Angela Montanile:
«Da kommt etwas auf uns zu»
Angela Montanile ist Chefin der Sittenpolizei von Zürich. Sie sorgt sich um junge Mädchen, die so viel trinken und Drogen konsumieren, dass sie nicht mehr wissen, was war. Und sie wundert sich über Männer, die sich in klebrigen Absteigen bedienen lassen.
Von Daniela Niederberger
Polizistin Montanile
Bild: Marc Wetli
Frau Montanile, wie und warum wurden Sie Polizistin?
Es war vor zwanzig Jahren, ich arbeitete auf der Bank. Über Mittag sass ich einmal im Café und las das Tagblatt. Dort stand: Die
Stadtpolizei stellt ab 1. Oktober 1988 auch Frauen ein. Ich ging wieder zur Arbeit und dachte mir nichts weiter. Beim nächsten Familientreffen sagte der Vater meines damaligen Freundes er war bei der Seepolizei : «Hör zu, du musst dich da melden.»
Was machen Sie als Chefin der Zürcher Sittenpolizei?
Ich bin verantwortlich für die kriminalpolizeiliche Verfolgung und Bekämpfung
strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität sowie allgemein strafbarer Handlungen im
Sexmilieu. Es geht um
Vergewaltigung, Schändung, Menschenhandel, Förderung der Prostitution, Pornografie. Wir ermitteln und kontrollieren auf Patrouillen Salons und Sexarbeiterinnen auf der Strasse. Hier geht es um
ausländerrechtliche Fragen. Wer ist am Arbeiten? Ist mit den Papieren alles in Ordnung? Wir versuchen, Kontakte zu den Frauen zu knüpfen und zu helfen, wenn sie Probleme haben.
Welches sind grössere Fälle der letzten Zeit? Geschichten, die Ihnen nahegingen?
Nahe gingen mir Fälle von
Vergewaltigungen, in denen junge Frauen einen Filmriss geltend machten. Sie waren im Ausgang, tranken zu viel, konsumierten vielleicht Drogen, und irgendwann setzt das Erinnerungsvermögen aus. Sie können sich an nichts erinnern. Sie haben Angst und hegen den Verdacht, es sei «etwas» passiert. Wir versuchen, mit Spurensicherung und Ermittlungen zu helfen.
Manchmal stellt sich heraus, dass diese jungen Frauen nicht Opfer eines sexuellen Übergriffes wurden, sondern bloss so zugedröhnt waren, dass ihr Körper den Aus-Schalter betätigte. Das Konsum- und Partyverhalten der jungen Leute beschäftigt uns sehr. Es kommt aber tatsächlich auch vor, dass sogenannte K.-o.-Tropfen verabreicht werden.
Werden sie häufig eingesetzt?
Das ist schwer zu sagen. Die
Substanz ist im Körper nur sehr kurze Zeit nachweisbar. Gesicherte Fälle sind selten. Manche Personen sagen schnell einmal, man habe ihnen etwas ins Getränk geschüttet. Weil sie nicht mehr wissen oder wissen wollen, was sie alles konsumiert haben an Alkohol und Drogen, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen und viel zu lange nicht geschlafen haben. Das haut den gesündesten Menschen um.
Dieses «Fun um jeden Preis» ist erschreckend und macht nachdenklich.
Haben Sie mehr mit Partygängern als mit Freiern und Dirnen zu tun?
Die vielen Nachtschwärmer und die «Abenteuertouristen», die aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland nach Zürich kommen, beschäftigen uns immens. Bei den Prostituierten haben wir dann viel zu tun, wenn sie ausserhalb der bewilligten Zonen ihre Freier suchen. Auch kommt es vor, dass Freier sich den Prostituierten gegenüber nicht korrekt verhalten, etwa, weil sie zu viel getrunken haben.
Verlangen die Freier abartigere Dinge?
Das nicht. Dem normalen Freier geht es um Geschlechtsverkehr und/oder orale Befriedigung. Fetischismus oder Sadomasochismus sind Nischenprodukte. Das ist eine Art kleine Familie, da gibt es selten Probleme.
Haben junge Leute einen anderen Umgang mit Sex?
Was da die Runde macht, das bereitet mir Sorgen! In
happy slapping-Filmen wird auf Menschen eingedroschen, es sind harte Pornos im Umlauf, und es wird mit Tieren verkehrt. Glücklicherweise gibt es jene, die solche Filme nach einem Blick löschen. Aber es gibt die anderen, die damit nicht umgehen können.
Wer zu oft solche Bilder sieht, auch all die perfekt retouchierten Körper und Gewaltszenen, wird früher oder später Probleme haben, Echtes von Inszeniertem zu unterscheiden. Da kommt etwas auf uns zu.
Fünfzehn-, sechzehnjährige Mädchen, nur weil sie keine fünfzig Franken in der Tasche haben und unbedingt ein Rauchi kaufen wollen, befriedigen als Gegenleistung einen Dealer oral! Das sind Fakten. Diese jungen Frauen haben sich völlig verloren. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, der Gefühle und der Einstellung zum eigenen Körper ist meiner Meinung nach gestört. Ich hoffe, dass das, was wir alles sehen müssen, nur einen kleinen Teil der heranwachsenden Jugend betrifft. Wir beschäftigen uns berufshalber mit Negativem. Ich frage mich: Wohin führt dieses exzessive Ausprobieren und Konsumieren?
Die Zahl der Prostituierten in Zürich steigt Jahr für Jahr. Gibt es immer mehr Freier?
Das ist schwer zu sagen. Viele Frauen, vor allem aus den neuen EU-Ländern und aus Deutschland, kommen hierher. Es ist eine
Wellenbewegung von Norden nach Süden. In Hamburg gibt es nichts mehr zu verdienen, weil «billigere» Frauen aus dem Osten und Norden dorthin ziehen. Also geht die Hamburgerin nach München. Und die Münchnerin, weil die Preise sinken, zieht in die Schweiz. Hier lässt sich noch Geld verdienen.
Sind die Preise so hoch?
Das Preisniveau in Zürich ist, verglichen mit anderen Städten, stabil. Eine Sexworkerin, die eine gefestigte, sichere Basis hat und nicht um ihren Platz kämpfen muss, verlangt ihren Preis und bekommt diesen von den Freiern bezahlt. Wenn aber eine Frau ihren Lohn abgeben oder ein Tagesbudget erfüllen muss und sie es nicht schafft, mit zwei Freiern 200 Franken zu verdienen, so wird sie, aus Angst vor Repressalien, eben fünf Freier zu 40 Franken bedienen.
Es gibt noch Zuhälter? Ich dachte, diese Zeiten seien vorbei?
Es gibt nach wie vor Zuhälter. Meiner Meinung nach arbeitet keine Frau freiwillig mit einem Zuhälter. Sondern weil sie muss. Vielfach bestehen Abhängigkeiten, familiäre, wirtschaftliche oder psychische. Ich fragte einmal eine junge Frau: «Es kann doch nicht sein, dass Sie hundert Franken abgeben müssen, wenn Sie hundert Franken verdienen?» Ganz verwundert antwortete sie: «Was habt ihr denn? Er gibt mir doch zu essen!»
Die geben alles ab?
Ja, den Frauen bleibt meistens nichts. Sie werden ausgebeutet, missbraucht und wie Ware behandelt. Was für uns völlig unverständlich ist: dass einige dieser Frauen das nicht so sehen und empfinden. Für sie ist das normal. Unter diesen Frauen stammen viele aus dem Ostblock. Es sind Opfer von Menschenhandel, ob sie nun ihr Einverständnis zur Prostitution gegeben haben oder nicht.
Viele Männer vermutlich Freier sagen gerne, Frauenhandel gebe es nicht. Auf der anderen Seite warnen Frauenorganisationen, es sei ganz schlimm. Was stimmt?
Für die meisten Freier stellt sich diese Frage wohl nicht, weil sie Sex kaufen und sich nicht mit dem Menschen dahinter beschäftigen wollen. Nach den Kampagnen der vergangenen Zeit gibt es ab und zu Freier, die Opferhilfestellen kontaktieren, weil sie das Gefühl haben, eine Frau könnte ein Opfer von Menschenhandel sein. Es gibt traurige und erschreckende Geschichten. Das Wichtigste ist für manche dieser Frauen schlicht, dass sie etwas zu essen haben.
[Sehr ausweichend beantwortet die Frage zum Menschenhandel! Anm.]
Gibt es Frauen, die ohne Zwang zu Dirnen werden?
Zuerst einmal: Solange das Recht auf Selbstbestimmung gewahrt wird,
ist Prostituierte gemäss geltendem Recht ein Beruf wie jeder andere. Meine Gegenfrage: Nehmen wir an, eine Frau geht in die Prostitution und verdient im Monat 5000 Franken. Würde sie dasselbe tun, wenn sie ein Angebot hätte, bei dem sie gleich viel verdiente, ohne dass sie ihren Körper verkaufen müsste? Ich glaube nicht. Wenn diesen Frauen eine Ausstiegsmöglichkeit geboten würde, gäbe es gewiss einige, die sich neu orientieren würden.
Aber was soll eine Frau tun, die zwei Jahre im Sexgewerbe arbeitete und sich dann um einen normalen Job bewerben will? Beim Vorstellungsgespräch wird die Frage nach dem beruflichen Werdegang gestellt. Für die Zeit, in der sie angeschafft hat, kann sie keinen Arbeitsnachweis und kein Zeugnis vorlegen. Die wenigsten Frauen trauen sich zu sagen, sie hätten sich prostituiert.
Es müsste Ausstiegsprogramme geben für Prostituierte. Ohne dass beim neuen Arbeitgeber alle bis hin zur Generaldirektion von deren Vergangenheit wüssten.
Reden Sie mit den Frauen im Kreis 4? Oder ist das wegen der Sprache nicht möglich?
Wir reden oft mit den Frauen und Männern, ob im Kreis 4 oder anderswo. Bei der Polizei sind wir multikulturell. Es sind bald alle Sprachen vertreten, ausser vielleicht Thailändisch, aber die meisten Thailänderinnen sprechen gut Englisch.
Was erzählen Ihnen die Frauen?
Ich spreche hier von Frauen, die seit mehreren Jahren in der Schweiz sind und die wir seit längerem kennen. Eine Geschichte wiederholt sich immer wieder:
Eine Frau kommt aus wirtschaftlichen Gründen hierher und heiratet einen Schweizer (oder einen Ausländer mit Niederlassungsbewilligung), um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Weil sie sich für die Reise und die Heirat verschuldete, muss sie erst ihre Schulden abarbeiten. Manchmal gibt der Ehemann, weil die Frau gut verdient, seinen Job auf, um sich von ihr aushalten zu lassen. Irgendwann klopft das Betreibungsamt bei der Frau an, weil der Gatte insolvent ist. Wegen der Gütergemeinschaft muss die Ehefrau nun für die von ihm angehäuften Schulden aufkommen. Wie soll sie aus dem Sexgeschäft jemals herauskommen? Solche Frauen müssen sich still und brav verhalten, weil ihnen sonst mit der Scheidung gedroht wird. Viele Frauen ernähren mit der Arbeit in der Schweiz ihre Familien im Herkunftsland.
Ich sah im Schweizer Fernsehen einen Dokumentarfilm übers Milieu. Ein Sittenpolizist ging zur Kontrolle in ein Hinterhofpuff. In der kleinen Wohnung sagt der Polizist: «Da klebt es überall am Boden.» In einem kleinen Raum lag eine widerliche Matratze mit einem verfleckten Leintuch. Wird Ihnen nicht manchmal fast übel?
Ich war schon in Bordellen, wo mir Ameisen über die Schuhe spazierten. In der Küche sassen die Frauen zwischen Essensresten und übervollen Aschenbechern. Im Zimmer hing die Tapete herunter, und von den Matratzen wollen wir nicht reden. Ich begreife die Männer nicht, dass die sich da nackt hinlegen und sich bedienen lassen.
Was für Männer frequentieren diese Orte?
Es sind dieselben, die in die Wohnwagen am Sihlquai oder auf den Strassenstrich gehen. In einem gewissen Segment von Bordellbetrieben hat es in jedem Zimmer Waschgelegenheiten. Die Frau ist frisch geduscht und auch der Freier geht vor dem Service unter die Brause. In diesen Betrieben ist das Leintuch frisch gewaschen oder wenigstens das Badetuch auf dem Bett. Beim Strassenstrich steigt die Frau in den Wagen und bedient den Freier irgendwo. Fragen sich die Männer eigentlich nie, ob und wann sich die Frauen waschen? Oder sind ihnen Hygiene und Gesundheit in dem Moment egal?
Bei Kontrollen im Bordell sehen Sie auch die Freier.
Bei einer normalen Kontrolle wollen wir den Betrieb und die Frauen bei der Arbeit nicht unnötig stören. Das heisst, wenn gerade ein Freier da ist, der sich bedienen lässt, lassen wir die beiden ihr Geschäft in Ruhe abwickeln. Bei der Routinekontrolle geht es um ausländerrechtliche Fragen. Und nicht darum, Freier zu kontrollieren oder zu identifizieren.
Melden Sie sich vorher an? Achtung, wir kommen um 15 Uhr. Schaut, dass alle Kunden in den Zimmern sind?
Wir klingeln an der Türe und werden eingelassen. Meistens empfängt uns die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer. In vielen Betrieben haben die Frauen einen Aufenthaltsraum, oft eine kleine Küche. Ist Mary am Bedienen und Betty gerade frei, setzen wir uns mit Betty kurz hin. Sie bringt uns die Ausweise aller Frauen, die gerade am Arbeiten sind. Wir gehen nicht in die
Bedienzimmer und sagen: «Aufstehen, bitte.» Die Prostitution ist legal und
das Freiern auch.
Wir wollen niemanden blossstellen. Es ist erlaubt, zu einer Dirne zu gehen. Unsere Gesellschaft hat diesbezüglich eine liberale Haltung. Was die eigenen Moralvorstellungen angeht, muss das jeder mit sich selbst vereinbaren.
Offiziell gibt es kaum Freier, niemand kennt sie. Eine geheimnisvolle Spezies. Wie sieht sie aus?
Wie der typische Freier aussieht? Jesses. Wenn Sie das nächste Mal beim Einkaufen sind, betrachten Sie den Mann neben Ihnen in der Schlange. Er könnte einer sein. Es sind ganz normale Männer. Studien aus Deutschland sagen,
der typische Freier ist irgendwo zwischen 25 und 40, durchschnittlich intelligent und gut integriert in der Gesellschaft.
Weshalb gehen Männer
ins Puff?
Ich kann nur wiedergeben, was diese Studien sagen. Die meisten Freier gaben
Abenteuerlust als Motivation an, sich ins Milieu zu begeben. Es gehe um den Kick und die Vorstellung, vielleicht doch etwas moralisch Verwerfliches zu tun. Der Mann hat die Möglichkeit, sich eine Frau auszusuchen, das darf nicht unerwähnt bleiben. Interessant war folgende Aussage. Die Männer stünden zu Hause unter Leistungsdruck. Sie müssten immer leistungsfähig und tolle Liebhaber sein. Ein Nein werde oft fehlinterpretiert. Bei einer Prostituierten fällt dieser Druck weg. Sie dürfen sich hinlegen und müssen niemandem etwas beweisen.
Wie hat sich das Milieu in den letzten Jahren verändert?
Das Sexgewerbe ist ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden. Da wird viel Geld umgesetzt. Dass der eine oder andere für sich eine Scheibe abschneiden will, ist nachvollziehbar. Es werden Marktanalysen und Businesspläne gemacht. Wir haben viele leerstehende Industriegebäude; die sind prädestiniert für Bordellbetriebe, es ist anonym und hat genügend Parkplätze. Dort entstehen Saunalandschaften mit erotischen Dienstleistungen im Angebot. Oasen, wo der Mann das Bademänteli anzieht.
Steigen da auch Milieufremde ein?
Ja. Man denkt gerne an
goldkettenbehangene Stänze aus vergangener Zeit. Heute gibt es viele Geschäftsfrauen und -männer, denen niemand ansieht, dass sie ihr Geld in der Sexindustrie verdienen. Viele haben mit der Prostitution direkt nichts zu tun.
Gab es Polizisten, die die Seite wechselten?
Das kommt sehr selten vor.
Ihre Polizisten haben regelmässig Kontakt zu Dirnen. Man kennt sich, ist vielleicht per du. Da kann auch zu viel Nähe entstehen.
Wenn bestimmte Kulturen ihren Charme spielen lassen, muss ein Mann schon wissen, wer er ist und was er macht. Doch: Küsschen rechts, Küsschen links, diese Zeiten sind vorbei. Es müssen klare Grenzen festgelegt und auch eingehalten werden. Der Umgang ist von gegenseitigem Respekt geprägt.
Wie merken Sie, ob ein Polizist einer Frau zu nahe steht?
Durch eigene Wahrnehmungen, durch Meldungen von Mitarbeitern und auch durch Informationen aus dem Milieu.
Was, wenn eine Dirne einem Polizisten Sex offeriert?
Ich kann nur von uns reden, und bei uns kommt so etwas nicht vor. Wir haben eine klare Linie, man kennt und respektiert sich. Die Frauen kennen die Grenzen.
Ihre Mitarbeiter kommen nicht in Versuchung?
Nein.
Weshalb? Reden Sie Ihren Mannen regelmässig ins Gewissen?
Es wäre falsch, wenn ich das müsste. Nein, das hat mit Berufsethik zu tun, mit Professionalität und Persönlichkeit. Wenn einer merkt, der Kollege verhält sich nicht richtig, kommt er zu mir. Menscheln tut es überall. Ich meine: Man betritt ein Bordell. Was läuft? Ein Porno, unübersehbar. Andererseits hat man die Sexszenen irgendwann gesehen und nimmt sie nur noch am Rande wahr.
Kam es schon vor, dass Sie
einem Freier die Kappe waschen wollten? Auch was Aids angeht?
Ich begann als junge Polizistin zu
Zeiten des Platzspitzes. Ich sah, wie Männer junge Frauen, offensichtlich schwerstabhängig, für Sex kauften. Das war furchtbar. Die Freier haben dort schamlos die Notsituation der Frauen ausgenutzt. Ich habe im Gespräch mit Freiern auch schon versucht, das Bewusstsein hinsichtlich Hygiene und Gesundheit zu fördern. HIV beziehungsweise Aids ist in vielen Köpfen heute eine behandelbare und keine todbringende Krankheit mehr. Sehr aktuell sind Geschlechtskrankheiten.
Syphilis breitet sich aus. Viele Männer haben scheinbar ein psychisches Problem, wenn sie ein Präservativ anziehen sollten. Sie behaupten, sie könnten nicht mit Gummi. Aber was ist mit Angehörigen, mit weiteren Sexualpartnern, die vielleicht zu Hause warten? Viele sind der irrigen Meinung, dass für die Ausübung der Prostitution ein
Gesundheitsattest vorgelegt werden muss. Dem ist nicht so.
Die HIV-Zahlen steigen vor allem bei heterosexuellen Männern. Das hat sicher mit dem Milieu zu tun.
Nicht nur. Wir haben eine sehr liberale Sex-Mentalität. Da wird ausprobiert, werden die Sexualpartner gewechselt, werden die Lebenspartner betrogen, Heteros beanspruchen immer mehr die Dienste von Transsexuellen und so weiter. Vor allem im privaten Bereich gehen die Menschen anscheinend immer noch davon aus, dass es Präservative nicht braucht. Sie denken, die ist mit dem soundso lange verheiratet und der ist mit jener zusammen, die sehen gesund aus, also ist alles gut.
Malen Sie sich das so aus?
Nein. Man muss nur mit offenen Sinnen durchs Leben gehen. Ich möchte nicht wissen, wie viele HIV-positive Menschen es gibt, die nicht ahnen, dass sie das Virus haben.
Besteht die Gefahr, dass einem die Beschäftigung mit all dem Negativen den Geist vergiftet?
Nein, aber man wird mit der Zeit schon kritisch. Meine Generation Polizisten hat vieles erlebt: Riviera, Platzspitz, Letten. Heutzutage findet eine Vermischung des Prostitutionsmilieus mit dem der Drogen statt. Es gibt mittlerweile
Prostituierte, die bieten ihren Freiern vor allem Drogen an und die Möglichkeit, in Ruhe zu konsumieren. Die Prostituierten rutschen dadurch in die Drogenabhängigkeit und in die Illegalität hinein. Wir beobachten dieses Phänomen vor allem im Langstrassenquartier. Dort gibt es zu den Happy Hours alles zu kaufen, von Sex bis Freebase. Da denke ich manchmal: Gopfriedstutz, wann sehen wir eine positive Entwicklung über einen längeren Zeitraum?
Wie imprägnieren Sie sich gegen all das Schlechte?
Indem ich nach vorne schaue. Es sind ja ernsthafte Bemühungen im Gange, dass es wieder besser wird, auch dank Projekten wie «Langstrasse plus». Es ziehen jetzt Vertreter aus verschiedenen Kreisen am gleichen Strick. Aber solange die Nachfrage etwa beim Kokain so breit gefächert und ungebrochen ist vom Fünfzehn- bis zum Siebzigjährigen , ist es schwierig.
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 03/09
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2009-0 ... ns-zu.html
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