Auf dem Strich in Koblenz: 30 Euro für 10 Minuten Mensch
Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt - und trotzdem ist es ein Job wie kein anderer. Wie viele Frauen tagtäglich ihren Körper verkaufen, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Was sie alle verbindet, sind Träume und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Von unserer Reporterin Charlotte Scharf
An bekannten Straßen im Koblenzer Gewerbegebiet stehen reihenweise Wohnwagen, in denen Liebesdamen zu Spottpreisen ihre Dienste anbieten. Wir haben die Prostituierten besucht und mit ihnen gesprochen.
BENJAMIN STÖSS
Auf der Straße nennt sie sich Magga. Seit ein paar Wochen sitzt die 36-Jährige jeden Abend ab 18 Uhr auf einem Klappstuhl neben ihrem Wohnwagen im Koblenzer Gewerbegebiet. Magga wartet auf Freier. Sie ist eine von rund 130 Frauen in Koblenz, die ihren Körper für Geld verkaufen. So schätzt es die Beratungsstelle für Prostituierte Roxanne, eine genaue Statistik gibt es nicht. Viele Frauen kommen nur für wenige Wochen in eine Stadt; je länger sie bleiben, desto weniger verdienen sie auf der Straße. Die Freier wollen immer wieder neue Frauen.
Wie Magga in Deutschland ihr Geld verdient, ahnt ihre Familie nicht
Magga ist gebürtige Nigerianerin und lebte zuletzt in Spanien. Was sie hier in Deutschland tut, hat sie ihrer Familie nicht gesagt. Sie würde in ihrer Heimat um keinen Preis zugeben, dass sie ihren Körper verkauft. Magga hat zwei Söhne. Einer ist 16 Jahre alt, und der andere wird bald 6. "Das, was ich mache, würden sie nicht verstehen", sagt Magga und tippt sich an den Kopf. Beim Sprechen gestikuliert sie mit ihren Händen und wirft ihren Kopf mit den schwarzen, krausen Locken zurück. Dabei kommt ein kleines Tattoo zutage, eine fein gestochene Rose. Sie hat ein ebenmäßiges Gesicht, das sie mit farbenfrohem Make-up sorgfältig betont hat. Magga trägt ein knapp unter den Hüften endendes Kleid mit Leomuster, das hervorragend zu ihrer dunklen Haut passt. Schwere große Creolen hängen an ihren Ohren.
Maggas Plan ist, für einige Wochen in Deutschland zu arbeiten und Geld zu verdienen. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes wurde sie aus ihrem Job entlassen, sie war stellvertretende Filialleiterin einer großen Supermarktkette. Dann traf die Finanzkrise den spanischen Arbeitsmarkt - und Magga fand keine Anstellung mehr. Dabei hat sie Träume. Träume wie eine ganz normale, junge Frau. "Ich war schon immer sehr modeinteressiert und wollte Designerin werden oder mein eigenes Geschäft haben", sagt Magga und gestikuliert wild, sodass ihr Schmuck klimpert. Ihre Katzenaugen funkeln, während sie redet. Von dem Geld, das sie sich ersparen will, möchte Magga nach London oder Paris reisen und Stoffe kaufen.
Auf dem Strich in Koblenz: 30 Euro für 10 Minuten Mensch
Die Wohnwagen sind ab Nachmittag geöffnet.
BENJAMIN STOESS
Magga wirft ihre schwarzen, krisseligen Locken zurück, wenn sie spricht, und lacht viel. "Das Haus meiner Mutter in Nigeria wurde vom Regen zerstört. Sie braucht ein neues Dach." Einen Bankkredit wollte sie nicht. Oder sie hat keinen bekommen. Jetzt sitzt Magga halb nackt vor ihrem Wohnwagen und lächelt den Männern zu, die mit dem Fahrrad oder mit dem Auto an ihr vorbeifahren. Dabei strahlt sie so viel Selbstbewusstsein und Stolz aus, wie es eine Frau in einem Leopardenkleid nur tun kann. Den Wohnwagen hat Magga von ihrem "Boyfriend" bekommen. Miete muss sie dafür nach eigenen Aussagen nicht bezahlen. Ihr Freund ist auch der einzige Mann, der ihren Mund oder ihre Brüste küssen darf. "Sex ist anders mit diesen Männern, es ist nicht so wie mit dem Freund", sagt Magga. "Man muss den Kopf ausschalten."
Magga hat einen Trick, damit es schnell vorbei ist
Die Dienste der 36-Jährigen sind schon ab 30 Euro zu haben. Einige Männer wollen sich Magga auch nur anschauen, sie sind neugierig, weil sie noch nie eine schwarze Frau nackt gesehen haben. Die anderen sind oft nach wenigen Minuten fertig, sagt Magga lachend. "Es gibt einen Trick: Die Männer richtig heiß machen, dann kommen sie sofort. Die fahren auf und ab und müssen dann schnell Druck ablassen."
Standorte der Wohnwagen sind stadtbekannt - An der Straße stehen kaum noch Frauen
Die Straßen, in denen sich in Koblenz Wohnwagen an Wohnwagen reihen, sind stadtbekannt. Nur noch wenige Prostituierte stehen an der Straße. Immer wieder fahren Autos im Schritttempo an den Frauen vorbei. Die Männer begutachten jede Frau genau. Einige haben die Musik laut aufgedreht, die anderen hupen. Von Kleinwagen bis zu einem roten Porsche sind alle Autoklassen vertreten. Bereits vor Sonnenuntergang herrscht dort so viel Betrieb wie auf einer Bundesstraße. Sobald sich Kunde und Prostituierte nach einem kurzen Gespräch handelseinig sind, verschwinden sie in einem der Wohnwagen.
Magga hatte heute noch keinen Freier. Ihr Wohnwagen ist im Inneren mit einer Tapete aus weiß-schwarzen Ornamenten verziert. Nahezu der ganze Raum ist von einem Bett eingenommen, auf dem eine rote Wolldecke liegt. Mehrere Kissen liegen darauf dekoriert sowie ein Handtuch, das so kunstvoll gefaltet ist wie in einem Hotel in der Karibik. Der Raum ist klein, aber aufgeräumt, und es duftet überraschend angenehm. Heiß ist es wider Erwarten nicht. Gedämpftes Licht dringt durch die mit Folie abgedeckten Fenster. Nur ein paar Kosmetikartikel liegen verstreut auf einem Beistelltisch. Mehrere Rollen Klopaper liegen griffbereit über dem Bett. In einer Schale neben dem Eingang liegen sorgsam arrangierte Kondompackungen. Ein pinkfarbener Tierkalender hängt an der Tür des kleinen WC. Fließendes Wasser gibt es nicht.
Auf dem Strich in Koblenz: 30 Euro für 10 Minuten Mensch
Kim ist 52. Eine dicke Narbe zieht sich schräg über ihre Oberlippe und ihren lila geschminkten Mund. Sie trägt einen türkisen Talisman an einer langen Lederkette um ihren Hals, der fast in der Spalte ihres Dekolletés verschwindet. Die Brüste quellen üppig aus dem schwarzen, transparenten Negligé, und Kim beugt sich durch das Fenster ihres Wohnwagens nach draußen. Wenn sie lacht, kommen ihre hohen Wangenknochen noch mehr zur Geltung - und Kim lacht oft. Seit 18 Jahren ist die Thailänderin nun in Deutschland und spricht trotzdem kaum Deutsch. In ihrer Heimat im Norden von Bangkok hat sie in einer Fabrik gearbeitet. Dann ist sie zu ihrer Tante nach Berlin, hat in einer Wäscherei und in einer Schokoladenmanufaktur gearbeitet. Bis ihre Gesundheit nicht mehr mitmachte. Da sah Kim keine andere Möglichkeit, als sich fremden Männern anzubieten. Denn sie wollte unbedingt in Deutschland bleiben.
Kim hat lieber ältere Freier als junge
"Ich habe in einem Appartement angefangen", sagt Kim, darauf bedacht, die Wörter sorgsam zu wählen und allzu konkrete Begriffe aus ihrer Branche zu vermeiden. Womit sie ihr Geld verdient, ist der freundlichen Thailänderin unangenehm. In dem Appartement sei zu viel Geld für Miete und Werbung draufgegangen. Sie deutet in ihren Wohnwagen. "Hier kann ich selbstständig arbeiten und schlafen, wenn ich will, oder aufhören, wenn ich nicht mehr will." Sie hat ältere Kunden lieber. "Die reden nicht so viel und wollen auch nicht so viel machen", sagt Kim verlegen. Jüngere mag sie nicht so gern. Die sind oft betrunken, unsicher und kommen am Wochenende gleich in einer Gruppe. Von einer Party zu den Prostituierten. "Dann mach ich schon um 22 Uhr meinen Wohnwagen zu, weil dann gleich mehrere Männer da waren."
Dass Kim nicht für immer als Prostituierte arbeiten kann, ist ihr bewusst. Was sie dann machen möchte? "Massieren", sagt sie. Mit anderen Thailänderinnen in einem Massagesalon arbeiten, ganz ohne Sex anbieten zu müssen, das ist Kims Traum.
Adelina ist bildschön. Die junge Rumänin arbeitet seit fünf Jahren als Prostituierte. Auch als Putzfrau, Kellnerin und Babysitterin hat sie es versucht. Aber lange konnte sie nie in Deutschland bleiben, wegen der Aufenthaltsgenehmigung musste sie immer wieder zurück in ihre Heimat. Jetzt teilt sie sich mit einer anderen jungen Rumänin einen Wohnwagen auf dem Koblenzer Strich.
Auf dem Strich in Koblenz: 30 Euro für 10 Minuten Mensch
Plötzlich klopft ein Mann Ende 30 an die Tür des Wohnwagens. Adelina und ihre Freundin tragen Unterwäsche, die mehr enthüllt als verdeckt. Nur ihre Füße stecken in flauschigen Pantoffeln. Beide Frauen lachen den unauffälligen Mann einladend an und recken ihnen ihre gebräunten, perfekt proportionierten und mit Tattoos geschmückten Körper entgegen. Der Freier möchte Adelina. Ihre Freundin verlässt den Wohnwagen und schließt die Tür hinter sich. Nach nicht mehr als fünf Minuten kommt der Mann wieder heraus.
So läuft es - Tag für Tag. Dabei ist Adelina verheiratet und hat ein einjähriges Kind. "Was soll mein Mann dazu sagen", sagt die brünette Adelina in nahezu akzentfreiem Deutsch und zuckt entschuldigend mit den Schultern. "Wir brauchen das Geld. Er spricht kein Deutsch und arbeitet mit Bulgaren oder Türken auf dem Bau. Da verdient er 50 oder 60 Euro am Tag. Dann bleibe ich mit dem Kind zu Hause." Wenn Adelinas Mann keinen Job als Tagelöhner hat, muss sie anschaffen gehen.
Adelina träumt von einem normalen Job
"In Deutschland ist es besser, hier gibt es auch bessere Schulen." Adelina will sparen, eine schöne Wohnung haben und einen normalen Job. "Ich bin nicht so eine", sagt sie. Das Einzige, was in Adelinas Gesicht funkelt, ist ihr silberner Lidschatten. Ihre Augen sind bestechend grün, aber traurig. "Für ein normales Leben braucht man Geld, weil man einen Monat ohne Gehalt auskommen und viel Kaution bezahlen muss. Strom, Essen - es ist alles teuer", erklärt sie. Hier kann sie jeden Abend etwas mit nach Hause bringen. "Manchmal sind es 30, manchmal 100 Euro", sagt Adelina.
Wenn sie ihre Periode hat, geht sie nicht arbeiten. Dann ist die Gefahr, sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken, auch größer, selbst wenn sie wie immer mit Schutz arbeitet. Adelina ist nicht krankenversichert - wie viele ihrer Kolleginnen. "Das ist ein Problem", sagt sie. Deswegen geht sie ab und zu zum Gesundheitsamt in Koblenz, dort wird sie kostenlos untersucht und bekommt das Rezept für die Anti-Baby-Pille. "Ich möchte auf keinen Fall noch mal schwanger werden", sagt Adelina. Die junge Frau weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. "Kellnern, das könnte ich machen, ich bin nicht dumm", sagt sie und tippt mit dem pink manikürten Zeigefinger an ihre Schläfe.
Magga, Kim und Adelina prostituieren sich, weil sie ein Ziel haben. Und wer den drei Frauen begegnet, weiß, dass man sie nicht kaufen kann. Auch nicht für zehn Minuten.
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- Admina
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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