beschlossen wurde, hatte die bayerische Landesregierung nichts Eiligeres zu tun, als per Verordnung den Kondomzwang bei Prostitution im Freistaat einzuführen – als alpenländische Trotzreaktion auf die Abschaffung des Kontrollzwangs unter dem Geschlechtskrankenheitengesetz.

Wer diese skurrile Politik notorischer Prostitutionsgegner genauer unter die Lupe nimmt, kann nur zu einem Schluss gelangen: Es geht dabei nicht um Gesundheitsschutz, sondern um Prostitutionskontrolle unter dem Deckmantel der Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten. Obwohl AIDS aus einer Krankheit mit unmittelbarer Todesdrohung mittlerweile zu einer medizinisch weitgehend beherrschbaren chronischen Krankheit wurde, obwohl Untersuchungen bayerischer Gesundheitsämter sowie des Robert-Koch-Instituts www.rki.de den unwiderlegten Nachweis erbrachten, dass Frauen in der Prostitution von HIV/AIDS so gut wie gar nicht betroffen waren, verordnete man dieser Berufsgruppe nichtsdestotrotz den in Zeiten der AIDS-Hysterie erfundenen Kondomzwang! Offenbar sind die Begründungen beliebig und die Vorwände austauschbar – Hauptsache, man schafft Kontrollanlässe gegenüber Frauen in der Prostitution!





Nun kann niemand ernsthaft etwas dagegen haben, dass Frauen in der Prostitution mit Kondomen arbeiten. Im Gegenteil. Es ist Ausdruck professioneller Arbeit, wenn Frauen mit ihren Kunden Sex haben und dabei Kondome benutzen. Das ist ausdrücklich zu empfehlen. Als Gesundheitsministerin wäre es geradezu Ihre Pflicht und Verantwortung, Frau Steffens, für eine Professionalisierung von Prostitutionstätigkeit einzutreten und den Aufbau eines Berufsverbands für Prostituierte finanziell zu fördern, der das längst überfällige Projekt der Professionalisierung endlich in Angriff nähme. Sie müssten dafür sorgen, dass Gesundheitsämter den Frauen in der Prostitution zertifizierte Fortbildungen anbieten - selbstverständlich mitfinanziert von den Betreiber/innen der Prostitutionsetablissements. Kondome müssten von Streetworkerinnen der Gesundheitsämter kostenlos in sämtlichen Prostitutionsstätten verteilt werden. Der Gebrauch von Kondomen müsste zum selbstverständlichen und öffentlich kommunizierten Profil eines jeden Prostitutionsetablissements gehören, das etwas auf sich hält. Statt diesen einleuchtenden Weg zu beschreiten, flüchten Sie sich in die billige, einfallslose und populistische Forderung nach einem Kondomzwang bei Prostitution. Welch ein Armutszeugnis!

Ich persönlich arbeite seit über 20 Jahren als Sozialarbeiterin mit Prostituierten. In der gesamten Zeit meiner bisherigen Arbeit – sei es beim Frankfurter Gesundheitsamt, bei der damaligen Selbsthilfeorganisation HWG [Huren Wehren sich Gemeinsam e.V.] oder der Beratungsstelle Doña Carmen – haben sich Prostituierte nur vereinzelt und bestenfalls aus Gründen der Abgrenzung zur Konkurrenz in Zeiten schlechter Geschäfte für eine Kondompflicht ausgesprochen. Jedoch nie mit dem Wunsch, der Staat möge den Kondomgebrauch von Prostitutionskunden per Zwang und Dekret verfügen, um ihn anschließend polizeilich zu überwachen. Das war nie ein Thema in meiner langjährigen Beratungs- und Betreuungsarbeit. Nicht zuletzt deshalb lehnen wir bei Doña Carmen e.V. eine Politik des staatlich verordneten Zwangs ab, die in Fragen der Gesundheitsvorsorge erfahrungsgemäß ohnehin zum Scheitern verurteilt ist.

Der pragmatische, auf Akzeptanz und Selbstverantwortung setzende Präventionsansatz hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erwiesenermaßen zur erfolgreichen Bekämpfung und Zurückdrängung von HIV/AIDS beigetragen. Das belegen eindrucksvoll Zahlen zur Ausbreitung von HIV in der Bevölkerung zwischen 15 und 49 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den USA und anderen europäischen Ländern, worauf erst kürzlich der Soziologe Michael Bochow in einer Publikation der Bundeszentrale für Politische Bildung hinwies.





Wer nun wie Sie, Frau Steffens, in der Prostitutionspolitik auf einen bundesweiten Kondomzwang setzt, kündigt diesen seinerzeit mühsam errungenen gesellschaftlichen Konsens einer auf Selbstverantwortung setzenden Prävention ohne Not wieder auf und leitet dort, wo es am leichtesten möglich ist - nämlich im Bereich Prostitution - erneut eine repressive Wende ein. Ich halte das für unverantwortlich.

Jede/r weiß es: Zwang im Bereich der Gesundheitsvorsorge ist kontraproduktiv, kann bestenfalls ultima ratio sein. Zwang zieht Kontrolle nach sich, die Gesundheitspolizei lässt grüßen. Werfen Sie einen Blick nach Bayern, das Ihnen offenbar als prostitutionspolitisches Vorbild dient: Mit Strafgeldern im vierstelligen Eurobereich versucht man die Frauen zu drangsalieren, wenn Sie auf entsprechende Anfragen der als Lockfreier eingesetzten Polizeispitzel verordnungswidrig reagieren. Welch schäbiges und unwürdiges Katz-und-Maus-Spiel! Mit Prävention hat das nichts, mit Schikane von Prostituierten aber allemal etwas zu tun.

Dem Kondomzwang bei Prostitution haftet etwas Totalitäres an. Denn der staatlich verordnete Zwang zur Kondombenutzung wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wo ist die Grenze staatlicher Einflussnahme auf die Intimsphäre seiner Bürgerinnen und Bürger? Was bleibt eigentlich übrig vom viel beschworenen „sexuellen Selbstbestimmungsrecht“, wenn Frauen in der Prostitution und ihre Kunden nicht einvernehmlich und selbst bestimmen können, ob sie Sex mit oder ohne Kondom haben?

Warum nehmen Sie billigend in Kauf, dass Prostituierte erneut als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, indem der Staat exklusiv dieser Berufsgruppe in diskriminierender Weise glaubt vorschreiben zu können, wie sie Sex zu praktizieren hat? Gilt für Frauen in der Prostitution nicht mehr das in Art. 2 Grundgesetz verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit? Wie weit sind grüne Politiker/innen gesunken, wenn sie glauben, es als Fortschritt verkaufen zu müssen, dass fortan nicht mehr nur die Frauen in der Prostitution, sondern auch deren Kunden in diese Diskriminierung mit einbezogen werden?





Gegenüber der Zeitschrift „Emma“ haben Sie, Frau Steffens, den von Ihnen reklamierten Titel einer nordrhein-westfälischen „Emanzipationsministerin“ damit gerechtfertigt, dass Sie für das Recht auf Selbstbestimmung eintreten: „Emanzipation ist das Recht auf Selbstbestimmung“, haben Sie dort gesagt. Welch ein Hohn! Wenn sie mit ihrer Forderung nach Kondomzwang den im Beruf der Prostitution tätigen Frauen und ihren Kunden glauben das Selbstbestimmungsrecht absprechen zu müssen, sollten Sie konsequenterweise auf Ihren hochtrabenden Titel einer „Emanzipationsministerin“ verzichten! Doch diesen Mut werden Sie vermutlich nicht aufbringen. Zu befürchten bleibt, dass Sie den Begriff ‚Emanzipation‘ mit der Ihnen qua Amt verliehenen Macht weiterhin missbrauchen werden. Glauben Sie wirklich, dies bliebe unbemerkt?

Sie geben vor, die ‚Sicherheit‘ von Prostituierten stärken zu wollen. Selbst wenn man Ihnen das abnehmen sollte: Die angestrebte „Sicherheit“ von Prostituierten legitimiert in keiner Weise die Einschränkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Prostituierten und ihrer Kunden in Form des Kondomzwangs. Es gibt keine einzige wissenschaftliche Studie, auf die Sie, Frau Steffens, sich berufen können und die den empirisch belastbaren Nachweis enthält, Frauen in der Prostitution würden durch die „Profitgier der Betreiber“, durch die „Unverantwortlichkeit der Kunden“, durch die eigene „Unwissenheit“ oder die angeblich überall präsenten „Zwangsverhältnisse“ und „kriminellen Strukturen“ in der Prostitution zunehmend an der eigenen Gesundheitsvorsorge gehindert. Derartige Behauptungen, die immer wieder öffentlich lanciert, aber nie bewiesen werden, dienen der Stigmatisierung der betroffenen Frauen als dumme, naive und bemitleidenswerte „Opfer“, um damit die staatliche Fürsorge im Sinne der Grundrechtseinschränkung zu rechtfertigen.

Wenn etwas Frauen in der Prostitution tatsächlich an effektiver Gesundheitsvorsorge hindert, so ist es die eklatant mangelhafte Ausstattung vieler Gesundheitsämter, die nach § 19 Infektionsschutzgesetz zur aufsuchenden Sozialarbeit im Prostitutionsbereich ermächtigt sind, aufgrund rigider Sparvorgaben ihrem gesetzlichen Auftrag jedoch nur unzureichend nachkommen können. Mit Ihrer markigen Forderung nach Kondomzwang versuchen Sie, Frau Steffens, von diesem in Ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Skandal abzulenken. Auch hier flüchten Sie aus der Verantwortung.





Ihnen ist bekannt, dass die Bundesregierung seinerzeit für teures Geld eine 2007 veröffentlichte Evaluation des Prostitutionsgesetzes in Auftrag gegeben hat. Das für alle Parteien beschämende Ergebnis: Das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002 enthält nicht einmal eindeutige formulierte Intentionen und damit juristisch wasserdichte Vorkehrungen für die Abschaffung der so genannten „Sittenwidrigkeit“ von Prostitution.

Die Verfasserinnen der Expertise forderten die Bundesregierung in ihren Empfehlungen daher auf, vordringlich eine Klarstellung hinsichtlich der Intentionen des Prostitutionsgesetzes vorzunehmen. Nichts ist in dieser Frage in den vergangenen Jahren geschehen. Stattdessen wird auch von Ihnen, Frau Steffens, nach dem Motto: ‚Haltet den Dieb!‘ versucht, den Eindruck zu erwecken, als bestünde die Ursache allen Stillstands bezüglich Prostitutionspolitik vor allem darin, dass nachrangige Behörden sich mit der Umsetzung des Prostitutionsgesetzes schwer täten.

Man wird den Eindruck nicht los, dass Sie die Empfehlungen der Evaluation nie wirklich gelesen bzw. verstanden haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass Sie mit Ihrer Forderung nach Kondomzwang bei Prostitution etwas einklagen, was keine der Expertinnen empfohlen hat? Damit bestätigen Sie eine Arroganz der Macht, an der offenbar auch Sie als Vertreterin der Partei der Grünen Gefallen gefunden haben: Dass die Betroffenen in Punkto Kondomzwang gänzlich anderer Auffassung sind und auch die von der Bundesregierung beauftragten Expertinnen dies überhaupt nicht empfehlen – das scheint Sie nicht zu irritieren, das scheint Sie nicht zu scheren.





Angesichts dieses Befundes steht zu erwarten, dass der von Ihnen einberufene „Runde Tisch Prostitution“ in Nordrhein-Westfalen sich als Totgeburt erweisen wird, vor dessen Beschlüssen man sich vorsorglich schon in Acht nehmen sollte. Die nordrhein-westfälische Politik gegenüber Prostitution hat schließlich nicht zum ersten Mal negative Maßstäbe mit bundesweiter Ausstrahlkraft gesetzt. Das immer noch praktizierte, allenthalben illegale „Düsseldorfer Verfahren“ der Sonderbesteuerung von Prostituierten kann als warnendes Beispiel gelten.

Wer wie Sie die gegenüber den Frauen in der Prostitution betriebene Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung mit der Forderung nach einem Kondomzwang um einen weiteren Aspekt bereichert, wird über kurz oder lang - da muss man keine Prophetin sein - den geballten Unmut der Betroffenen hervorrufen. Ist es das, was Sie erreichen wollen?


Mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

(Sprecherin Doña Carmen e.V.)
www.donaCarmen.de




___
"Emanzipations"-Ministerin Barbara Steffens beim Empfang bei Madonna e.V. in Bochum
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=7446

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RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von annainga »

bitte zerreißt mich jetzt nicht, ich habe eine andere sichtweise.

ich sehe es nicht als zwang, sondern als verpflichtung, als arbeitsschutzmaßnahme.

ich hörte dazu mal als beispiel, dass bauarbeiter auf der baustelle auch kopfschutz tragen müssen. das kann man doch nicht als zwangsmaßnahme sehen, sondern als schutz, auch für einen selbst.

mir ist schon klar, dass es auch um die kontrollen dabei geht. wäre es nicht sinnvoll, die verpflichtung zur kondomnutzung zu befürworten, aber die kontrolle anders zu regeln (vor allem nicht durch polizei).

lieben gruß, annainga

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Re: RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von Aoife »

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annainga hat geschrieben:bitte zerreißt mich jetzt nicht, ich habe eine andere sichtweise.
Ganz bestimmt nicht, deine Sichtweise hat ja durchaus auch ihre gute Begründung.

Allerdings sehe ich den Bauarbeiter nicht als optimalen Vergleich, da steht ja eine Berufsgenossenschaft dahinter, die bei einem Arbeitsunfall in die Pflicht genommen wird.

Eher passend fände ich den Vergleich mit einem Motorradfahrer, für den die Helmpflicht unabhängig davon gilt, ob er professionell oder zum Vergnügen fährt.

Also nicht die Vorstellung, die Menschen mit gewissem Zwang vor Schaden schützen zu müssen ist das eigentliche Problem, sondern die Stigmatisierung einer einzelnen Gruppe. Für mich ist nicht die Frage, ob eine solche Pflicht jetzt von der Polizei oder von sonstwem kontrolliert wird ausschlaggebend, sondern ob sie allgemein gilt. Und wenn (IMHO berechtigte) Bedenken herrschen, dass eine allgemeine Kondompflicht menschenrechtswidrig ist, so ist ihre Anwendung auf die Gruppe der SW alleine ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

Wenn einem Politiker der die Kondompflicht für Paysex fordert nicht die gleiche Entrüstung entgegenschlägt wie wenn er eine mit den gleichen Maßnahmen kontrollierte Kondompflicht für jeden nichtreproduktiven Sexakt fordert, auch für eheliche, dann hat das keinen sachlichen Grund, sondern ist ein Versuch aus unserem Stigma politisches Kapital zu schlagen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass in Deutschland ca. 2% der Sexkontakte mit einem Geldfluß verbunden sind, wird deutlich, dass Sonderregelungen für den Prostitutionsbereich niemals die gesundheitspolitische Motivation haben können, die sie vorgeben.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von annainga »

den vergleich verstehe ich nicht. es gilt ja die allgemeine helmpflicht und gurtpflicht, um im fall eines unfalls die gemeinschaft und den einzelnen bestmöglich zu schützen.

ich verstehe nicht, inwieweit eine kondompflicht (warum wird immer von zwang gesprochen?) in der sexarbeit menschenrecht einschränkt.

schade, dass dir das bauarbeiterbeispiel nicht gefällt. mache ich beruflich bauarbeiten, bin ich verpflichtet einen helm zu tragen, mache ich daheim umbauarbeiten privat, ist es meine eigene sache, ob ich einen helm trage oder nicht. sobald es um einen zweiten geht, (die tochter, die die leiter stützt), habe ich besondere verantwortung.

genau wie in einer privatbeziehung es dem paar selbst überlassen ist, wie sie sex und verhütung regeln, aber sobald sex als beruf ausgeübt wird, sehe ich kondompflicht als arbeitsschutzmaßnahme.

der haken ist wie die kontrolle der schutzmaßnahme aussieht, ein aufgesetzter helm oder nicht ist einfach dagegen.

lieben gruß, annainga

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Beitrag von fraences »

Zwang wird niemals die Lösung sein, sondern das Stärken des Selbstbewusstsein für die Erhaltung eigener Gesundheit.
Wie solls kontrolliert werden?
Zur Zeiten meiner Betreibertätigkeit habe ich es zu Bedingung gemacht, das bei uns nur mit Schutz gearbeitet wird.
Es konnte nicht verhindert werden, das hin und wieder die Ein oder Andere mal ohne oder es würde wegen Zickenalarm es einfach behauptet.
Die Wahrheitsfindung was stimmte war immer eine sehr unerfreuliche Angelegenheit.
Dann die Situtaition, wo eine Frau am Termin durch Alkoholeinfluss ihre Professionalität verlor und es ohne gemacht hat.
Die Andere , wo eine Frau in finanzieller Not war und das Angebot bekommt "Ich gebe Dir 1000 extra:"
Dann die Neueinsteigerin, die aus Mangel an Verantwortungsbewusstsein oder aus Nervösität den Komdom vergißt.
Wie oft musste ein Fahrer mit eine Sexworkerin , nachts die Tankstelle anfahren, weil Sie Ihr Marschgepäck nicht dabei hattte.
Unsere Lösung war dann , das die Fahrer eine Tasche dabei hatten mit alllen nötigen Utensilien.
Hier nur einige Beispiele, wie es in der Praxis Realität ist.
Trotzdem brauchen wir keine Reglementierung auf Staaatsebene.
wenn denn Unterstützende Massnahmen:
Aufklärung, Präventation, kostenlose Kondome,etc
Wenn der Staat sich wirklich Sorgen macht, und nicht die Zwangsuntersuchung dazu missbraucht wieder eine Daumenstraube uns anzulegen, um eine unnötige, uneffiktive Kontrollmechanismus einzuführen.

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RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von Jupiter »

Als Gesundheitsschutz ist die Verwendung von Kondomen ein "Muß".
Helmpflicht und Gurtpflicht lässt sich von außen kontrollieren. Aber um dies im P6 zu kontrollieren sind wir dann bei den bayrischen Verhältnissen (Scheinfreier) und mit der dort geltenden Hygenieverordnung.
Aufklärung ist wichtig und dies besonders bei den Männern. Da geistern durchs Internet AO-Empfehlungen und diese Herren sehen bei sich kein Problem "Ich seh doch gesund aus".

Aber dies Problem haben Mädels auch im privaten Bereich. Wenn da ein Mädel für ein ONS einen Kondom aus der Handtasche holt, dann kann sie sich aber auf entsprechende Kommentare gefasst machen.

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Beitrag von fraences »

Am meisten erschreckt mich, wenn ich ein Hotelgast habe, der in einem 5 Sterne Hotel ist, dann die Frage kommt: Machst Du es auch ohne?
Die Annnahme Bildung, Niveau, Status würde was mit Gesundheitsbewusstsein zu tun haben, ist nur eine theoretische Irrglauben.
Süss sind die Gäste , die ihren eigenen Kondome mitbringen.

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Beitrag von Maya28 »

Ich befürworte das ganze, weil es das Arbeiten hoffentlich leichter macht. Es gibt "leider" viele Frauen die AO anbieten und auch viele Männer die darauf stehen. Wenn du selbst auf deine Gesundheit achten willst, aber dauernd anfragen von Männern für AO bekommst, ist das schon nervig und vor allem auch schwierig so zu arbeiten.

Und es ist ein Schutz für Dritte!!! Die Sexworkerin und der Kunde sind selbst dafür verantwortlich, wenn sie sich mit HIV oder einer anderen Krankheit anstecken. Aber wie viele Kunden haben eine Freundin oder eine Frau zu Hause, die von der ganzen Sache nichts weiß? In einer Beziehung verzichtet man in der Regel auf Kondome. Das heißt diese unverantwortliche Vorgehensweise von dem Kunden und der Sexworkerin bringen das Leben von einer weiteren Person in Gefahr.

Klar man könnte jetzt sagen, dann muss man sie eben besser aufklären. Ich bin jedoch der Meinung, dass das viele Männer nicht interessiert. Wenn es um Sex geht, schalten sie ihr Gehirn ab.

Zumindest um die dritte Person zu schützen, finde ich die Kondompflicht gut. In Bayern funktioniert es doch auch. In anderen Branchen gibt es Sicherheitsvorschriften, die eingehalten werden müssen (wie Schutzkleidung etc.), also warum nicht auch bei uns?

Das ist zumindest meine Meinung.

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Beitrag von fraences »

Ich habe bis heute noch keine Möglichkeit gefunden, ein Gast am Telefon mit Argumenten des Gesundheitsbewusstmachung umzustimmen.
Habe auch gar keine Lust und Nerven mich mehr mit ihm auseinander zusetzen, da es wenig erfolg verspricht.
Dann gibt es den sogenannten Lehrmeister Typ:
-Ich habe einen Attest.
-Aids gibt es nicht, nur eine Erfindung.
-Mach doch mal eine Ausnahme
Diese Argumente nerven mich nur, das ich mir die Freiheit rausnehmen,mir das garnicht mehr anzutun.
Bin hier abgestumpft, um mich selbst zu schützen.
Und zweitens auf Termin habe ich die Dominanz und zieh ihm das Ding einfach rüber.

Liebe Grüße
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Beitrag von annainga »

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fraences hat geschrieben:Ich habe bis heute noch keine Möglichkeit gefunden, ein Gast am Telefon mit Argumenten des Gesundheitsbewusstmachung umzustimmen.
für mich ist das ein argument für kondompflicht.

in dem zusammenhang nochmal dieser thread, ruft mal an, herrlicher jingle:

viewtopic.php?t=1164&highlight=aktion+tabulos

lieben gruß, annainga

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Beitrag von fraences »

Und den Kondomzwang interessiert diesen Typus überhaupt nicht.
Überlege an wen bleibt die Bestrafung hängen, an uns.
In München werden 4-stelligen Busgelder den Frauen auferlegt.
Die einzige Zeit , wo es in der unsere Branche weniger Nachfrage gab, war 1989 , wo Aidshysterie in den Medien gemacht wurde.
Eine Zwangskondomverordnung bringt Zwangsuntersuchung mit sich.
Wollen wir das wirklich?

Lieben Gruß
Fraences
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RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von Maya28 »

Die Busgelder muss keine Frau bezahlen, wenn sie es mit Kondom macht. Da sehe ich kein Problem. Wenn sie es trotzdem macht, selbst Schuld.

Und wenn es keine (oder kaum) Frauen gibt die es ohne machen, weil es gesetzlich nicht mehr erlaubt ist, dann bleibt den Männern irgendwann nichts anderes übrig, als es eben mit zu machen. Denn auf Dauer wird ihnen die eigene Hand zu langweilig sein ;-)

Klar von heute auf morgen wird es nicht so sein, aber mit der Zeit.

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RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von annainga »

verstanden @fraences

allerdings sehe ich nicht, weshalb eine kondombenutzung als arbeitsschutzmaßnahme, zwangsuntersuchungen nach sich zieht.

angedacht ist, dass betreiber ähnlich der jugendschutzverordnung in gaststätten mit einem plakat auf die verpflichtende kondombenutzung hinweisen müssen, zumindest in nrw.

hast du weitergehende informationen über die fälle, in denen so ein hohes bußgeld verhangen wurde?

ich wüsste gern auf welcher grundlage die nicht eingehaltene kondompflicht kontrolliert wurde.

lieben gruß, annainga

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Das mit den Kondomen...

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Wieso die Fälle oder Denkmodelle ziviler Arbeitsschutz/Sicherheit im Straßenverkehr einerseits und Kondompflicht mit Polizeikontrolle im Bett von Sexworker und Kunde andererseits so unvergleichlich sind, es aber so unglaublich schwer fällt sich in die jeweils andere Position hineinzudenken und fühlen, wenn man seine Entscheidung längst emotional getroffen hat...

...das kann ich mir nur mit der jeweiligen persönlich-biographischen Verortung im sozialen Gesamtgesellschaftssystem erklären. Das ist das Kennzeichen einer Identitätsfrage und die wirken vielfach wie ideologische Glaubenspositionen. Hier kommt man argumentativ nicht mit knappen Schlagwörtern oder Postings weiter. Es müßten entweder tiefenpsychologische Analysen oder wissenschaftlich-juristische Gutachten angefertigt werden oder alternativ eine Urabstimmung der Sexworker stattfinden.

Das zeigt einmal mehr wie wichtig es ist die Sexworker überhaupt ersteinmal organisiert zu bekommen, bevor die Sexworker-Interessen überhaupt politisch vertreten werden können. Das ist daher eine Kernforderung: Die Politik muß die Sexworkerinteressen-Selbstvertretung unterstützend organisieren.

Wenn Politik und Institutionen sich ihnen nahestehende Personen einbindet (2 Sexworker Experten von 36.000 in NRW), ist das problematisch und steht jeder späteren Akzeptanz im Wege.





Warum die Männer Kondom-Muffel sind
ist Forschungsthema im Kinsey-Institut:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=63063#63063

Gerade hier sollte Aufklärung und Fortbildung ansetzen.
Ich denke zu Aufklärung, Fortbilung, Verteilung und Bereithalten von Kondomen, dazu können die Leute durchaus verpflichtet (gezwungen) werden so wie zum Sicherheitsgurt und Helm tragen. Die Regelungsgrenze ist und bleibt die menschliche Intimsphäre. Womit wir wieder bei Fundamentalproblem Prostitution wären, welche auf der Grenze privat-öffentlich verortet ist und damit zum Tabubruch wird, was wiederum die Hüter der Ordnung auf den Plan ruft, was zu Menschenrechtsverletzungen führt...

Der politisch weise Karl Kraus schreibt sinngemäß: "Die Probleme beginnen erst da, wo versucht wird die Probleme zu beseitigen".





:icon_eyes Fortbildungsmodul
Kondomanwendungsmarketing für Sexworker oder
"wie sag ich's meinem Kunden"
:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17196#17196 (SW-only)
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 19.02.2011, 16:06, insgesamt 5-mal geändert.

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"Kondompflicht" als Razzia-Auslöser

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Im Freispruch im Münchner Pascha-Prozess wegen mutmaßlicher Zuhälterei wg. FO als Betriebsvorgabe ist m.E. die Kondomverordnung grundsätzlich gescheitert:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=91766#91766


Präventions-Plakate im Bordell aufzuhängen, ist aber dem Worte nach keine Kondompflicht sondern Plakatpflicht bzw. Aufklärungs- und Informationspflicht... und die ist zweifelsohne zu befürworten. (Da haben wir evt. aneinander vorbeigeredet.)


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Unglaubwürdige Argumente

Beitrag von Aoife »

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annainga hat geschrieben:den vergleich verstehe ich nicht. es gilt ja die allgemeine helmpflicht und gurtpflicht, um im fall eines unfalls die gemeinschaft und den einzelnen bestmöglich zu schützen.
Ja eben, genauso meine ich es ja auch. Wenn es darum ginge, die Gemeinschaft und den Einzelnen bestmöglich zu schützen, so bräuchte es dazu eine allgemeine Kondompflicht. Die Beschränkung der Diskussion auf eine Kondompflicht nur für den Prostitutionsbereich würde unter dieser Voraussetzung so wenig Sinn machen wie die Beschränkung der Helmpflicht auf professionelle Motoradfahrer.
annainga hat geschrieben:ich verstehe nicht, inwieweit eine kondompflicht (warum wird immer von zwang gesprochen?) in der sexarbeit menschenrecht einschränkt.
Ich denke nicht, dass die Einschränkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung in Zweifel steht. Die Frage ist vielmehr, ob es einen hinreichenden Grund für diese Menschenrechtseinschränkung gibt, der sie rechtfertigt. Und bei einem bezahlten Anteil von 2% von allen Sexkontakten ist nicht nachvollziehbar, wieso die Menschenrechtseinschränkung ausschließlich für diesen Bereich gerechtfertigt sein soll.

Deshalb der Vergleich mit dem Motoradhelm: Wenn es um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung geht, wird die Beschränkung der Helmpflicht auf die ganz wenigen professionellen Motoradfahrer sich kaum positiv auswirken können. Ebenso ist es mit der Kondompflicht "nur für SW". Wenn eine positive Auswirkung jedoch fehlt, so ist auch eine Einschränkung des Rechts auf Selbstbestimmung nicht zu rechtfertigen.
annainga hat geschrieben:schade, dass dir das bauarbeiterbeispiel nicht gefällt. mache ich beruflich bauarbeiten, bin ich verpflichtet einen helm zu tragen, mache ich daheim umbauarbeiten privat, ist es meine eigene sache, ob ich einen helm trage oder nicht. sobald es um einen zweiten geht, (die tochter, die die leiter stützt), habe ich besondere verantwortung.
Ich sage doch garnicht, dass es nicht gefällt :002

Es ist nur nicht das optimale Beispiel, weil es völlig andere Hintergründe hat. Bei der Helmpflicht für Bauarbeiter geht es ja nicht primär um den Schutz des Arbeiters, dieser ist nur Mittel zum Zweck, um die Berufsgenossenschaft vor finanziellen Belastungen zu schützen. Und deshalb besteht kein Interesse daran, bei privaten Umbauten den gleichen Sicherheitsstandart zu verlangen. Ginge es darum, die Zahl der Kopfverletzungen an sich zu reduzieren, so wäre diese Pflicht nicht auf Profis beschränkt - wie eben auch beim Motoradfahren.

Die Argumentation bei der Kondompflicht im Paysex ginge es um Gesundheitsvorsorge ist also unglaubwürdig. Und solange hier mit unehrlichen Argumenten von politischer Seite gearbeitet wird, sollten wir IMHO noch mißtrauischer sein als wenn offen zugegeben würde, dass es nur um Kontrollvorwände geht. Weil wir ja garnicht wissen können, ob nicht noch eine ganz andere Absicht dahintersteckt, die uns bisher verborgen geblieben ist. Wenn jemand sich gezwungen sieht, etwas mit offensichtlich unwahren Argumenten anzupreisen, ist höchste Vorsicht angesagt.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von Aoife »

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Maya28 hat geschrieben:Zumindest um die dritte Person zu schützen, finde ich die Kondompflicht gut. In Bayern funktioniert es doch auch.
Stimmt das wirklich?

Aus den Zahlen des Robert Koch Instituts für 2010 kann ich nicht entnehmen, dass Bayern eine signifikant geringere Neuinfektionsrate mit HIV hätte als andere Bundesländer.

Was funktioniert also in Bayern? Zumindest nicht der Schutz vor HIV.

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Re: RE: Gegen die Zwangs-Kondomisierung von Prostitution

Beitrag von Aoife »

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Maya28 hat geschrieben:Die Busgelder muss keine Frau bezahlen, wenn sie es mit Kondom macht. Da sehe ich kein Problem. Wenn sie es trotzdem macht, selbst Schuld.
In einem Staat, der Freierforenphantasien als gerichtstaugliche Beweismittel wertet, ist das allenfalls eine schöne Utopie.

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Beitrag von fraences »

@Annaiga
Ich bin für Komdombenutzung, nicht aber für staatlich auferlegten Reglementierung , mit darauf folgende Strafbemessung.
Denn wenn es eine Ordnungsverfügung gibt, dann resultiert das daraus.
Wir leben in einer Zeit, wo viel zu viel durch Verbotsschilder geregelt wird.
Ich glaube, das man den Menschen nicht ihre Eigenverantwortung absprechen sollte.
Sicherlich sind Gebote letztendlich heilsame, als Verbote.
So ist die Bergpredigt nicht als Verbot zusehen ,sondern als eine Sammmlung von Hinweisschildern aus denen sich jeder freiwillig nehmen kann, oder nicht.
Wer mit dem Finger auf Andere zeigt, verrät nur etwas über seine eigenen Ängsten und Unfertigtkeiten.
Diese Staat , damit meine ich jeden einzelnen Bürger sollte sich hüten in der Art unsägliche Projektionsketten zu verfallen.
Wir sollten nicht ein Ander verfluchen, sondern uns hilfreich zur Seite stehen auf dem gemeinsamen Weg.

Liebe Grüße
Fraences
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Beitrag von Jupiter »

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Maya28 hat geschrieben:Ich befürworte das ganze, weil es das Arbeiten hoffentlich leichter macht. Es gibt "leider" viele Frauen die AO anbieten und auch viele Männer die darauf stehen.
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fraences hat geschrieben:Ich habe bis heute noch keine Möglichkeit gefunden, ein Gast am Telefon mit Argumenten des Gesundheitsbewusstmachung umzustimmen.
Habe auch gar keine Lust und Nerven mich mehr mit ihm auseinander zusetzen, da es wenig erfolg verspricht.
In diesen Fällen hilft doch nur ein eindeutiges "Nein", wofür noch eine Begründung. Es ist doch auch mit den verschiedenen Sexpraktiken so, wenn du da um etwas gefragt wirst, was du nicht machen willst, kommt doch ein klares "Nein".

Egal ob Kondompflicht, es wird immer Männer geben, die versuchen AO zu bekommen (meist indem sie dich finanziell ködern) und sich dann in Internetforen damit brüsten.


Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)