Autor: Marc Neller| 23.04.2011
Familienministerin will schärferes Bordell-GesetzKristina Schröder will den boomenden Handel mit Frauen bekämpfen. Dafür sollen entsprechende Kontrollmöglichkeiten eingeführt werden.
Es musste etwas geändert werden, dringend, so sehen es die beiden Frauen, die unter der Kuppel des Berliner Reichstags stehen und miteinander anstoßen. Eine grüne Abgeordnete die eine, Bordellchefin die andere. Es ist Ende Oktober 2001.
Foto: dapd/DAPD
Kristina Schröder will die Gesetze ändern, um Zwangsprostitution nachhaltig zu bekämpfen Vor wenigen Minuten hat der Bundestag ein neues Gesetz beschlossen. In ein paar Wochen wird Prostitution nicht mehr sittenwidrig sein, sondern eine Arbeit wie jede andere, legal, mit Sozialversicherung.
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weiter blättern Prostituierte geben Einblick in ihre ArbeitEs muss etwas geändert werden, dringend, sagt Ursula von der Leyen. Die Familienministerin in Angela Merkels großer Koalition aus Union und SPD hat überprüfen lassen, was das Gesetz der rot-grünen Vorgängerregierung gebracht hat. Leider nichts, findet die Ministerin.
Im Gegenteil. Menschenhändlerringe locken Frauen, vor allem aus Afrika und Osteuropa, mit falschen Versprechen nach Deutschland, ohne Papiere, ohne Geld, um sie zu Sexsklavinnen abzurichten. Es werden immer mehr. Es ist Anfang 2007.
"Fucking Berlin" Es müsse etwas geändert werden, dringend, glaubt nun auch Kristina Schröder, die aktuelle Bundesministerin für Familie und Soziales. Es ist Ende April 2011. Es scheint ihr ernst damit zu sein. Sie will tun, wozu Fachleute seit Jahren raten: die Gesetze verschärfen.
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In Deutschland arbeiten etwa 400.000 Prostituierte, die Mehrheit der Prostituierten in Deutschland sind Migranten. Zahlen und Fakten:
Etwa 360.000 der Prostituierten sind Frauen.
63 Prozent der weiblichen Prostituierten sind Migranten.
28.000 Männer prostituierten sich.
80 Prozent der Männer im Sexgewerbe sind Migranten.
Die Zahl der transsexuellen Prostituierten wird auf 12.000 geschätzt.
Woher die Migranten unter den Prostituierten stammen:
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Zentraleuropa: 42 Prozent
Osteuropa, Zentralasien: 16 Prozent
Baltische Staaten: 8 Prozent
Balkanstaaten: 3 Prozent
Übriges Europa: 2 Prozent
Asien, Pazifik: 15 Prozent
Lateinamerika, Karibik: 8 Prozent
Afrika: 6 Prozent
Anteil der Prostituierten, die über ihre Arbeitsbedingungen und Safer Sex selbst bestimmen können:
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Deutsche Prostituierte: 65 Prozent
Migranten: 45 Prozent
Quelle: TAMPEP 2010, Stand: 2008. Tampep ist eine private Organisation, die sich um Prostituierte in Europa kümmert. Mehr: tampep.eu
In ihrem Ministerium kursiert ein Papier, dessen erster Satz das Problem trifft: "Trotz intensiver Bemühungen der zuständigen Behörden von Bund und Ländern ist es bisher nicht gelungen, die Kriminalität des Frauenhandels und der Zwangsprostitution nachhaltig zu bekämpfen."
Der Menschenhandel blüht, er sichert der Organisierten Kriminalität einträgliche Geschäfte. Mindestens 40.000 Opfer, zumeist Frauen, gehen in Europa jedes Jahr auf die Konten von Menschenhändlerringen. Sie beuten Frauen und Mädchen sexuell aus. Viele von ihnen werden gezwungen, in Bordellen zu arbeiten. Deutschland ist für die Menschenhändler ein wichtiger Markt.
Dennoch können die Behörden, die Polizei und die Gewerbeämter, bisher kaum etwas dagegen unternehmen. Und die Justiz tut sich schwer, die Täter zu bestrafen. Denn aus all den Einsichten in die schlimme Lage ist bisher keine konkrete Politik geworden.
Schröders Vorstoß zeigt Mut zur Tücke
Nicht in Europa, nicht in Deutschland. Nun also unternimmt die Familienministerin Schröder einen neuen Anlauf: Bis Ende Mai sollen die großen Linien eines neuen Gesetzes erkennbar sein. Kristina Schröder beweist mit ihrem Vorstoß Mut zur Tücke.
Denn das Problem wird zwar oft beklagt, auf allen Ebenen, von der EU über den Bund bis zu den Bundesländern. Von den Polizisten, die Täter dingfest machen sollen, aber kaum eine Handhabe dafür besitzen. Und von den Opferverbänden, die junge Mädchen aus ihrer Sklaverei befreien wollen. Passiert ist kaum etwas.
Druck auf EU-Mitgliedstaaten
Immerhin hat es sich die Innen-Kommissarin der EU, Cecilia Malmström, zur Aufgabe gemacht, Menschenhandel und Zwangsprostitution zu bekämpfen. Sie macht Druck. Sie beklagt, dass die Mitgliedstaaten die Vorgaben der EU nicht umsetzen, oder jedenfalls nicht konsequent. Sie nennt Deutschland nicht, aber an Deutschland kann man gut ablesen, warum sich das Problem seit Jahren verschärft.
Die Innenminister der Länder haben, obwohl auch sie schon früh auf die Probleme aufmerksam gemacht haben, lange gebraucht, bis sie sich nach zähem Ringen auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen konnten. Das war im vergangenen Herbst.
Bundesregierung tut sich schwer
Auch die Bundesregierung tut sich schwer, eine Linie zu finden. Als Angela Merkel noch mit der SPD regierte, verdächtigten die Partner sich gegenseitig, eine Lösung zu behindern. Die SPD regiert seit zwei Jahren nicht mehr mit. Doch noch immer macht es nicht den Eindruck, als hätten es die Ministerien eilig, mit denen sich Schröder abstimmen muss, will sie ein Gesetz zustande bringen.
Es gebe bisher nichts Konkretes, keinen Gesetzentwurf oder dergleichen, sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Nein, nichts Neues bisher, heißt es auch im Innenministerium und im Wirtschaftsministerium. Diese Ressorts haben mitzubestimmen, wenn es um eine Gesetzesänderung geht. Denn sie sind zuständig für Paragrafen, die Aufgaben der Polizei, für gewerberechtliche Fragen.
Entsprechende Kontrollmöglichkeiten
Schröders Fachleute greifen nun einige der zentralen Vorschläge auf, die die Innenminister in einem gemeinsamen Papier aufgeschrieben haben. Vor allem zwei davon: Erstens sollen Erlaubnispflichten für alle Prostitutionsstätten verhindern, dass schon einmal verurteilte Menschenhändler Bordelle betreiben.
Und zweitens soll es entsprechende Kontrollmöglichkeiten geben, die bundesweit gelten. Nach Informationen von "Welt Online" soll die Abstimmung mit den Ministerkollegen im Kabinett bis zum Sommer gelingen. Danach beginnt das übliche parlamentarische Verfahren. Das zumindest ist der Plan.
http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... esetz.html