Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisch?

Eine Art "Gästebuch". Bitte zu beachten: Wer mit unserer Community ernsthaft in Kontakt treten möchte, sollte eine Registrierung ins Auge fassen -> kostet nichts und tut auch nicht weh.... und man bleibt auch in dem Fall weitgehend anonym.
Tintenklecks

Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisch?

Beitrag von Tintenklecks »

Hallo. Ich möchte einen Roman über einen Jungen schreiben, der in die Prostitution abrutscht. Meine Idee ist, dass er durch ein gewalttätiges Elternhaus auf der Straße landet und durch einen "Schlepper" für eine illegale Sex-Website angeworben wird, auf der sich minderjährige vor einer Webcam zahlenden Kunden präsentieren.

Da ich mich in diesem Milieu nicht auskenne, frage ich mich ob so ein Szenario überhaupt realistisch genug ist. Es gibt ja einige Erfahrungsberichte von Frauen oder auch Romane zu dem Thema, die aber alle von Frauen handeln. Ist eine männliche Hauptfigur für so eine Geschichte realistisch? Hinzukommt dass ich die Figur sehr jung angelegt habe, so ca. 15 weil ich finde, dass es dramatischer ist. Verzeiht mir, wenn meine Fragen etwas naiv sind.

Grüße

Tintenklecks

xtabay
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 326
Registriert: 18.03.2014, 21:36
Wohnort: 1190
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von xtabay »

Ob das reallistisch ist, keine Ahnung...ich bin 50 und weiblich, hab nette Eltern und bin selber auf die Idee gekommen, als Sexworkerin zu arbeiten.

Aber mein Tipp: Schreib über was, wo du dich auskennst. Da kannst mit Herzblut und Erfahrung berichten und das wird dann auch spannend und authentisch.

Doris67
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 1127
Registriert: 20.06.2012, 10:16
Wohnort: Strasbourg
Ich bin: SexarbeiterIn

Beitrag von Doris67 »

Hört sich an wie der 10000ste Bahnhofsroman mit reißerischem Strichambiente... Sorry, das ist exakt das Gegenteil dessen, was wir Sexarbeiter/-innen als Image brauchen können.
Mitglied der Confédération Nationale du Travail

Benutzeravatar
Arum
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 961
Registriert: 01.06.2009, 13:35
Wohnort: Niederländische Grenzregion
Ich bin: Keine Angabe

Re: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Arum »

          Bild
Tintenklecks hat geschrieben: abrutscht.
Dieses eine Wort besagt schon, dass Du hier fehl am Platz bist.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

mayats
unverzichtbar
unverzichtbar
Beiträge: 165
Registriert: 29.04.2011, 18:06
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von mayats »

....your idea of story is so full of cliché....frankly it is really boring and boxed in a pre concepted point of view....yes it can sound real but not realistic because it doesn't reflect the total reality of the "phenomenon prostitution" infact there is for sure a sad story needs help but there are tons of happy stories don't need help....writing something on prostitution avoiding a positive or negative judgement on the phenomenon is too hard....you can fall into boring cliché. kiss.

Gast

RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Gast »

@Doris67: Welches Image wäre dir denn Recht?

@Arum: Was stört dich an diesem Wort?

@mayats: Its just an idea for a fictional novel now. I dont think its a 100% cliche. My intention is to write a story about the darker sides of the business. And the net is full of inspiration for stories like this.

http://www.fbi.gov/news/stories/2014/ju ... ss-country

Does this sound too cliche to you?

Doris67
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 1127
Registriert: 20.06.2012, 10:16
Wohnort: Strasbourg
Ich bin: SexarbeiterIn

Beitrag von Doris67 »

Tintenklecks: Wenn du hier im Forum mitgelesen hättest, wüßtest du, daß wir Sexarbeiter/-innen erstens unser Image selbst bestimmen, und daß wir uns zweitens in Opferrollen absolut nicht wiedererkennen, und sie mehr als satt haben. xtabay hat recht: Schreib lieber über etwas, das du kennst.
Mitglied der Confédération Nationale du Travail

Benutzeravatar
Veraguas
unverzichtbar
unverzichtbar
Beiträge: 199
Registriert: 08.07.2012, 02:20
Wohnort: Hamburg
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

No more

Beitrag von Veraguas »

Ich glaube, das Interesse an einer ausgedachten Geschichte über "the darker sides of the business" ist hier nicht so willkommen. Diese Geschichten hören wir schon oft genug. Von den Ermahnungen der Eltern, der Lehrer, den Berichten der Polizeireporter, den Autoren und Drehbuchschreibern die unbedingt noch ein armes unschuldiges Opfer und einen bösen Schurken für ihre Story brauchen, den NGOs denen ohne Nachweis der Rettung leidender Klienten der öffentliche Geldhahn zugedreht wird.
Sie alle haben ein Eigeninteresse an einer bestimmten Darstellung der Realität. Dass diese Realität mit der Situation der Betroffenen meist nicht viel zu tun hat fällt kaum auf. Denn wer kennt schon die Lebenssituation von SexarbeiterInnen persönlich.
Eben auf Grund der vorhandenen cliches in der Gesellschaft fühlen sich viele der Betroffenen gezwungen im Verborgenen zu arbeiten. Und nicht nur das. Die Fremddefinition als Opfer und das Verweigern der Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit, als qualifizierte Dienstleistung die würdevoll geleistet werden kann wie jede andere auch, führt zu einer Stigmatisierung und zu dem ganzen Elend welches Du anscheinend mit Deiner Novelle bestärken möchtest.

Ach, ich sehe gerade. Es geht Dir in Deinem Plot anscheinend nicht um Sexarbeit sondern um Kinder die missbraucht werden. Also um Kriminalität. Da wirst Du hier wohl noch weniger Anregungen bekommen.
Zuletzt geändert von Veraguas am 11.07.2014, 15:24, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Gast »

@Veraguas: Nein, ich möchte kein Elend bestärken. Natürlich sind nicht alle Prostituierte Opfer, habe ich auch nicht behauptet. Dennoch sollte man realistisch bleiben und nicht alles schön reden.
Wie du darauf kommst, dass ich hier Anregungen für irgendwelche Missbrauchswichsvorlangen suche erschließt sich mir nicht. Außerdem liegt ein gewaltiger Unterschied darin, perverse voyeuristische Phantasien zu bedienen oder Missstände zu benennen. Es gibt durchaus Romane, die sich mit dem Thema Missbrauch mit der nötigen Sensibilität auseinandersetzen. Darf man jetzt über kritische Themen nicht mehr schreiben, weil die Gefahr besteht, dass bestimmte Milieus dabei nicht gut wegkommen könnten? Ich habe hier offensichtlich einen Nerv getroffen. Gut so.

In diesem Sinne, Ciao

Benutzeravatar
bienemaya
Gelehrte(r)
Gelehrte(r)
Beiträge: 381
Registriert: 22.03.2012, 21:57
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von bienemaya »

...sich minderjährige vor einer Webcam zahlenden Kunden präsentieren...Da ich mich in diesem Milieu nicht auskenne...


Ich bzw Wir auch nicht, denn Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sind z u r e c h t verboten!!!!!!

LadyTanja
UserIn
UserIn
Beiträge: 38
Registriert: 24.10.2009, 16:07
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von LadyTanja »

@Gast

Das "Milieu" versucht Dir hier gerade zu erklären, daß Deine Romanidee klischeehaft ist, und mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Wie wäre es, wenn Du stattdessen unvoreingenommen und neugierig wärest und UNS fragst, wie unser Werdegang in die SW ist/war.

Gruß,
LadyTanja

Gast

RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Gast »

... denn Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sind z u r e c h t verboten!!!!!!

@bienemaya: Der Missbrauch von Ausrufezeichen sollte auch verboten werden.

LadyTanja
UserIn
UserIn
Beiträge: 38
Registriert: 24.10.2009, 16:07
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von LadyTanja »

Puh,

don`t feed the trolls...

Benutzeravatar
Melanie_NRW
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 825
Registriert: 16.06.2011, 21:03
Wohnort: Bielefeld
Ich bin: Keine Angabe

RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Melanie_NRW »

Hier ist zb eine reale unschöne Geschichte, vllt ist das ja was für dein Buch... müsste reichen für eine sex&crime story

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenue ... 016157.php

"Ein Arbeitsvermittler, der ein Sozialprojekt für ehemalige Prostituierte betreut hat, soll von zwei Frauen Sex als Gegenleistung für lukrative Jobs verlangt haben. "

Benutzeravatar
bienemaya
Gelehrte(r)
Gelehrte(r)
Beiträge: 381
Registriert: 22.03.2012, 21:57
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von bienemaya »

@gast

...der in die Prostitution abrutscht...

Damit hast du deine ganz persönliche Wertung zum Thema Prostitution kundgetan.

Ich danke dir für den anonymen Hinweis auf die richtige Verwendung von Satzzeichen. Vielleicht gelingt es dir, die Deutsche Rechtschreibung zu reformieren und ggf. diverse Verbote im Duden allgemeingültig festzuschreiben.

Bevor ich mich aus dieser Konversation höflich verabschiede, möchte ich noch eine eigene kreative bzw. fiktive Romanvorlage einbringen.

Also mir könnte ein Roman sehr gut gefallen, der von einem Jungen (über 18 Jahre) handelt, normales Elternhaus, Realschulabschluss usw. der sich in und mit der Prostitution emporgearbeitet hat....u. a. zum Gipfel der Lust oder so... (Gestaltung und Ausgestaltung liegt natürlich beim Autor)
Also ich würde das lesen... vorausgesetzt es gibt nicht so viele missbräuchliche Satzzeichen.

Herzliche Grüße von
bienemaya :002

Benutzeravatar
Arum
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 961
Registriert: 01.06.2009, 13:35
Wohnort: Niederländische Grenzregion
Ich bin: Keine Angabe

Re: RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realis

Beitrag von Arum »

          Bild
Anonymous hat geschrieben: @Arum: Was stört dich an diesem Wort?
Es belegt, wie sehr Du der allgemein-gesellschaftlichen abwertenden Befangenheit der Prostitution gegenüber verhaftet bist. Gerade ein Schriftsteller, und dies sollte auch für angehende Schriftsteller gelten, wie ich mal annehme, dass Du einer bist, sollte sich über die semantischen Folgerungen die mit seiner Wortwahl einhergehen, im Klaren sein.

Und wenn Du schon nicht verstehst, dass dem Wort "ABrutschen" ein wesentliche ABwertendes Element innewohnt, frage ich mich, was Du in der Literatur eigentlich verloren hast. Kannst aber gerne Schundromane schreiben, wenn Du möchtest, aber da komme nicht hier Deine und unsere Zeit verplempern.
My intention is to write a story about the darker sides of the business. And the net is full of inspiration for stories like this.
Ja, so wie auch die Weltliteratur: Immer wieder die Hure als die grosse Abgerutschte, die gefallene Frau. Solltest Dich aber erstmal schlau machen zu den Gegengeschichten, die es auch im Netz in Hülle und Fülle gibt. Arbeite Dich z.B. mal bei http://maggiemcneill.wordpress.com/ durch, oder bei Felicia Anna, http://behindtheredlightdistrict.blogspot.nl/ , oder (Pflichtlektüre!!!) http://www.lauraagustin.com/ , oder diie englischsprachigen Seiten von Marijke Vonk, http://marijkespraktijken.nl/2014/07/09/meer-leesvoer/ . Oder http://everydaywhorephobia.wordpress.com/ . Na ja, und so gibt es noch eine ganze Reihe.

Und wenn Du mal Zeit hättest, könntest Du Dich, wie es einem Schritsteller geziemt, vielleicht auch mal ausserhalb vom Netz bewegen, und mal interessante Bücher durchackern, wie Agustíns Sex at the Margins, oder Nickie Roberts' Whores in History, oder Domentats "Lass Dich verwöhnen".

Wenn Du das schaffst, wirst Du vielleicht verstehen, weswegen Deine Auslassungen hier auf einigen Widerstand stossen. Und am Wichtigsten noch: Treffe Dich mit Prostituierten. Das heisst, werde wenigstens für eine Weile Kunde. In Deinem Fall männliche SW. Erst dann, wirst Du irgendwie eine Ahnung vom "Milieu" aufbauen und hier mal wieder mitreden können. Ich wünsche viel Erfolg.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

mayats
unverzichtbar
unverzichtbar
Beiträge: 165
Registriert: 29.04.2011, 18:06
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von mayats »

is it for a fictional novel ?
Yes I know there are a lot of dark and terrible stories and around kids too...
often the dark side is used to spread bad on the phenomenon of prostitution and probably it doesn't help the reality and the fantasy too...
I belive in the positive input....some time ago Holliwood was the dream maker....now it is the nightmare maker....anyway best wishes for your "dark" novel.

Benutzeravatar
Kasharius
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 4113
Registriert: 08.07.2012, 23:16
Wohnort: Berlin
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

RE: Eine Geschichte über Prostitution schreiben - realistisc

Beitrag von Kasharius »

@all

wahrscheinlich endet jetzt meine "Karriere" hier im Sexworkerforum :002 aber ich habe tatsächlich mal eine Kurzgeschichte geschrieben, in der es auch um Sexarbeitrinnen ging. Sie wurde sogar in einer Anthologie veröffentlicht und ist bis jetzt von SW die sie hörten oder lasen freundlich aufgenommen worden...


...und die Geschichte die ist diese:


[font=Times New Roman]Abschied vom Affenmann

1

Ihr Handy vibrierte. Es war eine nasskalte Novembernacht, zum Glück hatte es vor einer Stunde aufgehört zu regnen. Der Himmel zeigte jetzt größere Risse in der Wolkendecke. .Sie konnte ihren dunkelblauen Regenschirm, der farblich zu ihren Lackstiefeln passte, auf den Kofferraum eines am Straßenrand geparkten Daihatsu abstellen. Doch sie fror noch immer. Eine Windböe rüttelte an dem Anhänger links von ihr; er diente als Werbefläche für einen Energydrink. Scheiße ich geh gleich nach Hause ins Bett, dachte sie und fummelte das Handy aus ihrer rechten Jackentasche. Sie drückte auf NACHRICHT ANZEIGEN:

HEY VICKY! KAFFEEPAUSE? L.G. TRISH

Vicky schaute herüber auf die andere Straßenseite zu ihrer Kollegin, die eigentlich Patricia hieß, aber der festen Meinung war, dass Trish weltläufiger, vor allem aber erotischer klang. Vicky überlegte einen kurzen Moment; die Nacht heute war nicht sonderlich gut gelaufen. Sie hatte gerade mal einen Kunden für 30 Euro im Auto gehabt. Ein Typ, der während sie ihn bediente, ständig etwas von seinem besten Kumpel faselte, der ihn angeblich nach Strich und Faden betrogen hätte. Als er gekommen war, wollte er noch reden. Sie hatte daraufhin angeboten, mit ihm für 75 Euro aufs Zimmer zu gehen. „Ist gleich da vorne in dem Haus. Dann kannst du mir die ganze Geschichte noch mal in Ruhe erzählen. Da haben wir es warm und gemütlich. Zimmermiete und Getränk inklusive."
"Scheiß Nutten, ihr denkt auch nur Kohle wie alle anderen. Da will man sich mal ausquatschen und wird gleich ausgenommen. Ich..."
„Hör zu", viel Vicky ihm ins Wort und sah ihm fest in die Augen. „Ich bin nicht die Seelsorge und muss auch meine Miete bezahlen. Also entweder wir gehen jetzt da rein, oder du fährst mich zurück an meinen Platz - alles klar?"
„Fick dich doch selbst, du blöde Schlampe!" brüllte er sie an. Erst in diesem Moment hatte sie seine Fahne, sie tippte auf Barcardi-Cola, bemerkt und hätte gewarnt sein müssen.
Sie wandte sich ab und wollte die Wagentür öffnen. „Also diesen Scheiß brauch ich mir nicht bieten zu lassen."
Was ist, wenn er jetzt die Innenverriegelung auslöst?, schoss es ihr durch den Kopf. Einen Augenblick herrschte gespannte Stille. Der Mann starrte auf die Windschutzscheibe und murmelte irgendetwas Unverständliches. Eine Hand umklammerte das Lenkrad, die andere konnte Vicky nicht sehen. Gleich ist es soweit! Er wird die Türen verriegeln und über mich herfallen. Wie konntest du auch so blöd sein. Nie wolltest du was im Auto machen - nie! Das hast du jetzt davon und deine Reizgasflasche hat Trish... Der Knopf blieb oben. Vicky schob sich blitzschnell heraus und knallte die Tür so heftig zu, dass sie sich beinahe ihre Schulter auskugelte. Dann trat sie mit ihrer Stiefelspitze gegen den Kotflügel, bevor der Wagen mit quietschenden Reifen davon fuhr.
„ARSCHLOCH!", rief sie ihm nach. Das kurz aufkeimende Triumphgefühl, das blauen Lack auf Metallicrot treffen ließ, erlitt gleich darauf einen herben Dämpfer. Ein Regenschauer unerwarteten Ausmaßes ergoss sich über sie und begleitete Vicky, deren Tauf- zugleich ihr „Künstlername" war, zurück an ihren Standplatz. Dort hatte sich die Nacht bisher nicht sehr unterhaltsam gestaltet; ein sächsischer Tourist hoppelte mit seinem Wartburg an Vicky heran und erkundigte sich nach einer Spätverkaufsstelle und drei junge Türken, es konnten auch Araber sein, fuhren mit ihrem weißen BMW mindesten ein Dutzend mal laut hupend an ihr vorbei. Das war alles. Ja, es war eindeutig Zeit für einen heißen Kaffee.

OKAY! KOMMST DU RÜBER? V.

Trish stakste auf schwarzen High Heels heran. Sie war schon in Rufweite, als ein rhythmisches Wummern die Nacht beschallte. Vicky wandte sich in Richtung der Geräuschquelle, das Handy noch immer in der Hand - 01 Uhr 08 - konnte jedoch zunächst nichts erkennen.
„Sind dit wieder die Kanaken in ihrem BMW?"
„Nee, glaub nich Trish. Das scheinen zwei Radfahrer zu sein, siehst Du!?" Vicky deutete auf den Fahrradweg, auf dem sich zwei helle Lichtpunkte parallel auf sie zu bewegten. Die Musik wurde lauter, das Licht greller und war inzwischen als Halogenscheinwerfer zu identifizieren. Der Lärm war nun unerträglich.
I´m breaking the habit, I ´m breaking the habit toni...
„Hallo Mädels!"
Vor ihnen erschien ein junger Mann in schwarzer Motorradjacke und Cowboystiefeln, der einen Elektrorollstuhl in eine rollende Stereoanlage verwandelt hatte. Sein durchnässter Haarsschopf klebte in der Stirn und sein schwarzer verwischter Lidschatten stand in krassem Gegensatz zu seinem machohaftem Auftreten. Ein Umstand den Vicky und Trish jedoch aus langer Erfahrung einschätzen konnten. „Mann, du machst ja ganz schönen Alarm um diese Uhrzeit." Trish lächelte den Mann im Rollstuhl vor ihnen herausfordernd an. Der hatte seinen Recorder inzwischen ausgeschaltet.
„Ja, sorry, aber Linkin Park muss man einfach in dieser Lautstärke hören. Und dieses Stück ist besonders geil."
„So spät noch unterwegs? Kommst du von einer Party?" Obwohl Vicky nach ihrem Kaffee dürstete, schaltete sie sich ganz ihrem Instinkt folgend in das Gespräch ein. Eigentlich hatte sie heute Abend keine Lust auf die Krüppelnummer, aber jeder, der anhielt, war ein potentieller Freier.
„Genau genommen dachte ich, die Party steigt bei euch."
„Echt? Hast Du Lust was zu machen?" fragte Vicky jetzt in freudiger Erregung.
„Eigentlich schon. Wie teuer ist es denn?"
„75 auf ´m Zimmer, Miete und Getränk inklusive. Und dein Gefährt schaffen wir auch irgendwie rein. Ist nur eine winzige Stufe am Eingang, aber wir haben einen starken Mann, der hilft uns. Kriegst ne schöne Handentspannung, nettes halbes Stündchen..."
„Ich hab 300 dabei."
Trish, die sich aus den Verhandlungen bisher raus gehalten hatte, konnte jetzt nicht mehr an sich halten. „Das reicht ja für uns beide", platzte es aus ihr heraus. „Schon mal was mit zwei Frauen gemacht?"
„Also soo nach Party ist mir auch wieder nicht. Ich würd’s gern erst mal mit einer versuchen. Wie war noch mal dein Name?" Damit wandte sich Sammy, so nannte er sich, endgültig Vicky zu.
„Den hab ich noch gar nicht gesagt. Ich bin die Vicky, aber haste nicht doch Lust mit uns zwei Hübschen mitzukommen? Wir würden uns gern um dich kümmern. Bei der Kohle haben wir ’n nettes Stündchen!"
„Das ist lieb gemeint Vicky. Ich glaube nur, meine Kondition reicht nicht für euch beide. Bin zurzeit etwas aus der Übung..." Ein Hustenanfall unterbrach ihn. "...ich heiße übrigens Sam... Sammy."
„Hallo Sammy. Aber wir sollten mal los, sonst erkältest du dich noch. Ist nicht weit, gleich da vorne. Wir kriegen dich schon auf Touren."
„Nee, lass gut sein Vick. Da hinten wartet ´n Stammkunde auf mich. Also haut schon ab. Viel Spaß!" In diesem Moment klingelte auch schon Trishs Handy. „Ja, hey, ich hab dich schon gesehen Schatz! Ich komm gleich rüber zu dir - Ciao! Nun geht schon. Wir holen unsere Pause nach."
Und bevor Vicky noch irgendwas erwidern konnte begab sich Trish ungelenk wieder auf die andere Straßenseite.
„Geh’n wir?", fragte Sammy, dem jetzt langsam kalt wurde.
„Na los! Bist Du öfters so spät unterwegs?"
„Gelegentlich. In letzter Zeit häufiger, ich schlaf nicht so gut."
„Musst mal Holundertee probieren. Bei mir wirkt der Wunder."
„Ich mag keinen Tee."
„Lavendelkissen sollen auch helfen. Hab ich irgendwo gelesen."
„Oder Sex", entgegnete Sammy und lächelte sie verstohlen an. Vicky musste lachen.
„Ja, oder Sex. Warst du schon mal bei uns?"
„Nein, aber ich war schon mal im Pu... Ich meine im...“
„Ist schon okay. Ich steh zu dem, was ich mache, weißt du."
„Hmm...", wieder befiel Sammy eine kleine Hustenattacke.
„Klingt ja böse der Husten. Mit dir ist doch alles in Ordnung? Ey, steck mich bloß nicht an. Ich kann mir jetzt nicht erlauben, krank zu werden."
„Nein, keine Sorge. Hab etwas Schluckbeschwerden. Nichts von Belang. Wie läuft’s denn so heute Abend?"
„So lala. Vorhin hatte ich so ´n Arsch, der feilschen wollte. Stinkbesoffen. Also auf so was steh ich ja nun gar nicht. Ansonsten bist du jetze der Einzigste."
„Dann bin ich ja so ’ne Art Glücksbringer."
Vicky lachte wieder. „Ja, könnte man schon so sehn. So, da vorn ist es. Können wir deinen Stuhl im Treppenhaus lassen? Da drinnen bei uns ist es ziemlich eng. Ich geh rasch rein und hol jemand, der dich aufs Zimmer trägt. Ist das in Ordnung für dich?"
„N… Null Problemo..." Erneut unterbrach ihn der Hustenreiz.
Na Mahlzeit! Wenn das so weitergeht... Ich weiß ja nich. Aber freakig sieht er aus mit seinem kleinen rosa Haarschopf. Und die beiden großen Boxen und der Fuchsschwanz, irgendwie cool. So einen aufgemotzten Rollstuhl hab ich noch nie gesehen, dachte Vicky bei sich. „Also, ich sag rasch Bescheid."
Im Flur traf Vicky auf ihre Kollegin Vanessa, die sich vor einem ovalen Garderobenspiegel ihren flachsblonden Haaraufsatz durchkämmte. Und neben ihr Pam, die sich ihre Lidstriche nachzog und sie freudestrahlend begrüßte: „Hey Vick. Hab mir mal deinen Eyeliner geliehen, meiner war leer. Ich muss wieder raus. Läuft beschissen heut Nacht. Nachher noch quatschen?"
„Mal sehen. Wo is´n Ronnie...? RONNIIIE! BRAUCH MAL DEINE HILFE!"
„Sag mal, ich hab gehört, du hast jetzt das große Los gezogen? Hat der Spasti nich Bock aufn Dreier?"
Spricht sich ja schnell rum. Und wenn schon. Ich hab aber keinen Bock auf dich, blöde Kuh, dachte Vicky.
„Tut mir leid Vanessa, aber der Spasti steht nicht auf blond. Außerdem bleibt bei ´ner ganzen Stunde auch noch Zeit für Konversation und wir wollen dich nich überfordern."
Pam hob anerkennend den Daumen.
„Also, wo ist denn jetze Ronnie?", fragte Vicky ungeduldig.
„Ich glaube hinterm Tresen. Bis nachher, okay!?" meinte Pam.
„Blöde Fotze!" Vanessa setzte sich ihre Haare auf und ließ die beiden stehen.
„Tschüß Pam. Bis nachher. RONNIEE! Mensch da bist du ja..."
„Mann, wat schreist ’n so? Will dir wieder eener an die Gurgel?"
„Sehr witzig! Ich hab ´n Gast im Rolli. Der muss aufs Zimmer irgendwie. Welches ist denn frei?"
„Na, am besten gleich vorne in die 1. Is groß jenuch und ick muss ´n nich so weit schleppen. Wo is er denn?"
„Er wartet hier im Treppenhaus. So, da sind wir wieder. Das ist der Ronnie. Der hilft uns rein jetze."
„So Meister, wie machen wa ´n dit? Am besten Huckepack wa?"
„Besser wäre, wie der Bräutigam die Braut...". Abermaliges Husten erstickte auch diesen Satz.
„Na jut, aber ´n Antrag mach ick dir nich. Ohhh! Mann hast aber jut jefrühstückt heut morgen. Halt ma uff die Tür da!", Vicky machte einen Satz nach vorn und stemmte sich gegen die Tür.
„Auweijaa, soll´n wir helfen?" Eben trafen auch Trish und ihr Stammgast ein.
„Na, ihr beede müsst jetzt och hier durch. Na los, schnell, aber nich hier vorne. Det is für ihn hier resaviert. Hinten die 6 is frei. So nu mach hinne."
„Na komm, Schatz, hier geht´s lang. Weißt ja schon bescheid. Ciao Vick!"
„Ciao Trish, bis später!" Mann, ist das ein Aufwand. Für zwanzig Minuten hätte ich den, glaube ich, nicht betrieben. Andererseits, die zweihundert kann ich gut gebrauchen, so beschissen wie das heute Nacht gelaufen ist. Und der Typ scheint ja ganz witzig zu sein mit seinem Chopper. Bisschen wortkarg, aber wenigstens nicht so ´n Labertyp von wegen ick will eigentlich nur reden und nich ficken. Die können mir heute echt gestohlen bleiben und dann am besten noch die Kohle wiederhaben wollen - nee danke! Aber auch damit scheint er ja keine Probleme zu haben. Sieht gar nich so wohlhabend aus....



...der Krüppel. Genau das geht ihr jetzt sicher durch den Kopf, so wie die mich anlächelt. Oder sie denkt sich: Ausgerechnet mich muss der nehmen. But sex sells and money talks . Und ich kann nicht mehr länger warten. Ich kann (!) es einfach nicht. Hoffentlich geht alles gut. Es muss einfach. Es muss (!). Die Nacht der Nächte ist angebrochen. Nacht der Nächte...
Als er in Ronald Mahlows (genannt Ronnie) Armen die Schwelle überschritt, konnte Sammy Vickys Gesichtsausdruck einen kurzen Moment beobachten. Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. Doch dann sah er nur noch Deckenschmuck umringt von heran kriechendem Schimmelpilz, und ein beißend-süßlicher Geruch überdeckte selbst das Eau de Toilette seines keuchenden Trägers. Obwohl Ronnies Statur anderes vermuten ließ, legte er Sammy verhältnismäßig sanft auf dem französischen Bett ab.
Behände hüpfte Vicky neben ihn und legte zwei Kissen unter seinen Kopf. Die erste Berührung(!). Sammy hoffte inständig, dass es nicht die letzte gewesen war.
„Is dit jut so? Allet klar, dann sachter Bescheid wenn na fertig seid. Denn helf ick euch wieder raus."
„D...Danke, Ron...Ronnie!" Ronnie pustete einmal kräftig durch und verließ das Zimmer.
„So, wir machen’s uns jetze richtig gemütlich. Liegst du auch wirklich bequem so? Wir haben hier noch mehr Kissen. Ist ja nich wie bei armen Leuten. Na super!" Sie kicherte etwas verlegen.
Sie ist nervös - genau wie ich.
„Pass auf Spatz, bei uns hier läuft das so; der Ronnie kriegt 20, okay, und bezahlen müsstest du vorher."
„Ist schon g... gut! Nimm’s Dir einfach aus meiner linken Innentasche. Es müssten 300 sein." Vicky griff vorsichtig in seine Jackentasche und nahm sich die drei zusammengerollten Hunderteuroscheine.
„Na super! Ich bring’s schnell nach vorne und bin gleich wieder da. Möchtest du vielleicht was trinken, ’n Saft oder ’ne Cola?"
„Ich glaube mit dem Pinkeln wird es hier schwierig für mich. Das lass ich m… mal lieber."
„Scherzkeks! Aber das kriegen wir auch noch hin."
„Nee, nee! Is schon g...gut."
„Okay! Bis gleich! Und fang nich ohne mich an."
Vicky winkte mit den Scheinen. Als sie die Tür hinter sich zu zog, verspürte Sammy einen leichten, stechenden Schmerz in seiner linken Schläfe. Er atmete tief durch, froh, dass ihm ein weiterer Hustenanfall erspart blieb und doch bemerkte er ein leichtes Rasseln in seiner Brust. Nicht jetzt. Nicht in dieser Nacht. Der Nacht der Nächte....
Beim Schlucken schmerzte sein Hals. Er musste viel schlucken. Sein Kopf glühte. Er drehte ihn nach links, sah aber nichts außer einem weißen Korbstuhl. Den Kopf nach rechts gewandt, erblickte er eine rolle Kleenex, einen Aschenbecher und einen Radiowecker (01.32 Uhr). Nein! Nicht jetzt! Nicht bevor es zu Ende ist. Die Nacht der Nächte ist endlich da! Scheiße und ich krieg ne Grippe oder Schlimmeres. Muss durchhalten! Muss! Sammy atmete ruhig. Aus dem Radio drang leise Musik an sein Ohr, konnte das Rasseln in seiner Brust aber nicht übertönen. Die feuchte Kälte der Nacht löste nur langsam ihren Griff von seinen Beinen. Rotz schickte sich an, aus seinem linken Nasenloch hervor zu kriechen. Als er es einsog, schmerzte sein Hals erneut. Ein Gefühl, als wäre ein Tennisball mit Wucht gegen seinen Kehlkopf geprallt, beförderte nicht unbedingt seinen Optimismus, die kommende Stunde heil zu überstehen. Seinen großen Erwartungen drohte schon jetzt, bevor es überhaupt richtig zur Sache ging, der Erstickungstod. Er versuchte sich irgendwie abzulenken und konzentrierte seine Wahrnehmung auf die Mädchen. Ich muss mich irgendwie in Stimmung bringen. Er versuchte sie sich vorzustellen, wie sie lasziv die Straße auf und ab gingen in ihren hautengen Leggings, den Lackstiefeln. Er dachte, an ihre prallen Pobacken und ihren Ausschnitt, die hervorwölbenden Brüste - aber der gewünschte Effekt wollte sich nicht einstellen. Noch immer war ihm heiß und kalt zu gleich. Gerade durchfuhr wieder ein eisiger Schauer seinen Körper, nur für ein Paar Zehntelsekunden zwar, aber doch ausreichend, um seinen Gedankenstrom kurzzeitig zu unterbrechen. Als er aufgebrochen war, vor Stunden, ging es ihm noch ganz gut. Aber eigentlich hatte er sich schon den ganzen Tag nicht wirklich gut gefühlt, wenn er ehrlich war. Und dann noch dieser Regenguss, der ihn kurz vor seinem Ziel überrascht hatte. Er konnte sich nicht unterstellen. Musste die Bahn kriegen, unbedingt (!). Umwege. Hindernisse. Gleich zu Beginn seiner Reise hätte ihn beinahe ein Laster erfasst. Er dachte er käme nie an. Nun war er am Ziel seiner Träume und… kämpfte um sein Überleben. Dieses Unternehmen stand unter keinem guten Stern. Aber Sammy war entschlossen die Sache jetzt durchzuziehen, so oder so. Er hatte das Geld. Er hatte die Gelegenheit. Er war den ersten Schritt gegangen, er war hier! Ich gehe nicht mit leeren Händen, nicht als Verlierer zurück! Niemals! Vielleicht gehe ich nie mehr zurück an diesen - Ort! Zurück zum Affenmann...
Er war auf der Flucht. Das wurde ihm langsam klar. Am Nachmittag hatte ihn seine Mutter besucht - das erste Mal seit vielen Jahren. Er hatte Sie rausgeworfen, wollte ihre Erklärungen und Entschuldigungen nicht hören. Du hast mich dem Affenmann ausgeliefert. Seine Mutter hatte ihm das Geld hingeworfen und war laut schluchzend verschwunden. Dreihundert Euro für zwanzig verlorene Jahre; dieses Geld musste gut angelegt werden, hatte Sammy beschlossen. Es musste helfen, den Affenmann zu vertreiben. Er hatte ihn gesehen, den Affenmann, vergangene Nacht. Sammy erschauderte wieder. Nicht eine drohende Grippe, die nackte Angst befiel ihn, wenn er an dieses Heim, in dem er jetzt lebte, dachte. Schon immer hatte er sich dort unwohl gefühlt, aber seit zwei Tagen durchlebte er dort einen unvorstellbaren Schrecken. Es wurde viel über den Affenmann gemunkelt. Sammy hatte bis zuletzt nicht wirklich daran geglaubt. Aber vorletzte Nacht war er ihm tatsächlich begegnet: Dreht euch nicht rum, der Affenmann geht um... Seine Augen fingen an zu tränen. Und als er sie schloss, strömte plötzliche eine wahre Flut von Bildern in rascher Folge auf ihn ein:

Er liegt in seinem Kinderzimmer im Bett. Er ist ungefähr sechs Jahre alt. Es ist mitten in der Nacht. Ein Mann, der nach Schnaps riecht, kniet vor seinem Bett und spricht zu ihm. Der Mann sagt, er sei Pförtner in einer Klinik. Sammy fragt ihn, ob er sein neuer Papa sei. Der Mann lacht und gibt ihm einen kleinen Schluck Klaren zum kosten. Er spürt den Geschmack von brennendem Anis. Das leise Weinen seiner Mutter dringt aus dem Wohnzimmer an seine Ohren...
Als nächstes liegt er wieder nachts im Bett. Er ist jetzt zwölf oder dreizehn. Es riecht nach Bohnerwachs und Desinfektionsmittel. Er ist nicht in seinem Kinderzimmer. Er ist im Heim. Die Schienen an seinen Füßen tun so weh. Er weint: Mama! Mama! Ich will hier weg! Bitte, bitte! Mama! Ich will wieder nach Hause! Bitte! Mamaaaaaa....!
Wieder im Bett. Keine Schienen mehr, kein Weinen. Er ist ganz allein. Starrt aus dem Fenster. Es riecht muffig. Dann sieht er den Schatten. Den großen schwarzen Schatten. Groß und Schwarz! Dann ein Gesicht. Es ist beharrt Er kann nichts sagen, nicht schreien. Liegt einfach nur da und starrt es an. Irgendwoher kennt er dieses Gesicht. Plötzlich eine Stimme die nicht seine ist, die Stimme eines kleinen Mädchens. Sie kreischt: „DER AFFENMANN WAR DA! DER AFFENMANN WAR DA! DER AFFENMANN!“ Ein hysterisches Lachen dröhnt in seinem Schädel...

„So Schatz, da bin ich wieder. Sorry, hat ’n Moment gedauert aber jetzt gerade ist die Hölle los und ich brauchte auch noch neue Zigaretten. Hab mir ’nen Whisky mitgebracht. War doch okay, oder?"
Sammy machte die Augen auf. Ich darf mir jetzt nichts anmerken lassen, dachte er.
„Alkohol am Arbeitsplatz...?", fragte er und hob tadelnd den Zeigefinger.
Vicky lachte. „Na du bist ja ‚n Witzbold. Aber ich muss mich erstmal ’n bisschen aufwärmen. Rauchst du eine mit?"
„Ich denke, lieber nicht, danke."
Sie zog sich ihre Stiefel aus und legte sich zu Sammy aufs Bett. Sammy konnte nun direkt in ihr Gesicht sehen. Er erkannte braune Augen, sah, dass ihre Haare zum Teil nachgefärbt waren und betrachtete ihre kleine, formschöne Nase. Natürlich trug sie ein Piercing, am linken Nasenflügel. Er atmete wieder tief ein und diesmal blieb der Hustenreiz zum Glück aus. Sie roch nach einem Parfüm, das er nicht kannte.
„Ja richtig, entspann dich erstmal. Kommst du von weit her?"
„Ja, aus dem Norden, Frohnau."
„Frohnau, kenne ich nicht. Und lebst du da allein, oder in so einer Wohngruppe?"
„Etwas in der Art ja. Es gibt Leute, die uns helfen, aber wir können kommen und gehen wann wir wollen. Du kennst dich anscheinend in diesem Bereich aus, oder..." Diesmal verursachte der Zigarettenrauch den nächsten Hustenanfall. Vicky wedelte mit ihrer Hand den Rauch aus seinem Gesichtsfeld. „Entschuldige, ich mach sie besser aus. Wie? Ach so, ich hatte mal ’n Gast, der war Betreuer in so einer Behinderten-WG. Allerdings waren die alle geistig behindert, also das stell ich mir echt hart vor, dort zu arbeiten. Ich könnte das nicht. Darf ich fragen, was du für eine Krankheit hast? Ist das durch ’n Unfall oder...?"
„Ich sage nur, Spas-mus-sein", er versuchte ein verschmitztes Lächeln aufzusetzen.
„Wie?"
„Ich bin das, was man einen Spasti nennt und zwar seit m...meiner Geburt." Schon wieder dieses kurze Ziehen in seinem Kopf, wie ein feiner Nadelstich. Sammy starrte an die Decke. Aus seinem linken Auge ran eine Träne. Vicky strich ihm sanft seine pinkfarbene Haarsträhne aus der Stirn zur Seite.
„Sorry, ich wollte nicht zu persönlich werden. Mann, deine Stirn ist ganz heiß. Bist du auch wirklich in Ordnung?"
„Ja, ja wirklich. Mach dir keine Sorgen. Ich bin etwas nervös, weist du. Ist schon ne Weile her, dass ich... dass ich..."
Jetzt legte sie ihre Finger auf seinen Mund. "Schhh! Ganz ruhig mein Schatz. Wir haben Zeit. Kein Grund nervös zu sein. Was möchtest du denn machen?"
Ficken bis die Welt untergeht, dachte er.
„Ich...ich weiß nicht?"
„Vielleicht französisch. Ich mach mich auch gern frei, kannst mich ein bisschen anfassen, wenn du magst?" Mit routinierter Schnelligkeit hatte sie bis auf ihren blauen Push-up-BH und den schwarzen String-Tanga ihre übrigen Kleider abgelegt. Sammy streichelte mit seinen langen dürren Fingern zwischen ihren Brüsten umher.
„Gefalle ich dir?", fragte Vicky.
„J… ja, sehr!" Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern; doch im Geiste schrie er sie an: Hilf mir! Bitte, hilf mir! Hilf mir, den Affenmann zu vertreiben!
„Okay, dann genieß es jetzt einfach. Mach deine Augen zu."
Ihre Hände glitten über seinen Bauch zwischen seine Beine.
„Wow, da hat es aber jemand nötig. Dann wollen wir ihn mal aus seiner Enge befreien."
In seinem Kopf herrschte jetzt ein ziemliches Durcheinander; Angst und Erregung wechselten einander ab: Ich will meine Augen nicht zumachen. Dann kommt der Affenmann wieder. Er soll aber nicht kommen. Du musst ihn vertreiben. Kannst du es, Vicky? Kannst du den Affenmann aus meinem Kopf vertreiben? Oh ja! Du versuchst es, nicht wahr? Gut! Gut so! Mach weiter! Ich vertraue dir. Und Sammy schloss langsam wieder seine Augen...



Vicky atmete die feuchte Nachtluft ein. Sie fröstelte, trug jetzt
nur ein graues T-Shirt und Leggings. Feiner Nieselregen hatte inzwischen eingesetzt. Vicky war zufrieden. Viele ihrer Kunden hatten vorher ´ne große Klappe und gaben an mit ihrem Riesenschwanz. Hinterher hatten sie es dann eilig weg zukommen und schämten sich fast, bei ihr gewesen zu sein. Dieser Sammy war anders. Er war danach richtig aufgeblüht; er hatte sogar etwas von ihrem Whisky getrunken - ohne zu husten. Sie hatten gemeinsam eine geraucht und er hatte interessante, aber auch traurige Dinge aus seinem Leben erzählt, vor allem über seine Mutter. Weniger sprach er über das Heim, in dem er jetzt lebte. Vor allem aber hatte er danach viel entspannter gewirkt. Das vermittelte Vicky das Gefühl, ihren Job gut gemacht zu haben. Und dieses Gefühl gab der Nacht, die so beschissen begonnen hatte, doch noch eine positive Wendung.
Jetzt standen sie wieder auf der Straße, vor dem Bordell. Vicky hockte sich vor Sammy und sah ihn zärtlich lächelnd an: „So mein Großer, du versprichst mir, dass du dich sofort ins Bett legen lässt, wenn du zu Hause bist okay?" Dann gab sie ihm einen Kuss. „So, jetze bin ich auch infiziert" Sie lachte und stand auf: „Machs gut! War wirklich schön mit dir. Schau mal wieder vorbei."
„S...sicher! Ich fand es auch schön mit dir. D...Danke auch an Ronny für die Mütze"
„Na ja, Mensch, du brauchtest was aufm Kopf. Also ich geh rein sonst erwischt’s mich wirklich noch, tschüß!"
Vicky stand noch einen Moment in der Tür und sah ihm nach. Als sie sich abwenden wollte, hörte sie in der Finsternis plötzlich wieder das Wummern von Hardrockbässen. Und darüber Sammys krächzendes Freudengeheul.
„Jaaaaaaa! Jaaaaa… Der Affenmann… ist fort[/font]..."

Wenn ihr der Ansicht seit, hier sei für soetwas kein Platz, da es um den politischen Diskurs geht, löscht die Geschichte. Über Feedback gern auch nur als PM freue ich mich trotzdem

Kashariu
s grüßt