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Die ewige Verliererin
Brigitte Hürlimann
Ich hätte gewonnen, sagen sie, hätte Rechtsgeschichte geschrieben. Einen Meilenstein erstritten, einen wichtigen Entscheid, der im ganzen Land zur Kenntnis genommen wird, analysiert und kommentiert, und manch einer sagt: Endlich! Endlich ist es zu diesem Urteil gekommen, ein erstinstanzliches Gericht im Kanton Zürich hat es geschafft, hat es gewagt, es wird nun überall zitiert, voller Anerkennung, in Fachkreisen und im breiten Publikum. Aber ich? Ich habe nicht und nichts gewonnen. Ausser Spesen nichts gewesen, das ist mein Fazit.
Ich bin eine Prostituierte, ich zeige mich nicht, ich verberge meinen Namen, verstecke mein Gesicht, ich gebe weder mein Alter noch meine Herkunft preis, obwohl viele Journalisten mit mir sprechen wollen, nach mir suchen. Doch was hätte ich davon? Meine Familie weiss nicht, wie ich in der Schweiz mein Geld verdiene, seit vielen Jahren schon, mit harter, legaler Arbeit. Mit den hiesigen Behörden will ich es nicht vergraulen, sonst hätte ich noch mehr Probleme am Hals (und an Problemen mangelt's nicht), und überhaupt, es wäre nicht gut fürs Geschäft. Die Kundschaft fordert Diskretion. Und einer von ihnen, ein Stammkunde war's, der wollte mich tatsächlich über den Tisch ziehen. Wollte eines Tages nicht bezahlen, obwohl ich meine Dienste erbracht habe. Ich liess mir das nicht gefallen, ging vor Gericht, und da kommt ihm urplötzlich in den Sinn: Haha, eine sittenwidrige Vereinbarung, ein ungültiger Vertrag, eine nicht einklagbare Forderung und so weiter und so fort. Das Bezirksgericht machte Schluss mit diesem alten Zopf der Sittenwidrigkeit, mit diesem Unsinn, man vermutet, als erstes Gericht in der Schweiz, niemand weiss es so genau, wer kennt schon die Rechtsprechung der Bezirksgerichte?
Doch dann hat er nicht bezahlt, Urteil hin oder her, hat sich für zahlungsunfähig erklärt, und ich sitze mit Schuldscheinen da, wertloser Wisch.
Ich bin eine Prostituierte, ich bin die ewige Verliererin. Verachtet, stigmatisiert, an den Rand gedrängt, mit immer mehr Auflagen und Verboten eingedeckt. Auf den Strichplatz mag ich nicht gehen, in der Absteige droht der Rauswurf, sie schwafeln von Wohnzone und Baubewilligung und überhaupt – dabei habe ich nie jemanden gestört, bin nie aufgefallen, habe all meine Rechnungen bezahlt, meine Verpflichtungen erfüllt, ich bin dem Staat nie zur Last gefallen. Doch ich bin und bleibe ein Störefried, eine Randständige, ich passe nicht ins Schema. Ich habe Rechtsgeschichte geschrieben, und ich habe nichts davon.
http://www.nzz.ch/aktuell/zuerich/zuerc ... 1.18319185
Die ewige Verliererin
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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