Prostitution als gesellschaftliches Problem

Historische Betrachtungsweisen der Prostitution - Ein Spiegel der jeweiligen Zeit und Moral.
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ETMC
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Prostitution als gesellschaftliches Problem

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als PDF
http://www.soziales.fh-dortmund.de/died ... _marie.pdf


Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften

Prostitution als gesellschaftliches Problem

„Die Hure“
Ken Russell (1991)


Hausarbeit für das Seminar
Soziale Problemlagen und gesellschaftliche Hilfen in
fiktionalen Kino- und Fernsehfilmen (SozPäd-Movies)
von
Prof. Dr. Helmut Diederichs

vorgelegt von
Fabienne Marie
8. Semester Soziologie (Diplom)
Sommersemester 2006

03.06.2006
Page 2
2
Inhaltsverzeichnis
Einleitung.....................................................................................................................3
1 Prostitution...........................................................................................................4
1.1
Die rechtliche Lage der Prostituierten..........................................................4
1.2
Formen der Prostitution................................................................................5
1.3
Die Wahl der Prostitutionsform ...................................................................8
1.4
Der Zuhälter .................................................................................................8
1.4.1
Die Aufgaben des Zuhälters.................................................................9
1.4.2
Die Typen des Zuhälters ....................................................................10
1.5
Der Freier ...................................................................................................11
1.5.1
Die Beweggründe der Freier..............................................................11
1.5.2
Die Typen des Freiers ........................................................................12
1.5.3
Das Risiko Freier – Selbstschutz der Prostituierten...........................13
1.6
Die Prostituierte..........................................................................................14
1.6.1
Der Weg zur Prostitution....................................................................14
1.6.2
Lebensplanung der Prostituierten.......................................................15
1.6.3
Folgen der Prostitution.......................................................................15
1.7
Zusammenfassung – Die Situation der Prostituierten................................16
2 „Die Hure“, Kinofilm aus dem Jahr 1991, Ken Russell.....................................16
2.1
Inhalt...........................................................................................................17
2.2
Darstellung der Prostitution im Film - Einleitung......................................17
2.2.1
Formen der Prostitution im Film........................................................18
2.2.2
Der Zuhälter im Film..........................................................................18
2.2.3
Der Freier im Film..............................................................................19
2.2.4
Die Prostituierte im Film....................................................................21
Fazit............................................................................................................................21
Page 3
3
Einleitung
Ganz aktuell rückt die Prostitution im Rahmen der Fußball Weltmeisterschaft in den
Blick der Gesellschaft. Zur „Unterhaltung“ der männlichen Fußballfans sollen
zehntausende zusätzliche Prostituierte nach Deutschland geschleust werden und es ist
anzunehmen, dass darunter viele sind, die dem Gewerbe nicht freiwillig nachgehen.
1
Gerade diese Zwangsprostituierten vermitteln den Eindruck, dass es sich bei der
Prostitution um ein schwerwiegendes soziales Problem handelt. Ob das der Wahrheit
entspricht oder ob es sich dabei vielmehr um ein Dienstleistungsgewerbe mit
beruflicher Anerkennung handelt, ist in der heutigen Kultur umstritten. Tatsache ist
jedoch, dass die Prostitution auf viele Menschen eine gewisse Faszination ausübt.
Eine Vielzahl unterschiedlicher Filme zum Thema unterstreicht diese Aussage.
Dabei reicht die Darstellungsweise vom romantischen Hollywoodmärchen (Pretty
woman) bis zu belastenden Darstellungen des harten Lebens auf dem Strich (Ich
küsse nicht).
Um einen Film auf Authentizität und Qualität zu untersuchen, muss man jedoch
zunächst ein Bild des sozialen Problems aufzeichnen. Zu diesem Zweck befasse ich
mich zunächst mit der rechtlichen Situation der heutigen Prostituierten und der
Vielzahl von verschiedenen Formen der Prostitution, die sich in den letzten
Jahrzehnten entwickelt haben. Als zweiten Aspekt beleuchte ich die Stellung des
Zuhälters zu „seiner“ Hure und die Funktionen, die er in dieser Stellung innehat. Als
dritten Punkt ist es notwendig auf die Rolle des Kunden / Freiers näher einzugehen.
Abschließend untersuche ich die Person der „Hure“. Aus welchem Milieu stammt sie
und warum wählt sie diesen Beruf? Wie sieht ihre Lebensplanung aus? Welche
psychischen und physischen Folgen riskiert sie?
Für den zweiten Teil der Arbeit habe ich de Film „Die Hure“ gewählt. Nach einer
kurzen Inhaltsangabe werde ich beleuchten, wie in diesem Film mit dem Problem der
Prostitution umgegangen wird. Ist dem Regisseur eine realistische Darstellung
gelungen? Oder zeigt der Film ein vollkommen verfälschtes Bild eines „harten“
Gewerbes, wie man das in vielen Romantikkomödien wie „Pretty Woman“ oder
„Taschengeld“ vor Augen geführt bekommt? Abschließend stellt sich dann natürlich
die Frage, welches Bild der Film überhaupt vermitteln wollte und inwieweit dies dem
Regisseur gelungen ist.
1
Vergl.: www.n24.de 24.01.2006
Page 4
4
1 Prostitution
Nicht umsonst wird die Prostitution noch immer auch als „das älteste Gewerbe der
Welt“ bezeichnet. Der Tausch von sexuellen Dienstleistungen gegen eine materielle
Art der Bezahlung existierte schon einige tausend Jahre vor Christus, nur hat sich die
Art der Ausübung und die Stellung der Prostituierten im Laufe der Geschichte immer
wieder gewandelt. Im antiken Griechenland waren Huren Dienerinnen der Göttin
Aphrodite, die in deren Tempeln ihrem Gewerbe nachgingen. Im Mittelalter waren
sie als Reisende gesellschaftlich voll anerkannt. Unter dem Einfluss der katholischen
Kirche wurden sie wegen ihrer nicht sittlichen Lebensweise verurteilt.
2
Eine
historische Betrachtungsweise der Prostitution sprengt jedoch den Rahmen dieser
Arbeit, so dass ich mich auf die Stellung der Prostituierten heute beschränken werde.
Eine ähnliche Einschränkung mache ich bei der Definition der Prostitution. Roland
Girtler bezeichnet Prostitution als eine „z.T. gesetzlich und z.T. informell geregelte
und sozial gebilligte bzw. geduldete Einrichtung, bei der Frauen Geschlechtsverkehr
– im engsten und weitesten Sinn – gegen Geld ermöglichen.“
3
Betrachten werde ich
hier nur die „klassische“ Prostitution. Ehefrauen aus dem Katalog, die junge Geliebte
eines alternden Millionärs, und ähnliche, teilweise gesellschaftlich umstrittene
Phänomene werde ich nicht weiter berücksichtigen.
1.1 Die rechtliche Lage der Prostituierten
Die rechtliche Lage der Prostituierten ist heute von Land zu Land unterschiedlich. In
Deutschland arbeiten die rund 400.000 Berufsprostituierten mittlerweile legal in den
dafür vorgesehenen Gebieten. Die Arbeit in so genannten Sperrbezirken (z.B. in der
Nähe von Schulen oder Kirchen) ist genauso wie das Werben für sexuelle
Dienstleistungen (z.B. in Zeitschriften) strafbar. Durch Inkrafttreten des
Prostitutionsgesetzes im Dezember 2001 haben Huren die Möglichkeit, ihre
Bezahlung einzuklagen. Des Weiteren können sie sich sowohl gesetzlich, als auch
privat krankenversichern. Viele private Krankenkassen lehnen Prostituierte auf
Grund des erhöhten Risikos ab.
4
Ein steigendes Gesundheitsbewusstsein der
„freiwilligen“ Prostituierten (84% der vaginalen und oralen Sexualkontakte mit
Kondom, 1996) lässt hier jedoch auf Vorurteile von Seiten der Behörden schließen.
5
2
Vergl.: Girtler 2004, S. 280 ff
3
Girtler 2004, S. 17
4
Vergl.: www.wikipedia.de/ Prostitution
5
Vergl.: Ahlemeyer 1996, S. 214
Page 5
5
In vielen Städten sind Prostituierte zu regelmäßigen Untersuchungen auf
Geschlechtskrankheiten verpflichtet (z.B. München). In anderen Städten, z.B. in
Frankfurt, bieten Gesundheitsämter diese Untersuchungen auf freiwilliger Basis an.
6
Laut Schätzungen gibt es in Deutschland 100.000 bis 200.000 Prostituierte
Ausländerinnen, hauptsächlich aus Osteuropa, Kolumbien, Thailand und
Schwarzafrika. Hierbei handelt es sich oft um illegal eingeschleuste Prostituierte, die
durch kriminelle Organisationen mit falschen Versprechungen ins Land geloggt und
dann zur Prostitution gezwungen werden. Diese Form des Menschenhandels und
damit die Zwangsprostitution ist in Deutschland illegal.
7
Andere Länder haben in Bezug auf Prostitution eine andere Gesetzgebung: In den
Niederlanden ist sie legal und gesellschaftlich akzeptiert. Schweden hat die
Prostitution bisher nicht legalisiert, allerdings werden die Kunden und nicht die
Huren bestraft. Vollständig verboten ist Prostitution beispielsweise in den meisten
Staaten der USA.
8
1.2 Formen der Prostitution
Laut Zahlen von 1995 arbeiten 64 % der Prostituierten in Bars, Clubs und Bordellen,
16 % auf dem „sauberen“ Straßenstrich und 8 % auf dem Drogenstrich. Bei den
restlichen 12 % handelt es sich um Callgirls, Frauen in Telefonsex-Argenturen und
Ähnlichem.
9
Der Übergang ist allerdings oft fließend, da die Prostituierten z.T.
mehrere Arten parallel ausüben. So arbeiten z.B. viele Frauen tagsüber in einer
Wohnung und nachts auf dem Straßenstrich (s.u.).
Beim Straßenstrich handelt es sich um die traditionellste Form der Prostitution. Er ist
zudem oft das erste Arbeitsgebiet einer „neuen“ Prostituierten. Das Zusammentreffen
zwischen Freier und Hure ist hier meist sehr kurz, da der Sexualkontakt in der Regel
im Auto des Freiers oder in einem „Stundenhotel“ erfolgt. Bevor es zu einem solchen
kommt, nennt die Prostituierte einen festen Preis für ihre Dienstleistung (meist
Fellatio und Koitus). Das Entblößen der Brüste und ähnliches sind nicht im Preis
inbegriffen und müssen auf Wunsch extra bezahlt werden. Die Frauen auf dem
Straßenstrich haben häufiger einen Zuhälter als bei einigen anderen Formen der
Prostitution, da diese unter anderem untereinander die „Stellplätze“ für ihre Huren
6
Vergl.: Riecher 1995, S. 101 f
7
Vergl.: www.wikipedia.de/Prostitution
8
Vergl.: www.wikipedia.de/Prostitution
9
Vergl.: Riecher 1995, S. 18
Page 6
6
verhandeln. Im Idealfall sind in einer Straße verschiedene Typen Frauen vertreten.
Allerdings gibt es hier eine Rangfolge. In Straßen mit einem besseren Ruf, sind in
der Regel auch die hübscheren und jüngeren Frauen zu finden. Befragte Prostituierte
beschreiben diesen „Arbeitsplatz“ einerseits als anstrengend, da sie lange stehen und
den Temperaturschwankungen ausgesetzt sind. Andererseits ist der Kontakt zum
Freier meist auf einige Minuten beschränkt und eine emotionale Bindung leichter zu
verhindern.
10
Der Drogenstrich unterscheidet sich vom „normalen“ Straßenstrich durch die meist
niedrigeren Preise. Zudem fehlt den Frauen meist die Option, Freier ablehnen zu
können. Damit steigt auch die Häufigkeit, mit dem die Prostituierten ungeschütztem
Sexualkontakt zustimmen.
Der Babystrich bezeichnet Straßenprostitution, auf dem die Frauen in der Regel
minderjährig sind. Es handelt sich dabei meist auch um eine Form der
Beschaffungsprostitution, da die Mädchen in den meisten Fällen drogenabhängig
sind. Je nach Alter der Mädchen ist diese Form der Prostitution illegal und hat vor
allem für den Freier strafrechtliche Folgen.
Eine andere stark verbreitete Form der Prostitution findet in Bordellen und so
genannten Eros-Centern statt. Diese Häuser sind meist durch äußere Zeichen zu
erkennen (z.B. rote Herzen in den Fenstern). Die Huren zahlen hier sehr hohe
Mieten, die sie täglich ohne Betrachtung der Einnahmen entrichten müssen und die
sie leicht, z.B. bei Verdienstausfall durch Krankheit, in die Schuldenfalle geraten
lassen, wenn die Tagesinnahmen die Ausgaben nicht decken können. Allerdings ist
der Schutz der Prostituierten von den Betreibern des Hauses gewährleistet, ein
Zuhälter also überflüssig. Die Kontaktaufnahme zwischen Hure und Kunde findet in
der hauseigenen Bar statt. Alternativ gibt es Häuser, in denen die Frauen in
schaufensterartigen Zimmern sitzen oder die potentiellen Freier durch das Gebäude
laufen und in die offenen Zimmer schauen.
11
Auch die Wohnungsprostitution ist weiterhin stark verbreitet. Hierbei teilen sich in
der Regel zwei oder mehrere Frauen eine Wohnung, in der die Freier empfangen
werden, sich eine Prostituierte auswählen und sich mit dieser auf ein Zimmer
zurückziehen können. Der Kontakt erfolgt zunächst über Telefon, d.h. der Freier
sieht die Frauen vorher nicht. Kunden werden entweder durch Annoncen in
einschlägigen Zeitungen oder durch Mundpropaganda gewonnen. Da die
10
Vergl.: www.wikipedia.de/Prostitution
11
Vergl.: Riecher 1995, S. 20 f
Page 7
7
Wohnungen von außen nicht erkennbar sind und das persönliche Ansprechen einer
Prostituierten entfällt, ist diese Form der Prostitution für den Freier zunächst
anonymer. Die Frauen arbeiten oft mit geregelten Dienstplänen in verschiedenen
Schichten, da hier anders als beim Straßenstrich den ganzen Tag Kunden empfangen
werden können. Der Kontakt zwischen Hure und Freier dauert oft länger und ist von
höherer Qualität. Zusätzlich ist das Angebot häufig ausgefallener, so stehen
beispielsweise spezielle Räume für sadomasochistische Praktiken usw. zur
Verfügung.
12
Die Club-Prostitution umfasst meist einen längeren Kontakt zwischen Hure und
Freier. Dieser wird zunächst dazu aufgefordert in der eigenen Bar etwas zu trinken
und mit der Prostituierten seiner Wahl Konversation zu betreiben. Die Prostituierte
erhält je nach Etablissement 30-70 % der Einnahmen durch Sexualverkehr und
Getränkekonsum. Sie zieht somit einen persönlichen Nutzen aus einem möglichst
lange andauernden Kontakt.
13
Die Callgirls lösen heute häufig die klassischen Formen der Prostitution ab. Hierbei
vermittelt eine Agentur die Huren auf telefonische Bestellung. Da der Kunde die
Frauen nicht vorher gesehen hat, ist von Seiten der Telefonisten häufig großes
Fingerspitzengefühl gefragt. Die gewünschte Dienstleistung wird dann in einem
Hotel oder der Wohnung des Kunden vorgenommen.
Im Gegensatz zum Besuch eines Callgirls ist der Kontakt bei der Nutzung eines
Escort-Services meist nicht zeitlich begrenzt. Die „gemieteten“ Frauen begleiten die
Freier häufig zunächst zu Veranstaltungen u.ä., bevor es zum Sexualkontakt kommt.
Sie unterscheiden sich daher auch durch ihre Berufskleidung von den anderen
Prostituierten, da sie nicht als solche zu erkennen sein dürfen, d.h. sie tragen stilvolle
klassische Kleidung und das entsprechende Make up dazu. Agenturen sichern das
häufig durch eine feste Kleiderordnung.
14
Weitere Formen der Prostitution findet man in S/M-Studios, in denen häufig ältere
Huren als Dominas arbeiten, die vorher in einem anderen Etablissement tätig waren.
In Sex-Kinos zahlen die Frauen meist eine Grundabgabe an die Betreiber. Als
„Platzanweiserinnen“ nähern sie sich dann den Kunden, um deren Wünsche im Saal
oder in den zugehörigen Zimmern zu erfüllen.
12
Vergl.: Riecher 1995, S. 22 f
13
Vergl.: Riecher 1995, S. 24 f
14
Vergl.: Ahlemeyer 1996, S. 74
Page 8
8
In ländlichen Gegenden, die häufig nicht über Bordelle u.ä. verfügen, findet man
gelegentlich Wohnwagenprostitution. Hier warten die Huren auf Rastplätzen usw.
auf Freier.
Die Form der Prostitution, die den Kontakt zwischen Hure und Kunden am
geringsten hält, ist der Telefonsex, für den in Zeitungen oder Fernsehspots geworben
wird. Beide Personen geben hier am wenigsten von sich selbst preis.
1.3 Die Wahl der Prostitutionsform
Warum eine Prostituierte sich für eine bestimmte Form der Arbeit entscheidet, kann
verschiedene Unsachen haben. Zum einen spielt die körperliche Verfassung der Frau
eine große Rolle. Eine sichtbar Drogenabhängige, die für die Befriedigung ihrer
Sucht anschaffen geht, wird in keinem „besseren“ Etablissement arbeiten können,
genauso wenig, wie eine sehr unattraktive Frau. Auch das Bildungsniveau spielt eine
Rolle, für einen Escort-Service ist es notwendig, Konversation führen zu können und
eine Frau, die kaum ein Wort deutsch spricht, würde in einem Club nicht viel
verdienen. Hinzu kommen aber vor allem auch persönliche Vorlieben und
Abneigungen. Einige bevorzugen den kurzen Kontakt mit dem Freier, der auf dem
Straßenstrich die Regel ist und nehmen dafür in Kauf, lieber mehr Freier zu
„bedienen“. Andere entscheiden sich für ein oder zwei Freier am Tag, denen sie dann
aber durch eine längere Kommunikation psychisch näher kommen. Wieder andere
sind nicht bereit, bestimmte Praktiken auszuführen und deshalb nicht für alle Formen
geeignet (z.B. S/M-Studio).
1.4 Der Zuhälter
Während heute wohl kaum noch jemand sagen würde, der Beruf der Prostituierten
sei einfach, scheint die Stellung des Zuhälters kaum an Reiz verloren zu haben.
Vielmehr verkörpern viele Musiker bewusst das klassische Bild des Zuhälters mit
großen Autos, Goldketten, Pelzmänteln und einem „Stall“ voll Frauen. Betrachtet
man dieses Bild, stellt sich die Frage, ob ein Zuhälter heute wirklich so aussieht und
in welchem Verhältnis er zu seinem „Stall“ steht. Dazu muss man jedoch erstmal
beleuchten, was ein Mann tun muss, um als Zuhälter zu gelten. Juristisch gesehen ist
ein Mann ein Zuhälter, der aus der Prostitutionstätigkeit einer Frau einen finanziellen
Page 9
9
Nutzen zieht.
15
Dies ist allerdings in fast jeder eheähnlichen Beziehung im Gewerbe
der Fall und der Lebensgefährte einer Prostituierten wird so automatisch zum
Zuhälter. Bei meiner Betrachtung der Position des Zuhälters werde ich diese
ausklammern und mich auf den „klassischen“ Zuhälter beschränken. Grundsächlich
ist zunächst anzumerken, dass der moderne Zuhälter selten über einen „Stall“ von
Frauen verfügt. Vielmehr handelt es sich in den meisten Fällen um den
Lebenspartner der Prostituierten, der damit nur eine Frau in seiner Obhut hat.
16
Lässt
ein Zuhälter jedoch, mehrere Frauen für sich arbeiten, nutzt er häufig seine
„Erstfrau“ zu Werbezwecken. Diese genießt allerdings weiterhin einen besonderen
Stellenwert, auch wenn er mit jeder „seiner“ Huren sexuell verkehrt (s.u.).
17
Auch
bei der Zwangsprostitution verfügt der Zuhälter über eine oder mehrere Frauen. Je
nach Verhältnis, in dem der Zuhälter zu seiner oder seinen Huren steht, können sich
auch die Aufgaben unterscheiden, die er für seine Entlohnung zu verrichten hat.
1.4.1 Die Aufgaben des Zuhälters
In erster Linie ist es die Aufgabe des Zuhälters, den Schutz der Prostituierten zu
gewährleisten. Das gilt sowohl für den Schutz vor Freiern, als auch für den Schutz
vor anderen Zuhältern, anderen Huren und der Polizei. Unter Zuhältern gibt es einen
Ehrenkodex, der verbietet, dass einer die Hure des anderen misshandeln, ansprechen
oder „antesten“ darf.
18
Des Weiteren regeln die Zuhälter untereinander das
Standrecht auf dem Straßenstrich (s.o.) und verhindern so Konkurrenzkämpfe unter
den Prostituierten. In Falle einer Verhaftung stellt der Zuhälter für seine Prostituierte
die Kaution. Um die Hure vor gewalttätigen Freiern zu schützen, behält der Zuhälter
meist den Überblick, über die Aufenthaltsorte „seiner“ Prostituierten und bleibt
gelegentlich auch in der Nähe. Häufig fährt der Zuhälter die Hure auch zur Arbeit,
holt sie später wieder ab und fährt sie zu Gesundheitsuntersuchungen. Gerade ein
Zuhälter, der sich auf „neue Huren“ spezialisiert hat, d.h. der unerfahrene Frauen zur
Prostitution bringen will, übernimmt nicht selten auch die Ausstattung der Frauen.
Dabei lehrt er sie, was für Kleidung und Make up sie verwenden müssen, schickt sie
zum Frisör und kauft die Kondome. Hinzu kommt, dass der Zuhälter den Marktwert
der Hure aufzeigt. Gerade bei einem angesehenen Zuhälter ist die Prostituierte stolz,
15
Vergl.: Ringdal 2006, S.426
16
Vergl.: Girtler 2004, S. 103
17
Vergl.: Girtler 2004, S. 114
18
Vergl.: Riecher 1995, S. 77
Page 10
10
ihn zeigen zu können. Die typischen Rollenmuster drehen sich im Grunde um, denn
die Frau arbeitet und der Mann symbolisiert ihren Erfolg, indem er das größte Auto
und der schönsten Pelz besitzt.
19
Der Zuhälter in der oft durch Banden organisierten
Zwangsprostitution übernimmt diese Rolle beispielsweise nicht.
1.4.2 Die Typen des Zuhälters
Im Folgenden beschreibe ich die zwei verschiedenen Typen des Zuhälters, wobei
deutlich wird, dass die Hauptaufgabe des „netten“ Zuhälters wohl vielmehr auf einer
emotionalen Ebene liegt, als in der Sicherung der Arbeitsbedingungen.
Unter die Beschreibung des „netten“ Zuhälters fällt in erster Linie der Freund der
Prostituierten, der sie jedoch mit voller Absicht manipuliert und zur Prostitution
auffordert. Seine Taktik zeichnet sich dadurch aus, dass er der Hure alles entgegen
bringt, was ihr auf zwischenmenschlicher Ebene sonst vorenthalten wird. Nicht
selten sucht er bewusst nach Frauen ohne enge soziale Bindungen (z.B. Heimkinder).
Durch geschickte Manipulation gerät die Frau in ein psychisches
Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem „Freund“, aufgrund dessen er sie dann zur
Prostitution überreden kann. Bei dem Kontakt zwischen Freier und Hure kommt es
auf Seiten der Frau zu keiner emotionalen oder körperlichen Befriedigung, vielmehr
fühlt sie sich oft nicht als Mensch anerkannt (s.u.). Ihr Zuhälter ist deshalb
notwendig um diese Lücke zu füllen. Er nimmt sie als „normale Frau“ war, soll
Liebe und Zärtlichkeit geben, sie respektieren und sexuell befriedigen. Da nur er
dazu in der Lage ist, gerät die Frau allerdings in eine immer tiefere Abhängigkeit zu
ihrem Zuhälter, der sich im Gegenzug für seine „Dienste“ entlohnen lässt. Da sich
dies auf einer finanziellen Ebene abspielt, wird so im Grunde der Zuhälter zur „Hure
der Hure“.
20
Auf der anderen Seite steht der heute allerdings rückläufige brutale „schlechte
Zuhälter“, der vor allem bei der Zwangsprostitution zu finden ist, in der die Huren
dem Gewerbe nicht freiwillig nachgehen. Sein Umgang mit der oder den
Prostituierten ist hauptsächlich von Gewalt und Zwang geprägt. Er sieht in der Hure
sein Eigentum, das er notfalls mit Gewalt dazu bringen darf, seinen Anforderungen
zu entsprechen. Zudem können die Frauen ihn nicht einfach „verlassen“, da dies für
den Zuhälter finanzielle Einbußen zur Folge hätte, die er nicht zu tragen bereit ist.
19
Vergl.: Girtler 2004, S. 151 f
20
Vergl.: Girtler 2004, S. 121
Page 11
11
Der Prostituierten bleibt somit nur die Möglichkeit, einen neuen Zuhälter zu finden,
der eine Ablösesumme zahlt oder sich selbst freizukaufen, wenn sie nicht Gefahr
laufen will, von ihren Zuhälter verfolgt zu werden. Diese Form der Zuhälterei ist
heute im legalen Gewerbe nicht mehr prestigeträchtig, so dass ein gewalttätiger
Zuhälter von allen Seiten auf Ablehnung stößt. Physische Gewalt gegenüber der
Prostituierten ist nur legitim, wenn sie entgegen dem Kodex des Milieus gehandelt
und beispielsweise einen Zuhälter angezeigt hat. Nicht selten rechtfertigt sich diese
Form des Freiers auch damit, die Frau wolle diese grobe Behandlung und bettele
regelrecht darum.
21
Während Zwangsprostituierte nie die Möglichkeit haben, sich für oder gegen
Zuhälterei zu entscheiden, steht dies der legalen Prostituierten im Idealfall frei. Dabei
ist der Trend „weg von der Arbeit mit einem Zuhälter“ zu erkennen.
22
Immer mehr
Prostituierte emanzipieren sich und bestimmen selbst über ihr Leben und ihre Arbeit.
Bei den Anderen hingegen ist die Wahl nicht ganz freiwillig, denn einen
„schlechten“ Zuhälter erkennt man am Anfang vermutlich nicht als solchen. Genauso
wenig erkennt man den „netten“ Zuhälter, da dieser mit falschen Versprechungen
und Täuschungen arbeitet und viele Prostituierte lange in ihm nur den Freund sehen
und nicht erkennen, dass es sich bei ihrem Verhältnis um Zuhälterei handelt.
1.5 Der Freier
Unter einem Freier oder Kunden versteht man einen Mann, der einer Prostituierten
für ihre Dienste ein Entgelt zahlt. Das es sich dabei nicht immer um eine sexuelle
Dienstleistung handeln muss, wird später näher beleuchtet. Laut Untersuchungen
sind durchschnittlich 18 % der Männer in Deutschland Freier, die Zahl steigt in
Großstädten allerdings deutlich an. Eine Prostituierte bedient wöchentlich im Schnitt
32 Kunden. Beim ersten sexuellen Kontakt mit einer Prostituierten liegt das
Durchschnittsalter der Freier bei 22 Jahren.
23
1.5.1 Die Beweggründe der Freier
Die Gründe, mit denen Männer Prostituierte aufsuchen, sind vielfältig und von Mann
zu Mann verschieden. Befragungen im Prostituiertenmilieu ergaben, dass die
regelmäßig gewünschten Praktiken stark von dem Sexualverhalten in Beziehungen
21
Vergl.: Girtler 2004, S. 132 ff
22
Vergl.: Girtler 2004, S. 112
23
Vergl.: Riecher 1995, S. 31
Page 12
12
abweichen. Beispielsweise kommt es beim Kontakt zwischen Freier und Hure in 71
% der Fälle zu Fellatio, während dieser in Partnerschaften deutlich seltener
ausgeführt wird.
24
Man kann also davon ausgehen, dass die Möglichkeit
verschiedener Praktiken, die der Mann der eigenen Partnerin eventuell nicht zumuten
möchte, bzw. deren Ausübung diese verweigert und die er stattdessen mit
Prostituierten erleben kann, ihn zum Freier werden lässt. Weitere Gründe liegen im
Erlebnischarakter, der Besuch eines Bordells wird in einer Männerrunde evt. zum
kulturellen Großereignis, und dem optischen Reiz hübscher und als solche klar
erkennbarer Prostituierten. Einige Männer lockt an diesem Gewerbe in erster Linie
das Gefühl der Macht gegenüber der Frau, da sie in seinen Augen frei zur Verfügung
steht. Er hat die Möglichkeit des einfachen Zugangs zu Sexualkontakten, bei der er
durch entsprechende Bezahlung sicher von dem erhofften Erfolg ausgehen kann.
Zusätzlich ist der Kontakt für ihn unverbindlich, d.h. er geht gegenüber der Frau trotz
des erfolgten Geschlechtsverkehrs keine Verpflichtungen ein. Es gibt jedoch auch
viele Freier, die den Umgang mit Prostituierten nicht in erster Linie aus sexuellen
Motiven suchen. Sie sehen in der Frau vielmehr eine Person, bei der sie über
Probleme und Sorgen aus ihrem Alltag reden können und von der sie sich verstanden
fühlen. Immer wieder berichten Prostituierte davon, für einzelne Freier mehr die
Rolle einer Psychotherapeutin, als einer Hure übernommen zu haben.
25
1.5.2 Die Typen des Freiers
Entsprechend der Gründe mit denen ein Mann den Kontakt zu einer Prostituierten
sucht, lässt er sich in verschiedene Typen des Freiers einteilen.
Der „unbefriedigte“ Kunde sucht bei der Prostituierten nach sexueller Erfüllung, die
er sonst nicht erhält. Dies kann zum einen an einer fehlenden und schwer zu
erreichenden Partnerschaft liegen, in der er seine Bedürfnisse ausleben könnte. Zum
anderen fallen darunter Männer, die besondere Wünsche haben, für deren Ausübung
ihre Partnerinnen nicht in Frage kommen (z.B. sadomasochistische Praktiken) oder
gebundene Männer, deren Frauen nicht im gleichen Maße das Verlangen nach
sexuellen Kontakten verspüren.
26
24
Vergl.: Riecher 1995, S. 32
25
Vergl.: Ahlemeyer 1996, S. 112 ff
26
Vergl.: Girtler 2004, S. 171
Page 13
13
Der „perverse“ Kunde hat kein Interesse an „normalen“ Sexualpraktiken, sondern
benötigt das Extreme, um eine sexuelle Befriedigung zu erfahren. Er wird von den
Prostituierten in den meisten Fällen als ein Mann aus der Oberschicht beschrieben.
27
Der „unangenehme“ Kunde beinhaltet Männer, die ihren fehlenden Respekt der Hure
gegenüber deutlich zum Ausdruck bringen, sie beschimpfen oder gewalttätig werden.
Auf der anderen Seite beinhaltet diese Gruppe oft auch optisch abstoßende, alte oder
behinderte Männer. Zudem werden von einigen Prostituierten auch Ausländer dieser
Gruppe hinzugefügt.
28
Der „pathologische“ Kunde ist ein Mann mit schwerwiegenden
Persönlichkeitsstörungen, die den Aufbau einer normalen zwischenmenschlichen
Beziehung unmöglich machen. Sie nutzen die Prostitution als Möglichkeit der
Befriedigung, ohne dabei auf die Bedürfnisse des Sexualpartners eingehen zu müssen
und gelten daher als potentiell gewalttätig.
29
Der „Stammkunde“ ist in der Prostitutionsszene sehr beliebt, da die Hure vor Gewalt
sicher ist und ökonomisch profitiert. Zudem gilt er als Bestätigung für eine gut
ausgeführte Arbeit. Für den Kunden, der in den meisten Fällen als etwas älter und
verheiratet beschrieben wird, nimmt die Prostituierte häufig auch die Rolle der
Therapeutin an (s.o.). Allerdings entwickelt der Freier in diesem Verhältnis nicht
selten tiefere Gefühle für die Hure.
30
1.5.3 Das Risiko Freier – Selbstschutz der Prostituierten
Während der Freier in den meisten Fällen bestenfalls das Risiko eingeht, von der
Hure bestohlen oder um seine Dienstleistung gebracht zu werden, ist die Prostituierte
einer weitaus größeren Gefahr ausgesetzt. Auf der einen Seite muss sie sich vor
gewalttätigen Übergriffen schützen, auf der anderen Seite jedoch auch vor den
psychischen Verletzungen. Zu diesem Zweck entwickeln die meisten Frauen
Schutzmechanismen, um den Freier emotional nicht an sich heran zu lassen.
Während dem Sexualkontakt versuchen sie abzuschalten, indem sie an etwas anderes
denken oder Drogen konsumieren. Weiter verweigern sie „intimen“ Körperkontakt,
d.h. sie küssen nicht, lassen die Freier keine erogenen Zonen berühren und benutzen
Kondome. Durch das Vorspielen von Erregung oder „Dirty Talk“ versuchen sie, den
27
Vergl.: Girtler 2004, S. 178 f
28
Vergl.: Girtler 2004, S. 174 ff
29
Vergl: www.wikipedia.de/Prostitution
30
Vergl.: Girtler 2004, S. 180 f
Page 14
14
Kontakt zeitlich auf ein Minimum zu beschränken. Ihr Privatleben ist dem Zugang
des Freiers verwehrt. Kunden, die als sympathisch empfunden werden und damit
eine Gefahr darstellen könnten, werden abgelehnt. Zudem bestehen viele
Prostituierte auf ihr Recht, Freier oder Praktiken ablehnen zu können, da sie sich
damit ein Stück Würde erhalten.
31
Um sich vor Übergriffen zu schützen, werden aggressive und verhaltensauffällige
Freier abgewiesen und der Kontakt zu mehreren Freiern gleichzeitig von vorne
herein ausgeschlossen. Zum weiteren Schutz werden Telefonnummern bei
Hausbesuchen kontrolliert, Autonummern notiert und andere Prostituierte oder der
Zuhälter über den geplanten Aufenthaltsort und die Dauer einer „Verabredung“
informiert.
32
1.6 Die Prostituierte
Wie eingangs erwähnt, arbeiten in Deutschland rund 400.000 offizielle Prostituierte,
die Dunkelziffer liegt allerdings weitaus höher. Hinzu kommen eine Vielzahl
Gelegenheitsprostituierte. In einer Großstadt wie Frankfurt am Main kommt eine
Hure auf etwa 310 Einwohner. Bei einem derart verbreiteten Phänomen stellt sich die
Frage, aus welchen Gesellschaftsschichten die Prostituierten kommen und wie sie an
diese Art der Arbeit geraten.
1.6.1 Der Weg zur Prostitution
Natürlich gibt es studierte Huren aus intakten Familien, die Mehrzahl lässt sich
jedoch einem anderen sozialen Milieu zuordnen. In den meisten Fällen stammen sie
aus instabilen Familienverhältnissen, haben ein schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern
oder machen schon früh Erfahrungen in Heimen oder Jugendstrafanstalten. Im Schul-
oder Berufsalltag kommt es vermehrt zu Anpassungsschwierigkeiten.
33
Während
man auf den ersten Blick davon ausgeht, dass meist der Zuhälter eine Frau zur Hure
macht, zeigen Untersuchungen ein anderes Bild. Durch Heime oder einschlägige
Jugendmilieus knüpfen viele Mädchen erste Kontakte, häufig über Freundinnen, die
als Prostituierte arbeiten. Diese führen sie dann in das Berufsfeld der Hure ein.
34
Den
Mädchen fehlen sowohl der familiäre Zusammenhalt, als auch der gesicherte
31
Vergl.: Ahlemeyer 1996, S. 123 ff
32
Vergl.: Hoigard / Finstad 1987, S. 110 f
33
Vergl.: Girtler 2004, S. 36
34
Vergl.: Girtler 2004, S. 47 f
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15
finanzielle Hintergrund und oft eine gute Schulbildung. Die Möglichkeit, ohne eine
berufliche Qualifikation viel Geld zu verdienen, verführt die Mädchen zu den ersten
Versuchen als Prostituierte. In diesem Milieu erfahren sie die Zugehörigkeit zu
Anderen, an der es in ihrer Jugend häufig fehlte, so dass sie sich dort zunächst
angenommen fühlen. Die durchschnittliche Prostituierte ist bei Beginn ihrer Tätigkeit
17 Jahre alt.
1.6.2 Lebensplanung der Prostituierten
Die meisten Prostituierten haben die Vorstellung, einige Monate oder Jahre auf diese
Art schnelles Geld zu verdienen, um dann ein „ehrbares“ Leben mit Ehemann und
Kindern zu führen. Viele wünschen sich, später einen sozialen Beruf ergreifen zu
können. Dazu kommt es allerdings in den seltensten Fällen. Zwar beenden die
meisten Frauen die Arbeit als Prostituierte irgendwann, kehren jedoch schnell wieder
zurück. Zum einen fühlen sie sich oft von ihrem Umfeld isoliert, sollte ihre
Vergangenheit öffentlich werden. Zum anderen kommt es durch die vorherige
Tätigkeit zur Gewohnheit an einen gewissen Lebensstandard, den sie nach ihrem
Ausstieg selten aufrechterhalten können. Ihre früheren Pläne, das verdiente Geld zu
sparen, um sich damit ein gutes Leben zu ermöglichen, scheitern meist schon am
Anfang. Beobachtungen zeigen, dass die Prostituierten das auf diese Weise verdiente
Geld meist vollständig ausgeben, während sie Geld vom Sozialamt und Ähnlichem
eher sinnvoll nutzen.
35
Ob sie bei dem als Hure verdienten Geld das Gefühl haben, es
sei „schmutzig“ und müsse deshalb verbraucht werden, ist als möglicher
Erklärungsansatz unbewiesen.
1.6.3 Folgen der Prostitution
Auf der einen Seite, wird die Prostitution heute zumindest in Teilen der Bevölkerung
und in der Rechtssprechung als „normaler“ Beruf anerkannt. Zudem betont der
Soziologe Roland Girtler, der über einen längeren Zeitraum das Prostitutionsgewerbe
in Wien untersuchte, dass sich die Hure nicht „als „Ware“ sieht, die der Kunde
einfach kaufen kann, vielmehr versteht sie sich, dies lässt sich als typisch festhalten,
als eine Frau, die etwas anbietet, für das eben gezahlt wird. Der Unterschied zum
sonstigen Dienstleistungsgewerbe ist somit ein gradueller.“
36
Trotzdem sind die
35
Vergl. Hoigard / Finstad 1987, S. 77
36
Girtler 2004, S. 269
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16
psychischen und physischen Folgen der Arbeit einer Prostituierten nicht von der
Hand zu weisen. Der Schutzmechanismus des „Abschaltens“ (s.o.) kann irgendwann
zur Folge haben, dass das „Anschalten“ für die Frau unmöglich wird, so dass u.a. die
Orgasmusfähigkeit vollständig verloren geht. Das Gefühlsleben und die Fähigkeit,
eine emotionale Bindung zum Partner einzugehen, sind ebenfalls gestört. Was
zunächst nur Verwunderung über die einfache Sexualität des Mannes war, kann in
der Verachtung der Männlichkeit im Allgemeinen enden.
37
Neben den
schwerwiegenden psychischen Schäden und eventuellen Geschlechtskrankheiten,
sind Gelenkschäden, Allergien (z.B. gegen Latex), chronische Blasenentzündungen
und Entzündungen im Mundbereich häufige Folgen der Prostitution.
38
1.7 Zusammenfassung – Die Situation der Prostituierten
Anhand der Darstellung der Situation von Huren und der Gefahren, die sie von allen
Seiten umgibt, wird deutlich, dass es sich bei der Prostitution um ein soziales
Problem handelt, dass sich schon über Jahrhunderte durch die Gesellschaft zieht.
Zwar ist die Lage der Prostituierten heute besser, als noch vor 20 Jahren, doch einer
Lösung ist die Gesellschaft auch jetzt nicht näher. Dabei ist das Problem nicht die
einzelne Hure, der aus verschiedenen Gründen noch immer die Wahl fehlt, ein
anderes Leben zu führen, entweder weil sie gezwungen wird oder weil ihr die
Alternativen fehlen. Das Problem liegt vielmehr in einer Gesellschaft, die noch
immer nicht in der Lage ist, jedem Menschen die gleichen Möglichkeiten zu
gewähren. Das betrifft unter anderem Frauen und verstärkt Frauen aus Ländern der 3.
Welt, die mit dem Versprechen von einem besseren, bzw. gleichen Lebensstil wie
andere Menschen nach Deutschland gelockt werden und hier auf brutalste Weise
gezeigt bekommen, dass eben nicht alle die gleichen Chancen haben. Kate Millett
betont, Prostitution mache die soziale Situation von Frauen deutlich und mehrere
hunderttausend Huren zeigen allein in Deutschland deutlich, dass unsere Gesellschaft
von der Lösung ihrer Probleme noch weit entfernt ist.
2 „Die Hure“, Kinofilm aus dem Jahr 1991, Ken Russell
Sucht man gezielt nach Kino- und Fernsehfilmen, die sich mit dem Thema der
Prostitution auseinander setzen, stößt man auf eine Vielzahl von Werken, die mit
37
Vergl. Hoigard / Finstad 1987, S. 150 ff
38
Vergl.: www.wikipedia.de/Prostitution
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17
unterschiedlichsten Methoden und Ansprüchen an diese Thematik herangehen. Für
den Laien am bekanntesten sind dabei sicherlich wenig anspruchsvolle Komödien,
die häufig hauptsächlich durch eine Star-Besetzung glänzen. Da ich jedoch bevorzugt
einen realistischeren Film wählen wollte, entschied ich mich ohne diesen zu kennen
für „Die Hure“ (Whore) des Regisseurs und Drehbuchautors Ken Russell. Die
Hauptdarstellerin, die Hure Liz, wird dabei gespielt von der Schauspielerin Theresa
Russell.
2.1 Inhalt
Die erste Einstellung zeigt eine befahrene Straße, dann der Schwenk zu einer
offensichtlich als Prostituierte erkennbaren Frau. Die Hure Liz ist vor ihrem Zuhälter
geflohen und versucht nun, in dieser wenig einladenden Umgebung Geld zu
verdienen. Während sie auf Freier wartet, erzählt sie dem Zuschauer rückblickend
von ihren Erlebnissen als Prostituierte. Manch Freier ist ihr in guter oder schlechter
Erinnerung geblieben, in einem Lieferwagen wurde sie von einer Gruppe Männern
vergewaltigt und achtlos aus dem Auto geworfen und auch Freundschaften wurden
auf der Straße geknüpft. Ihrem Zuhälter Blake hingegen ist sie zunächst erlegen. Erst
später erkennt sie den Hintergrund dieser Verbindung und versucht die Flucht.
Während sie von diesen Erlebnissen berichtet, begibt sie sich weiter auf die Suche
nach einem Kunden, führt durch und beleuchtet das Milieu, in dem sie verkehrt und
begegnet verschiedenen Menschen. Der Konflikt mit ihrem Zuhälter spitzt sich zu
und endet schlussendlich tödlich.
2.2 Darstellung der Prostitution im Film - Einleitung
Der Film „Die Hure“ will als Milieudrama auf den ersten Blick ein schonungsloses
Bild der Situation heutiger Prostituierten aufzeigen. Zu diesem Zweck muss er
ehrlich und realistisch sein. Das Leben auf dem Strich sollte nicht durch
künstlerische Freiheit in ein anderes Licht gerückt werden.
Um zu beurteilen, ob dieser Film dem Anspruch einer realistischen Milieustudie
entspricht, muss die Darstellungsweise mit den literarisch belegten Untersuchungen
des Prostituiertenmilieus verglichen werden. Zu diesem Zweck werde ich den Film
nicht in zeitlicher Abfolge, sondern in Anlehnung an oben verwendete
Gruppierungen betrachten.
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2.2.1 Formen der Prostitution im Film
Die erste Einstellung, in der man Liz begegnet, ist bei ihrem Versuch, auf der Straße
Kunden zu werben. Auch spricht sie davon, dass die Freier an ihrer „Stammstraße“
Schlange standen, um mit ihr zu verkehren. Es ist also davon auszugehen, dass sie
sich hauptberuflich auf die Straßenprostitution konzentriert. Allerdings sind die
Übergänge wie schon angesprochen fließend. Ihren Freier Charlie, einen alten Mann,
besucht sie zunächst regelmäßig zu Hause und später in einem Altersheim. Ihr
Zuhälter erwähnt zudem in einem Kommentar, manche Freier würden telefonisch
Kontakt zu ihm aufnehmen.
Der Kontakt zwischen Liz und den Freiern „von der Straße“ findet in deren Wagen
statt. Gleichzeitig bietet sie ihnen die Möglichkeit eines Stundenhotels oder ihrer
Wohnungen an. Bevor sie in einen Wagen zusteigt, findet die Verhandlung über den
Preis für ihre Leistung statt. Diesen bittet sie jedoch den Kunden vorzuschlagen,
nachdem sie sich erkundigt hat, ob es sich bei dem Freier um einen Polizisten handelt
(in den USA ist Prostitution illegal, s.o.). In einer der letzten Szenen des Films
kommt es dann tatsächlich zu einem Sexualkontakt zwischen Hure und Freier. Die
Übergabe des Geldes ist die erste Handlung, woraufhin das Kondom ins Spiel
gebracht wird. Es ist deutlich sichtbar, dass sich Liz für den Verkehr nicht entkleidet,
sondern lediglich ihren Rock öffnet. Innerhalb weniger Minuten ist die
„Dienstleistung“ beendet und der Kontakt somit vorbei.
Der Drogenstrich wird von Liz in den Blick des Zuschauers gerückt, als ihr eine
süchtige Hure begegnet. Von dieser distanziert sie sich deutlich: die „Aidskranke“
macht schlechte Arbeit, die keine Romantik aufkommen lässt, nimmt nur Stoff als
Gegenleistung, kleidet sich extrem billig und „macht auf der Strasse die Beine
breit“
39
.
2.2.2 Der Zuhälter im Film
Schon gleich zu Anfang des Films erklärt Liz, warum sie an diesem
„unangenehmen“ Platz um Freier wirbt: sie befindet sich auf der Flucht vor ihrem
Zuhälter. Es dauert jedoch nicht lange, bis er auf der Suche nach ihr das erste Mal
selbst in Erscheinung tritt. Liz vermutet, dass „er nicht glaubt, dass sie ihn verlassen
will. Er denke, sie würde weiter für ihn Anschaffen gehen.“
40
Das Verhältnis
39
„Die Hure“ 1991
40
„Die Hure“ 1991
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zwischen beiden ist gestört; Liz beklagt sich darüber, dass er für ihr Nägelkauen
verantwortlich ist. Allerdings gesteht sie sich selber ein, dass dies nicht immer der
Fall war. In einem Rückblick schildert sie ein gemeinsames Abendessen, an dem sie
ein Jahr „zusammen“ waren. Als er sie in aller Öffentlichkeit beleidigt („Fett wie ein
Schwein, dämliche Kuh“), reagiert sie nicht mit Wut, sondern zeigt sich verletzt. Eine
Tätowierung zum Jahrestag erfüllt sie mit Stolz, da sie sich dadurch als etwas
Besonderes wahrnimmt. Erst später erfährt sie, dass dieses Symbol jede seiner Huren
trägt und fühlt sich nun vielmehr wie ein Stück gebrandmarktes Vieh in einer ganzen
Herde. Mittlerweile hat sie das Verhalten ihres Zuhälters durchschaut. Liz schildert,
dass er sie zuerst aufbaut, um sie dann klein zu machen. Die Frau fühlt sich nun ohne
ihren Zuhälter allein und schutzlos und glaubt, sie könne ohne ihn nicht mehr
existieren. Liebe empfinden sie dabei nicht, allerdings schaffen sie es, dass die
Prostituierte glaubt, sie zu lieben. Noch immer denkt Liz mit einem Lächeln an den
gemeinsamen Sex zurück.
Bei dem Zuhälter Blake handelt es sich offensichtlich um einen Stallzuhälter, der
beide Formen der oben beschriebenen Zuhälterei betreibt. Zu der emotionalen
Manipulation gesellt sich die deutliche Bereitschaft zur Gewaltausübung. Mehrfach
bedroht er Liz, plant sie „bearbeiten“ zu lassen, da sie ihre Arbeit nicht zu seiner
Zufriedenheit erfüllt und versucht am Ende des Films sogar, sie zu töten. Ihr
Versuch, ihn zu verlassen ist daher eher eine Flucht, als die Entscheidung einer
mündigen Erwachsenen.
Die Aufgabe, den Schutz während ihrer Arbeit zu übernehmen, erkennt Liz an. Blake
hingegen sieht darin viel mehr: Er und seine Huren sind vielmehr
„Geschäftspartner“, während sie „ficken“, ist er der Manager in einer „Mösenfabrik“.
Etwas Schlechtes sieht er darin nicht, denn er behauptet, Huren seien von Natur aus
Nymphomaninnen und würden schon mit einem Preisschild geboren.
Zu ihrer Sicherheit hält er das Gebiet im Auge, folgt ihnen oder kennt alle Plätze, an
denen sie ihrer Arbeit nachgehen. Zudem zahlt er Geldstrafen und Abtreibungen,
Arztbesuche, Kleidung und Kondome.
2.2.3 Der Freier im Film
Sowohl während ihrem Streifzug durch die Stadt, als auch in ihren Erzählungen
werden verschiedene Typen des Freiers und damit unterschiedliche Gründe, mit
denen sie dazu werden, vorgestellt. Der letzte Freier des Films, der schlussendlich
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20
die Eskalation des Konfliktes zwischen Liz und ihrem Zuhälter zur Folge hat, ist auf
den ersten Blick ein normaler Familienvater ohne besondere Merkmale oder
Wünsche, der vermutlich einfach die Abwechslung sucht. Er fällt damit in die
Kategorie des „unbefriedigten“ Kunden, genauso wie dies bei Charlie der Fall ist.
Dessen Motiv, eine Prostituierte zu „buchen“, sind jedoch andere. Liz erwähnt seine
Vorliebe für Schläge und sein höheres Alter. Es ist somit davon auszugehen das ihm
einerseits möglicherweise die Sexualpartnerin fehlt, oder er ihr andererseits seine
speziellen Vorlieben nicht offenbaren oder zumuten möchte. In die Kategorie des
„unangenehmen“ Kunden fällt Liz Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Blake.
Dieser Freier betont zunächst, er wolle, dass sie auch Spaß habe, beschimpft sie dann
allerdings als innerlich tot und misshandelt sie. Johnny, den Liz beschimpfen muss,
während er ihre Schuhe leckt und onaniert, fällt in die Kategorie des „perversen“
Kunden. Sowohl er, als auch Charlie sind gleichzeitig jedoch auch Stammkunden.
Der Schutz ihrer Person ist Liz sehr wichtig. Sie verwendet ohne Ausnahme
Kondome, weist einen potentiellen Freier, der auf diese verzichten will, immer
wieder ab. Zudem verweigert sie den Kontakt zu mehreren Freiern gleichzeitig und
verzichtet nach einer schlechten Erfahrung (Massenvergewaltigung) auf Kunden, die
einen Lieferwagen fahren. Psychisch schützt sie sich durch das Verbot, sich küssen
zu lassen, das auch ihr Zuhälter verteidigt. Auch versucht sie den Sexualkontakt mit
gespielter Erregung und Dirty Talk zu verkürzen.
Diese Schutzmechanismen scheinen allerdings nicht ausnahmslos zu funktionieren.
Sie selbst gesteht sich ein, dass ihr Charlie ans Herz gewachsen ist und dass das
eigentlich ein Fehler ist. Auch in der letzten Szene wird deutlich, dass sie in ihren
Kunden nicht nur Freier sondern auch Menschen sieht, als sie beherzt um das Leben
des Mannes kämpft und Blake darauf hinweist, dass er ein Leben hatte.
Trotzdem sagt sie von sich, dass sie Freier prinzipiell hasst, da viele von ihnen
denken, die Hure gehöre ihnen, sobald sie in ihren Wagen steigt. Im Verlauf ihrer
Erzählungen wird sie noch deutlicher und schildert die Freier mit hassverzerrten
Gesichtern. Entgegen ihrer eigenen Aussage, nur zu hassen, scheint sie sich
Gedanken über das Leben der Männer zu machen: „Sie müssen ein schreckliches
Leben haben, diese Männer meine ich. Irgendwas muss doch passiert sein, dass sie
so geworden sind. So ist man doch nicht von Geburt an, oder?“
41
.
41
„Die Hure“ 1991
Page 21
21
2.2.4 Die Prostituierte im Film
Immer wieder wird im Laufe von Liz Erzählungen darauf hingewiesen, welches
Bildungsniveau sie aufweist. Aus unsicheren Familienverhältnissen heraus, die
Mutter erzählte ihrer Tochter, dass der Vater trinkt, schaffte sie nach eigener
Aussage mit Mühe die Grundschule. Das Buch, das ihre Freundin Katie ihr schenkt,
ist das einzige, das sie bis dahin gelesen hat. Diese versichert ihr auch, sie sei nicht
dumm, ihre Bildung wäre nur schlecht. Während dem Abendessen mit Blake (s.o.)
fehlt es ihr sowohl an Benehmen, als auch an Erfahrung in „besserer“ Gesellschaft.
Während Katie ihr Selbstbewusstsein stärken will, weißt Blake sie unsanft auf ihr
Defizit hin „Weißt du denn gar nichts?“
42
. Er selbst, ansässig in demselben Milieu,
weißt allerdings ähnliche kulturelle Defizite auf. Ihre ersten Schritte als Prostituierte
unternahm sie dann nach einer gescheiterten Ehe auf das Drängen eines potentiellen
Freiers hin, dessen Geld sie nicht widerstehen konnte.
In der Situation, in der Liz ihre Geschichte erzählt, wird deutlich, wie sehr sie schon
jetzt unter ihrem Leben leidet. Sie ist desillusioniert und sich darüber im Klaren, dass
die wenigsten Frauen der Prostitution den Rücken kehren können. Trotzdem wird
deutlich, dass sie noch Träume hat: Sie möchte gebraucht werden und einen Grund
zum Leben haben, ihr Leben ändern und einen Mann finden. Oder wenigstens
Mätresse sein. Hohe Ansprüche stellt sie nicht mehr. So wünscht sie sich, doch
„wenigstens“ für einige Freier ein Mittel gegen die Einsamkeit darzustellen und
ihnen Trost zu spenden. Auf der anderen Seite zeichnet Liz ein Bild der völligen
Hoffnungslosigkeit: sie fürchtet, man sehe ihr das Leben an, das sie führt. Doch nicht
in ihrem Gesicht fange es an, sondern in ihrem Herzen, sie werde aufgefressen, wie
von einem Krebsgeschwür. Und auch die Hölle könnte nicht schlimmer sein.
Genauso hoffnungslos sieht sie ihre Beziehung zum anderen Geschlecht: „Früher
stand ich auf Sex…“
43
Ihre Zukunft sieht da anders aus: „Ich bin was Schwänze
betrifft für den Rest meines Lebens bedient.“
44
.
Fazit
Die Kritik auf der Hülle des Kaufvideos versprach einen Film, der „schamlos,
fesselnd und schockierend“ sein sollte. Schockiert war ich beim ersten Betrachten
wirklich, allerdings nicht wegen der drastischen Darstellung des
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Prostituiertenmilieus, sondern wegen der sofort ins Auge springenden Klischees, mit
denen in dem Film gearbeitet wird. Es stellte sich dabei die Frage, ob dieser Film
eine ernst zu nehmende oder eine bewusst übertriebene Form der Darstellung
verkörpern soll. Um dieser Frage nachzugehen, hielt ich es allerdings zunächst für
notwendig, den Wahrheitsgehalt des Filmes zu prüfen. Zu diesem Zweck verglich ich
mein vorhandenes Material mit den Darstellungen des Filmes und kam zu dem
Ergebnis, dass man dem Regisseur keine entscheidenden inhaltlichen Fehler
vorwerfen kann. Bestenfalls kann man ihm anlasten, dass er bestimmte Aspekte nicht
oder nur sehr einseitig behandelt hat. Besonders stark viel mir das zum einen auf, als
ich mich mit den „Sicherheitsvorkehrungen“ auf dem Strich beschäftigte. Das
zumindest meistens funktionierende Netz der Informationsweitergabe
(Autonummern usw.) zwischen den Prostituierten wird in Ken Russells Film nie
angesprochen. Bis auf eine Szene, in der Liz einer verletzten Hure helfen will,
scheint es, als gebe es zwischen den einzelnen Prostituierten kaum eine Verbindung.
Vielmehr wertet sie die anderen Huren, die ihr auf ihrem Streifzug begegnen, ab
(„die Aidskranke“, „die arme alte Nutte“).
Zum anderen wird meiner Meinung nach der Zuhälter Blake nur sehr oberflächlich
charakterisiert und lebt hauptsächlich von Klischees, die man einem Zuhälter
nachsagt. Während die Abhängigkeit der Hure zu ihm durch Liz sehr einprägsam
geschildert wird, verkörpert er durch seinen „Stall“ eine eher seltene und damit
weniger repräsentative Form des Zuhälters.
Liz hingegen wird als Hauptrolle des Films sehr einprägsam dargestellt. Die Art ihrer
Erzählung zeigt deutlich, in welch innerem Konflikt sie sich befindet und wie sehr
die Arbeit ihre psychische Gesundheit belastet. Auf der einen Seite hasst sie ihre
Freier, auf der anderen Seite denkt sie über deren schlechte Erfahrungen nach und
wünscht sich, von ihnen auch menschlich gebraucht zu werden. Ihren Dankesbrief an
den Mann, der sie nach der Vergewaltigung gefunden und sich um sie gekümmert
hatte, vergisst sie nicht, denn es scheint, dass sie die Enttäuschung über das
Ausbleiben einer Antwort noch nicht überwunden hat. In ihrer Rolle als Hure muss
sie jede Art von Gefühl ausblenden, doch man gewinnt den Eindruck, dass sie das
nicht schafft und das sie vermutlich über einen längeren Zeitraum daran zu Grunde
gehen würde. Dieser inneren Zerrissenheit, die ein Fachbuch über Prostitution nur
schwer vermitteln kann, misst der Regisseur des Films eine große Bedeutung bei.
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23
Man darf jedoch in einer kritischen Betrachtung des Films nicht außer Acht lassen,
dass es sich bei „Die Hure“ um einen Spielfilm und keine Dokumentation handelt.
Ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit ist dem Regisseur daher nicht zu
verwehren.
Welches Motiv Ken Russell mit diesem Werk schlussendlich vertreten hat, lässt sich
nicht mit Gewissheit sagen. Die Rückseite der Videohülle spricht von ihm als einem
einfühlsamen Regisseur, der „das Milieu des Straßenstrichs darstellen will –
schonungslos, vulgär, provokativ, knallhart“. Darin ist meiner Meinung nach auf
jeden Fall ein Körnchen Wahrheit enthalten. Egal ob man gewillt ist, den Film ernst
zu nehmen oder ihn nur als Karikatur sehen möchte, provozieren will der Regisseur
mit seinem Werk auf jeden Fall. Sexualität verkommt deutlich erkennbar zu einer
alltäglichen Routine, in der die Darstellerin sich während des Geschlechtsverkehrs
mit deutlich gelangweilter Miene eine Zigarette anzündet oder einen Freier ebenso
gelangweilt in einem Restaurant manuell befriedigt. Gleichzeitig scheut sie sich
nicht, das ganze Repertoire der Vulgärsprache zu gebrauchen, um ihre Meinung der
Öffentlichkeit preiszugeben. Erwartet man sich von diesem Film Anregungen zur
Bekämpfung der Prostitution sucht man danach vergeblich. Genauso wenig fündig
wird man auf der Suche nach einem anregenden Erotikfilm, was der Titel
möglicherweise vermuten lassen könnte. Ich denke allerdings, der Titel ist sehr
bewusst gewählt, denn er hat genau dieselbe Wirkung, die mit der Sprache, der
schonungslosen Darstellung oder auch dem Titelsong „I want to bang her“ erzielt
wird – er provoziert.
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Literaturliste
• Ahlemeyer, Heinrich W. (1996): Prostitutive Intimkommunikation. Zur
Mikrosoziologie heterosexueller Prostitution. In: Beiträge zur
Sexualforschung Bd. 74. Stuttgart (Ferdinand Enke Verlag)
• Girtler, Roland (2004): Der Strich – Soziologie eines Milieus. Wien (Lit
Verlag)
• Hoigard, Cecilie / Finstad, Liv (1987): Seitenstraßen – Geld, Macht und
Liebe oder der Mythos von der Prostitution. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt
Taschenbuch Verlag GmbH)
http://de.wikipedia.org/wiki/Prostitution
http://www.n24.de/sport/fussball/wm-
2006/artikel/2006/01/24/print_20060124111924...
• Millett, Kate (1983): Das verkaufte Geschlecht – Die Frau zwischen
Gesellschaft und Prostitution. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt Taschenbuch
Verlag GmbH)
• Riecher, Joachim (1995): Ware Lust – Wirtschaftsfaktor Prostitution.
Frankfurt am Main (Fischer Taschenbuch Verlag)
• Ringdal, Nils Johan (2006): Die neue Weltgeschichte der Prostitution.
München Zürich (Piper Verlag GmbH)
liebe Grüsse
ETMC
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Wer Freiheiten aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.
Benjamin Franklin (1706-90),
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