Menschenhandel vs. Migration

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Doris67
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#641

Beitrag von Doris67 »

Spitfire969: Lies einfach deine vorherigen posts noch mal, da wirst du Vermutungen, Entrüstung und Moralargumente finden.

Und nein, Moral hat absolut _nichts_ in Debatten über Sexarbeit zu suchen! Es geht hier um ein rein politisches Thema und um _Rechte_, nicht um, wie auch immer geartete, Werte. Das wird dir auch Fraences deutlich machen können.
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fraences
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#642

Beitrag von fraences »

Collateral Damage: Sex Workers and the Anti-Trafficking Campaigns at Kampnagel, Hamburg

http://ruthjacobs.co.uk/2014/08/07/coll ... l-hamburg/
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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lust4fun
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#643

Beitrag von lust4fun »

Zum Kampnagel-Sommerfest ein Text- und Audiobeitrag ("Beitrag hören") von Deutschlandradio Kultur (10.8.14):

http://www.deutschlandradiokultur.de/pr ... _id=294286

Eine aufmerksame, etwas "erstaunte" Reportage mit dem Benühen um Kritik - ob denn die Darstellung nicht etwas einseitig von selbstbestimmten Sexarbeitern bestimmt gewesen sei...

Klaus Fricke
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#644

Beitrag von Klaus Fricke »

http://www.weser-kurier.de/region/niede ... 37724.html
Weser-Kurier vom 09.09.2014, Seite 12

Missbrauch von Werkverträgen
Niedersachsen kündigt Initiativen an


Hannover. Im Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen will sich Niedersachsens Landesregierung 2015 auf Bundesebene zugunsten ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer einsetzen. Notwendig seien vor allem Mitbestimmung und schärfere Kontrollen in Betrieben, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Montag in Hannover.

Zur Jahreswende soll Niedersachsen zudem eine dritte Beratungsstelle für den Großraum Braunschweig erhalten. Die bestehenden Einrichtungen in Hannover und Oldenburg haben im ersten Jahr ihres Bestehens mehr als 1000 Beratungsgespräche geführt. Ihre Leiterinnen berichteten von einer großen Nachfrage, aber auch von Einschüchterungsversuchen.

Die prekären Wohn- und Arbeitsverhältnisse von Leih- und Werkvertragsarbeitern waren 2013 nach dem Tod von zwei rumänischen Arbeitern der Papenburger Meyer-Werft bei einem Brand in ihrer Unterkunft in die Schlagzeilen geraten. Danach setzte eine bundesweite Debatte über die Lage von Billigarbeitern aus dem Ausland und den Missbrauch von Werkverträgen sowie über Mindestlöhne ein. Die Werft hatte danach den bundesweit ersten Haustarif für ausländische Werkvertragsbeschäftigte mit sozialen Mindeststandards vereinbart.



K O M M E N T A R siehe Online Ausgabe Weser-Kurier (obiger Link)


Z U S A M M E N F A S S U N G


KEINE ENGFÜHRUNG


Der seit 2002 in Zusammenarbeit von zivilen Organisationen, Politik und amtlichem Vermögen betriebene Kampf gegen den Menschenhandel durch die Kooperierenden des Bremer Runden Tisches Menschenhandel ist an der Engführung der Aufmerksamkeit auf den Teilaspekt des Menschenhandels in die Sexarbeit unter Vernachlässigung der Hilfe für Geschädigte in anderen Wirtschaftsbereichen gescheitert. Noch im September 2013 musste die Moderation des Runden Tisches, die Diakonie Bremen und das zuständige Kommissariat der Polizei Bremen einräumen, dass weder ein öffentliches Bewusstsein erzeugt worden ist, um dem Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung Aufmerksamkeit zu sichern, noch dass der Straftatbestand in Bremen statistisch erfasst worden ist. Der Runde Tisch, seine Leitung, die Personen, die in ihm tätig waren/sind und die politisch für dieses Konzept Verantwortlichen, tragen durch die Engführung des Themas auf Sexarbeit Verantwortung für die Unterlassung von Hilfe für Geschädigte in anderen Wirtschaftszweigen und haben ihren Auftrag der Strafvereitelung im gesamten Straftatbestand Menschenhandel verfehlt. Durch ihre Konzentration auf das Wirtschaftsfeld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen haben sie zudem Stereotype, Klischees und Vorverurteilungen zementiert, die zu einer verschärften sozialen Ächtung der Menschen, die in diesem Feld aktiv sind, beitragen. Um dem Problem des Menschenhandels in seiner Breite gerecht zu werden, sollten neue Strukturen, mit einer neuen Agenda und mit neuen Personen initiiert werden. Wir bieten, wie schon Anfang 2013 unsere Kooperation an.




H A U P T T E X T


BREMER MODELL - DER RUNDE TISCH MENSCHENHANDEL

Im Jahr 2005 wurde im deutschen Strafrecht, internationalen Vereinbarungen folgend, Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung zum Straftatbestand des § 233 StGB. Dabei ging Deutschland den Sonderweg, Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung vom Menschenhandel in die sexuelle Ausbeutung strafrechtlich mit dem StGB § 232 zu trennen.

Während schon seit 2002 auf Initiative der evangelischen Kirche Bremen, vermittelt über den Verein für Innere Mission und dessen BBMeZ (Bremer Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution) ein runder Tisch Menschen- und Frauenhandel etabliert wurde, der sich letztlich bis heute soweit bekannt lediglich um Opfer kümmerte, die in gewerblich organisierten sexuellen Missbrauch gehandelt worden waren, und dieser politische Anerkennung bekam, die sich auch in einer Erhöhung der öffentlichen Mittel für die Arbeit der BBMeZ niederschlug (Siehe: Pressemitteilung der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau vom 25.11.2013), blieb das Thema Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung, wie auch die Kriminalpolizei Bremen und die Bremer Diakonie einräumt (mithin die bremische evangelische Kirche), ausserhalb der öffentlichen Wahrnehmung und Statistik Bremens (siehe: Weser Kurier vom 24.09.2013, Seite 7, Aussage Frau Dreke von der Diakonie Bremen).


ENGFÜHRUNG AUF SEXUELLE AUSBEUTUNG

Das muss umso mehr erstaunen, als wir die BBMeZ in der Sache Menschenhandel in die Ausbeutung im Januar 2013 ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass die Reduzierung der Aufmerksamkeit lediglich auf den Menschenhandel in die sexuelle Ausbeutung unzulässig sei. Wir schrieben in Antwort auf die Zusicherung der BBMeZ, Frau Kähler, sich intensiv mit unseren Anliegen zu beschäftigen:

„Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Menschenhandels vertreten wir Positionen, die sich nicht ausschliesslich auf den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung beziehen. ... Die Engführung des Themas auf den Bereich der Opfer in der Sexarbeit ... erscheint uns eher als diskriminierender Ansatz gegenüber der Sexarbeit.“


VERNACHLÄSSIGUNG SONSTIGER AUSBEUTUNG

Grund für Nachfragen, da die BBMeZ wert darauf legt, mit öffentlichem Auftrag legitimiert die Leitung des o.g. Runden Tisches innezuhaben (siehe Drs. 18/1085, Bremer Bürgerschaft, S. 5). Die Diakonie Bremen, Frau Hesse, weisst darauf hin, dass sie den Runden Tisch moderiert. Die evangelische Kirche, ihre Diakonie und ihre innere Mission und in ihr die BBmEZ, Frau Kähler bestimmen massgeblich die Agenda. Diese Agenda hatte zur Folge, dass noch im September 2013, nach mehr als 11 Jahren Tätigkeit die evangelische Kirche Bremen, die Diakonie, Frau Dreke zusammen mit der Polizei Bremen feststellen muss, dass das Thema Arbeitsausbeutung und Menschenhandel noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen sei.


UNTERLASSUNG VON HILFE - BLINDE FLECKEN

Was hat die evangelische Kirche, federführend am Runden Tisch denn 11 Jahre lang getan, um das Thema in die öffentliche Debatte zu bringen, insbesondere, was hat sie getan und was haben die VertreterInnen der Bremer Ämter, die am Runden Tisch sitzen unternommen, um das Thema Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Haben „einfache“ ArbeiterInnen, die mit zweifelhaften Werkverträgen nach Deutschland in zweifelhafte Arbeitsverhältnisse und gefährdende Wohnverhältnisse vermittelt und dort unter Druck gesetzt werden nicht die Aufmerksamkeit der versammelten Fachleute des Runden Tisches Menschenhandel verdient? Haben nur Sexarbeiterinnen aus Bulgarien, die unter Gewalt, um ihr Honorar betrogen und freiheitsberaubt ihrer Tätigkeit nachgingen (derentwillen sie zumeist aus eigenem Anlass und mit Wissen um die Art der Tätigkeit nach Bremen kamen) ein Anrecht auf Hilfe und Unterstützung in Bremen, ein Anrecht auf Aufmerksamkeit und Schutz? Was hat der Runde Tisch seit 2002 für die Menschen getan, die in anderen Wirtschaftszweigen ausgebeutet und in diese gehandelt wurden? Wo, wann und wie haben die beteiligten Ämter darauf Wert gelegt, dass vom Runden Tisch Initiativen ausgingen, um diese Menschenhandelsgeschädigten sichtbar zu machen, ihnen zu helfen? Ist das Dunkelfeld krimineller Energie bei der „normalen“ Arbeitsausbeutung ein undurchdringliches Schwarzes Loch für die Bremer Polizei? Wurden Präventivkontrollen der Bremer Polizei in gastronomischen Betrieben durchgeführt (ach so der Zoll ist zuständig? ja hat der Zoll denn?). Gab es Schliessungen von Arbeitsorten an denen Menschen tätig waren, die in die Arbeitsausbeutung gehandelt wurden? Wie definiert der Runde Tisch Arbeitsausbeutung in den Menschenhandel für sich. Gibt es einen Kriterienkatalog? So wie die Anzeichen, auf die Kunden der Sexarbeit achten sollen, wenn sie Sexarbeitende besuchen? Wurden Rollkommandos der Polizei auf Razzien gesendet? In Pommesbuden? Wird es eine Kampagne, initiiert durch die BBMeZ und den runden Tisch geben, „Helden der Arbeit“ anstatt „Frauenhelden“? Werden dann die Gäste in der Bremer Gastronomie, die Servicekäufer - zumeist dem Patriarchat geschuldet die Männer, die es sich leisten können - auffgefordert akribische Nachschau in den Küchen zu halten, ob nicht blaue Flecken zu sehen sind oder dortiges Personal apathisch erscheint und nur widerwillig Dienstleistungen erbringt? Werden sie sich erschrecken wenn das gekaufte Fleisch stumm bleibt, im Gegensatz zu den als gekauften Körpern diffamierten Frauen, die da sprechen „Ohne Gummi gibt es nichts“? Das Fleich bleibt stumm, die Frau spricht. Trotzdem das Gleiche?

Die Fragen liessen sich wohl noch fortsetzen. Wir befürchten die zu Befragenden einigen sich auf das Schweigen im Walde und versuchen im Dunkeln zu bleiben, im Zweifel indem sie anwaltschaftlich abmahnen lassen, ihre Namen nicht zu nennen. Ist das dann kriminogene Verdunklung? Offenbart sich da kriminelle Energie eines kriminellen Schwarzlichtmillieus? Unter Polizeibeteiligung?


BREMER MODELL GESCHEITERT

Der seit 2002 tätige Runde Tisch Menschenhandel, ist gescheitert. Seine Engführung der Aktivitäten lediglich auf geschädigte Sexarbeitende ist zugleich, soweit dies zu erkennen ist, eine Unterlassung von Hilfe für Menschen, die in anderen Wirtschaftsfeldern in Arbeitsausbeutung gehandelt wurden. Die Bremer Politik hat mit der einseitigen Förderung der Hilfsangebote, die an eine vermeintliche Unzahl von verschleppten und durch Gewalt gezwungenen Sexarbeitende adressiert wurde, eine Sackgasse gewählt. Die Mittelvergabe an eine evangelische Beratungsstelle, die sich nur um diese Gruppe von Geschädigten kümmert, und die noch im September 2013 einräumen muss, das Thema Arbeitsausbeutung nicht in die öffentliche Debatte eingebracht zu haben, ist in der Konsequenz passive Beihilfe zur Straflosigkeit des Menschenhandels in die allgemeine Arbeitsausbeutung, die seit 2005 ein eigenständiger Straftatbestand ist. Der Bock scheint hier zu gärtnern und Beelzebub den Teufel auszutreiben. Ein politisches Versagen erster Ordnung, dessen Ausmass deutlich wird, wenn man die Zahl von 1000 Beratungsgesprächen in Niedersachsen, die im obigen Bericht erwähnt wird, beachtet. Wer trägt und übernimmt die Verantwortung dafür, das wohl nicht wenige Menschen auch in Bremen durch Straftaten geschädigt wurden, die politisch ohne Beachtung geblieben sind und bei angemessener Beratungsarbeit zu einem guten Teil zu verhindern gewesen wären?


NEUE AGENDA, STRUKTUREN UND PERSONEN

Die Schnittstelle zwischen zivilem Engagement, politischen Willen und amtlichem Vermögen ist idealerweise ein Runder Tisch aller relevanten Akteurinnen in einem (Problem-)Feld. Das Personal, das derzeit den Runden Tisch Menschenhandel Bremen bildet und leitet, hat sich 11 Jahre durch Inkompetenz und Unterlassung von Hilfe empfohlen. Das sollte wenigstens zur Folge haben, dass dem Menschenhandel in Bremen in Zukunft auf der Grundlage einer neuen Agenda, unter neuer Leitung und mit neuen Personen umfassend Aufmerksamkeit gewidmet wird.


VERANTWORTUNGSLOSE WIEDERHOLUNG VON VORVERURTEILUNGEN

Vermeintliche Dunkelfelder, Verschleppung, Gewalt und Betrug n u r permanent, hysterisch, falsche Zahlen und unwahre Tatsachenbehauptungen wiederholend der Sexarbeit zuzuschreiben, entspricht zwar den gängigen Klischees, wiederholt die bekannten Stereotype und bewirkt eine landläufige Vorverurteilung dieses Wirtschaftszweiges, jedoch entspricht es nicht der Realität des Gewerbes und hilft Menschen wenig, die in Zwangsverhältnisse sonstiger Arbeitsausbeutung gehandelt worden sind. Sich dieser Feststellung zu entziehen, ist verantwortungslos, aber leider Bremer Politik seit wenigstens 2002, öffentlich delegiert an die und legitimiert betrieben von der Bremer evangelischen Kirche, deren patriarchal historische Schuld, insbesondere was die Sexualmoral betrifft, bis wenigstens in die Zeit der Scheiterhaufen reicht und die heute das moderne Gewand der Bevormundung Sexarbeitender mit dem Argument der Menschenwürde trägt. Die Kirche meint immer noch in Sachen Sex im Besitz des einzig wahren und zulässigen Glaubens zu sein. Und das Dogma ging dem Ausschluss der Ketzer voraus. Das inquisitorische Gottesurteil folgte. Keine Demokratie, keine Toleranz, keine Freiheit.


Lara Freudmann und Klaus Fricke
Zuletzt geändert von Klaus Fricke am 18.12.2016, 23:28, insgesamt 1-mal geändert.

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#645

Beitrag von nina777 »

14.10.2014

ZWANGSPROSTITUTION

Die Madames und ihre Mädchen

Wie junge Nigerianerinnen in die Prostitutionsfalle geraten


Ein okkulter Schwur und immense Schulden zwingen junge Nigerianerinnen in deutsche Bordelle. Die Polizei steht hilflos vor dem nigerianischen Frauenhandel. Dieses Feature legt das perfide System der Menschenhändler offen und schildert das Versagen des deutschen Rechtsstaates im Kampf gegen die Zwangsprostitution.

Jennifer: "Das Geld kannst du selber nicht behalten. Du machst das für andere und dann überlegst du:'Wie lange muss ich dann die Schulden abbezahlen?'"

Tracy: "Wenn ein Mann auf mir lag, hab ich einfach versucht an etwas anderes zu denken. In Gedanken einfach zu fliehen ...

Ich hab im selben Bett geschlafen, in dem ich die Freier bedient habe. Ich hab nur das Laken umgedreht."

Jennifer: "Wo mich nicht dran gewöhnt habe, war dass ... welche da waren, die wirklich so gestunken haben, unerträglich. Das geht nur dann: 'Mit wie vielen Männern musst du schlafen, dass du das, diese Summe kriegst'."

Tracy:"Ich hab morgens um 10:00 angefangen und dann bis 6:00 am nächsten Morgen. Jeden Tag. Oft nur zwei, drei Stunden Schlaf. Drei Monate ohne Pause. Arbeiten, Schlafen, Arbeiten, Schlafen..."

Jennifer: "Ich war wirklich in Gedanken nur weg, in Gedanken weg. Keine Träume, nur einfach weg. Das war wirklich wie Sklaverei."

400.000 Frauen und Mädchen. So viele Prostituierte soll es in Deutschland geben. So viele wie in keinem anderen Land Europas. Das Geschäft mit dem Sex blüht.

Doch das Problem dabei: Jeden Tag werden abertausende Frauen und Mädchen gezwungen, ihren Körper zu verkaufen. Immer mehr von Ihnen kommen aus Nigeria.

Was hilft gegen Zwangsprostitution?

Um den Opfern zu helfen, werden derzeit die unterschiedlichsten Modelle diskutiert. Aber was hilft den Zwangsprostituierten wirklich? Und wie kann man die kriminellen Netzwerke der Menschenhändler am wirksamsten bekämpfen?

Um diese Fragen zu beantworten, muss man wissen, wie der nigerianische Frauenhandel funktioniert.

Jennifer ist eines der Opfer, das uns Einblick in das System gewährt. Sie lebt irgendwo in Deutschland. Ihren Namen haben wir geändert.

Ein Wohnzimmer. Weiße Tischdecke, Orchideen auf der Fensterbank. Mittendrin eine hübsche, schwarze Frau, Mitte Zwanzig. Jennifer erzählt, wie alles angefangen hat, in Nigeria.

Jennifer: "Wenn diese Schule nicht abgebrochen wäre - ich wäre heute nicht hier. Bevor mein Vater arbeitslos geworden war das Leben schön. Die Zukunftsperspektive war voll da, ne, dass ich irgendwann studiere."

Jennifer ist gerade mal 18 als ihr Vater den Job verliert und sich ihr Leben schlagartig ändert. Der Traum vom Studium platzt – stattdessen soll sie einen 30 Jahre älteren Mann heiraten.

Jennifer: "Mit 18 zu heiraten, das ist zu jung für mich, sag ich mal so. Und das ist auch Zwang. Das war Flucht, wo ich sagen, ich laufe lieber weg als da überm Zaun zu hängen, auf gut deutsch gesagt, ne."

Die Situation scheint ausweglos. Da bietet eine Nachbarin an, sie nach Deutschland zu bringen.

Jennifer sagt ja. Aber die Reise ist teuer und sie hat kein Geld. Sie muss versprechen später für die Kosten aufzukommen. Wie hoch diese sein werden, ist ihr da noch nicht klar. Dann kommt alles ins Rollen:

Jennifer: "Da wo ich mich entschieden habe, gingen wir fast jeden Tag raus zum Medizinmann. Bei dem Medizinmann hab ich geschwört, das Geld zurück zu bezahlen."

Der "Medizinmann" ist ein Voodoopriester und zwingt sie zu einem Ritual. Darüber reden will sie nicht.

Von der eigenen Tante angeworben
Viele Mädchen haben vom Leiden anderer Nigerianerinnen gehört. Aber sie fühlen sich in Sicherheit. Denn oft sind es Verwandte, die sie nach Europa verschleppen. So ist es auch Tracy ergangen. Sie sitzt in einem Kölner Hotelzimmer. Auch sie will ihre Identität nicht preisgeben. Tracy kam mit 17 nach Deutschland, um zu arbeiten und ihre Familie in Nigeria zu unterstützen.

Tracy: "Sie haben mir den Pass von einer anderen gegeben. Aber die auf dem Foto sah genauso aus wie ich. Ich musste mir die gleiche Frisur machen und Namen und Geburtsdatum auswendig lernen. Ich hab eine Woche Deutschunterricht bekommen. Dann ging es nach Europa."

Tracy wurde von ihrer eigenen Tante angeworben.

Tracy: "Als ich in Frankfurt ankam, hat mich jemand abgeholt und in ein Restaurant gebracht: 'McDonald's', aber das kannte ich damals nicht. Irgendwann hat mich der Mann meiner Tante abgeholt. Nach vier Stunden Fahrt kamen wir zu ihrem Haus. Sie hat sich gefreut und meinte 'Als ich Dich letztes Mal gesehen habe, warst du noch ein Baby.' Und ich: 'Das stimmt, aber jetzt bin ich ein großes Mädchen.' Sie war happy. Ich war happy. Sie fragte nach der Familie, meinen Brüdern und Schwestern. Ich war richtig glücklich. Dann hat sie mir mein Zimmer gezeigt. Überall lagen Frauenkleider herum. 'Wer sind denn all diese Mädchen, die hier wohnen?' Sie sagte 'Das sind solche, wie Du' ..."

Ihre Tante entpuppt sich als Zuhälterin. Drei andere Mädchen schaffen schon für sie an. Einzige Sonderbehandlung: Statt sechzig- muss sie nur fünfzigtausend Euro abbezahlen. Ein Familienrabatt.

Tracy: "Sie haben mir einen Plastikpenis hingestellt. Ich sollte Kondome darüber ziehen. Das hab ich zwei Mal gemacht. Danach musste ich mit Highheels laufen üben. Zwei Tage immer die Treppe hoch und runter. Am dritten Tag musste ich zur Arbeit..."

Genau wie für Tracy, ist es auch für Jennifer ist es ein Schock, als ihr plötzlich klar wird, weshalb sie nach Deutschland geholt wurde. Sie versucht, sich zu weigern.

Jennifer: "Ich sage: 'Nein, mach ich nicht.' Man kann auch mit was anders, normalem Job, das Geld bezahlen. Und dann lacht sie erstmal, sie lacht und rollt sich auf dem Boden und sagt: 'Meine Güte'. Sowas hat sie noch nicht mal erlebt. Sie hat schon mehrere Mädchen, die sind alle so, ... die verstehen alle sofort, was hier passiert. Und sie sagt: 'Halt einfach den Mund, ich kann nicht Ewigkeit auf dein Gelaber warten. Wie lange willst du mein Geld bezahlen? Zehn Jahre, fünf Jahre, Zwanzig?! Wenn du nicht maximal drei Jahre mein Geld nicht zurück bezahlst, alles, wird immer wieder verdoppelt.' Da hab ich wirklich ernst geguckt."

Am Ende werden Jennifer und Tracy zur Prostitution gezwungen. Von Frauen. Von Personen, denen sie vertraut hatten. Es sind Frauen, die Frauen versklaven.

Gehen sie zur Polizei droht die Abschiebung

Saarbrücken – hier arbeitet Kriminaloberkommissar Bernhard Busch. Der 56-jährige kämpft seit Jahren gegen die nigerianischen Zuhälterinnen. Kaum ein Ermittler kennt den Frauenhandel so gut wie er.

Bernhard Busch: "Am Anfang haben wir uns gewundert, dass dieser ganze Zuhälterbereich, wird ja im nigerianischen Menschenhandel von Frauen betrieben. Diese Madame organisiert ja die ganze Schleusung über Passbeschaffung, Transport usw. und dann kommt das Mädchen nach Europa und dann wird den Mädchen oft erst gesagt was sie überhaupt arbeiten sollen."

Damit die Mädchen in diesem Moment nicht weglaufen oder zur Polizei gehen, greifen die Zuhälterinnen zu einem einfachen aber sehr effektiven Mittel.

Bernhard Busch: "Ab diesem Zeitpunkt, wo sie gelandet ist, wird ihr der Pass abgenommen. Das Mädchen ist also vollkommen illegal. Die Madame sagt ihr das auch. Wenn das Mädchen mit diesem Bewusstsein hier konfrontiert wird, hat es direkt Angst. Es hat Angst sich überhaupt draußen auf der Straße zu bewegen."

Weil die Frauen illegal eingereist sind und in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben, sind sie den Madames komplett ausgeliefert. Gehen sie zur Polizei droht die Abschiebung - und das Ende ihres Traums von einem besseren Leben in Europa.

Niemand weiß, wie viele nigerianische Frauen das Schicksal von Jennifer und Tracy teilen. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber europaweit sollen 50.000 Nigerianerinnen als Zwangsprostituierte arbeiten.

"Du musst mit vielen Männern schlafen"

Duisburg. Im Vulkanviertel steht eines der größten Laufhäuser der Republik. 400 Zimmer, einige hundert Frauen aus der ganzen Welt. Schummriges Licht. Auf Barhockern warten Prostituierte in knapper Unterwäsche auf Kunden.

Es geht über Brücken, in Hinterhöfe – hier sind mehrere Bordells miteinander verbunden. Ein Laufhaus ist wie ein riesiges Einkaufszentrum. Die Frauen sind die Ware. Es sind auffällig viele junge Männer unterwegs – vielleicht gerade mal 18 oder 19 Jahre alt.

Für Sex scheint wohl kein Weg zu weit zu sein – unter den Duisburger Freiern sind auch viele Holländer und Belgier.

Und überall Afrikanerinnen. Zum Teil blutjung. Von Jennifer und Tracy wissen wir, dass die Madames den Mädchen einbläuen, zu schweigen. Auch was ihre genaue Herkunft angeht. Trotzdem finden wir Frauen, die aus Nigeria kommen.

Eigentlich brauchen Frauen Papiere, um sich in Bordellen einzumieten. Ohne Aufenthaltsrecht geht das nicht. Hier greifen die Madames zu einem Trick und mieten ihre Mädchen mit sogenannten Look-alike-Papieren von legal in Deutschland lebenden Afrikanerinnen ein. Da die Polizei oft eine Afrikanerin nicht von der anderen unterscheiden kann, funktioniert so etwas.

Gleiches Bild in Aachen, Nordrhein-Westfalen. Auch hier: nigerianische Prostituierte. Die meisten scheinen unter großem Druck zu stehen.

Im Auto mit Jennifer und Tracy. Die Fahrt geht vorbei an Bordellen, in denen sie anschaffen mussten. Erinnerungen kommen hoch. An ihren ersten Tag.

Damit sie schnell lernt, soll Jennifer einer anderen Frau beim Sex mit einem Freier zusehen.

Jennifer: "Das war der erste Schock, ich konnte das nicht gucken. Ich konnte das nicht gucken."

Tracy: "Am ersten Tag im Bordell, habe ich mit einem Mann geschlafen. Er hat mir hundert Euro bezahlt. Ich hab mir gesagt: 'Für heute bist Du fertig' und hab die Tür zugemacht. Dann rief meine Tante an und fragte: 'Was machst Du?' 'Ich ruh mich aus.' Da sagte sie: 'Du musst mit vielen Männern schlafen! Jeden Tag!' Ich hab sie angefleht: 'Aber Tante, das kann ich nicht!'"

Jennifer: "Ich war wirklich in Gedanken nur weg, in Gedanken weg. Keine Träume, nur einfach weg. Das war wirklich wie Sklaverei."

Tracy: "Ich hab bestimmt mit 2.000 oder 3.000 Männern geschlafen. Es waren so viele ..."

Die Madame nutzt die Unwissenheit der Mädchen aus

Bernhard Busch rechnet vor wie lukrativ das Geschäft für die Madames ist.

Bernhard Busch: "Man baut da richtige Schuldenfallen auf für die Mädchen. Das Mädchen reist ein und kriegt von ihrer Madame gesagt, ja du musst 40.000 Euro abbezahlen."

Dazu kommen ständig weitere Kosten: Für die falschen Pässe, um die Mädchen in die Bordelle einzumieten, für Kosmetika, für Kleidung. Oft nutzt die Madame die Unwissenheit der Mädchen aus. Da diese selbst nicht einkaufen können, werden viel zu hohe Preise abgerufen. So gehen beim Shopping von ein paar Billig-Klamotten schon mal 2.000 Euro drauf – angeblich.

Bernhard Busch "Also, die Madam verdient von dem Mädchen um die 60.000 Euro. Die Schleuserorganisation verlangt heute für eine Schleusung also um die 10.000 Euro. Dann hat die Madame einen Reingewinn von 50.000 Euro bei jedem Mädchen, das sie hat."

Und das ist ja nur für ein Mädchen?

Bernhard Busch: "Das ist immer nur für ein Mädchen, ja. Und ich hab also noch keine Madame gesehen, die nur ein Mädchen hatte."

Geht man davon aus, dass eine Madame bis zu 20 Mädchen anschaffen lässt, kommt sie auf einen Reingewinn von einer Million Euro.

Ist Deine Tante reich?

Tracy: "Ja, sehr reich. Jede Woche musste ich 1.000 Euro abliefern. Wenn ich die nicht zusammengekriegt habe, hat sie jemand vorbeigeschickt, um mich zu schlagen."

Kinder über Menschenhandel aufklären

Benin City, Nigeria: Der Dreh- und Angelpunkt des nigerianischen Menschenhandels. Rote Schlammpisten mit Schlaglöchern und jeden Tag Schusswechsel. Benin City ist extrem gefährlich. Diese Aufnahmen sind nur durch Polizeischutz möglich.

Die Maria Goretti-Mädchenschule im Osten der Stadt. Ein ganz normales Viertel. Die Hilfsorganisation GPI will die Kinder über Menschenhandel aufklären. Eine Mitarbeiterin fragt einige Schülerinnen nach ihren Zukunftsplänen.

Mitarbeiterin: "Wer von euch hat schon mal von Europa gehört: Italien, London, Spanien?"

Alle nicken. Vom "Paradies Europa" haben natürlich alle gehört.

Mitarbeiterin: "Habt ihr Geschwister dort? Einen Bruder? Eine Schwester?"

Jedes der Mädchen hat eine Schwester in Europa.

Mitarbeiterin: "In welchem Land sind sie? ... Beide in Deutschland? Seid Ihr Geschwister?"

Die Tante des Mädchens erzählte ihr, dass die großen Schwestern in Deutschland seien.

Mitarbeiterin: "Und haben sie sich verändert, seit sie dort sind?"

Schülerin: "Yeah. They have."

Mitarbeiterin: "Haben sie jetzt mehr Geld?"

Alle: "Yes."

Mitarbeiterin: "Sie haben also mehr Geld - würdet Ihr auch gerne ins Ausland?"

Alle: "Yes."

Eine Schülerin: "Ich möchte weg, um frei zu sein. Ich habe gehört, dass die Menschen in Europa frei sind und machen können was sie wollen. Hier geht das nicht."

Mitarbeiterin: "Was ist mit Dir?"

Andere Schülerin: "Ich will ins Ausland, damit es meiner Familie besser geht."

Weitere Schülerin: "Ich werde gehen, weil ich meiner Tante vertraue."

Vorherige Schülerin: "Ich würde nicht eine Sekunde zögern."

Mitarbeiterin: "Du würdest einfach gehen?"

Schülerin antwortet: "Auf jeden Fall!"

Mitarbeiterin: "Oh my God! Und Dir ist es egal, was Du dort machen wirst?"

Der Traum vom großen Glück in Europa – fast jedes Mädchen will weg aus Nigeria. Viel Arbeit für die Hilfsorganisation.

Ein Mädchen erzählt die Geschichte ihrer Nachbarin: "Die Madame hat ihr versprochen, dass sie in Deutschland heiraten und arbeiten kann. Ihre Eltern waren auch einverstanden. Die Madame brachte sie dann zum Ayelala"

Ayelala - das ist der Voodoo-Priester. Eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation hängt ein Plakat auf. Darauf sind Frauen, die vor einem Priester knien. Eine Schülerin erklärt wie das mit dem Voodoo-Schwur funktioniert.

Schülerin: "Das sind die Mädchen, die den Schwur leisten müssen. DAS ist der Priester, der ihnen den Schwur abnimmt. Und DAS ist die Madame. Der Priester nimmt den Mädchen die Schamhaare ab.Dann müssen sie schwören, der Madame das Geld für die Reise zurückzuzahlen. Wenn du dich weigerst, ihr das Geld zurückzuzahlen, benutzen sie deine Schamhaare, um dich zu bestrafen."

Wenn man den Schwur bricht, muss man dann Angst haben?

Schülerin antwortet: "Ich hätte Angst. Aber ich bin ja Christin und würde auch in Gott vertrauen."

Die anderen Schülerinnen: "No!!!"

Schülerin: "Ich sag einfach nur meine Meinung. Ihr könnt denken, was Ihr wollt."

Es liegt also nicht an fehlender Aufklärung – die Schülerinnen wissen erstaunlich gut Bescheid über die Priester und ihre Machenschaften. Trotzdem wollen fast alle nach Europa.

Treffen mit einem Oberpriester

Auf dem Weg zu einem der Vodoo-Priester ca. zehn Kilometer von Benin-City entfernt. Ein Mittelsmann hat den Kontakt hergestellt.

Ein überraschend junger Vodoo-Priester in knallroter, völlig zerfranster Kutte freut sich über den Besuch. Das Mikrofon sieht er nicht.

Ein schwerer Vorhang trennt die gewöhnliche Welt von der der Voodoo-Priester. Im Staub auf dem Boden ist ein Pentagramm aufgemalt – ein Symbol des Okkulten. Tierschädel und Knochen übrall. Frisches Tierblut. Es riecht süßlich, nach Verwesung und Tod. Mehrere Priester sind heute hier.

Das ist also der Ort, an dem Frauen wie Tracy und Jennifer ihrer Madame die Treue schwören und sich verpflichten, ihre Schulden zu begleichen.

Hinter ein paar Knochen zieht einer der Priester eine schwarze Schlange hervor. Ihr fehlt der Kopf. Er lutscht auf ihr herum.

Dann werden wir zum Oberpriester ins Hinterzimmer gerufen.

Priester: "Wenn Du Mädchen in Deutschland brauchst, sag's mir. Ich besorg Dir welche. Sie leisten den Schwur und kommen rüber. Sie arbeiten ihr Geld ab. Danach geht jeder seines Weges. So läuft das. Das ist mein Job. Deswegen seid ihr doch hier, oder?"

Aber weshalb haben die Opfer solche Angst vor den Priestern?

Helen war fünf Jahre lang Prostituierte

In Benin City treffen wir Frauen, die in Europa mit Hilfe des Schwurs zur Prostitution gezwungen wurden. Sie erinnern sich mit Schrecken daran.

Faith: "Manche Frauen, die sich weigern ihre Schulden zu begleichen, werden einfach verrückt. Einige sterben plötzlich. Andere ertränken sich einfach im Meer. Das ist afrikanische Magie. Alle haben Angst davor. Deshalb machst du alles was sie Dir sagen."

Mitarbeiterin NGO: "Hast Du deswegen auch nicht mit der Polizei gesprochen, bevor Du abgeschoben wurdest?"

"Klar, als ich daran gedacht habe, mit denen zu reden, da habe ich geblutet. Einen Monat lang hatte ich meine Tage. Das war meine Madame!"

Der Traum von Europa platzt schnell. Wer aus Europa abgeschoben wird, hat es in Nigeria schwer. Fünf Jahre muss Helen in Europa als Prostituierte arbeiten, dann wird sie verhaftet und abgeschoben. Ihr selbst bleibt nichts. Heute teilt sich Helen mit ihrer Schwester und ihrer Familie ein Zimmer. Fünf Personen auf zehn Quadratmeter.

Wie sehen dich die Leute hier?

Helen: "Als Versagerin. Manche kommen zurück und bauen sich Häuser. Über Dich sagen sie: 'Hey, guckt Euch die an! Die hat gar nichts.' Sie machen sich über Dich lustig. Das tut weh. Manchmal wollte ich mich nur noch umbringen."

Als Helen abgeschoben wird, hat sie bereits einen Großteil Ihrer Schulden abbezahlt. Andere haben weniger Glück. Einmal zurück in Nigeria, treiben die Madames weiter ihre Schulden ein und stürzen ganze Familien in den Ruin. Deswegen wollen die Opfer eine Abschiebung nach Nigeria um jeden Preis verhindern.

Madames sind oft mit Deutschen verheiratet

Saarbrücken. Kriminaloberkomissar Bernhard Busch erklärt warum sich die Madames in Deutschland so sicher fühlen.

Bernhard Busch: "Sie können nicht abgeschoben werden. Sie sind teilweise mit einem Deutschen verheiratet, manche haben sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Die haben eine Machtdomäne gegenüber den Mädchen, die illegal hier sind."

Wie endet denn die Zwangsprostitution für die meisten Frauen?

Bernhard Busch: "Die Zwangsprostitution für die meisten Frauen endet mit einer Festnahme durch die Polizei."

Aber genau dies ist ein Problem, weiß Magarete Muresan. Die 30-Jährige ist Vorstandsmitglied des KOK, des bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel. Seit 2010 engagiert sie sich für Frauen wie Jennifer, Tracy oder Helen.

Margarete Muresan: "Aus unserer Erfahrung braucht es für die Betroffen von Menschenhandel sehr lange Zeit, dass sie der Polizei vertrauen. Weil sie aus dem Heimatland andere Erfahrungswerte mit der Polizei haben - gerade wenn wir über Betroffene aus Nigeria sprechen. Wir haben Frauen hier die bis zu ein, zwei Jahre gebraucht haben, um die Wahrheit zu sagen."

Jennifer brach sich die Wirbelsäule

Auch Jennifer wird mehrmals von der Polizei aufgegriffen. Stets schweigt sie und wird wieder laufen gelassen. Als sie ihre Schulden abbezahlt hat, denkt sie, sie sei endlich frei. Ihr Traum von einem neuen Leben ist zum Greifen nah. Jennifer will unbedingt in Deutschland bleiben und stellt einen Asylantrag.

Doch ihr absoluter Tiefpunkt steht ihr noch bevor. Vor ihrem ehemaligen Asylbewerberheim beschreibt sie diese Zeit.

Jennifer: "Du hast einen Duldung in der Hand, mit dem kannst du nichts tun. Ich konnte nur in einen bestimmten Bezirk gehen, wo ich mich bewegen kann. Du darfst kein Geld verdienen. das ist wie im Knast."

Verzweifelt stürzt sie sich nachts aus dem Fenster, um sich das Leben zu nehmen.

Jennifer: "Ja, Wirbelsäule gebrochen. Das war der schlimmste Moment in meinem Leben."

Jennifers Fall ist aber kein Einzelfall. Droht die Abschiebung, scheint für die Opfer alles umsonst gewesen zu sein.

Margarete Muresan: "Wir fordern einen langfristigen stabilen Aufenthaltstitel für die Betroffenen. Wir sehen das wichtig, weil in Deutschland eine schlimme Menschenrechtsverletzung stattgefunden hat und dadurch die Betroffenen ein Recht auf den Aufenthaltstitel haben. Mindestens nach Einwilligung der Zusammenarbeit mit der Polizei - weil das den Frauen psychische Stabilität gibt und einfach Zukunftssicherheit."

Jennifers Geschichte zeigt das Versagen des deutschen Rechtsstaates im Kampf gegen den Menschenhandel. Momentan gibt es einen Aufenthaltstitel für die Opfer nur wenn sie eine Aussage vor Gericht machen. Und selbst dann gilt die Aufenthaltsgenehmigung nur für die Dauer des Verfahrens.

Bernhard Busch: "Wir wären ja auch froh, wenn wir sagen könnten: 'Ja, wenn du eine Aussage machst, können wir dir sagen, du kannst hier für immer in Deutschland bleiben.' Aber das ist eben nicht so. Für uns als Ermittler wäre das natürlich ein sehr großer Vorteil."

Opfer warten vergeblich auf Hilfe

Derzeit sind viele Ideen im Umlauf wie man den Menschenhändlern das Handwerk legen könnte.

Margarete Muresan: "Maßnahmen die jetzt zum Beispiel in der Diskussion sind, ist Anhebung der Altersgrenze von 18 auf 21 oder Pflichtgesundheitsuntersuchungen für die Frauen oder Erlaubnispflicht für die Bordellbetreiber. Viele der Maßnahmen die vorgeschlagen sind sehen wir nicht unbedingt als fördernde Maßnahmen für Betroffene des Menschenhandels."

Aus Sicht der Fachberatungsstellen muss man die Opferrechte stärken und z.B. den Frauen, die vom Menschenhandel betroffen sind, einen langfristigen stabilen Aufenthaltstitel geben. Stabile Zeuginnen können gute Aussagen bei der Polizei machen womit die Strafverfolgungsbehörden dann besser gegen organisierte Kriminalität vorgehen können.

Eine solche Art Kronzeugenregelung wird in Italien im Kampf gegen den Menschenhandel und die Zwangsprostitution bereits seit Jahren sehr erfolgreich angewandt.

Jennifer hat am Ende einfach nur Glück. Nicht der deutsche Rechtsstaat, sondern der Zufall löst ihr Aufenthaltsproblem.

Jennifer: "Mir geht es heute gut. Ich habe heute einen Teil meines Wunsches erfüllt, dass ich heute meinen Schulabschluss habe, deutsche Sprache gelernt habe und ich habe einen netten Mann, der mich akzeptiert mit alles drum und dran – mit meinen Macken und alles mich akzeptiert und der mir auch ein Kind geschenkt hat. Heute bin ich glücklich und ich freu mich auf unsere Zukunft."

Jennifer ist eine der wenigen Frauen, deren Geschichte ein gutes Ende nimmt. Die meisten Opfer warten vergeblich auf Hilfe.

Tracy hat trotz allem den Mut aufgebracht hat, gegen ihre Madame auszusagen. Heute fühlt sie sich verraten.

Tracy: "Ich habe im Moment keine Papiere. Ich habe keine Ahnung, ob sie mich abschieben werden oder ob ich bleiben darf. Ich habe totale Angst. Falls sie mich abschieben, lacht sich meine Tante ins Fäustchen. Warum? Weil ich der Polizei geholfen habe und am Ende alles verliere."

http://www.deutschlandradiokultur.de/zw ... _id=296425
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#646

Beitrag von fraences »

Kommentar zum StGB (Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, 232 StGB Rn 18, 20):

"Das Merkmal des „Dazu-Bringens“ ist weiter als das Merkmal des Bestimmens (BT-Drs. 15/3045 S. 8) und des Einwirkens (Schroeder NJW 05, 1394; s. auch BGH 45 161 [zu § 180b II Nr. 1 Alt. 1], NStZ-RR 05, 234 [...] In Betracht kommen damit alle Formen unmittelbarer psychischer Beeinflussung (vgl. BGH 45 161 [zu § 180b II Nr. 1 Alt. 1 aF]), wie Drängen, Einsatz von Autorität, Überreden durch Versprechungen, Wecken von Neugier usw. (vgl. auch Fischer 12). Da für das Dazu-Bringen keine besondere Intensität oder Hartnäckigkeit vorausgesetzt ist (iU zum Einwirken iSd § 180b aF, vgl. BGH NStZ-RR 05, 234; ferner 26. A. § 180b RN 18), werden auch einfache Aufforderungen, Angebote und Vorschläge erfasst (BGH NStZ 11, 157 [...]. Anknüpfungspunkt ist allein das Alter des Opfers, das dessen Schutzbedürftigkeit begründen soll. Darauf, ob sich das Opfer in einer Schwächesituation befindet oder sexuell noch unerfahren ist, kommt es hier nicht an. Bedenken wirft hier vor allem das Verhältnis zu § 180 II auf, wonach lediglich mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, wer eine Person unter achtzehn Jahren bestimmt, entgeltliche sexuelle Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen. Was den Unrechtsgehalt der Tat anbelangt, stellt Abs. 1 S. 2 mit seinem höheren Strafrahmen zunächst sogar geringere Anforderungen, da auch erwachsene Opfer miteinbezogen sind, die sexuellen Handlungen unentgeltlich sein können und lediglich ein Dazu-Bringen (iU zum Bestimmen iSd § 180 II) als Tathandlung genügt. Der Sanktionensprung lässt sich auch hier nur mit dem Merkmal der Ausbeutung begründen (vgl. auch BT-Drs. 15/4048 S. 12, wonach das Merkmal der Ausbeutung Wertungswidersprüche zum Sexualstrafrecht verhindern soll; krit. Renzikowski JZ 05, 880, MK 48). Die Schutzaltersgrenze beträgt weiterhin einundzwanzig Jahre, nachdem der Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/3045 S. 8) als Höchstgrenze noch achtzehn Jahre vorsah. Im Rahmen der Anhörung im Rechtsausschuss wurde jedoch darauf hingewiesen, dass junge erwachsene Frauen, die am häufigsten vertretene Opfergruppe darstellen und deshalb eines besonderen strafrechtlichen Schutzes bedürfen (BT-Drs. 15/4048 S. 12, s. dazu aber Hunecke aaO 149 f., Pfuhl aaO 103 f.). Dass damit Personen zwischen 18 und 21 Jahren den Schutz der Vorschrift genießen, ist in der Sache aber keineswegs selbstverständlich, heißt dies doch, dass dem sonst immer wieder beschworenen „mündigen Bürger“ die Fähigkeit zur Selbstbestimmung noch nicht zugetraut wird, wenn es speziell um das „Ja“ oder „Nein“ zur Prostitution oder zu bestimmten sexuellen Handlungen geht (vgl. bereits BT-Drs. 12/2046 S. 6: „an sich systemwidrig“, Fischer 17; krit. auch Thoma NKrimPol 05, 53). Vor allem im Hinblick darauf stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der angedrohten Mindeststrafe, zB bei menschlich nachvollziehbaren Handlungen unter Freundinnen. Bei § 180b IINr. 2 Alt. 1 aF konnte der großen Spannbreite auf Opferseite, die vom Kind bis zum Erwachsenen reicht, noch in der Weise Rechnung getragen werden, dass an die Intensität der „Einwirkung“ umso höhere bzw. umgekehrt umso geringere Anforderungen gestellt wurden, je älter bzw. jünger das Opfer ist, um schließlich bei Kindern schon ein bloßes Minimum an „Einwirken“ ausreichen zu lassen. Das Merkmal des Dazu-Bringens bietet ein solches Korrektiv hingegen nicht (o. RN 18; and. Böse NK 18), und zwar selbst für solche Fälle nicht, in denen das Opfer die Altersgrenze von 21 Jahren fast erreicht hat. An einem Dazu-Bringen fehlt es allerdings, wenn eine Person unter 21 Jahren bereits den Entschluss zur Prostitution gefasst hat (Hamm BeckRS 10, 14 137 zur Vermietung eines Zimmers) die Prostitution bereits freiwillig ausübt und ihr auf eigenen Wunsch hin bei der Wiederaufnahme oder Fortsetzung der Prostitution nach einem Krankenhausaufenthalt geholfen wird (BGH StraFo 07, 340, Böse NK 18; s. auch Gössel 5/36). Eine Tatbestandsverwirklichung ist im Übrigen bei Bestehen einer Garantenpflicht auch durch Unterlassen – etwa bei Nichteinschreiten der Eltern – denkbar (vgl. Hempel aaO 111, Pfuhl aaO 167 f.; vgl. aber Renzikowski MK 39)."

Dass der Gesetzgeber derartigen Verhaltensweisen als "Menschenhandel" definiert, um gewisse Assoziationen zu wecken, ist eine geradezu gröbliche Irreführung des rechtsunkundigen Publikums...
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#647

Beitrag von Klaus Fricke »

Dysfunktionaler Begriff in einem
dysfunktionalen Diskurs

Kommentar zu Ban Ying „Moderne Sklaverei“ als Begriff in der Öffentlichkeitsarbeit ...



Sehr geehrte Frau Riedemann
Sehr geehrte Frau Rohner



mit Interesse haben wir Ihren o.g. Artikel zur „modernen Sklaverei“ gelesen.


Wir
Mit der Thematik beschäftigen wir vom Bremer "Haus9" - Vermietung von Betriebsstätten an selbstständig im Bereich erotischer und sexueller Dienstleistungen tätige Menschen uns spätestens seit wir dieser gewerblichen Tätigkeit nachgehen unter anderem als Initiatoren des Projektes Ne-RO-In, als Moderator/Nutzerin des Forums sexworker.at und generell, wenn wir als Betroffene von sozialer Ächtung und Schmähung, diese Abwertung auch im Kontext der Klassifizierung (moderne) Sklaverei erleben, indem das Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen (FesD) der Beschämung unterworfen wird.

Urspung der 40.000er Hysterie
Wir möchten Sie bezüglich der von Ihnen erwähnten Kampagne zur Fußball WM 2006 und der damit verbundenen Hysterisierung (in) der öffentlichen Wahrnehmung auf einen wichtigen Tatbestand hinweisen, der in der von Ihnen verlinkten D-Radio-Kultur Sendung vom Autoren Herrn Delcker nicht berücksichtigt wurde, da die Quelle (siehe: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 114#143114 ) schwer zugänglich war (Herrn Delcker haben wir darauf bereits angesprochen). Laut dieser Quelle ist der Frauenausschuss des Deutschen Städtetages am 08.04.2005 der Ausgangspunkt der Hysterie. Persönlich verantwortlich zeichnet Frau Ulrike Hauffe, die Bremer Landesfrauenbeauftragte und weiterhin amtierende Vorsitzende des Frauenausschuss des Städtetages, dadurch, dass sie, so der Bericht des Weser-Kurier vom 09. April 2005, von 40.000 Zwangsprostituierten spricht, deren Einschleusung in die Spielorte der WM bereits in Osteuropa organisiert würde.

Wiederholungstäterin
Frau Hauffe bedauert, so ihre Einlassung in der D-Radio Sendung, die Zahl 2005 genannt zu haben. Das hindert sie nicht daran am 25.11.2013 erneut in vergleichbarer Weise Zahlen und Tatsachenbehauptungen zum Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen (FesD) in Bremen zu nennen, die wahrheitswidrig und diffamierend insbesondere rumänische und bulgarische Anbietende des Feldes auch rassistisch stigmatisieren. Sie behauptet, dass der überwiegende Teil der Anbietenden im Bremer FesD durch von Zuhältern und Schleppern bestimmten Gewaltverhältnisse mittels Angst Opfer von Ausbeutung sei ( http://www.weser-kurier.de/bremen/polit ... 19410.html ).  Diese öffentliche Beschämung führte bei den Betroffenen Anbietenden des Bremer FesD zu Empörung, die uns zur Studie "Sexarbeit in Bremen - Rumänische Sexarbeiterinnen - Arbeitsort Wohnungen" (Download Zwischenausgabe: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=138988) veranlasste.

Es ist verständlich, dass wir (die Sexarbeiterinnen, die Betreiberin, der Sprecher vom „Haus9“ und weitere BetreiberInnen und Sexarbeiterinnen) als von Stigmatisierung durch Inhabende öffentlicher Ämter Betroffene die Diffamierungen scharf zurückweisen, wie dies in der Studie geschieht. Die Aussagen der Studie sind in diesem Kontext entstanden.

Wir haben das Gespräch mit Frau Hauffe gesucht. Sie ist unserem Gesprächswunsch nicht nachgekommen. Sie hat sich vielmehr, nachdem ein Gesprächstermin zugesagt und vereinbart worden war, durch Mitarbeiterinnen der Zentralstelle zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau - Bremen (ZGF) vertreten lassen, die sich uns gegenüber bei diesem Gespräch überheblich und verächtlich verhalten haben. Fragen unsereseits wurden nicht zugelassen, uns wurden Vorschriften gemacht, wer an dem Gespräch teilnehmen dürfe, uns wurde das Wort abgeschnitten und die gesamte Atmosphäre war von Ablehnung, wir empfanden das als Abscheu, seitens der ZGF geprägt.

Betroffene
Dieses Erleben setzt sich für uns fort bei

- der Frauenheld-Kampagne (http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=140910),
- dem Team von Terre des Femmes Bremen (http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12338)
- der Femministischen Partei DIE FRAUEN (http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12490)

Jeweils wurden unsere Interessen verletzt, wurden wir als GesprächspartnerInnen ignoriert oder mit dem Status versklavend versehen.

Ihre Analyse und differenzierte Betrachtung des Begriffes "moderne Sklaverei" und ihre Kritik an der unsachlichen, irreführenden und unangemessenen Nutzung des Begriffes im aktuellen Diskurs teilen wir. Als von dem aktuellen Ächtungsdiskurs gegen das FesD mittelbar und konkret Betfroffene, als persönlich diffamierte, ausgegrenzte, stigmatisierte, rassistisch und sexistisch entwertete Menschen, ist uns die Schlussfolgerung


"Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass Migrant_innen anfällig für Ausbeutung, Misshandlung, Gewalt oder Menschenhandel sind aufgrund der globalen sozialen Ungleichheiten und als Effekt der restriktiven Migrations- und sozialen Gesetzgebungen. Alle Kampagnen zu „moderne Sklaverei“ sollten in diesen Kontext gesetzt werden."

zu unbestimmt, zu diplomatisch.

Wir halten es für inakzeptabel, dass der Begriff der Sklaverei/modernen Sklaverei im Zusammenhang mit dem FesD diskursiv genutzt wird. Jede Nutzung dieses Begriffes zur Beschreibung unserer Realität ist nicht nur unangemessen, sondern beschämend und beleidigend auch für die tatsächlich in völliger Entrechtung lebenden Menschen. Die ihnen widerfahrende entmenschlichende Behandlung wird durch die an uns gerichtete Zuschreibung Sklaverei verharmlost.

Für uns ist die mit der Nutzung des Begriffes einhergehende Abwertung unserer Tätigkeit, unseres Lebens, unserer Personen, unserer Angehörigen unfassbar ignorant. Einzelfälle von dem, was mit dem irreführenden Begriff "moderne Sklaverei" bezeichnet wird, haben nichts mit unserem Leben und dem FesD zu tun.

Gewalt in familiären Beziehungen, Tote im Straßenverkehr und die Geburt von Kindern in eine von Armut, Ungleichheit, Krieg, Profitmaximierung, Hierarchie und von patriarchalen Mustern mitgeprägte Welt rechtfertigen eine Ächtung von Geburt, Straßenverkehr und Familie als Unrechtshandlungen ebensowenig, wie Einzelfälle es erlauben, das FesD als Unrechtsort, schon gar nicht als Sklaverei zu identifizieren.

Wir hätten uns gewünscht, dass sie ihre Ausführungen zum Diskurs um die "moderne Sklaverei" mit einer klaren Botschaft abgeschlossen hätten. Wenn schon nicht mit der plakativen und eingängigen Feststellung Sexarbeit ist keine Sklaverei und mit dem Statement Sexarbeit? - Respekt! dann wenigstens mit der Feststellung:

Die entwertende Ettikettierung (moderne) Sklaverei schädigt Migrierte. Sie erhöht Verletzlichkeit. Eine Skandalisierung von problematischen Elementen der Migration als Sklaverei fördert Hysterie, Panik, Populimus und Rassismus. Der Begriff ist emotionalisierend, irreführend und unangemessen. Er ist dysfunktional für den und Abbild der Dysfunktionalität des aktuellen Menschenhandelsdiskurs (siehe http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12440).

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Fricke
Lara Freudmann

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#648

Beitrag von nina777 »

GLOBAL REPORT ON TRAFFICKING IN PERSONS

UNITED NATIONS OFFICE ON DRUGS AND CRIME

Vienna
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#649

Beitrag von Arum »

          Bild
nina777 hat geschrieben:
Duisburg. Im Vulkanviertel steht eines der größten Laufhäuser der Republik. [..] Und überall Afrikanerinnen.
Ich bin nicht oft dort gewesen, aber meines Wissens sind nur sehr wenige Schwarz-Afrikanerinnen dort aktiv. Die eine schwarze Frau, der ich dort selber mal begegnet bin, war eine Kolumbianerin, und die war schon seit vielen Jahren dort aktiv.
Diese Allgemeinerfahrung wird bloss bestätigt von einer Runde entlang niederländischer Freierrezensionen. Kaum die Rede von schwarzen Frauen. Vielleicht hat sich mittlerweile etwas geändert: Das werde ich dann gerne mal feststellen gehen. Wollte eh schon mal wieder hin. Aber ich schätze mal, hier ist wohl wieder etwas effekthascherisch übertrieben worden.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

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#650

Beitrag von nina777 »

bundeslagebild rotlichtkriminalität 2013

vielen Dank an Holger Rettig
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#651

Beitrag von fraences »

The American Rescue Industry: Toward an Anti-Trafficking Paramilitary

http://www.truth-out.org/news/item/3006 ... ramilitary
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#652

Beitrag von Klaus Fricke »

2013_uegd_bundeslagebild_rotlichtkriminalitaet.pdf
Autor: Holger Rettig

download s.o. http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 071#145071
oder über www.uegd.de
oder direkt
http://www.uegd.de/images/stories/pdf-d ... litaet.pdf

Sehr lesenswert

Auch von mir
Vielen Dank

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RE: Menschenhandel vs. Migration

#653

Beitrag von fraences »

Gesetzentwurf: Strafbarkeit des Menschenhandels soll erweitert werden
Künftig soll der Tatbestand des Menschenhandels auch erfüllt sein, wenn die Opfer ins Land gebracht werden, um strafbare Handlungen zu begehen oder zu betteln. Auch wer Menschen ins Land bringt, um ihnen Organe zu entnehmen, soll künftig nach dem Paragraphen im Strafgesetzbuch (StGB) bestraft werden können.

Laut Begründung der Bundesregierung greift in diesen Fällen bisher nur das Transplantationsgesetz. Bisher war Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft beziehungswiese zur sexuellen Ausbeutung strafbar. Der Gesetzentwurf sieht zudem eine Erweiterung des Qualifikationstatbestandes in Fällen der Förderung des Menschenhandels (§233a StGB) vor.

Demnach sollen Täter härter bestraft werden, wenn das Opfer unter 18 Jahren alt ist, oder die grob fahrlässige Gefährdung des Lebens des Opfers in Kauf genommen wird. Die Änderung soll auch auf die übrigen Menschenhandelsparagraphen (§§232, 233 StGB) angewandt werden.

Mit dem Vorhaben soll die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 umgesetzt werden. Hier der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 18/4613 - PDF).

http://www.rechtsindex.de/recht-urteile ... ert-werden
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#654

Beitrag von fraences »

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RE: Menschenhandel vs. Migration

#655

Beitrag von Klaus Fricke »



Menschenhandelsideologie
Bündnisfähigkeit - Zwangsherrschaft des ProstSchG - Gefahrenabwehr - Prävention - Feindstrafrecht
Das Land Bremen als Beispiel

Affirmative Wirkung der Rede vom sogenannten "Menschenhandel"

Der Begriff des sogenannten "Menschenhandels", seine Operationalisierung durch immer weitere und weitergehende Novellierungen des Straftatbestandes des sogenannten "Menschenhandels", in denen der Wortgehalt des Begriffes, Handel mit Menschen, also Eigentum an Menschen, das zum Handel berechtigt, aufgelöst und zur Unkenntlichkeit überdehnt wird, trifft offensichtlich auf die zur Ausbeutung in den Sozialhilfebezug gelockten Südosteuropäer_innen des Landes Bremen nicht zu. Ebensowenig trifft er auf die EU-Bürger_innen zu, die veranlasst wurden in deutschen Schlachthöfen tätig zu werden, oder auf die Menschen, die die Hoffnung auf ein gutes Einkommen nach Deutschland gelockt hat, um hier der Sexarbeit nachzugehen, auch wenn Arbeitende z.B. in Schlachthöfen unmittelbar der Ausbeutung, eventuell der schweren Ausbeutung oder gar der Ausbeutung in einer der Sklaverei ähnelnder Weise unterliegen. Die 40.000 Zwangsprostituierten, von denen die "Elite" der Bremer Politik sich traumatisieren ließ, sie waren im Wissen um die zweifelhafte Seriosität dieser Zahl, eine kalkulierte Provokation der Bremer Frauenbeauftragten Ulrike Hauffe, die als Gerücht Verbreitung bis ins State Department fand und über diesen Instanzenweg den Status der Wahrhaftigkeit der Erzählung vom sogenannten "Menschenhandel" wirksam rekonstruierte, reaktualisierte und bis heute "verifiziert".

Eine strafrechtliche Wertung der Ausbeutung als Verbrechen, hat unter der Ägide der entfalteten Verwertung der Welt, die die neoliberale Erscheinungsform kapitalistischer Wirtschaft und Gesellschaftsformation realisiert, eine Halbwertzeit, die mit der Kriminalisierung des halluzinierten Handels mit Menschen enden muss, soll nicht die Systemfrage über das Strafrecht entschieden werden. Die Verwerflichkeit des halluzinierten Handels darf Anlass zur Empörung sein, die Realität der Ausbeutung nicht. Die Rede vom Menschenhandel ist affirmativ, sie ist ideologisch im Sinne der Verschleierung, der Verdeckung, der diskursiven Negierung, der Abschaffung der Diskussion um die grundlegende Tatsache der Ausbeutung, die Armut von Reichtum, Überflüssige von Verwertbaren trennt.

Menschenhandel als Ideologie: Blinde Flecken - Beispiel Bremen
Das Phantasma z.B. der 40.000, dass die Verengung des Blickes auf ausbeuterische Verhältnisse lediglich in der Sexarbeit bewirkt, das mittels der Begriffe Mädchen-, Frauen-, Menschen- bzw. Sklavenhandels begleitet wird von der Verdrängung des Verbrechens der Ausbeutung, erzeugt, hysterisch bedingt, Blinde Flecken politischer und administrativer Aufmerksamkeit. Obwohl die sich für die Bekämpfung des sogenannten "Menschenhandels" in Bremen für zuständig Erklärenden auf die Verengung ihrer Sichtweise - sogenannter "Menschenhandel" findet nur in der Sexarbeit statt und ist eigentlich Mädchen-, Frauen-, Sklavenhandel - bereits am 21.01.2013 von mir in einer Mail an die damalige Leitung des Runden Tisch Menschenhandel Bremen, die Bremer Beratungsstelle für die Opfer von Menschenhandel (BBMeZ) hingewiesen wurden, wurde die Verbringung in die Ausbeutung in den Sozialhilfebezug, die bereits 2013 begonnen hat, so die Erkenntnisse von heute richtig sind, erst im späten Frühjahr 2016 zum Bremer Politikum. Geholfen hat, um die Verengung dieses Blicks zu beheben, auch die inhaltlich mit meiner Kritik ähnliche Feststellung von Nicola Dreke, ehemalige Projektmitarbeiterin der Diakonie Bremen und von Gregor Weissner, Kriminalkommissar bei der Polizei Bremen, zuständig für den Bereich des sogenannten "Menschenhandels" nicht, die am 24.09.2013 auf Seite sieben im Weser-Kurier äußerten, dass das Problem des sogenannten "Menschenhandels" in die Arbeitsausbeutung in Bremen keine öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hätte und es folglich keine polizeilichen Erkenntnisse zu solchen Delikten gäbe.

Das geschieht wenn Hysterie, selektive Wahrnehmung mit Halluzinationen paarend, den Untergang der Menschenwürde allein bei der vorgeblichen Brutalisierung des Begehrens durch die Sexarbeit wahrzunehmen vermag und darüber die Verbrechen der Ausbeutung, die in einer kapitalistisch neoliberalen Wirtschaftsordnung allgegenwärtig sind, mit der Skandalisierung des sogenannten "Menschenhandels" aus dem Bewusstsein, aus dem Diskurs fegt.

Bündnisfähigkeit
Zu meinen, dass die Wortführenden der Konstruktion "Menschenhandel", des Diskurses, des Dispositivs mit dem Sexarbeit entwertet wird, das die Personen, Organisationen und Institution, die sich auf dieses Dispositiv beziehen, für Pro-Sexarbeit-Aktivitäten bündnisfähig sind, ist ein Irrglaube. Wer nicht von Armut, von der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, vom Krieg der herrschende Klasse gegen die Armen (Waren Buffet), von Ausbeutung spricht, sondern sich mit der Rede vom sogenannten "Menschenhandel" gegen Sexarbeitende stellt, die diese Option gewählt haben, um der Armut zu entkommen, wer diese Option mit dem Verweis auf deren Minderwertigkeit, der Konstruktion ihrer angeblich kriminogenen Herkunft, ihrer vorgeblichen Veranlassung durch Schlepper und Gewaltverhältnisse diskreditiert, sollte, wenn es um seine angeblich gewährte Unterstützung der Sexarbeit geht, Schweigen, sollte aufhören zu behaupten, im Bündnis mit Sexarbeitenden zu stehen. Der Diskurs der Macht, den die Rede vom sogenannten "Menschenhandel" darstellt, legitimiert im öffentlichen Bewusstsein die Notwendigkeit der Zwangsherrschaft gegen Sexarbeit, die ihren Ausdruck im Prostitutiertenschutzgesetz gefunden hat.

Bündnisfähig für die Sexarbeit sind gesellschaftlichen Kräfte, die die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft durch die neoliberal kapitalistische Gesellschaftsformation in der wir leben, die die Ausbeutung und sonstigen Verbrechen dieser Wirtschaftsordnung, die zu Armut führen, zum Ausgangspunkt ihres politischen Handelns machen, sofern sie auch die aus Armut gewählte Option Sexarbeit, als einen emanzipatorischen Akt der Befreiung aus dieser Armut zu verstehen bereit sind. Bündnisfähig sind vielleicht zudem noch radikalliberal-freiheitliche Kräfte, die sich der Durchdringung der Gesellschaft vom Denken der Gefahrenabwehr widersetzen, das im Gewand der Rede von der Prävention flaniert und nur gelegentlich den Schleier lüftet, unter dem das Feindstrafrecht sichtbar wird (Debatte Feindstrafrecht http://www.institut-fuer-menschenrechte ... sstaat.pdf , Heiner Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat, und weiterführend: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv ... s-8-06.pdf verschiedene Autoren)

Der linke Neo-Kolonialismus, der sich mit Bezug auf seinen Diskurs um den sogenannten "Menschenhandel" und die Beschwörung der Menschenwürde gegen die Entscheidung von aus Armut kommenden Menschen für die Sexarbeit stellt, der diese Haltung mit missionarischen Eifer auch bei der Partei Die Linke verfolgt, handelt demgegenüber nach dem Grundsatz: »"Souverän ist das Volk, wenn es so wählt, wie es soll" [Luca Ricolfi, italienischer Sozialpsychologe]. "Tut es das nicht, dann muss man intervenieren bzw., wie es etwa vor ein paar Wochen in einem Zeitungsartikel hieß, "das Volk vor sich selbst schützen" indem man die gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse parlamentarisch in die richtige Richtung korrigiert. Und, unter Bezugnahme auf Gramsci stellt er fest: "Kulturelle oder politische Hegemonie erringt man mit dieser Haltung in Zeiten des Internets und der sozialen Medien nicht mehr." Vielmehr sei nötig: "Ein Ernstnehmen der 'einfachen' Bevölkerung als 'Intellektuelle' ihres eigenen Alltags und die Nutzung des Alltagsverstandes, des 'senso comune' als Sockel eines linken, emanzipatorischen Projekts."« (K.J. Bruder, Die Austreibung der Kritik aus der Politik, auf Nachdenkseiten vom 15.08.2016, Seite 10).

Grundgedanken zur Bündnisfähigkeit formulierte ich bereits hier http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 930#151930 und sie mögen in dem hier entwickelten Zusammenhang vielleicht nachvollziehbarer sein:

»Der abolitionistische Diskurs um den Menschenhandel, der zentrale Grundlage der Diffamierung der SW als kriminogen ist, der SW und die in ihr Aktiven der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit unterwirft, der die Hurophobie als menschenrechtlich begründet konstruiert, ist, jenseits der Diskussion um einzelne Gesetzesvorhaben, zurückzuweisen.

Alle, die den Diskurs um den Menschenhandel als einen um die SW führen, kommen als Bündniskräfte für die SW nicht in Frage. Alle die den Diskurs um Ausbeutung, gegen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und gegen die moralische Bevormundung mit einem Ideal des besseren Menschen zum Ausgangspunkt ihres Handelns machen, könnten Bündniskräfte sein. Kräfte bei den Linken, die moralischen Strömungen in den Reihen der Linken gegen Sexarbeit aufgreifen … welche Ausbeutung in der Sexarbeit unter Vernachlässigung der strukturellen Gewalt kapitalistischer Verhältnisse in den Mittelpunkt ihrer Systemkritik stellen, sind reaktionär … Sie … sind bestenfalls Verfechtende des Paternalismus im Gewand feministischer Rhetorik, sind Protagonisten eines linken Neofaschismus.

… Alle, die die Ausbeutung in den Mittelpunkt stellen und Verhältnisse anstreben, in denen Ausbeutung, in denen die Spaltung in Arm und Reich, in denen Ideologien des neuen Menschen, der Masstab des Richtigen sein soll, überwunden werden, mögen Bündniskräfte von SW sein. [Den] Kräfte[n], die vom Menschenhandel sprechen, und damit den Diskurs gegen das Recht auf SW führen, ist durch die fundamentale Dekonstruktion ihres moralischen Menschenhandelsbegriffs als faschistoide Gesinnung zu begegnen.«

Anders gesagt:

Die Hurenbewegung sollte von Ausbeutung, von gesellschaftlicher Spaltung in Arm und Reich, von kalkulierter moralischer Hysterie gegen die Sexarbeit und der so bewirkten Überdeckung der Ausbeutungsverhältnisse sprechen, um die Ideologie des sogenannten "Menschenhandels" zum Schweigen zu bringen.

Bündnisfähige werden sich so vielleicht finden. SPD, CDU/CSU, GRÜNE, AfD, FDP etc gehören nicht dazu. Alle die sich die Menschenhandelsideologie zu eigen machen ebenfalls nicht. Diejenigen die ein Prostituierten-Schutz-Gesetz light befürworten, dass lediglich die Betreibenden von Sexarbeitsorten und -veranstaltungen als Feinde(sland) begreift, auch nicht. Gesundheitsämter, die zukünftig Zwangsberatung zu exekutieren gedenken und deren Mitarbeitende, stehen genauso jenseits der Bündnisfähigkeit. Sich um die Unterstützung all dieser, sofern sie ihre Haltung nicht grundsätzlich ändern, zu bemühen, so sehe ich dies heute, war Zeitverschwendung und wird es bleiben.

Die Ideologie des sogenannten "Menschenhandels" ist zudem die Quelle der sich auf Gefahrenabwehr berufenden Gewalt, welche sich im "Prostituierten-Schutz-Gesetz" bereits feindstrafrechtlich gegen die im Feld der erotischen und sexuellen Dienste Aktiven niedergeschlagen hat. Bei der beabsichtigten Novellierung des Strafrechts zum sogenannten "Menschenhandel" führt sie die Feder nicht nur gegen Sexarbeitende, Betreibende von Sexarbeitsorten und -veranstaltungen sondern massiv auch gegen die Kundschaft der Sexarbeit.

Diese Ideologie ist die derzeit wohl zudem wirksamste Quelle der sozialen Ächtung der Sexarbeit. Mit ihr wird wirkmächtig die moralisch und emotional aufgeladene Geschichte von der Entwürdigung der Frau erzählt und damit das Freiheitsrecht auf selbstbestimmte Sexualität, zu dem auch das Agieren im Feld der erotisch-sexuellen Dienste gehört, zum Feindesland erklärt. Diese Ideologie mag zudem Einfluss nehmen auf die Entscheidung potentieller oder vorhandener Kundschaft, die sich gegen ihr Begehren stellen, um sich nicht am vorgeblichen System der Prostitution, an der vorgeblichen Brutalisierung des Begehrens (A. Schwarzer) zu beteiligen.

Dieser Desinformation vorhandener und potentieller Kundschaft durch die Ideologie des sogenannten "Menschenhandels" kann ebenfalls begegnet werden, indem sie vom Kopf des vorgeblichen Handels mit Menschen, auf die Beine der Verschleierung von Ausbeutungsverhältnissen gestellt wird, nicht ohne zu vergessen, das Sexarbeitende eine Dienstleistung und weder sich selbst als gesamte Person noch "nur" ihren Körper verkaufen. Auch insofern ist strategisch die Bündnisfähigkeit von Teilen der Kundschaft in die Überlegungen der Hurenbewegung einzubinden, die sich zwar selbst zu konzipieren hat, dies aber im Wissen um den Krieg, der gegen sie geführt wird, mit Blick auf alle Aktiven im Feld der erotisch sexuellen Dienste tun sollte.

Dem vorgeblichen Schutz der Würde der Frau, dem das Freiheitsrecht auf selbstbestimmte Sexualität im Feld der erotisch-sexuellen Dienste untergeordnet werden soll, mögen bald andere Einschränkungen aufgrund beliebiger Würde- oder Sicherheitsvorstellungen und Behauptungen folgen, wie z.B. die Diskussion um zulässige Bekleidung islamisch glaubender Frauen es zeigt. In der Summe können diese das Versprechen auf die freie Entfaltung eines jeden, bezüglich des Denkbaren, Sagbaren und Zulässigen inhaltlich entleeren, nachdem es die Wirtschaftsordnung, in der wir leben, global für die Mehrheit durch den Entzug von Ressourcen und die Verweigerung von gleichberechtigter Teilhabe materiell bereits begraben hat oder vom Mittelmeer, um ein Beispiel zu nennen, begraben läßt. Dies spricht für die Bündnisfähigkeit radikalfreiheitlicher Kräfte.

Mikro Horio
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am 30.08.2016

Klaus Fricke
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RE: Menschenhandel vs. Migration

#656

Beitrag von Klaus Fricke »


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Tilopa
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Menschenhandel vs. Migration

#657

Beitrag von Tilopa »

Hier das aktuelle Bundeslagebild Menschenhandel (27.09.2019):
https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseit ... andel.html
Sexuelle Ausbeutung im Überblick:
  • 356 Verfahren (+8,9 %)
  • 430 Opfer (-12,1 %)
  • 552 Tatverdächtige (+5,5 %)
  • häufig deutsche, bulgarische, rumänische Opfer/Tatverdächtige
Also 2018 im Vergleich mit 2017 mal wieder sinkende Opferzahlen bei gleichzeitig gestiegener polizeilicher Aktivität. Ein vernünftig denkender Mensch mit einem gewissen Grundvertrauen in das Funktionieren der Polizei sollte sich also darüber freuen, wie auch über die Tatsache, dass die Zahl der Opfer insgesamt so gering ist und sogar die Zahl der Tatverdächtigen unterschreitet (Die Behauptung mächtiger "Zuhälterbanden" ist also ebenfalls unhaltbar).

Und was machen die Medien und die Verbotslobby momentan mal wieder draus? Esoterische "Dunkelfeld"-Hysterie und die hirnrissige Forderung, dass die Polizei lieber Freier jagen und Huren diskriminieren soll, damit angeblich "die Nachfrage zurückgeht" (eine Annahme, die ebenfalls widerlegt ist). Und wo die ja scheinbar so viel auf die Polizei halten, haben sie in ihrer Hetzkampagne der letzten Wochen diesen (ausnahmsweise mal belastbaren) Datenpunkt wieder bequem und dreist unter den Teppich gekehrt.

Das zeigt deutlich: Diesen ideologisierten Dunkelmännerm (und Frauen) geht es immer nur um Ausleben ihrer eigenen Prüderie und ihres blinden Hasses auf jedes nicht-monogame Sexualleben. Und sie stehen auf Kriegsfuß mit Anstand, Logik und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber das wissen wir ja schon... :045

Für Tilopa heißt es immer noch: Keinen Fußbreit diesen modernen Faschisten in der Maskerade des "Feminismus", der "Migrationsskeptiker" und der "besorgten Bürger"!
[Es] geht nicht um Verbrechen, sondern um Moral. Und hier fängt der Übergang eben an von einem Rechtsstaat, der die Freiheiten sichern soll, zu einem Verbotsstaat, der den Menschen vorschreibt, wie sie denken und handeln sollen, wie sie lieben, betrügen, Sex haben sollen. (...)
In ihrem Denken ist kein Platz für autonome, freie Männer und autonome, freie Frauen, für Menschen, die entscheiden, dass sie selbst tun, was sie wollen(...).

(Georg Diez 2013 in einer "selten klaren und wahren Analyse" im Spiegel mit dem Treffenden Titel: "Lustfeindlich und Selbstgerecht") https://www.spiegel.de/kultur/gesellsch ... 37575.html

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Kasharius
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Re: Zuhälterunwesen, Prozesse, Menschenhandel

#658

Beitrag von Kasharius »

Danke @Tilopa!

Kasharius grüßt

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Re: Menschenhandel vs. Migration

#659

Beitrag von Zwerg »

Auch ich sage Danke!

Auf Wunsch von Tilopa wurde sein Beitrag in den Thread Menschenhandel vs. Migration verschoben (wie er völlig richtig erkannt hat, ist er unter diesem Titel aussagekräftiger)

Liebe Grüße

christian

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