"Lass dich verwöhnen" von Tamara Domentat
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"Lass dich verwöhnen" von Tamara Domentat
ein tolles buch! das einige jahre ungelesen in meiner untersten schublade lag. das geschenk eines kunden. in der anfangszeit meines arbeitsleben einer sexarbeiterin unlesbar, weil ich "nullbock" nach dienstschluss auf irgendetwas hatte, das mit sexarbeit zu tun hatte. das hat sich erst geändert seit ich selbstständig und selbstbestimmt als sw arbeite und vor allem seit ich auf sexworker.at dazu komme, meine gedanken als sexarbeiterin in schriftform wiederzugeben.
die autorin greift alle vorurteile sexarbeit und ihrer anbieterinnen betreffend auf, mit denen man konfrontiert ist:
alltag, gründe, auswirkungen, kunden, erfahrungen, mythos, identität, patriarchat, dienstleistung, beschäftigungsverhältnis, erfolgsstrategien, moral, opfer, täter, klischees, moral .....
und das in einer angenehm lesbaren frage-antwort-form.
so sehr in dem buch "lebenssituation prostitution"
viewtopic.php?t=1652
in meinen augen sexarbeit negativ gefärbt, einseitig dargestellt, die von klischees behafteten meinungen der autorinnen zum ausdruck kommen
ist es bei tamara domentat andersherum.
sie vergleicht sexarbeit mit anderen berufen, z.b. mit dem einer taxifahrerin ("Beschwert sich eine Taxifahrerin darüber, dass der Kunde den Zielort vorgibt? Arbeitet sie freiwillig oder weil ihr die Existenzangst im Nacken sitzt? Gibt es in ihrem Beruf Gesundheits- oder Sicherheitsrisiken? Verheißt ein Job am Steuer eines Taxis dauerhafte Zufriedenheit? Im direkten Vergleich mit der Dienstleistung Taxifahren erscheinen auch andere Klischees über die Sexarbeit in einem neuen Licht. Wer käme zum Beispiel auf die Idee, eine Taxifahrerin als kalt und businesslike zu bezeichnen, weil während der Dienstzeit das Taxometer tickt und am Ende zeittaktorientiert abgerechnet wird?")
im vergleich mit anderen dienstleistungen übergeht sie nicht die sonderstellung der sexarbeit:
"Das Schwierigste an der ganzen Prostitutionstätigkeit war nicht die Sexarbeit, sondern das Doppelleben und das Gefühl, als pervers abgestempelt zu werden. (...) Für einen Mann ist es in Ordnung zu einer Prostituierten zu gehen, aber die Prostitutierte muss irgendwie abartig sein, wenn sie Spaß an der Arbeit hat."
sie widerlegt klischee Nr.32:
"Der Kunde hat mehr Macht als die Prostituierte.
Vorgespräche und Preislisten regeln Art, Umfang und Preis der Dienstleistung. Im Bordell begibt sich der sexhungrige Mann in einen Kontext mit Rahmenbedingungen und Abläufen, die von anderen festgelegt wurden und eingespielten Mustern folgen. Im Grunde genommen drehen sich die Machtverhältnisse um: Er wartet auf die Dienstleisterin, legt Kleidung und Wertsachen ab, wird in die Dusche geführt, nackt ins Zimmer geführt und diskret auf Krankheitssymptome untersucht. Entblößt, sexuell bedürftig und als einer unter vielen befindet er sich psychologisch in der Defensive."
oder klischee Nr.17:
"Für Freier sind Prostitutierte vor allem passive Lustobjekte.
Bei vielen Freiern spricht dagegen ein Bedürfnis nach Gegenseitigkeit, Erotik und emotionaler Wärme. Die Mehrheit der Männer war ganz offensichtlich nicht auf der Suche nach der schnellen Nummer, sondern nach einer emotional authentischen und erotisch bereichernden Erfahrung. Die Männer wollen das Gefühl haben, begehrt zu sein."
für mich ein sehr lesenswertes buch, gegen viele klischees geschrieben, sehr umfangreich, oft mit einem "genau, so ist es"-effekt für mich. ich würde es euch gerne nahe legen!
liebe grüße, annainga
die autorin greift alle vorurteile sexarbeit und ihrer anbieterinnen betreffend auf, mit denen man konfrontiert ist:
alltag, gründe, auswirkungen, kunden, erfahrungen, mythos, identität, patriarchat, dienstleistung, beschäftigungsverhältnis, erfolgsstrategien, moral, opfer, täter, klischees, moral .....
und das in einer angenehm lesbaren frage-antwort-form.
so sehr in dem buch "lebenssituation prostitution"
viewtopic.php?t=1652
in meinen augen sexarbeit negativ gefärbt, einseitig dargestellt, die von klischees behafteten meinungen der autorinnen zum ausdruck kommen
ist es bei tamara domentat andersherum.
sie vergleicht sexarbeit mit anderen berufen, z.b. mit dem einer taxifahrerin ("Beschwert sich eine Taxifahrerin darüber, dass der Kunde den Zielort vorgibt? Arbeitet sie freiwillig oder weil ihr die Existenzangst im Nacken sitzt? Gibt es in ihrem Beruf Gesundheits- oder Sicherheitsrisiken? Verheißt ein Job am Steuer eines Taxis dauerhafte Zufriedenheit? Im direkten Vergleich mit der Dienstleistung Taxifahren erscheinen auch andere Klischees über die Sexarbeit in einem neuen Licht. Wer käme zum Beispiel auf die Idee, eine Taxifahrerin als kalt und businesslike zu bezeichnen, weil während der Dienstzeit das Taxometer tickt und am Ende zeittaktorientiert abgerechnet wird?")
im vergleich mit anderen dienstleistungen übergeht sie nicht die sonderstellung der sexarbeit:
"Das Schwierigste an der ganzen Prostitutionstätigkeit war nicht die Sexarbeit, sondern das Doppelleben und das Gefühl, als pervers abgestempelt zu werden. (...) Für einen Mann ist es in Ordnung zu einer Prostituierten zu gehen, aber die Prostitutierte muss irgendwie abartig sein, wenn sie Spaß an der Arbeit hat."
sie widerlegt klischee Nr.32:
"Der Kunde hat mehr Macht als die Prostituierte.
Vorgespräche und Preislisten regeln Art, Umfang und Preis der Dienstleistung. Im Bordell begibt sich der sexhungrige Mann in einen Kontext mit Rahmenbedingungen und Abläufen, die von anderen festgelegt wurden und eingespielten Mustern folgen. Im Grunde genommen drehen sich die Machtverhältnisse um: Er wartet auf die Dienstleisterin, legt Kleidung und Wertsachen ab, wird in die Dusche geführt, nackt ins Zimmer geführt und diskret auf Krankheitssymptome untersucht. Entblößt, sexuell bedürftig und als einer unter vielen befindet er sich psychologisch in der Defensive."
oder klischee Nr.17:
"Für Freier sind Prostitutierte vor allem passive Lustobjekte.
Bei vielen Freiern spricht dagegen ein Bedürfnis nach Gegenseitigkeit, Erotik und emotionaler Wärme. Die Mehrheit der Männer war ganz offensichtlich nicht auf der Suche nach der schnellen Nummer, sondern nach einer emotional authentischen und erotisch bereichernden Erfahrung. Die Männer wollen das Gefühl haben, begehrt zu sein."
für mich ein sehr lesenswertes buch, gegen viele klischees geschrieben, sehr umfangreich, oft mit einem "genau, so ist es"-effekt für mich. ich würde es euch gerne nahe legen!
liebe grüße, annainga
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Kraftquelle
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- PlatinStern
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danke annainga,
das ist sehr verdienstvoll, daß du immer wieder solche Literaturhinweise gibts und gleich noch eine so gute Rezension ablieferst.
Leider ist Weihnachten schon vorbei...
lg
Hanna
das ist sehr verdienstvoll, daß du immer wieder solche Literaturhinweise gibts und gleich noch eine so gute Rezension ablieferst.
Leider ist Weihnachten schon vorbei...
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Hanna
Augen gab uns Gott ein Paar / um zu schauen rein und klar / um zu GLAUBEN was wir lesen / wär ein Aug' genug gewesen (aus HH. zur Teleologie)
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Internetrevolution
Bei Amazon gebraucht schon ab 1 Euro.
Eine Schande, wie schnell gute Bücher heutzutage ihren Wert verlieren.
@ Hanna
Bei desem Posting zum Patriachat habe ich die Buchquelle als Link nachgetragen.
Eine Schande, wie schnell gute Bücher heutzutage ihren Wert verlieren.
@ Hanna
Bei desem Posting zum Patriachat habe ich die Buchquelle als Link nachgetragen.
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Sex ist eine Arbeit wie jede andere
Zu dem Buch gibt's ja auch die berühmte Rezension in Die Zeit.
Ist irgendwie nicht ganz unschuldig an meinem Engagement.
Sex ist eine Arbeit wie jede andere
Von Eugénie Bott
Tamara Domentat argumentiert für eine gewandelte Sicht der Prostitution
Der Besuch in einem Berliner Wohnungsbordell animierte die Autorin zu umfangreichen Recherchen über die Situation der Prostitutierten in Deutschland. Die Frauen dort waren weder blutjung, gertenschlank noch umwerfend schön. Sie wirkten selbstbewusst, unabhängig, gingen ihrer Arbeit gern nach und fühlten sich als Chefinnen in einem Gewerbe, in dem sie über Arbeitszeit, -ort und -ertrag selbst entscheiden. Dort entstand Tamara Domentats Idee, die sie später oft bestätigt fand: Feministisch inspiriertes Bewusstsein und prostitutiver Sex sind keine unversöhnlichen Gegensätze.
Das Buch kämpft gegen die alten Stereotypen über die Nutten, sieht in der gewandelten Realität dieses Berufs Argumente gegen landläufige Einschätzungen und kippt überkommene Moralvorstellungen gleich mit. Die Hauptthesen:„Das Gewerbe hat sich differenziert und hat Karrieren geschaffen. Prostitution etabliert sich zunehmend als sexuelle Dienstleistung, die mit einem Jahresumsatz von über sechs Milliarden Euro einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor darstellt. Das Gewerbe hat sich in den letzten Jahren aus den Sperrbezirken herausbewegt und vom Zuhälter emanzipiert. Stattdessen gibt es Hausbesuch und weiblich geführte Bordelle.“
Möglich, dass dieses Buch Sperrbezirke des normalen Denkens zu Recht attackiert. Die Gewohnheit schafft Meinungsschubladen, voll gestopft mit der alltäglichen und kaum variierten öffentlichen Berichterstattung.
Wer macht sich schon – zumal bei diesem Thema – die Mühe, darüber nachzudenken, ob der allseits anerkannte gesellschaftliche Wandel nicht auch die Prostituierten erfasst hat, die wir seit Jahrhunderten so hübsch praktisch angesiedelt haben: im Rotlichtmilieu oder in Fürsten- und Politikerbetten. Auf dem Straßen- und Babystrich und im Fond einsam geparkter Autos. In der Pfui-Ecke von Frauen, die ihren Körper verkaufen und die damit verbundene psychische Wertlosigkeit in Kauf nehmen müssen. Opfer männlicher Gewalt und Ausbeutung – sei es die der Freier oder die der Zuhälter. Elendsschicksale, entstanden aus der Not der falschen Familie, dem Mangel an Geld und fehlenden moralischen Grenzen. Thailänderinnen, Russinnen, Polinnen, versklavt. Der Schub der öffentlichen Maßnahmen geht in mehrere Richtungen: gesetzlicher Schutz und Kontrolle für die „reguläre“ Prostitution sowie für die heimlich Versklavten. Soziale Hilfen, um Nutten aus diesem Beruf zu befreien.
Und nun kommt die Journalistin Tamara Domentat und behauptet: Alte Hüte. Deutsche, denkt um. Prostituierte sind keine homogene Gruppe. Weder von ihrer Persönlichkeit noch von ihrem Arbeitserleben her. Viele kommen nicht aus der Gosse, sondern von der Uni. Sie haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, können jederzeit damit aufhören, am Telefon zu stöhnen oder die Domina zu spielen. Sexarbeit ist ihre freie Wahl.
Für die eine bleibt sie Episode, für andere die lebenslang erfüllendste Berufsoption. Einige pendeln zwischen Prostitution und bürgerlichen Berufen. Die Sexarbeiterin, die in ihrem Bordell auch mal einen Mann ablehnen darf und nur noch 30 Prozent ihrer Einnahmen abgeben muss, hat nichts gemein mit der drogenabhängigen 19-Jährigen, die für zehn Euro ins Auto des Freiers steigt. Sexarbeiterinnen jeder Art seien sich heute bewusst, dass ihre Tätigkeit enorme Statusunterschiede kennt. Aufklärungsarbeit hat ihre Wirkung getan: Laut einer australischen Studie sind wacklige Bettgestelle und unbeleuchtete Treppenhäuser die größten Berufsgefahren. Weit vor dem Risiko ansteckender Krankheiten.
Das Buch argumentiert auf eine vertrackte Weise folgerichtig. Da offensichtlich benachteiligte Gruppen (Drogenabhängige, Opfer des Menschen-handels, der Unzucht mit Abhängigen oder Unmündigen et cetera) von der Autorin ausgeklammert werden, gerät das Thema Prostitution zur Frage der reinen Rationalität. Sexarbeit ist Arbeit wie jede andere, solange sie freiwillig ausgeübt und von den Betroffenen als angenehm erfahren wird.
Unter dieser Prämisse sticht die Karte der Autorin: „Die selbstbewusste Sexarbeit stellt eine unterschätzte Möglichkeit der Umverteilung finanzieller Ressourcen dar, die zwischen den Geschlechtern weltweit ungleich gewichtet sind.“ Eines der vielen genannten Beispiele: Eine Sexarbeiterin berichtet, dass sie im Vergleich zu ihrem früher ausgeübten, geachteten Beruf selten arbeitet, viel Geld einnimmt, ihre Arbeitszeiten bestimmt und Lebensstil wie -qualität in ungewöhnlichem Maß angehoben hat. Faulheit und Lust gegen Geld, das nicht stinkt. Wer mag da schon moralisch kommen angesichts von Millionen Deutschen, die wegen maroder Staatsfinanzen zu Einsicht, Bescheidenheit und Einbußen aufgefordert werden? Deutsche Frauen – ins Berufsbett. Dort ist man nur 30 Minuten für 500 Euro tätig.
Unfug. Tamara Domentat hat Sinnvolleres im Kopf. Sie fordert Toleranz gegenüber den Frauen, die sich in einer freien Demokratie für einen – immer noch – geächteten Beruf entschieden haben. Schluss mit dem Mythos romantischer Liebe und sexueller Treue, der Fiktion einer privaten Liebesbeziehung als kommerzfreier Zone. So neu sind ihre Thesen letztendlich nicht: „Erotische Dienstleistungen verweisen auf die Defizite im Privat- und Beziehungsleben vieler Männer, ohne die es die Prostitution nicht gäbe.“ Ergo: Männer, wenn eure Partnerinnen keinen kunstvollen Sex bieten, holt ihn euch. Jeder Mensch hat einen Anspruch auf ein erfülltes Sexualleben. Männer und Prostituierte.
Klug hält sich der Staat seit einigen Jahrzehnten aus dem Privatleben seiner Bürger heraus. Gelegentlich passt er sich willig dem veränderten gesellschaftlichen Bewusstsein an. Dann stimmt er etwa zu, dass Huren sich sozialversichern lassen und Honorare einklagen dürfen. In die Schlafgemächer regiert er nur hinein, wenn wichtige andere Grundsätze missachtet werden. Man könnte sich diese intelligente Haltung zu Eigen machen. Wenn das Buch von Tamara Domentat nicht mit einigen Gedanken, mit Zahlen und Fakten, frischen Wind ins Thema brächte.
Die Zeit
http://www.zeit.de/2003/42/SM-Prostitution
Ist irgendwie nicht ganz unschuldig an meinem Engagement.
Sex ist eine Arbeit wie jede andere
Von Eugénie Bott
Tamara Domentat argumentiert für eine gewandelte Sicht der Prostitution
Der Besuch in einem Berliner Wohnungsbordell animierte die Autorin zu umfangreichen Recherchen über die Situation der Prostitutierten in Deutschland. Die Frauen dort waren weder blutjung, gertenschlank noch umwerfend schön. Sie wirkten selbstbewusst, unabhängig, gingen ihrer Arbeit gern nach und fühlten sich als Chefinnen in einem Gewerbe, in dem sie über Arbeitszeit, -ort und -ertrag selbst entscheiden. Dort entstand Tamara Domentats Idee, die sie später oft bestätigt fand: Feministisch inspiriertes Bewusstsein und prostitutiver Sex sind keine unversöhnlichen Gegensätze.
Das Buch kämpft gegen die alten Stereotypen über die Nutten, sieht in der gewandelten Realität dieses Berufs Argumente gegen landläufige Einschätzungen und kippt überkommene Moralvorstellungen gleich mit. Die Hauptthesen:„Das Gewerbe hat sich differenziert und hat Karrieren geschaffen. Prostitution etabliert sich zunehmend als sexuelle Dienstleistung, die mit einem Jahresumsatz von über sechs Milliarden Euro einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor darstellt. Das Gewerbe hat sich in den letzten Jahren aus den Sperrbezirken herausbewegt und vom Zuhälter emanzipiert. Stattdessen gibt es Hausbesuch und weiblich geführte Bordelle.“
Möglich, dass dieses Buch Sperrbezirke des normalen Denkens zu Recht attackiert. Die Gewohnheit schafft Meinungsschubladen, voll gestopft mit der alltäglichen und kaum variierten öffentlichen Berichterstattung.
Wer macht sich schon – zumal bei diesem Thema – die Mühe, darüber nachzudenken, ob der allseits anerkannte gesellschaftliche Wandel nicht auch die Prostituierten erfasst hat, die wir seit Jahrhunderten so hübsch praktisch angesiedelt haben: im Rotlichtmilieu oder in Fürsten- und Politikerbetten. Auf dem Straßen- und Babystrich und im Fond einsam geparkter Autos. In der Pfui-Ecke von Frauen, die ihren Körper verkaufen und die damit verbundene psychische Wertlosigkeit in Kauf nehmen müssen. Opfer männlicher Gewalt und Ausbeutung – sei es die der Freier oder die der Zuhälter. Elendsschicksale, entstanden aus der Not der falschen Familie, dem Mangel an Geld und fehlenden moralischen Grenzen. Thailänderinnen, Russinnen, Polinnen, versklavt. Der Schub der öffentlichen Maßnahmen geht in mehrere Richtungen: gesetzlicher Schutz und Kontrolle für die „reguläre“ Prostitution sowie für die heimlich Versklavten. Soziale Hilfen, um Nutten aus diesem Beruf zu befreien.
Und nun kommt die Journalistin Tamara Domentat und behauptet: Alte Hüte. Deutsche, denkt um. Prostituierte sind keine homogene Gruppe. Weder von ihrer Persönlichkeit noch von ihrem Arbeitserleben her. Viele kommen nicht aus der Gosse, sondern von der Uni. Sie haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, können jederzeit damit aufhören, am Telefon zu stöhnen oder die Domina zu spielen. Sexarbeit ist ihre freie Wahl.
Für die eine bleibt sie Episode, für andere die lebenslang erfüllendste Berufsoption. Einige pendeln zwischen Prostitution und bürgerlichen Berufen. Die Sexarbeiterin, die in ihrem Bordell auch mal einen Mann ablehnen darf und nur noch 30 Prozent ihrer Einnahmen abgeben muss, hat nichts gemein mit der drogenabhängigen 19-Jährigen, die für zehn Euro ins Auto des Freiers steigt. Sexarbeiterinnen jeder Art seien sich heute bewusst, dass ihre Tätigkeit enorme Statusunterschiede kennt. Aufklärungsarbeit hat ihre Wirkung getan: Laut einer australischen Studie sind wacklige Bettgestelle und unbeleuchtete Treppenhäuser die größten Berufsgefahren. Weit vor dem Risiko ansteckender Krankheiten.
Das Buch argumentiert auf eine vertrackte Weise folgerichtig. Da offensichtlich benachteiligte Gruppen (Drogenabhängige, Opfer des Menschen-handels, der Unzucht mit Abhängigen oder Unmündigen et cetera) von der Autorin ausgeklammert werden, gerät das Thema Prostitution zur Frage der reinen Rationalität. Sexarbeit ist Arbeit wie jede andere, solange sie freiwillig ausgeübt und von den Betroffenen als angenehm erfahren wird.
Unter dieser Prämisse sticht die Karte der Autorin: „Die selbstbewusste Sexarbeit stellt eine unterschätzte Möglichkeit der Umverteilung finanzieller Ressourcen dar, die zwischen den Geschlechtern weltweit ungleich gewichtet sind.“ Eines der vielen genannten Beispiele: Eine Sexarbeiterin berichtet, dass sie im Vergleich zu ihrem früher ausgeübten, geachteten Beruf selten arbeitet, viel Geld einnimmt, ihre Arbeitszeiten bestimmt und Lebensstil wie -qualität in ungewöhnlichem Maß angehoben hat. Faulheit und Lust gegen Geld, das nicht stinkt. Wer mag da schon moralisch kommen angesichts von Millionen Deutschen, die wegen maroder Staatsfinanzen zu Einsicht, Bescheidenheit und Einbußen aufgefordert werden? Deutsche Frauen – ins Berufsbett. Dort ist man nur 30 Minuten für 500 Euro tätig.
Unfug. Tamara Domentat hat Sinnvolleres im Kopf. Sie fordert Toleranz gegenüber den Frauen, die sich in einer freien Demokratie für einen – immer noch – geächteten Beruf entschieden haben. Schluss mit dem Mythos romantischer Liebe und sexueller Treue, der Fiktion einer privaten Liebesbeziehung als kommerzfreier Zone. So neu sind ihre Thesen letztendlich nicht: „Erotische Dienstleistungen verweisen auf die Defizite im Privat- und Beziehungsleben vieler Männer, ohne die es die Prostitution nicht gäbe.“ Ergo: Männer, wenn eure Partnerinnen keinen kunstvollen Sex bieten, holt ihn euch. Jeder Mensch hat einen Anspruch auf ein erfülltes Sexualleben. Männer und Prostituierte.
Klug hält sich der Staat seit einigen Jahrzehnten aus dem Privatleben seiner Bürger heraus. Gelegentlich passt er sich willig dem veränderten gesellschaftlichen Bewusstsein an. Dann stimmt er etwa zu, dass Huren sich sozialversichern lassen und Honorare einklagen dürfen. In die Schlafgemächer regiert er nur hinein, wenn wichtige andere Grundsätze missachtet werden. Man könnte sich diese intelligente Haltung zu Eigen machen. Wenn das Buch von Tamara Domentat nicht mit einigen Gedanken, mit Zahlen und Fakten, frischen Wind ins Thema brächte.
Die Zeit
http://www.zeit.de/2003/42/SM-Prostitution
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- PlatinStern
- Beiträge: 908
- Registriert: 08.10.2007, 19:06
- Ich bin: Keine Angabe
Den Rezensionen kann ich nach der Lektüre nur zustimmen. Die Argumentation des Buches liegt in vielen Punkten auf unserer Linie.
Mit der einen Einschränkung, daß man von den dreihundert Seiten auf hundert Seiten mit umständlichem Soziologenkauderweltsch hätte verzichten können
beste Grüße
Hanna
Mit der einen Einschränkung, daß man von den dreihundert Seiten auf hundert Seiten mit umständlichem Soziologenkauderweltsch hätte verzichten können
beste Grüße
Hanna
Augen gab uns Gott ein Paar / um zu schauen rein und klar / um zu GLAUBEN was wir lesen / wär ein Aug' genug gewesen (aus HH. zur Teleologie)
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- verifizierte UserIn
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- Registriert: 01.06.2009, 13:35
- Wohnort: Niederländische Grenzregion
- Ich bin: Keine Angabe
Stimme den positiven Reaktionen im grossen Ganzen zu.
Das Buch hat mir eine neue Sicht auf das ganze Gewerbe und natürlich auch auf die eigene Lust ermöglicht, auch mit Schuldgefühlen aufgeräumt. Nur frage ich mich hin und wieder, ob sie die Sache mit dem Frauenhandel hin und wieder nicht etwas zu rosig vorstellt. Gerade auch wenn ich die diesbezüglichen Forumberichte hier lese, wird mir manchmal schon etwas mulmig.
So schreibt Domentat unter 'Klischee No. 62':
"Zuhälterei und Menschenhandel sind für die meisten männlichen Akteure dasselbe wie die Sexarbeit für viele Frauen: eine Strategie des Überlebens, geboren aus Armut und Perspektivlosigkeit, familiärer Zerrüttung und Verzweiflung."
Es stimmt natürlich, dass Männergewalt, so wie sie schreibt, "keine Domäne des Rotlichtsmilieus" ist, aber Gewalt und Zwang bleiben eben Gewalt und Zwang. Und so wie ich es manch einem Bericht hier entnehme, sieht es wohl eher sehr selten danach aus, dass die Täter aus purer Verzweiflung handelten.
Aber, wie gesagt, im grossen Ganzen ein sehr sehr aufschlussreiches Buch, Pflichtlektüre indertat.
Das Buch hat mir eine neue Sicht auf das ganze Gewerbe und natürlich auch auf die eigene Lust ermöglicht, auch mit Schuldgefühlen aufgeräumt. Nur frage ich mich hin und wieder, ob sie die Sache mit dem Frauenhandel hin und wieder nicht etwas zu rosig vorstellt. Gerade auch wenn ich die diesbezüglichen Forumberichte hier lese, wird mir manchmal schon etwas mulmig.
So schreibt Domentat unter 'Klischee No. 62':
"Zuhälterei und Menschenhandel sind für die meisten männlichen Akteure dasselbe wie die Sexarbeit für viele Frauen: eine Strategie des Überlebens, geboren aus Armut und Perspektivlosigkeit, familiärer Zerrüttung und Verzweiflung."
Es stimmt natürlich, dass Männergewalt, so wie sie schreibt, "keine Domäne des Rotlichtsmilieus" ist, aber Gewalt und Zwang bleiben eben Gewalt und Zwang. Und so wie ich es manch einem Bericht hier entnehme, sieht es wohl eher sehr selten danach aus, dass die Täter aus purer Verzweiflung handelten.
Aber, wie gesagt, im grossen Ganzen ein sehr sehr aufschlussreiches Buch, Pflichtlektüre indertat.
Guten Abend, schöne Unbekannte!
Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz
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- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Arne Hoffmann
Prostitution in Deutschland
Eine Diskussion des Buches von Tamara Domentat: "Lass Dich verwöhnen"
http://www.ikonenmagazin.de/artikel/Prostitution.htm
Prostitution in Deutschland
Eine Diskussion des Buches von Tamara Domentat: "Lass Dich verwöhnen"
http://www.ikonenmagazin.de/artikel/Prostitution.htm
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- PlatinStern
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