Hier also wegen der Nachfrage eine knappe Beschreibung der
Wirkungsweise und des Anwendungsgebietes der Katastrophentheorie
von René Thom.
Die Katastrophen-Theorie (KT) ist eine der wenigen mathematischen
Modelle die für Sozialwissenschaften verwendet werden können.
Man kann damit soziale Brüche und plötzliche Änderungen vorhersagen,
sobald zwei Korrelationen von polaren Werten vorgegeben sind.
Eine allgemeine Einleitung zum Thema findet man bei:
PETER TIMOTHY SAUNDERS, 1980, An introduction to catastrophe theory, Cambridge University Press.
Die Objekte in Sozialwissenschaften sind sehr komplex.
Im Allgemeinen kann man für die zu untersuchenden Systeme keine Details angeben.
Unterbrechungen von Zuständen, wie Revolutionen, Aufstände, Umstürze,
oder auf personaler Ebene ein Nervenzusammenbruch oder eine Zornattacke,
sind leicht festzustellen.
Allgemein gesehen kann der innere Zustand eines Systems durch eine
Menge von Variablen beschrieben werden, die im System eine Funktion erfüllen.
In einem Staat sind das z.B. verschiedene Behörden, Vereine,
Gesellschaften, Fabriken, Vereinigungen, usw.
In einer Person sind das die Organe und die unterschiedlichen Teile der Psyche.
Jede dieser Variablen hat innerhalb des Systems eine Funktion.
Nehmen wir z.B. für die Funktion eines Bürgermeisters die Abkürzung BM,
und für den Begriff der Funktion die Abkürzung f.
Dann kann man die Arbeit des Bürgermeisters innerhalb des Systems so schreiben:
f(BM) = Funktion des Bürgermeisters in der Stadt.
Das gleiche kann man für die Polizei machen f(PLZ), für das Krankenhaus f(KH),
die Müllabfuhr, den Bäcker, die Schneiderin, den Strassenkehrer, den Mechaniker, usw.
Wenn es nun sehr viele sind, dann ist es einfacher Nummern zu verwenden.
Betrachtet man also, sagen wir mal 150 Aufgabenbereiche, dann nimmt man
eine Basis X und versetzt sie mit einer Nummer, die von 1 bis 150 reicht.
Dem Bürgermeister kann man z.B. die Nummer X1 geben,
und schreibt die Abkürzung so f(X1). Der Gemeinderat kann die 2 bekommen:
f(X2), usw. wobei die Reihenfolge der Zuordnungen unerheblich ist!
All diese Einheiten tragen zur Funktion einer Gesellschaft bei.
In den meisten Fällen kann man die Gewichtung des Einflusses nicht genau sagen.
Nun besagt die Katastrophentheorie, dass die Zahl an unterscheidbaren
Einheiten (Konfigurationen) von Diskontinuitäten die ihre Funktion unterbrechen können,
NICHT von der Zahl der Bedingungs-Variablen abhängt,
sondern von der Zahl an Kontrollvariablen !
Bedingungs-Variable sind in unserem Beispiel: Bürgermeister, Polizei,
Postamt, Bahnhof, Bäcker, Krankenhaus, Müllabfuhr, Klempner, usw.
Unter Kontroll-Variablen versteht man zum Beispiel:
Bimodalität, Hysterese, und plötzliche Änderungen.
Bimodal ist ein System, das zwei Zustände kennt. Eine Glühbirne zum Beispiel
ist bimodal. Sie kennt die zwei Zustände: ein, und aus. Eine Tür ist auch bimodal,
sie kann zu oder offen sein. Die Farbe eines Apfels ist nicht bimodal, denn
ein Apfel hat mehr als zwei Farben.
Hysterese ist eine Erscheinung in zyklischen Prozessen welche die zeitliche
Verzögerung von Aktion und Reaktion beschreibt. So entsteht Hysterese in der
zeitlichen Verzögerung der Hitze nach der Sommersonnenwende, oder der
Kälte nach der Wintersonnenwende. Hysterese findet man auch beim
Wasser kochen. Das Wasser kocht nicht gleich beim einschalten, und die
Hitze bleibt auch noch eine Weile nach dem ausschalten.
Keine Hysterese hat man bei der Schattenbildung.
Wenn wir uns in die Sonne stellen, ist der Schatten sofort da!
Betrachtet man nun in einem System nicht mehr als 4 Kontrollvariable, dann
gibt es genau 7 Möglichkeiten eines Systemzusammenbruchs = Katastrophe.
Von diesen 7 Möglichkeiten eignet sich das folgende Modell am besten
für Sozialwissenschaften:

Wie man sieht, ist das Modell dreidimensional.
Projiziert man diese gefaltete Fläche nach unten, so bekommt man die Linien,
welche in der so genannten Kontrollfläche sichtbar sind.
Die Kontrollfläche wird von der x-Achse und y-Achse begrenzt und hat eine
Länge mit dem Wert 1. Diese Fläche soll für die Summe aller Informationen
stehen, welche einem System (einer Person, einer Gesellschaft) zur Verfügung stehen.
Nun betrachten wir den Moment, bei dem dem System (der Person, der Gruppe)
neue Informationen zur Verfügung stehen. Dabei gibt esd Informationen welche
den bisherigen Zustand bestätigen und akzeptiert werden. Diese werden auf der
x-Achse aufgetragen. Und dann gibt es noch die neuen Informationen, die
auf die y-Achse kommen. Als Kombination hat man dann einen Punkt auf der Ebene.
Jeder dieser Punkte bekommt noch einen (In-) Stabilitätswert zugeordnet, der
auf die z-Achse kommt.
Nun ein paar Beispiele dazu:
1) das System beginnt am Punkt A, dem in der Projektion A’ entspricht.
Im Fall, dass alle ankommende Information angenommen und verarbeitet wird,
folgt das System einem kleinen Zyklus und kehrt wieder zum stabilen Punkt
bei A zurück. Im Modell ist das durch den gepunkteten Zyklus dargestellt.
2) Wieder beginnt das System bei A (A’).
Es kommt neue Information herein. Aber jetzt verzögert der Machtblock die
notwendigen Änderungen. Es kommt zu Engpässen und Problemen, da ein
Teil der zur Verfügung stehenden Informationen nicht rechtzeitig verarbeitet wird.
Diese nicht benutzte Information vergrößert den Zyklus und kann im Modell
den Punkt H erreichen. Im Modell entspricht das dem gestrichelten Zyklus.
Ein aktuelles Beispiel dazu sind die Probleme der Bahn in Mainz, wo der
Mangel an Fahrtdienstleitern in den Stellwerken bekannt war,
aber aus Gründen der Profitmaximierung nichts getan wurde.
3) Im Fall, der Machtblock verhindert dem Volk den Zugang an notwendiger
Informationen, oder deren Realisierung, folgt das Model dem großen Zyklus.
Begin ist wieder bei A. Bei B (B’) ist ein relatives Minimum erreicht,
wobei die konservative Werte-Stabilität erhöht wird.
Bei C erscheint es, als ob das konservative System gestärkt wird, weil die
x-Werte schneller steigen als die y-Werte. Aber im 3-D-Modell sieht man,
dass das Maximum schon erreicht ist, und dass es nun rasch bergab geht,
über D und E nach F, der Katastrophe entgegen.
Bei D (D’) beginnen einige Menschen die bisher unterdrückten Informationen
zu realisieren, und deren Konsequenzen auf persönlicher Ebene auszuleben.
Bei E gibt es 3 Möglichkeiten zu leben, mit der geringsten Wahrscheinlichkeit
auf der mittleren Ebene, und den beiden anderen als Attraktoren.
Ab E verlassen mehr Personen die alte Weltsicht und wechseln zur neuen
Alternative. Ab F bricht dann das alte System vollkommen zusammen.
Als ein Beispiel zu 3 kann das Müllproblem herhalten, Atommüll inklusive.
In Deutschland begann man schon in den 70er Jahren mit Mülltrennung
und Müllverbrennung zur Energiegewinnung. In Italien gibt es kaum weder
das eine, noch das andere. So kam es unvermeidlich in Napoli zum bekannten
großen Müllproblem, bei dem Abfälle zu Tausenden von Tonnen meterhoch
auf den Straßen liegen blieben.
Andere Beispiele sind Atommüll, Atomunfälle, und der Ausstieg
Deutschlands aus der Atomenergie.
Auch der Zustand in Ägypten heute taugt als Beispiel.
Behandelt man ein Problem mit diesem Modell, so sucht man sich zuerst
den Zeitpunkt heraus, bei dem das Problem entstanden ist. Das ist dann A.
Dann schaut man nach zur Verfühung stehenden Informationen, ob sie
verarbeitet werden oder nicht, und im letzten Fall, wie viel davon nicht akzeptiert wird.
Wenn der verantwortliche Machtblock anscheinend gestärkt daraus hervor geht,
dann liegt man im Modell zwischen B und C.
Fangen nun irgendwo einige Menschen an, die bisher unterdrückten Werte zu leben,
dann ist man bei D angelangt. Jetzt braucht es nur nur etwa 1/5 – 1/6 der Zeitspanne
zwischen A und D bis der Zusammenbruch erfolgen wird.
Als Beispiel dazu eignet sich die Entwicklung und der Zusammenbruch der
kommunistischen Staaten, die etwa 80 Jahre dauerten.
Ein weiteres Beipiel ist die katholische Kirche. Geht man von etwa 2000 Jahren
Entwicklungszeit aus, so kommt man bei 1/5 – 1/6 auf etwa 350-400 Jahre.
Etwa mit 1600 wird die Entwicklung der sogenannten Neuzeit deklariert,
in der sich die Männer der Wissenschaft von den Männern der Kirche absetzten.
Der starke Schwund an Mitgliedern in der Kirche und der noch stärkere Schwund
an Priestern, zeigt mehr als deutlich, dass die katholische Kirche auf dem
absteigenden Ast sitzt.
Nicole