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Berichte, Dokus, Artikel und ja: auch Talkshows zum Thema Sexarbeit werden hier diskutiert
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Marc of Frankfurt
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Pressekodex statt Presseerklärung

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Entwurf:


Freiwillige Selbstverpflichtung zu

Standards fairer Medienberichterstattung zu Prostitution, Sexwork & Paysexkonsum



Wir die Zeitung / das Online-Medium / die Filmproduktion xyz

verpflichten uns im Sinne eines erweiterten Pressekodex die folgenden Leitregeln und Werte in der journalistischen Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, zu berücksichtigen und einzuhalten:
  1. Prostituierte sind Menschen wie ich und du. Sie sind weiblich, männlich oder transsexuell, hetero, schwul, bi oder polyamor, exhibitionistisch oder schüchterner ... Sie sind Mütter, Schwester, Tochter, Nachbarin, Arbeitskollegin, Lehrerin, Migrantin, Professorin oder Studentin... und neben- oder hauptberufliche Alleinselbständige Sexdienstleister_in. Sie versuchen wie alle Werktätigen ihren Unterhalt zu verdienen und für sich und ihre Angehörigen eine menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Sie sind nicht als Außenseiter, Bürgerschreck oder Exoten zu portraitieren.
  2. Der politisch korrekte Name lautet Sexworker / Sexarbeiter_in / Sexdienstleister_in und ist vorzuziehen vor stigmatisierenden, belasteten Begriffen wie Prostituierte, Dirne, Nutte ... oder Gunstgewerblerin. Medien haben eine Vorbildfunktion mit zeitangemessener Aufklärungsverpflichtung, wenn sie ihrer Rolle als Ordnungsmacht und 4. Gewalt im Gemeinwesen verantwortunsbewußt nachkommen wollen.
  3. Vojeuristische Schnappschüsse aus dem Rotlichtmilieu sind zwar sexy, illustrativ und wirkmächtig, aber oftmals zweckentfremdete, geklaute, einseitige, nichtkonsensuale, menschenwürdeverletzende Darstellungen der Sexarbeiter_innen und unserer intimen Lebens- und Arbeitsräumen, die wir nur für unsere Kundschaft inszenieren und öffnen. Bei allen Nachrichten zur Prostitution die Gelegenheit nutzen ein erotisches Girl vom Straßenstrich abdrucken zu können [Symbolphoto] ist niederen Instinkten folgender Boulevard Journalismus. Vojeurismus und bürgerliches Schaudern sollen ausgelöst werden um Auflage und Zugriffszahlen zu erhöht aufkosten einer stigmatisierten sexuellen Minderheit.
  4. Eine überwiegend auf ideologisch, moralischen Werten gegründete Berichterstattung, die evidenzbasierte, wissenschaftliche Forschungsergebnisse ausspart und Sexworker einseitig nur als Menschenhandelsopfer, Sexsklaven oder Schädiger und Bedrohung der Nachbarschaft darstellt und ihre Kunden und Organisatoren der Sexarbeit als Täter, ist abzulehnen.
  5. Sexarbeit ist vielfältig und hochgradig ausdifferenziert (Diversity). Eine Fokussierung auf einseitig ausgewählte Opfer/Täter-Geschichten oder nur den sichtbaren weil rot ausgeleuchteten Strich und Rotlichtviertel, verzerrt die Realität und zementiert Vorurteile, Stigma, Ausgrenzung sowie Verletzlichkeit und Ausbeutbarkeit.
  6. Sich moralisch einseitig unausgewogen fundamentalistisch gegen Prostitution zu positionieren im Nachrichten-Teil und gleichzeitig (teilweise überhöhte) Werbeeinnahmen mit Prostitutionsanzeigen zu generieren im Werbeteil ist praktizierte Doppelmoral, Scheinheiligkeit und unakzeptable Geschäftemacherei.
  7. Werbung für unsafer Sex und andere riskante, ausbeuterische Sexdienstleistungen sind abzulehnen. Wenn Schlagworte wie "alles ohne", "natur" und "tabulos" auf riskante gefährliche Sexpraktiken hinweisen sollen, sind entsprechende Anzeigen abzulehnen und dies ist der Interessen-Selbstvertretung der Sexworker mitzuteilen. Stattdessen sollte die Formulierungen der Prävention und AIDS/STD-Gesundheitsaufklärung wie "safer Sex", "Kondom" nicht länger zensiert werden. Analoges gilt bei illegaler Beschäftigung wie "Teenee-Sex" bzgl. der Problematik Minderjährigkeit oder "exotisches Frischfleisch" bei als Ausländer prekarisierten Migranten, die evt. ausgebeutete sog. Menschenhandelsopfer sind.
  8. Solange Sexworker in der Gesellschaft von einem hegemonialen Teil als soziales Übel betrachtet werden (ungeachtet der Tatsache, dass ihre Dienstleistungen von Mitgliedern der selben Gruppe auch stark nachgefragt werden), benötigen Sexworker besonderen Schutz ihrer Privatsphäre, um nicht Opfer von Gewalt- und Haßtaten zu werden. Keinesfalls darf ihre zum Schutz selbstgewählte Sexworker-Identität ausgekundschaftet und dann der Künstlername zusammen mit dem bürgerlichen Familienname, privaten Fotos von Familie, Wohnung oder ihr Gesicht und Fotos ihrer Escort-Homepage oder Facebookseite unabgedeckt ohne vorherige schriftliche Einwilligung in den Medien veröffentlicht werden. Pranger und Zwangsouting (als Mittel zur Auflagenstärkung) sind abzulehnen.
  9. Bei Produktionen und Interviews gemeinsam mit Sexworkern sind diese wahrheitsgetreu über die beabsichtigte Darstellung und Aussage zu informieren. Sie sind ordnungsgemäß über ihre Rechte wie z.B. Korrekturlesen und nachfolgende Veröffentlichungsfreigabe aufzuklären, ihnen ist ein faires Honorar zu gewähren und ihre Wünsche bezüglich Bildgestaltung, Nennung von Künstlername, Homepage und Diskretionsbedarf ist zu respektieren und einvernehmlich, klar verständlich, schriftlich festzulegen.
  10. Zusammenarbeit der Medien und ihrer Vertreter mit der langsam beginnenden Sexworker-Selbstorganisation ist zu begrüßen. Fortbildungsseminar und Pressekooperationen sind möglich.
[Siegel des Sexworker Forum] [Datum, Unterschriften]





Sexworker, schreibt bitte Eure Kommentare und Ergänzungen z.B. dort im SW-only:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=8668

Checklisten Sexworker & Medienproduktionen
Print www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=518 pdf
Film www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=943&start=32


Litigation PR

US-Stipperin leistet sich teure Anwältin und kämpft gegen Diskriminierung
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=116075#116075





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 12.05.2012, 12:48, insgesamt 1-mal geändert.

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Marc of Frankfurt
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Verbotener Eingriff in die Privatsphäre

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Jetzt wurde die Zeitung www.20minuten.ch , die die Sexarbeiterin zwangsweise geoutet hatte, um ihr das Gewinnspiel zu vermasseln und die Konkurrenz vorzuführen, vom Schweizer Presserat schwer gerügt.


Allerdings ging es um einen anderen Fall, wo in verdeckter Recherche mit einer fake Identität eines minderjährigen Knaben ein pädophiler Lehrer und Abgeordneter angelockt wurde von einem verdeckt recherchierenden Journalisten:
  • "Der Schweizer Presserat hält es nach einer Entscheidung vom Dienstag für unlauter im Sinne von Ziffer 4 der "Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten", einen bereits suspendierten Lehrer via einer Gay-Website in der Weise von "20 minutes" aktiv zu ködern. Er erinnerte daran, dass eine verdeckte Recherche nur ausnahmsweise, unter strengen Voraussetzungen zulässig ist. Erforderlich ist ein den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigendes, überwiegendes öffentliches Interesse an den Informationen, die sich zudem nicht auf andere Weise beschaffen lassen. ..."

    www.queer.de/detail.php?article_id=15409
Das mit der jungen (naiven?) Sexarbeiterin geführte und abgedruckte Interview könnte man auch als "aktives ködern" auslegen.

Ob das erfolgte Zwangsouting illegal war, müßte die betroffene Sexarbeiterin selbst z.B. über den Presserat oder gerichtlich überprüfen lassen...

Hierzu ist es unabdinglich dass Sexworker guten Rechtsbeistand haben. Den stellt z.B. eine Dienstleister_innen-Gewerkschaft wie ver.di ihren Mitgliedern kostenlos zur Verfügung.