BEHÖRDEN / GESUNDHEITSPFLEGE
Laufend Männer
In Gießen an der Lahn gibt es 350 registrierte Dirnen und rund 2500 immatrikulierte Studentinnen. Das Gesundheitsamt der Stadt kümmert sich um die einen wie um die anderen: Wer sich libidinös verdächtig macht, wird untersucht, belehrt und verwarnt.
Denn die Verwaltung, sagt Gießens SPD-Oberbürgermeister Bernd Schneider, 43, "unterscheidet nicht zwischen HWG" -- häufig wechselndem Geschlechtsverkehr -- "aus Erwerbsgründen und Mädchen, die es aus Liebe oder Leidenschaft tun".
Unterschiede macht auch nicht die Statistik, die Folgen von Geschäft wie Leidenschaft festhält: 1965 wurden 686 Fälle von Gonorrhö und Lues aktenkundig, 1967 waren es schon 985.
Viele der Erkrankten -- 1967: 150 von 349 als verdächtig aufgegriffene Personen -- werden in Gießen direkt von der Straße geholt. Dafür sorgt Stadtgesundheitspfleger Hans Bernhard, 34 Jahre alt, verheiratet, Besoldungsgruppe BAT VII. Er durchstreift in nächtlichen Dienstreisen die erogenen Zonen der Universitätsstadt.
Und seinen wie seiner Helfer Augen entgeht so leicht nichts, auch nicht ein Neger in der Nacht.
* In der Nähe der Studentenkneipe "Scarabee" holte sich Bernhard eine 22jährige Medizinstudentin von der Seite eines Farbigen zu nächtlicher Untersuchung ins Amt. Die Studentin erinnert sich an Äußerungen, die Bernhard heute bestreitet: "Ein Drittel der Studentinnen geht auf den Strich." Und: "Besonders die Medizinerinnen."
* In der Nähe eines Bierlokais griff Bernhards Gesundheitsstreife eine 23jährige Stewardeß, die sich -- kaum drei Stunden in Gießen -- mit drei afrikanischen Freunden "unterhielt bzw. mit diesen herumalberte" (Gesundheitsamt).
* Eine 20jährige Krankenschwester wurde von Bernhard nach einem Hinweis der Kripo "als dringend krankheitsverdächtig" zur Untersuchung geladen und erhielt -- so behauptet die Schwester -- den Rat, sich "besser einen deutschen Freund zu suchen".
Bernhards rigorose Interpretation des "Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" findet in der Praxis anderer Städte kaum Parallelen. In Frankfurt muß vor dem Einschreiten einer sechs Mann starken Spezialeinheit "HWG eindeutig nachgewiesen werden". Und in Hamburg gelten als HWG-verdächtig "nur Prostituierte, sonst niemand" -- so ein Amtsarzt.
Die Gießener Art, erst einmal rasch zuzupacken, des Gesundheitspflegers merkwürdige Neigung, schwarz-weiße Geschlechtskombinationen bevorzugt zu kontrollieren -- das und zudem ein alles einhüllendes Konglomerat aus Trieb und Tratsch ordnete sich für Gießener Studenten zu einem überspannten Parallelogramm von Rassen- und Klassendiskriminierung.
Die unbeholfenen Rechtfertigungsversuche Bernhards ("Persönlich ein gutes Verhältnis zu den Farbigen") sowie der Stadtverwaltung ("Irgendeine Rassenfrage daraus zu machen, ist völlig abwegig") ließ bei den Studenten die Ereignisse in den "Hintergrund einer bruchlos aus dem Dritten Reich übernommenen Rassenideologie" verschwimmen.
Und in virtuoser Rebellier-Manier machten sich die Hochschüler auf zum Protest. Am Montag vorletzter Woche besetzten etwa fünfzig von ihnen ("Dürfen wir mal fragen, wo hier der ominöse Chef ist, der hier nur zuständig ist") das Zimmer 14 im ersten Stock des Stadt-Gesundheitsamts und begehrten in Solidarität mit den nächtlich Aufgegriffenen eine freiwillige Untersuchung.
Um das fixe Bild von moralischen Kleinstadt-Atavismen zu vervollständigen, richtete der Allgemeine Studentenausschuß (Asta) einen telephonischen Protokolldienst für gesundheitsamtliche Streifen-Opfer ein, "wobei wir strikte Diskretion und Anonymität zusichern".
Und Oberbürgermeister Schneider, der gegenüber Asta-Vertretern herabspielend bekundet hatte, die Studentenschaft lade "das alles auf den falschen Karren", wurde zu einem Teach-in auf das Universitätsgelände geladen.
Doch so luftig-belanglos konnten die studentischen Impressionen von örtlichen Moralvorstellungen gar nicht sein, daß sie von den bruchstückweise auftauchenden Details aus der Gesundheitspraxis Bernhards nicht doch noch bestätigt werden könnten.
Im Falle der blonden Medizinerin etwa, die bereits einmal "1966 beim Gesundheitsamt in Erscheinung" getreten war (Bernhard), verließ sich der amtliche Pfleger laut Akten des Gesundheitsamts eher auf Nachbarklatsch als auf die im Gesetz umschriebene Kontroll-Praxis.
Bernhard stützte sich etwa auf die Beschwerde des Hausherrn der Studentin, der 1966 dem Gesundheitsamt telephonisch mitteilte, seine Mieterin empfange "laufend Männer auf ihrem Zimmer", die manchmal sogar "durchs Fenster" kämen. Dazu Bernhard: "Da damit der Verdacht auf HWG erhärtet wurde, sah ich mich veranlaßt, Nachforschungen anzustellen."
Die Studentin erinnert sich noch an die Recherche: Bernhard "druckste so herum, legte einen Geldschein auf den Tisch und wollte mich ganz offensichtlich animieren, mit ihm ins Bett zu gehen". Pfleger Bernhard bestreitet die Geldofferte. Fest steht, daß die Studentin nach der Konsultation nicht mehr in der Überwachungskartei des Gesundheitsamts geführt wurde.
Erst nachdem Bernhard im September die Studentin (in Begleitung eines Farbigen) auf der Straße wiedergesehen hatte -- und sie prompt wieder zur Untersuchung ins Amt holte -, nahm er auch die Hausbesuche bei der Nachbarschaft wieder auf, um sich erneut lange Geschichten über die nächtliche Abwesenheit der Studentin anzuhören, die um diese Zeit schwanger war und manchmal beim Vater ihres Kindes übernachtete.
Gießen hat nach dem Studenten-Protest Konsequenzen besonderer und allgemeiner Art gezogen. Zuerst beschloß der Magistrat eine Personalaufstockung im Gesundheitsamt, damit Bernhard -- so Amtsdirektor Eichelsbacher -- die Vorladungen "nicht mehr allein überbringen muß". Seit letztem Montag will die Stadt überdies "mit allen ... Mitteln gegen jede Rassendiskriminierung vorgehen".
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45922008.html
Zwangsuntersuchung in Gießen aus dem Jahre 1968
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- Admina
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Zwangsuntersuchung in Gießen aus dem Jahre 1968
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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RE: Zwangsuntersuchung in Gießen aus dem Jahre 1968
Geprüftes Frischfleisch
Zwangsuntersuchungen an Dirnen, noch immer in vielen Gesundheitsämtern üblich, gehen an den Risikogruppen vorbei.
Nachts gingen sie im Hamburger Stadtteil St. Pauli auf "Nuttenjagd". Wenn die Mitarbeiter des Zuführdienstes in den schummrigen Rotlichtvierteln eine Prostituierte ohne gültiges Gesundheitszeugnis ("Bockschein") aufgriffen, kannten sie kein Pardon: In einem grünen VW-Bus fuhren die Beamten die Dirne sofort zum städtischen Gesundheitsamt, wo ein Amtsarzt die überfällige Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten vornahm.
So war die Praxis in Hamburg bis Anfang 1987. Dann schaffte die Hansestadt, wie zuvor bereits die Stadt Bremen, die medizinischen Zwangstests ab. Fortan mußten die Prostituierten nicht mehr regelmäßig in der "Zentralen Beratungsstelle" des Gesundheitsamtes oder bei einem niedergelassenen Arzt vorsprechen, um einen Abstrich machen zu lassen. Das Gesundheitsamt bot ihnen an, freiwillig zur Untersuchung vorbeizuschauen.
Die Oppositionsparteien in der Hamburger Bürgerschaft waren entsetzt: "Bodenloser Leichtsinn", schimpfte der CDU-Gesundheitsexperte Sieghard-Carsten Kampf. Die Untersuchungen, kritisierte seinerzeit auch die FDP-Abgeordnete Meta Stölken, seien "ein wichtiger Schutz für die Prostituierten und ihre Kunden".
Genau das allerdings bezweifelt Alfons Heinz-Trossen, Autor einer jetzt veröffentlichten Studie über die Arbeit der westdeutschen Gesundheitsämter. Seine Untersuchung rechtfertigt nachträglich den liberalen Beschluß: Nach seinen Erkenntnissen gehen die Kontrolluntersuchungen, wie sie viele deutsche Gesundheitsämter noch immer von den Prostituierten verlangen, an den eigentlichen "epidemiologisch relevanten Gruppen" völlig vorbei.
Durch die regelmäßigen Tests, notiert Heinz-Trossen, Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Wiesbaden, würden vorwiegend "professionelle Prostituierte aus Bars und Sex-Clubs" erfaßt. Solche berufsmäßigen Dirnen aber haben laut Trossen ohnehin ein "starkes Eigeninteresse, sich ihre Gesundheit und damit auch die Gesundheit ihrer Kunden zu erhalten".
Tatsächlich ist lediglich ein Bruchteil der professionellen Dirnen mit dem HIV-Virus infiziert. Von 502 Prostituierten, die sich beispielsweise im Gesundheitsamt Wiesbaden zwischen 1985 und 1991 einem Aids-Test unterzogen, waren nur 4 HIV-positiv.
Von knapp 9000 Prostituierten, die 1989 in bundesdeutschen Gesundheitsämtern auf dem Untersuchungsstuhl Platz nahmen, waren gerade 2 Prozent an Tripper (Gonorrhö) und 0,5 Prozent an Syphilis (Lues) erkrankt. Erheblich höher lag die Zahl dieser Erkrankungen bei nicht zum Lustgewerbe zählenden Personen mit "häufig wechselndem Geschlechtsverkehr": Bei 15 Prozent von ihnen wurde Tripper, bei fast 6 Prozent Syphilis diagnostiziert.
Berufsmäßige Prostituierte, folgert Heinz-Trossen aus den Befunden, seien weit weniger als Risikogruppe zu betrachten als der promiskuitive Teil der Normalbevölkerung wie etwa "partnerwechselnde Singles". Aus medizinischer Sicht wäre es, wie Heinz-Trossen anmerkt, eher angebracht, "männliche Urlaubsheimkehrer aus asiatischen Ländern zwangszutesten".
Die "unprofessionellen" Prostituierten wiederum, wie Heinz-Trossen sie nennt, die oftmals einer Risikogruppe angehören und eine hohe Durchseuchung mit sexuell übertragbaren Krankheiten aufweisen - insbesondere mit dem HIV-Virus -, werden durch Zwangstests nicht erfaßt.
Rauschgiftsüchtige etwa, die hektisch anschaffen gehen, damit sie ihren nächsten Schuß finanzieren können, entziehen sich meist den behördlich verordneten Untersuchungen. Unter den zuletzt gerade noch 1000 von schätzungsweise 6000 Prostituierten, die Mitte der achtziger Jahre in Hamburg beim Gesundheitsamt registriert waren, "befanden sich so gut wie keine Fixer", erinnert sich die Diplompädagogin Cornelia Freyher von der Zentralen Beratungsstelle, obwohl speziell die Gruppe der Beschaffungsprostituierten "rapide angewachsen" sei.
Im Hamburger Stadtteil St. Georg sind heute 80 Prozent aller Prostituierten drogenabhängig, ein Drittel von ihnen hat Aids.
Noch magerer sieht die Bilanz der Gesundheitsämter beim "Baby-Strich" aus: 1989 konnten nur 25 minderjährige Prostituierte über die Beratungsstellen der Gesundheitsämter erreicht werden - geschätzt wird, daß es 10 000 bis 20 000 jugendliche Stricher und Dirnen in der Bundesrepublik gibt.
Die einzige Chance, an die gesundheitlich gefährdeten Personen heranzukommen, bieten nach Heinz-Trossens Ansicht "niedrigschwellige Angebote auf freiwilliger Basis". Er empfiehlt seinen Kollegen deshalb, "aufsuchende Sozialarbeit" zu betreiben, statt "faul hinter dem Amtstisch zu sitzen".
Seit drei Streetworker-Teams in Hamburg die einschlägigen Straßen, Hinterzimmer und Hofeinfahrten aufsuchen, ist es erstmals gelungen, viele rauschgiftsüchtige Beschaffungsprostituierte, Strichjungen sowie die stark isolierten ausländischen Prostituierten gesundheitlich zu betreuen. Im Stadtteil St. Georg, der seit Jahren mit massiven Drogenproblemen zu kämpfen hat, wurde kürzlich eine weitere Beratungsstelle für Prostituierte ("Strich-Punkt") eröffnet - zum Team der Streetworker gehören neben vier Sozialarbeiterinnen eine Ärztin, eine Arzthelferin sowie eine Krankenschwester.
Beharrlich weigern sich jedoch die Gesundheitsämter vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, von den medizinisch überflüssigen Zwangstest abzurücken. In München etwa müssen sich die Dirnen alle 14 Tage auf Tripper und alle Monate auf Syphilis untersuchen lassen; einem Aidstest haben sie sich viermal jährlich zu unterziehen. Nach zwei vergeblichen Mahnungen folgen notfalls Zwangsmaßnahmen, was aber, wie der Leiter des Münchner Gesundheitsamtes, Norbert Kathke, versichert, "äußerst selten erforderlich" sei.
Die Verfechter einer rigorosen Überwachung von Prostituierten berufen sich auf das Geschlechtskrankheitengesetz aus dem Jahre 1953. Danach müssen Personen, welche "dringend verdächtig sind, geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiter zu verbreiten", dem zuständigen Gesundheitsamt "auf Verlangen" ein Zeugnis "über ihren Gesundheitszustand" vorlegen.
In dem Gesetz - das schon deshalb überholt ist, weil es sich ausschließlich auf die "klassischen" Geschlechtskrankheiten wie den harmlosen Tripper bezieht - werden die Prostituierten allerdings an keiner Stelle als besondere Risikogruppe erwähnt. Für Zwangstests gebe es daher "keine rechtliche Grundlage", meint Jan Leidel, Leiter des Kölner Gesundheitsamtes.
Als besonders fatal werten Kritiker, daß etwa jedes fünfte Gesundheitsamt den Dirnen die Untersuchung auch noch schriftlich bestätigt. Im rheinland-pfälzischen Koblenz gehört zum gelben "Bockschein" sogar, wie zum Reisepaß, ein ordnungsgemäßes Lichtbild.
Statt die Sex-Kunden daran zu gewöhnen, eigenverantwortlich Kondome zu benutzen, suggerieren solche amtlichen Kontrollscheine den Freiern, käufliche Liebe sei zumindest bei geprüften Dirnen ohne Risiko - ein gefährlicher Trugschluß: Kein Gesundheitstest kann, im Zeitalter von Aids mit einer Inkubationszeit von vielen Jahren, vollständige Sicherheit garantieren.
Der Kölner Gesundheitsamts-Chef Jan Leidel warnt vor einer "Kumpanei zwischen Gesundheitsämtern und Bordellbesitzern": Der Kontrollschein, meint Leidel, helfe allenfalls einigen Zuhältern, verunsicherte Kunden nicht zu verlieren - "nach dem Motto: Mein Frischfleisch ist amtlich geprüft".
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9272378.html
Es unglaublich, das beim man von konservativen Hardliner der CDU , wie Frau Steinbach , Frau Pantel und andere Politiker und Prostituionsgegner , die absurde und menschenverachtende Forderungen gestellt werden in Deutschland die Pflichtuntersuchungen wieder einzuführen. Und das in Österreich sie immer noch pratitziert wird.
So ist neben der Einführung von Gesundheitsuntersuchungen und einer Bestrafung von Freiern vor allem die Einführung eines Mindestalters von 21 Jahren zentral, um besonders schutzbedürftige junge Frauen und Mädchen vor Zwangsprostitution und Gewalt zu bewahren."
http://www.finanzen.net/nachricht/aktie ... en-4042150
Zwangsuntersuchungen an Dirnen, noch immer in vielen Gesundheitsämtern üblich, gehen an den Risikogruppen vorbei.
Nachts gingen sie im Hamburger Stadtteil St. Pauli auf "Nuttenjagd". Wenn die Mitarbeiter des Zuführdienstes in den schummrigen Rotlichtvierteln eine Prostituierte ohne gültiges Gesundheitszeugnis ("Bockschein") aufgriffen, kannten sie kein Pardon: In einem grünen VW-Bus fuhren die Beamten die Dirne sofort zum städtischen Gesundheitsamt, wo ein Amtsarzt die überfällige Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten vornahm.
So war die Praxis in Hamburg bis Anfang 1987. Dann schaffte die Hansestadt, wie zuvor bereits die Stadt Bremen, die medizinischen Zwangstests ab. Fortan mußten die Prostituierten nicht mehr regelmäßig in der "Zentralen Beratungsstelle" des Gesundheitsamtes oder bei einem niedergelassenen Arzt vorsprechen, um einen Abstrich machen zu lassen. Das Gesundheitsamt bot ihnen an, freiwillig zur Untersuchung vorbeizuschauen.
Die Oppositionsparteien in der Hamburger Bürgerschaft waren entsetzt: "Bodenloser Leichtsinn", schimpfte der CDU-Gesundheitsexperte Sieghard-Carsten Kampf. Die Untersuchungen, kritisierte seinerzeit auch die FDP-Abgeordnete Meta Stölken, seien "ein wichtiger Schutz für die Prostituierten und ihre Kunden".
Genau das allerdings bezweifelt Alfons Heinz-Trossen, Autor einer jetzt veröffentlichten Studie über die Arbeit der westdeutschen Gesundheitsämter. Seine Untersuchung rechtfertigt nachträglich den liberalen Beschluß: Nach seinen Erkenntnissen gehen die Kontrolluntersuchungen, wie sie viele deutsche Gesundheitsämter noch immer von den Prostituierten verlangen, an den eigentlichen "epidemiologisch relevanten Gruppen" völlig vorbei.
Durch die regelmäßigen Tests, notiert Heinz-Trossen, Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Wiesbaden, würden vorwiegend "professionelle Prostituierte aus Bars und Sex-Clubs" erfaßt. Solche berufsmäßigen Dirnen aber haben laut Trossen ohnehin ein "starkes Eigeninteresse, sich ihre Gesundheit und damit auch die Gesundheit ihrer Kunden zu erhalten".
Tatsächlich ist lediglich ein Bruchteil der professionellen Dirnen mit dem HIV-Virus infiziert. Von 502 Prostituierten, die sich beispielsweise im Gesundheitsamt Wiesbaden zwischen 1985 und 1991 einem Aids-Test unterzogen, waren nur 4 HIV-positiv.
Von knapp 9000 Prostituierten, die 1989 in bundesdeutschen Gesundheitsämtern auf dem Untersuchungsstuhl Platz nahmen, waren gerade 2 Prozent an Tripper (Gonorrhö) und 0,5 Prozent an Syphilis (Lues) erkrankt. Erheblich höher lag die Zahl dieser Erkrankungen bei nicht zum Lustgewerbe zählenden Personen mit "häufig wechselndem Geschlechtsverkehr": Bei 15 Prozent von ihnen wurde Tripper, bei fast 6 Prozent Syphilis diagnostiziert.
Berufsmäßige Prostituierte, folgert Heinz-Trossen aus den Befunden, seien weit weniger als Risikogruppe zu betrachten als der promiskuitive Teil der Normalbevölkerung wie etwa "partnerwechselnde Singles". Aus medizinischer Sicht wäre es, wie Heinz-Trossen anmerkt, eher angebracht, "männliche Urlaubsheimkehrer aus asiatischen Ländern zwangszutesten".
Die "unprofessionellen" Prostituierten wiederum, wie Heinz-Trossen sie nennt, die oftmals einer Risikogruppe angehören und eine hohe Durchseuchung mit sexuell übertragbaren Krankheiten aufweisen - insbesondere mit dem HIV-Virus -, werden durch Zwangstests nicht erfaßt.
Rauschgiftsüchtige etwa, die hektisch anschaffen gehen, damit sie ihren nächsten Schuß finanzieren können, entziehen sich meist den behördlich verordneten Untersuchungen. Unter den zuletzt gerade noch 1000 von schätzungsweise 6000 Prostituierten, die Mitte der achtziger Jahre in Hamburg beim Gesundheitsamt registriert waren, "befanden sich so gut wie keine Fixer", erinnert sich die Diplompädagogin Cornelia Freyher von der Zentralen Beratungsstelle, obwohl speziell die Gruppe der Beschaffungsprostituierten "rapide angewachsen" sei.
Im Hamburger Stadtteil St. Georg sind heute 80 Prozent aller Prostituierten drogenabhängig, ein Drittel von ihnen hat Aids.
Noch magerer sieht die Bilanz der Gesundheitsämter beim "Baby-Strich" aus: 1989 konnten nur 25 minderjährige Prostituierte über die Beratungsstellen der Gesundheitsämter erreicht werden - geschätzt wird, daß es 10 000 bis 20 000 jugendliche Stricher und Dirnen in der Bundesrepublik gibt.
Die einzige Chance, an die gesundheitlich gefährdeten Personen heranzukommen, bieten nach Heinz-Trossens Ansicht "niedrigschwellige Angebote auf freiwilliger Basis". Er empfiehlt seinen Kollegen deshalb, "aufsuchende Sozialarbeit" zu betreiben, statt "faul hinter dem Amtstisch zu sitzen".
Seit drei Streetworker-Teams in Hamburg die einschlägigen Straßen, Hinterzimmer und Hofeinfahrten aufsuchen, ist es erstmals gelungen, viele rauschgiftsüchtige Beschaffungsprostituierte, Strichjungen sowie die stark isolierten ausländischen Prostituierten gesundheitlich zu betreuen. Im Stadtteil St. Georg, der seit Jahren mit massiven Drogenproblemen zu kämpfen hat, wurde kürzlich eine weitere Beratungsstelle für Prostituierte ("Strich-Punkt") eröffnet - zum Team der Streetworker gehören neben vier Sozialarbeiterinnen eine Ärztin, eine Arzthelferin sowie eine Krankenschwester.
Beharrlich weigern sich jedoch die Gesundheitsämter vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, von den medizinisch überflüssigen Zwangstest abzurücken. In München etwa müssen sich die Dirnen alle 14 Tage auf Tripper und alle Monate auf Syphilis untersuchen lassen; einem Aidstest haben sie sich viermal jährlich zu unterziehen. Nach zwei vergeblichen Mahnungen folgen notfalls Zwangsmaßnahmen, was aber, wie der Leiter des Münchner Gesundheitsamtes, Norbert Kathke, versichert, "äußerst selten erforderlich" sei.
Die Verfechter einer rigorosen Überwachung von Prostituierten berufen sich auf das Geschlechtskrankheitengesetz aus dem Jahre 1953. Danach müssen Personen, welche "dringend verdächtig sind, geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiter zu verbreiten", dem zuständigen Gesundheitsamt "auf Verlangen" ein Zeugnis "über ihren Gesundheitszustand" vorlegen.
In dem Gesetz - das schon deshalb überholt ist, weil es sich ausschließlich auf die "klassischen" Geschlechtskrankheiten wie den harmlosen Tripper bezieht - werden die Prostituierten allerdings an keiner Stelle als besondere Risikogruppe erwähnt. Für Zwangstests gebe es daher "keine rechtliche Grundlage", meint Jan Leidel, Leiter des Kölner Gesundheitsamtes.
Als besonders fatal werten Kritiker, daß etwa jedes fünfte Gesundheitsamt den Dirnen die Untersuchung auch noch schriftlich bestätigt. Im rheinland-pfälzischen Koblenz gehört zum gelben "Bockschein" sogar, wie zum Reisepaß, ein ordnungsgemäßes Lichtbild.
Statt die Sex-Kunden daran zu gewöhnen, eigenverantwortlich Kondome zu benutzen, suggerieren solche amtlichen Kontrollscheine den Freiern, käufliche Liebe sei zumindest bei geprüften Dirnen ohne Risiko - ein gefährlicher Trugschluß: Kein Gesundheitstest kann, im Zeitalter von Aids mit einer Inkubationszeit von vielen Jahren, vollständige Sicherheit garantieren.
Der Kölner Gesundheitsamts-Chef Jan Leidel warnt vor einer "Kumpanei zwischen Gesundheitsämtern und Bordellbesitzern": Der Kontrollschein, meint Leidel, helfe allenfalls einigen Zuhältern, verunsicherte Kunden nicht zu verlieren - "nach dem Motto: Mein Frischfleisch ist amtlich geprüft".
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9272378.html
Es unglaublich, das beim man von konservativen Hardliner der CDU , wie Frau Steinbach , Frau Pantel und andere Politiker und Prostituionsgegner , die absurde und menschenverachtende Forderungen gestellt werden in Deutschland die Pflichtuntersuchungen wieder einzuführen. Und das in Österreich sie immer noch pratitziert wird.
So ist neben der Einführung von Gesundheitsuntersuchungen und einer Bestrafung von Freiern vor allem die Einführung eines Mindestalters von 21 Jahren zentral, um besonders schutzbedürftige junge Frauen und Mädchen vor Zwangsprostitution und Gewalt zu bewahren."
http://www.finanzen.net/nachricht/aktie ... en-4042150
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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