Die käufliche Liebe

Historische Betrachtungsweisen der Prostitution - Ein Spiegel der jeweiligen Zeit und Moral.
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fraences
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Die käufliche Liebe

Beitrag von fraences »

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Soziologie
HS „Der Wandel von Freundschaft und Liebe in der Moderne“
Dozent: Prof. Dr. Michael v. Engelhardt

„Die käufliche Liebe“

1. Sexuelle Tempelkulte und Prostitution im Altertum
1.1. Hierodule
- Hierodule (griech. „Heilige Sklavinnen“) geben sich im Tempel den Gläubigen hin, um ihnen durch den sexuellen Akt zu einer Gotteserfahrung zu verhelfen
- Dienen hierbei als göttliches Instrument, opfern den eigenen Körper im Dienste der Gottheit
- Keine Prostitution im heutigen Verständnis, sondern ritueller, religiöser Akt

1.2. Heilige Hochzeit
- Bezieht sich ursprünglich auf die Hochzeit des Götterpaares Zeus und Hera
- Daraus entstand das sexuelle Ritual der „Heiligen Hochzeit“: Die jeweilige Hohenpriesterin vollzieht den sexuellen Akt mit dem jeweiligen König des Stadtstaates
- Zweck ist die Sicherung von Schutz des Königs, seiner Herrschaft und seines Königreichs
- Keine Prostitution im heutigen Verständnis, sondern kultisches Ritual
1.3. Apotropäische Prostitution
- „Unheilabwehrende Prostitution“
- Beispiel: Hingabe der Braut an einen fremden Mann vor der Eheschließung
1.4. Gewerbliche Prostitution
- Der Beruf der Prostituierten ist bereits in Berufsregistern der Frühzeit aufgeführt
- Arbeit ist gesetzlich geregelt und geschützt
- Gewerbliche Prostitution anerkannte und institutionalisierte Einrichtung der damaligen Zeit
- Dennoch eher niedrige soziale Stellung
1.5. Prostituierte Sklavinnen
- Besonders ausgeprägte Deklassierung gegenüber frei geborenen Frauen, aber auch anderen Prostituierten
- „Verhüllungsverbot“ entgegen der damals herrschenden Praxis, harte Sanktionen bei Verstößen
- Ausübung des Gewerbes in Bierschenken, in den Straßen, im Hafenviertel oder auf Marktplätzen

2. Sexueller Kult und Bordellsklaverei in der Antike
2.1. Hetären (Griechenland)
- Bezeichnung für Frauen, die außereheliche, längerfristige, erotische Beziehung zu verheirateten Männern pflegten
- Oftmals freigelassene Sklavinnen
- Hetären mussten schön, elegant, sehr vielfältig gebildet sein und die Kunst der Liebe bestellen
- Besaßen große Freiheiten
2.2. Auletriden (Griechenland)
- Ähnlich den Hetären
- Künste der Auletriden konzentrierten sich auf musische und akrobatische Darbietungen
2.3. Kurtisanen (Rom)
- „Personalunion“ aus Hetären und Auletriden: Bildung und musisches Talent
2.4. Dikteriaden (Griechenland) und Lupae (Rom)
- „Einfache“ Prostituierte ohne höhere Bildung oder ausgeprägte musische Talente
- Arbeit in den Bordellen der Städte
- Oftmals Sklavinnen oder an Bordelle verkaufte Frauen
- Sehr niedriger Status innerhalb der Gesellschaft (mit der Tendenz zur Verachtung)

3. Prostitution im Mittelalter
3.1. Der Umgang mit Prostituierten im Mittelalter:

- Duldung der „wilden Prostitution“ in Wirtshäusern, Badestuben und Bordellen
- Später Errichtung von städtisch oder auch kirchlich konzessionierten Frauenhäusern, betrieben und geleitet von Rastknechten oder Pächtern (Frauenwirten)
3.2. Das Frauenhaus und die Stadt
- Repräsentative Funktion der städtischen Bordelle
- Frauenhäuser waren v.a. in Zeiten der Märkte und Messen beliebte Zentren sexueller und geselliger Vergnügungen
- Frauenhäuser dienten unter anderem der Selbstdarstellung der Stadt  Abgrenzung vom ländlichen Umfeld
- Die repräsentative Funktion einiger städtischer Bordelle kam auch in ihrer Ausstattung zum Ausdruck
3.3. Das Arbeitsleben der Dirnen
- Die Insassinnen des Frauenhauses mussten gut gekleidet sein.
- Von ihren Einnahmen hatten die Frauen die Kosten für Kleidung, Nahrung und Unterkunft zu tragen, außerdem mussten Abgaben an die Stadt geleistet werden
- Harte Arbeitsbedingungen (z.B. keine Rücksichtnahme auf kranke Frauen)
- Große Einschränkungen der Freiheit (z.B. Verbot, das Haus zu verlassen)
- Physische Gewalteinwirkung durch Frauenwirt und Gäste
3.4. Die Frauenhausordnungen
- Bestehen seit den Ende des 15. Jahrhunderts
- Garantieren den Frauen der städtischen Einrichtungen gewisse rechtliche Sicherheit (z. B. Recht auf Entlohnung, Eigentum, Schulden
Recht auf Entlohnung
Recht auf Eigentum
Schutz bei Krankheit (auch Übernahme von Verdienstausfall aus Gemeinschaftskasse)
Regelungen zu Ernährungsbedingungen durch den Frauenwirt
Prostituierte in den mittlalterlichen Städten des 13 und 15 Jahrhunderts waren verachtet
und dennoch fest institutionalisert und gesetzlich geschützt

4. Prostitution in Zeiten der Reformation
- Protestantische Prediger gehen massiv gegen jede Form von Prostitution vor
- Frauenhäuser wurden geschlossen oder verkommen lassen
- Prostituierte wurden der Städte verwiesen oder durften sich – falls möglich – unter Berufsaufgabe als Bürgerinnen niederlassen
- Auch katholische Städte folgten dem protestantischem Vorbild

5. 19. und 20. Jahrhundert
5.1. Reglementierung

- Mit Gründung des Deutschen Kaiserreiches wurde die Kontrolle der Prostitution erweitert und verschärft
- Die Arbeit, Gesundheit und Lebensführung der Frauen in allen Städten unterlag sittenpolizeilicher Kontrolle
5.2. Kasernierung der Prostitution
- Versuch, Prostitution auf Kontrollstraßen zu beschränken
- Arbeit ohne Frauenwirte/Zuhälter, freie Verfügbarkeit über den Arbeitslohn
- Freiwilliger Eintritt in die kasernierte Prostitution
- Sehr hohe Mieten für die Arbeits- und Wohnräume erfordern eine hohe durchschnittliche Anzahl von Freiern
- Die vermeintliche Selbständigkeit der Prostituierten war aufgrund strenger polizeilicher Vorschriften real kaum vorhanden
5.3. Sittenwidrigkeit
- Prostitution nicht als Gewerbe anerkannt
- „Arbeitsleben im rechtsfreien Raum“
- Kein Anspruch auf Versicherung gegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit
- Kein rechtlicher Anspruch auf Entlohnung

6. Von der „Sexuellen Revolution“ bis zur Gegenwart
6.1. Auf dem Weg zum „ProstG“

- Prostituierte beginnen, sich in 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu organisieren
- Ausgangspunkt: Besetzung der Kirche von St. Nizier (Lyon) durch 150 asylsuchende Prostituierte im Juni 1975
- Großer Erfolg in den Medien, worauf sich Organisationsgedanke international durchsetzt
- In Westdeutschland ist Situation und Rechtslosigkeit der Prostituierten ähnlich repressiv wie in Frankreich
- „Hydra“ als erste autonome Hurenorganisation Deutschlands (1980)
Hauptforderungen der Prostituierten u.a.:
Entkriminalisierung des Gewerbes
Rechtsschutz
Reisefreiheit ohne die Notwendigkeit besonderer Stempel im Pass
Sicherheit, dass Gewaltverbrecher und Vergewaltiger strafrechtlich verfolgt werden
Recht, eigene Kinder behalten zu dürfen
- Jedoch: Erst seit dem 1. Januar 2002 gilt das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (ProstG)
Vertrags zwischen Sexarbeiterin und Kunde gilt als rechtmäßig
Möglichkeit abhängiger, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse sowie freiberuflicher Tätigkeit der Prostituierten
Betreiben eines Bordells und die Schaffung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre wird nicht mehr strafrechtlich verfolgt
Prostitution unterliegt damit dem grundrechtlichen Schutz der freien Berufswahl

6.2. Kritikpunkte am „ProstG“
1) Viele Gesetze, welche Belange der Prostitution betreffen, wurden nicht mit Prostitutionsgesetz geändert und sind „Ländersache“
Sperrgebietsverordnungen bestehen nach wie vor
Polizeigesetze einiger Bundesländer enthalten Eingriffsbefugnisse, die allein auf Prostitution bezogen sind
Fünf Bundesländer erkennen Bordelle nicht als Betriebe im Sinne des Gewerberechts an; in Sachsen gilt Prostitution nach wie vor als sittenwidrig
2) Straf- und ordnungsrechtlich wird vorrangig auf die Prostituierten und ihr Umfeld eingewirkt; Kunden werden rechtlich kaum in
den Blick genommen
3) Bestimmte Formen der Prostitutionsausübung, die als sittlich gefährdend, gesellschaftlich störend oder als prostitutionsfördernd
gelten, werden weiterhin verhindert
- Vieles bleibt im Dunkeln und wird „milieuintern reguliert“
- Für gewaltsame und kriminelle Vorfälle im Kontext der Prostitution findet sich oftmals keine Klägerin
6.3. Auswirkungen der „Sexuellen Revolution“ auf das Handwerk der Sexarbeiterin
- Veränderung der Sexualmoral durch „Sexwelle“ in 60er/70er Jahren
Reihe alter Tabus, Vorurteile, Klischees und die Unfähigkeit der Frau zur sexuellen Lust werden in Frage gestellt
- Tiefe Erschütterung der Sexualnormen, durch welche sich Liebestechniken und sexuelle Genussfähigkeit fundamental ändern
- Aufkommen neuer Verhütungsmittel (insbesondere der „Pille“ 1961)
Minderung des Berufsrisikos für Prostituierte
- Besuch bei Prostituierten dient bis weit ins 20. Jahrhundert hinein v.a. der sexuellen Erziehung junger Männer; viele Frauen bleiben bis zur Hochzeitsnacht „unberührt“
- Mit Wertewandel und zunehmender „sexueller Liberalisierung“ beginnen Frauen, sich als Sexualwesen mit eigenen Ansprüchen zu begreifen
Auch sie wechseln nun häufiger ihre Sexualpartner
Auf großem, freiem Markt gibt es Sex „umsonst“
Prostituierten fehlt wichtigste Kundengruppe (große Masse der unverheirateten Männer)
Allgemeine Sexualfreizügigkeit zwingt Sexarbeiterin dazu, den Kunden mehr für relativ weniger Geld zu bieten
Dennoch wird Prostitution nicht überflüssig, sondern erlebt einen Aufschwung:
1) „Freien Sex“ gibt es nicht ganz ohne Nebenkosten:
Mädchen, die nicht „zu früh“ mit jemandem ins Bett gehen wollen, müssen umworben werden
Weg zur Prostituierten ist der einfachere und manchmal auch billigere, sexuelle Befriedigung zu erhalten, der zudem keinerlei
Verantwortung nach sich zieht
2) Sexuelle Befreiung durch „Sexuelle Revolution“ gilt als bloßer Medienhype, nicht als soziale Realität
Zwischen verbalem Progressivismus und realem Verhalten bleibt große Lücke
Verborgene bzw. moralisch nicht vertretbare Fantasien können von Ehefrauen oder Freundinnen nicht oder kaum befriedigt
werden
Prostituierte stellen sich auf sexuelle Wünsche ihrer Kunden ein (u. a. Rollenspiele, Fetischismus, sexuelle Rituale etc.)
3) Prostituierte werden oftmals als Seelentrösterin verstanden
4) Weitere Gründe:
Kampf um unbezahlten Sex produziert Verlierer, die kein Glück bei ihren Versuchen und Versprechen haben
Erfahrene Frauen werden als fordernd und furchteinflößend empfunden
Bedürfnis nach Macht wird befriedigt
Reiz des Verbotenen
Besuch eines Bordells wird häufig als kulturelles Großereignis betrachtet
Prostitution breitet sich aus und findet immer neue Erscheinungsformen
6.4. Heutige Formen der Prostitution
- Bordell- und Barprostitution
- Straßenprostitution
- Wohnungsprostitution
- Clubs und Massagesalons
- Haus- und Hotelbesuche
- Escort- und Begleitservice
- Sextourismus
6.5. Motive der Prostituierten
- Wirtschaftliche Gründe
- Nymphomanie
- Opfer von sexuellem Missbrauch
- Traumatisierte Kindheit (Armut, Gewalt etc.)
- Menschenhandel und Zwangsprostitution
- Suche nach Anerkennung
6.6. Risiko und kriminelle Aspekte
- Geschlechtskrankheiten/ungewollte Schwangerschaft
- Frauenhandel, Kinder- und Zwangsprostitution
- Opfer psychischer und physischer Gewalt
- Drogen und Alkoholmissbrauch
- Problem der Stigmatisierung
- Negative Auswirkungen auf Physis und Psyche
- Suchtverhalten
- Illegale Prostitution
Quellen:
GIRTLER, ROLAND: Der Strich. Soziologie eines Milieus, 5. Auflage, LIT Verlag, Wien 2004
RINGDAL, NILS JOHANN: Die neue Weltgeschichte der Prostitution, Piper Verlag GmbH, München 2006
KREUZER, MARGOT DOMENIKA: Prostitution. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung in Frankfurt a. M. Von der Syphilis bis Aids, Schwer Verlag GmbH, Stuttgart 1989
SCHMITTER, ROMINA: Prostitution – Das älteste Gewerbe der Welt? Fragen der Gegenwart an die Geschichte, 2. Auflage, Schardt Verlag, Oldenburg 2007
PATES, REBECCA/SCHMIDT, DANIEL: Die Verwaltung der Prostitution. Eine vergleichende Studie am Beispiel deutscher, polnischer und tschechischer Kommunen, transcript Verlag, Bielefeld 2009
LUTZ, VAN DIJK, Die Geschichte von Liebe und Sex, New York, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2007
RIECHER, JOACHIM: Ware Lust – Wirtschaftsfaktor Prostitution, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1995.

http://www.soziologie.phil.uni-erlangen ... _liebe.pdf
Zuletzt geändert von fraences am 28.07.2011, 07:55, insgesamt 1-mal geändert.
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Fakten und Infos über Prostitution

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Beitrag von friederike »

Zunächst einmal ein interessantes Hauptseminar.

Dann aber fehlen wichtige Gesichtspunkte, beispielsweise die aktuelle Diskussion über "schwedische Modelle", die Rückwärtsgewandtheit bestimmter "feministischer" Strömungen (SOLWODI) usw. Selbstbestimmte Prostitution wird als (krankhafte) Nymphomanie klassifiziert ...

Unter den Quellenangaben fehlt die möglicherweise wichtigste und umfangreichste, die derzeit verfügbar ist, nämlich "Forum sexowrker.at". Eigentlich wird hier deutlich, dass zumindest für den Bereich der modernen Prostitution dieses Forum der akademischen Soziologie weit voraus ist.

Friederike