Kampf dem "Dirnenunwesen" im Gießen der 50er Jahre

Historische Betrachtungsweisen der Prostitution - Ein Spiegel der jeweiligen Zeit und Moral.
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fraences
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Kampf dem "Dirnenunwesen" im Gießen der 50er Jahre

Beitrag von fraences »

Kampf dem "Dirnenunwesen" und Zunahme der "Besatzungskinder" im Gießen der 50er Jahre

GIESSEN - Mit den Amerikanern kamen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur Zigaretten und Schokolade nach Gießen - auch die Liebe, ob käuflich oder echt, und ihre Auswirkungen prägten das Miteinander der 1950er Jahre. Und das begann für die US-Verbände zunächst mit einem Verbot: "Do not fraternise!" Jedweder Kontakt zu Deutschen, sogar Unterhaltungen, waren den Soldaten untersagt. Die Armeeführung wollte klarstellen, dass man nicht als Befreier kam, sondern Deutschland der besiegte Feind war. Allerdings wurde dieses Verbot schrittweise gelockert - bis zu seiner Abschaffung am 1. Oktober 1945.

Der Großteil der Gießener Bevölkerung hielt sich an die neuen Regeln, für manche stellte die Nachkriegszeit jedoch einen Ausnahmezustand mit vielen Tabubrüchen dar. "Man muss an dieses Thema ganz behutsam herangehen, in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg mussten Viele ums Überleben kämpfen", versucht Karl-Heinz Reitz, Experte für die Amerikaner in Gießen, die Geschehnisse zu erklären. Bei einer Frau mit drei kleinen Kindern, deren Mann in Kriegsgefangenschaft geraten war, ergebe sich das zwangsläufig. Die Amerikaner hatten diesen Frauen einiges zu bieten, allen voran konnten sie die Versorgung sichern. Dabei waren die Arten der Beziehungen vielfältig: über die reine Prostitution und eben Versorgungspartnerschaften bis hin zur echten Liebe. Mit der Zeit entwickelten sich durchaus sehr enge Bindungen zwischen Gießenern und Amerikanern. "Schokolade, Zigaretten und Kaffee waren alles Luxusartikel, die sie mitbrachten. Zugleich trugen die Soldaten aber dazu bei, dass überall, wo sie stationiert waren, die Prostitution stark anstieg", so Reitz. Weder den Stadtvätern noch der Besatzungsmacht gefiel diese Entwicklung. Im Februar 1953 berichtete der Anzeiger über ein Zusammentreffen des "Deutsch-Amerikanischen Ausschusses". Demnach sollte ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, neben dem umfangreichen "Schwarzmarktunwesen" auch "das Problem des überhandnehmenden Dirnenunwesens zu bekämpfen". Die Militärpolizei, die deutsche Polizei und das Gesundheitsamt wurden angeleitet, gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen. "Infektionskrankheiten, Geschlechtskrankheiten und viele heimliche Abtreibungen sowie das heimliche Weggeben von Kindern waren in den 1950er Jahren sehr präsent", erklärt der Amerika-Experte. Die Besatzungsmacht gibt diesen Frauen den verächtlichen Beinamen "Veronika Dankeschön", was als satirische deutsche Übersetzung für "Veneral Diseases" ("Sexuell übertragbare Krankheiten") gilt. Damals prägte die Zeitschrift "Quick" die Kosebezeichnung für Gießen als "Shanghai an der Lahn". Denn die Ausgaben, um Geschlechtskrankheiten einzudämmen, seien 15 Mal höher als in vergleichbaren Orten. Ganz zu schweigen von der immensen Prostituiertendichte.

"GI-Babys"

Brennpunkt der Prostitution war die Bahnhofstraße. Reitz schmunzelt, wenn er sich daran erinnert, wie bemüht die Militärpolizei darum war, Ordnung zu gewährleisten. "Als Schüler in der seinerzeit noch in der Ludwigstraße gelegenen Herderschule bin ich mit meinen Freunden immer in Richtung Bahnhofstraße gelaufen und habe mir dort angeschaut, wie die Soldaten hollywoodreif aus den Etablissements geholt wurden." Vor allem an den "Paydays" der GIs sei das häufig vorgekommen. Welch geringe Handhabe die Armeeführung gegen die "Veronikas" hatte, zeigte sich jedoch im November 1954, als es im Anzeiger hieß, dass man die festgenommenen "leichten Mädchen" nicht ihrer persönlichen Freiheit berauben könne, indem sie beispielsweise in geschlossenen Häusern untergebracht würden.

"Resultat" dieser unterschiedlichen Beziehungen zwischen US-Soldaten und Gießener Frauen waren häufig die sogenannten "GI-Babies" beziehungsweise "Besatzungskinder". Ihre Zahl wurde im April 1955 im Anzeiger auf 317 beziffert - für ganz Westdeutschland wird sie auf etwa 400 000 geschätzt. Dieses Phänomen barg aber häufig ein Problem: Die Väter weilten oft nur für eine begrenzte Zeit vor Ort und waren bereits in die Heimat zurückgekehrt, bevor ihr Nachwuchs zur Welt kam. So konnten sie sich leicht ihrer Pflicht entziehen. "Fest steht, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Väter sich nicht um ihre Kinder kümmern", ist in dem Artikel zu lesen.Folglich mussten die Mütter oder Verwandte für den Unterhalt aufkommen. Bei aller gegenseitig versicherten Wertschätzung, wird das als drückend und demütigend empfunden. "Die 'Amis' benahmen sich schlecht, fuhren rücksichtslos Auto, schwängerten deutsche Mädchen und ließen sie dann sitzen", fasst Dr. Ludwig Brake in seinem Beitrag in "800 Jahre Gießener Geschichte 1197-1997" die damalige Stimmung zusammen.

Es gab weder Vaterschaftstests noch Rechtswege für die Frauen, wenn die Männer sich außerhalb der Bundesrepublik aufhielten. Über 100 der Kinder in Gießen mussten von der öffentlichen Wohlfahrt unterstützt werden. Viele von ihnen litten gleich in mehrfacher Hinsicht darunter. Sie kannten teils ihre Väter nicht, fühlten sich im Stich gelassen und waren in der Gesellschaft als uneheliches Kind eines Besatzers stigmatisiert. Hinzu kamen bei sogenannten "Brown Babies" - also dem Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters - die offensichtliche "Andersartigkeit"

http://www.giessener-anzeiger.de/lokale ... 215872.htm
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Fakten und Infos über Prostitution

Doris67
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Beitrag von Doris67 »

Das heißt, mal ganz deutlich formuliert: Es gab noch zehn Jahre nach dem Krieg überall Armuts-/Elendsprostitution in Deutschland. Und dann wundert man sich heute, daß Frauen aus armen Ländern (ganz zu schweigen von durch unsere Kriege zerstörten Ländern) hier anschaffen kommen? Und macht auf "Opferrettung" und "Befreiung"? Die Heuchelei ist offensichtlich eine Meisterin aus Deutschland.
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