Nicolas Pethes (Hg):"Sexualität als Experiment"
Wie Pornografie den Menschen verändert
Jede Menge Streit um den Sex: Leben wir in einer Hetero-Diktatur? Und soll man sein Geschlecht wählen? Zum Thema Sexualität werden zahllose Debatten geführt. Ein Hagener Forscher hat jetzt die großen Forschungskontroversen rund um das Thema gesammelt. WELT ONLINE stellt vier Streitfragen vor.
Taugt Sex zu Gelehrtendisputen? Glaubt man dem Hagener Wissenschaftler Nicolas Pethes - dann schon. Dann wäre Sex kompliziert und kontrovers, ja ein Stoff für Forschungsfehden. Denn in seinem nun veröffentlichten Sammelband "Sexualität als Experiment" (Campus 2008, 34, 90 Euro) beleuchtet Pethes die ganze Breite mal furchterregender, mal verwunderlicher Debatten. Wir stellen vier Streitfragen aus dem Sammelband vor:
Pornos fördern und verherrlichen Gewalt - diese Überzeugung gehört zu den Glaubenssätzen der alten Feministinnen. Und deshalb sind sie davon überzeugt, dass Pornografie bekämpft werden muss, wofür sich in Deutschland vor allem Alice Schwarzer mit ihrer Kampagne "PorNO" einsetzte.
Dieses Urteil hat nur einen Haken: Dass Pornos Gewalt fördern, lässt sich nicht beweisen. Sexualwissenschaftler wie Milton Diamond argumentieren daher wie folgt: Würde Pornografie sexuell verrohen, hätten die Vergewaltigungszahlen steigen müssen, als die Pornowelle einsetzte. In Westdeutschland, Schweden und Dänemark stieg die Vergewaltigungsquote aber nicht, als dort zwischen 1969 und 1973 vor allem Sexfilme den Markt überschwemmten.
Es gibt aber Gegenbeispiele: So stieg in den USA die Vergewaltigungsrate vorübergehend an, nachdem Pornografie dort leichter erhältlich wurde. Allerdings sank sie anschließend auch wieder. Statistisch lässt sich also nicht belegen, dass Pornografie Gewalt fördert. Weshalb Diamond den Ruf nach Verboten für absurd hält.
Aber auch dieses Urteil dürfte vorschnell sein. Immerhin belegen Umfragen, dass Pornokonsumenten (meist Männer) durch Filme und Hefte sehr wohl zu Lust an sexueller Gewalt angeregt werden. Deshalb werden sie nicht häufiger zu Vergewaltigern. Ihre Vorlieben scheint der Porno-Konsum aber zu verändern - hin zu einer sogenannten härteren Gangart. Und genau da fühlen sich Feministinnen bestätigt. Denn Lust an der Gewalt könne sich ja auch unterhalb der Strafbarkeit in so manchem Bett störend bemerkbar machen.
In den letzten Jahren erblüht wieder eine radikale Forderung unter Sexualtheoretikern, die auf sogenannte empirische Sexualwissenschaftler ideologisch wirkt: Dass jeder Mensch sein Geschlecht, seine Identität als Mann oder Frau frei wählen solle, auch auf Zeit. Laut Heiko Stoff erscheint das Geschlecht in den westlichen Gesellschaften derzeit geradezu als "letztes Hindernis sexueller Freiheit". Gleich ob unter Geschlecht sexuelle Vorliebe, soziale Rolle oder die Gestalt des eigenen Körpers verstanden wird – all dies verhindere laut Anhängern der "queer theory" die volle Selbstbestimmung.
Im Kampf gegen diese Freiheitsbeschränkung müsse daher erforscht werden, inwieweit man aufgezwungene Geschlechtsidentität abschaffen könne. Damit ist nicht nur (wie seit den 70er-Jahren) gemeint, pädagogisch die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen einzuebnen, sondern auch biologisch, zumal hormonell. Denn: Durch die immer gängigere Behandlung mit Hormonen können nicht nur Männer männlicher und Frauen weiblicher werden, sondern auch Männer weiblicher und Frauen männlicher - vom Gesichtshaar bis zum Busenwachstum. Nicht nur für lesbische Forscherinnen ist nach wie vor auch die künstliche Befruchtung ein Hoffnungsträger, macht sie doch den Mann für die Familiengründung entbehrlich – und dadurch die Frau freier in der Wahl ihres Lebensweges. Ein bisschen unheimlich, diese totale Geschlechterfreiheit, oder?
Eine große Erzählung der Sexualwissenschaft lautete lange, Sexualmoral sei ein Feind der Lust. Folglich läge es nahe, Umfrageergebnisse zu bejubeln, denen zufolge in Westeuropa das Thema Sexualmoral so massiv gemieden wird wie früher das Thema Sex.
Es jubelt aber nur ein Teil der Sexualtheoretiker. Der andere Teil hält die Jubler für blind. Denn trotz der Entmachtung kirchlicher Sexualmoral samt ihrer strengen Auflagen "mag sich das erwartete Glück nicht so recht einstellen" meint etwa Regina Ammicht Quinn.
Vielmehr sei an die Stelle früherer Sexualmoral problematischer Ersatz getreten: der Körperkult mit seinen erbarmungslosen Auflagen. Nur ein ideal geformter Körper werde von Millionen sich selbst geißelnder Menschen als würdig betrachtet, um Sexualität genießen zu dürfen. Da "der Körper aber nie der normierten Ästhetik entspreche", produziere dies Unzufriedenheit, ja "Tragödien". Deshalb plädiert Ammicht Quinn für eine Sexualmoral, die über zwei Fragen aufklärt: Wie durchschaut man Machtstrukturen, die Sexualität stets begleiten? Und wie entmachtet man sie?
Die Gesellschaft nötigt ihre Bürger zum Sex zwischen Mann und Frau, sie ähnelt einer Hetero-Diktatur. Solche überwunden geglaubten Sichtweisen haben sich zumindest am Rande der homosexuellen Gemeinde wieder angesiedelt.
Ihre Vertreter werden Liberationalisten genannt und neigen zur Dauerbeschimpfung der Mehrheitsgesellschaft. Denn: Ob in Film- und Fernsehen, Gesetzen oder Familienberatung - überall schimmere mehr oder weniger versteckt die Botschaft durch, Heterosexualität sei förderwürdiger. Laut Steven Seidman dominiert im Homo-Milieu inzwischen aber die Ansicht, in einer heterosexuell geprägten Gesellschaft lasse sich gut und weitgehend unterdrückungsfrei leben. Solch friedliche Töne werden von Liberationalisten als schwächlich verworfen. Stattdessen prangern sie jede versteckte Bevorzugung von Heterosexualität an und setzen Politik unter Druck, homosexuelle Liebe 100-prozentig gleichzustellen. Dass etwa in der schulischen Sexualaufklärung stärker Hetero- als Homosexualität besprochen wird, gilt Liberationalisten als grob diskriminierend.
Und zumindest in diesem Punkt sind die ultrakämpferischen Homosexuellen bereits einflussreich: Die Grünen haben sie schon überzeugt.
eine Inhaltsangabe die mich -trotz des stolzen Preises - neugierig macht auf das Buch. Hats jemand schon gelesen?
Sammelband "Sexualität als Experiment"
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- PlatinStern
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Sammelband "Sexualität als Experiment"
Augen gab uns Gott ein Paar / um zu schauen rein und klar / um zu GLAUBEN was wir lesen / wär ein Aug' genug gewesen (aus HH. zur Teleologie)
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- SW Analyst
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- Ich bin: Keine Angabe
Tolles Buch
Unterhaltsam auch die lange Fotoserie als ironische Bildkommentare zu den Sexualforschungsergebnissen:
http://www.welt.de/vermischtes/article2 ... n_Sex.html
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http://www.welt.de/vermischtes/article2 ... n_Sex.html
- Zur Debatte Porno und Vergewaltigungen, die sich auch bei Komputerspielen und Schülergewalttaten wiederholt...
Wer kennt eigendlich Studien zu Fernsehmorden und Mordrate? - Zum Thema Gender:
Finde ich spannend nicht unheimlich.
"Freie Hormone für alle" :-) - Zum Thema Sexualmoral vs. Schönheitsdiktatur und sexuellen Selektion:
Die Analyse finde ich gut- Vielmehr sei an die Stelle früherer Sexualmoral problematischer Ersatz getreten: der Körperkult mit seinen erbarmungslosen Auflagen. Nur ein ideal geformter Körper werde von Millionen sich selbst geißelnder Menschen als würdig betrachtet, um Sexualität genießen zu dürfen. Da „der Körper aber nie der normierten Ästhetik entspreche“, produziere dies Unzufriedenheit, ja „Tragödien“. Deshalb plädiert Ammicht Quinn für eine Sexualmoral, die über zwei Fragen aufklärt: Wie durchschaut man Machtstrukturen, die Sexualität stets begleiten? Und wie entmachtet man sie?
viewtopic.php?p=34912#34912
viewtopic.php?p=29225#29225
Das ist quasi "sexueller Neoliberalismus". - Zur Heteronormativitätsprämisse:
Aha, dazugelernt, daß ich ein Liberationalist bin.
"Vive la libération!"
Insbesondere gegen die Putophobie !!!
Da haben wir die Grünen ja auch schon teilweise überzeugt :-)
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