"Lowlife Love"/"Bangkok Nites"

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Arum
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"Lowlife Love"/"Bangkok Nites"

Beitrag von Arum »

Eine Rezension zweier neuen Filme aus Japan, die sich mehr oder weniger mit dem Thema Sexarbeit auseinandersetzen, "Lowlife Love" von Eiji Uchida sowie "Bangkok Nites" von Katsuya Tomita.

Zu "Lowlife Love", der sich mit dem Thema Indie Pornokino auseinandersetzt:

".... Die Frauen, die in diesem patriarchalen System überleben müssen, tun einem nur so lange Leid, bis sich zeigt, in welchem Ausmaß sie selbst davon profitieren. An eine Rolle kommt man nicht durch ein Casting, sondern indem man sich an alte, mal mehr, mal weniger einflussreiche Männer ranschmeißt. Eine der Schauspielerinnen stürzt sich etwa auf abgehalfterte Regisseure und lässt in der Zwischenzeit ihren Freund recherchieren, ob die Opfer überhaupt noch im Geschäft sind und es sich lohnt, die Beine breit zu machen. In solchen Momenten führt der Film eine Indie-Szene vor, die sich viel darauf einbildet, abseits des Mainstreams zu arbeiten, tatsächlich aber einen durch und durch inhumanen Hardcore-Kapitalismus lebt. Jeder Einzelne wird nur nach seinem möglichen Nutzen bewertet - bei Männern ist das die Aussicht auf eine Karrierechance, bei Frauen die fuckability.

Dass die Filmindustrie wie ein großes Bordell funktioniert, ist dann auch die Hauptprämisse von "Lowlife Love", die dementsprechend umfangreich durchexerziert wird. Mitunter kann das ermüdend sein; vor allem weil Uchida zwar von etwas erzählt, das ihm vertraut ist, er sich aber selbst konsequent rauszunehmen scheint. Der Faszination der Hässlichkeit, die das dargestellte Milieu umgibt, kann man sich als Zuschauer trotzdem nur schwer entziehen. Während andere Filme Illusionen verkaufen, hat es sich dieser zur Aufgabe gemacht, sie zu zerstören. Dran glauben muss vor allem das romantisch verklärte Bild des Künstlers. Das andächtige Leuchten, das Figuren wie Ken und Minami zunächst noch in den Augen haben, als sie Tetsuo gegenüberstehen, treibt ihnen Uchida gründlich aus. Was vom vermeintlichen Glanz der Filmwelt bleibt, ist ein pathologisches Verhältnis zwischen erbärmlichen Aufschneidern und den blinden Opfern, die ihnen verfallen sind."

Zu "Bangkok Nites":


"Thaniya Road ist ein Rotlichtbezirk im Zentrum von Bangkok, der einer japanischen exterritorialen Zone gleicht. Auf einem Straßenabschnitt von wenig mehr als 200 Metern reihen sich 200 Bordelle und Nachtclubs aneinander, die sexuelle Dienstleistungen exklusiv an japanische Freier vermitteln. Hier beginnt "Bangkok Nites", der neue Film von Katsuya Tomita, der letzte Woche auf dem Filmfestival von Locarno Premiere feierte. Tomitas Film kreist um die japanisch-thailändischen Beziehungen, die Hierarchien der Sexarbeit in Bangkok und die omnipräsenten Spuren der Vergangenheit in Thailand und Laos.

[...]

Zahlreiche Schauspieler zehren von ihren eigenen Erfahrungen, viele Nebendarsteller sind auch auf dem Soundtrack vertreten, der unter anderem ein Querschnitt durch die thailändische Musiklandschaft seit den 1960er Jahre ist. Die fiktionale Erzählung hilft, die quasidokumentarischen Porträts der Sexarbeit in Bangkok und der japanischen Gemeinschaft der Stadt zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Nach eigenem Bekunden hat es Tomita mehrere Jahre gekostet, das Vertrauen der Menschen in der Thaniya Road zu gewinnen, um den Film drehen zu können. In den beobachtenden, semidokumentarischen Szenen, die dort entstanden, ist erkennbar, wie sehr das Geschäft mit der Sexarbeit von ökonomischen Hierarchien strukturiert wird.

Seit einigen Jahrzehnten sind zahlungskräftige japanische Geschäftsleute an die Stelle der US-Soldaten getreten, die nach dem Rest and Recreation Vertrag von 1967 während des Vietnamkriegs in das Land kamen. Indem er diese Episode der Geschichte gleichermaßen als Ausgangspunkt für den Boom von Sexarbeit in Thailand und für den Aufstieg des Landes zeigt, entwirft Tomita ein Porträt der fortwährenden menschlichen Verwundungen der Gegenwart.

Nicht jeder Moment der über drei Stunden von "Bangkok Nites" ist bis ins letzte Detail gelungen. Dennoch gelingt es Tomita, eine historische und soziale Konstellation darzustellen und zugleich - durch die fiktionale Erzählung - bei dem Blick aufs große Ganze Einzelschicksale nicht aus den Augen zu verlieren. Die Stärke seines Films liegt in der sorgsamen und doch fragilen Balance der Elemente, die den Film in der Schwebe über den Kategorien des Dokumentarischen und des Fiktionalen, des Politischen und des Beobachtenden halten."


Mehr hier:
https://www.perlentaucher.de/im-kino/pa ... le_id=6709
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz