Grünes Licht für

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fraences
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Grünes Licht für

Beitrag von fraences »

Prostitutionsdebatte
Grünes Licht fürs Rotlicht


David Signer

Seit einiger Zeit erhebt sich eine Empörung über die Prostitution, als hätte man eben erst mit Schaudern entdeckt, dass es Frauen gibt, die sich für Sex bezahlen lassen, und Männer, die zahlen. Im Gegensatz zu früher ist es heute aber nicht mehr die «zügellose Hure», die an den Pranger gestellt wird, sondern der «rücksichtslose Freier». Die weitverbreitete Vorstellung sieht etwa so aus: Millionen von Frauen werden wie Waren in der Welt herumgeschoben, um die rücksichtslose Sexgier der Männer zu befriedigen. Diese Sklavinnen, aus armen Ländern stammend, sind ahnungslose Opfer, der Willkür von mächtigen Schleppern und Zuhältern ausgeliefert, die sie ausbeuten und zugrunde richten. Jeder, der sie als Kunde frequentiert, macht sich mitschuldig an einem weltweiten Verbrechen. Das klingt wie ein Grimmsches Märchen von der Art «Böser Wolf gegen armes Rotkäppchen». Wie so oft ist die Wirklichkeit weniger simpel.

Sexarbeit als Wahl
Nicht alle Prostituierten sind Opfer von Menschenhandel und wollen «gerettet» werden. In jeder asiatischen, südamerikanischen oder afrikanischen Grossstadt gibt es Tausende von Prostituierten, die mit Handkuss nach Europa kämen. Warum soll ein Bordellbetreiber das Risiko eingehen, unerfahrene Frauen unter falschen Versprechen hierherzulocken, mit grossem Aufwand zu überwachen, einzusperren und mit Gewalt gefügig zu machen, wenn es genug professionelle Interessentinnen gibt, die sich auf das Jobangebot auf seiner Website melden?

Wenige westliche Frauen können sich vorstellen, dass eine Prostituierte ihrer Tätigkeit freiwillig nachgeht. Aber «Freiwilligkeit» ist eine Frage der Optionen. Eine gut bezahlte Lehrerin hat wenig Gründe, stattdessen auf den Strich zu gehen. Aber wenn – wie in vielen Ländern – die Alternativmöglichkeiten für eine unausgebildete junge Frau aus armen Verhältnissen Hausangestellte, Hilfsarbeiterin, Strassenverkäuferin oder Hausfrau und Mutter unter elenden Bedingungen lauten, gibt es handfeste Gründe für die «Berufswahl» Prostitution. Es geht um die Wahl des kleineren Übels. Kriminalisiert man Prostitution, wird aus der Sexarbeiterin nicht automatisch eine gut bezahlte Lehrerin. Sie wird arbeitslos oder verdingt sich als Hausangestellte zum Hungerlohn.

Das beschränkt sich nicht auf das Sexgewerbe. Gerne stellt man ja Prostitution als absoluten Sonderfall der Arbeitswelt dar. Aber wer geht «freiwillig» in ein Kohlebergwerk arbeiten oder zieht als Soldat in den Krieg? Zahllose Dreckarbeiten sind ebenso unerfreulich wie Sex mit jemandem, den man nicht liebt. Die Skandalisierung des Rotlichtmilieus löst es aus den konkreten Bezügen. Wo sind im Klischee der ausgebeuteten Frau die Stricher, Transsexuellen, Beach-Boys, Gigolos, Escort-Männer, Sugar-Mummies, Puffmütter und jungen Mittelstands-Gelegenheitsprostituierten? Sie bringen die Stereotype durcheinander.

Besonders verzweifelte, mutige oder naive Frauen werden auch im Falle einer Kriminalisierung den Weg der Prostitution einschlagen. Sie sind dann aber in einer besonders verwundbaren Position, weil sie jederzeit verzeigt werden können. Nur schon um ein Zimmer für ihre Tätigkeit zu finden, sind sie auf Vermittler und «Beschützer» aus dem kriminellen Milieu angewiesen. Im Falle von Missbrauch, Ausbeutung oder Gewalt können sie nicht zur Polizei gehen. Wird Prostitution verboten, sind sie die ersten Opfer. Dass das Sexgewerbe durch Kriminalisierung und Repression nicht verschwindet, zeigt ein Blick in andere Länder. In Thailand ist Prostitution verboten. Nicht einmal die fanatischsten Prohibitionsbefürworter würden wohl behaupten, es gebe keine Prostituierten in Bangkok.

Zwangsprostitution hierzulande selten
In Ländern mit einer liberalen Praxis wie der Schweiz ist Zwangsprostitution die Ausnahme, weil für einen Zuhälter immer das Risiko besteht, dass die Frau Anzeige erstattet. Die herumgeisternden hohen Zahlen hängen auch damit zusammen, dass Prostituierte ohne legalen Aufenthalt, werden sie von der Polizei geschnappt, gute Gründe haben, sich als Opfer von Menschenhandel darzustellen, um sich selber aus der Schusslinie zu nehmen. Bei Fällen extremer Ausbeutung stammen die Prostituierten bezeichnenderweise meist aus Ländern, in denen das Gewerbe illegal ist, vor allem aus Osteuropa. Gelegentliche gewalttätige Auswüchse haben mehr mit der Prohibition in den Herkunftsländern der Frauen zu tun als mit der Liberalität hier. Lange können solche Ausbeutungsverhältnisse im Allgemeinen auch nicht aufrechterhalten werden in einem Umfeld, wo Prostitution legal ist.

Es geht nicht darum, ob man Prostitution moralisch verwerflich findet oder nicht. Man kann gegen bezahlten Sex sein und trotzdem für eine Legalisierung, einfach, weil sie die Situation der betroffenen Frauen verbessert. Zu guter Letzt kann eine Frau, die ihrem Gewerbe legal nachgeht, auch leichter aussteigen, als wenn sie als Kriminelle gebrandmarkt und in die Halbwelt verstrickt ist.

http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/gr ... 1.18189427
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Fakten und Infos über Prostitution

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

Na das liest sich doch gut, oder...?

Kasharius grüßt

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Arum
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Re: Grünes Licht für

Beitrag von Arum »

@Kasharius,


ja, an sich ein sehr guter Artikel, nur dies     

     Bild
fraences hat geschrieben: Aber wenn – wie in vielen Ländern – die Alternativmöglichkeiten für eine unausgebildete junge Frau aus armen Verhältnissen
stimmt nicht unbedingt. Man begegnet schon auch gut ausgebildeten Osteuropäerinnen, die wenigstens für eine Zeit lang keine Lust haben, sich im eigenen Lande einen Job zu suchen, der kaum lohnt. Bei einem Durchschnittsmonatseinkommen von guten 350 Euro (so wie in Rumänien der Fall) kann es eben schon sehr verlockend sein, in Deutschland usw. einer Tätigkeit nachzugehen, wo es heisst, man könne, wenn man Glück hat, 350 Euro am Tag verdienen. Oder auch, man sieht im eigenen Lande junge Frauen in Nobelkarossen herumfahren. Denn so ist es ja tatsächlich der Fall in Bukarest. So habe ich dort eine gesehen, die in einem Audi mit Hamburger Kennzeichen fuhr, aber klar erkenntlich eine Rumänin. Und noch eine, die am Flughafen ohne Begleitung in einen Mercedes einstieg.

Aber abgesehen von dieser Detailkritik, ein sehr guter Artikel. Mir fällt leider aber auf, dass die schweizer medien im Schnitt doch etwas vernünftiger reagieren als die deutschen. Haben die deutschen Medien denn so viel Angst vor dieser einen paranoiden Person?
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz