SexarbeiterInnen in Europa Manifest

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ex-oberelfe
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SexarbeiterInnen in Europa Manifest

Beitrag von ex-oberelfe »

SexarbeiterInnen in Europa Manifest

Wir kommen von vielen verschiedenen Ländern und vielen verschiedenen Umgebungen, doch haben wir entdeckt, dass wir in unserer Arbeit und in unserem Leben vielen gemeinsamen Problemen begegnen.

Das vorliegende Dokument erkundet die gegenwärtigen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in unserem Leben und in der Sexindustrie, es fragt nach deren Herkunft, es konfrontiert und bietet eine Herausforderung. Es stellt unsere Sicht derjenigen Dinge dar, die zu ändern nötig sind, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, in der SexarbeiterInnen, deren Rechte und deren Arbeit anerkannt und geachtet werden.

Jenseits von Toleranz und Mitleid
Für das Anerkennen von Recht und Achtung

Wir leben nicht in einer idealen Welt. In einer idealen Gesellschaft könnte jedeR BürgerIn sowohl wirtschaftliche Sicherheit als auch sexuelle Erfüllung erlangen, ohne Ausnützung und ohne Notwendigkeit für sexuelle Dienste Geld zu bieten oder zu verlangen. Unsere nicht ganz so ideale Gesellschaft billigt Geschäfte von Lebens- und Heilmitten, die einen ganzen Teil unserer heutigen wirtschaftlichen Weltordnung ausmachen.
Weshalb sollen denn dann Geschäfte um sexuelle Dienstleistungen so unethisch und verwerflich sein? Sexarbeit bietet Möglichkeiten des Überlebens, der Mobilität und des Aufstiegs, insbesondere für Gruppen, deren Rechte innerhalb der aktuellen Weltordnung eingeschränkt werden wegen ihres Gender (Frauen und Transgender) oder ihrer sexuellen Orientierung, wegen Hautfarbe oder Bildungsunterschied und wegen territoraler oder wirtschaftlicher Unterschiede.

In unseren Gesellschaften ist Sexualität für viele Leute eine individuelle Einkommensquelle. Dies kann sich unterschiedlich darstellen, doch sollte keine dieser verschiedenen Formen kriminalisiert werden. Sexarbeit ist eine legitime individuelle Wahl.

Das Kaufen und Verkaufen sexueller Dienstleistungen kann nicht abgehoben vom sexual-wirtschaftlichen Verhaltenskontinuum betrachtet werden, welches in unseren Gesellschaften existiert. Abgesehen von der Sexarbeit, gibt es viele gelegentliche und langfristige Beziehungen, in denen neben sexuellen Aktivitäten auch materieller Austausch stattfindet.

Sexarbeit kann auch nicht abgehoben von anderen Formen der Reproduktionsarbeit und der sozial engagierten Arbeit betrachtet werden, zumal sie ebenfalls hauptsächlich von rechtlich benachteiligten Gruppen, traditionellerweise von Frauen, geleistet wird.

Neben ihrer Funktion als Reproduktionsarbeit und soziale Arbeit, ist Sexarbeit ein wertvoller und wesentlicher Beitrag bezüglich des Eingehens auf individuelle Bedürfnisse in unseren Gesellschaften. Wir wünschen uns eine Welt, in der diejenigen, die sich um sexuelle und reproduktive Bedürfnisse kümmern, anerkannt werden und soziales Durchsetzungsvermögen erlangen.

Unsere derzeitige Weltordnung und deren dynamische Auswirkungen auf den weltweiten Arbeitsmarkt haben in Europa dazu geführt, dass Migration eine wesentliche Rolle spielt beim Anpassen an die Nachfrage im Bereich von Reproduktionsarbeit, sozial engagierter Arbeit und sexueller Arbeit. In Anbetracht des bestehenden Machtgefälles fordern wir von unseren Regierungen die Anerkennung und die Anwendung von grundlegenden Menschen- Arbeits- und BürgerInnenrechte für MigrantInnen. Es ist unbedingt erforderlich, allen MigrantInnen Zugang zu sowie Informationen über allgemeine öffentliche Hilfsdienste, Gesetze und Rechte zu verschaffen.

Wir verurteilen die Scheinheiligkeit unserer Gesellschaften, wo unsere Dienste gebraucht, doch unsere Tätigkeiten kriminalisiert werden, und wo Gesetzgebungen zu Ausbeutung führen und zum Verlust unserer Selbstbestimmung un unserer Arbeit und unserem Leben.

Wir lehnen die Kriminalisierung von SexarbeiterInnen und ihrer PartnerInnen, KundInnen und ManagerInnen ab. Diese Kriminalisierung dient als Vorwand, um SexarbeiterInnen (und anderen Mitwirkenden in der Sexindustrie) gesetzlichen Schutz und Gleichbehandlung zu verwehren.

Respekt für Sexarbeiterinnen und deren Werte

Religions- und Sexualmoral sind persönliche Werte, die jedeR BürgerIn für sich banspruchen darf, doch muss verboten sein, dass solche persönlichen Werte politische Entscheidungen beeinflussen, bzw. dass diese Werte den Menschen aufgezwungen werden.

Es ist nicht haltbar, dass SexarbeiterInnen dem „Gemeindewohl der Gesellschaft“ geopfert werden, und wir fordern, dass unsere Grundrechte in Politik und Praxis Beachtung finden.

Wir wollen unser Recht geltend machen, uns im öffentlichen Raum aufhalten zu dürfen, und unsere Wohngegend frei wählen zu können.

Wir fordern das Beenden von Diskriminierung und Missbrauch von Macht und Autorität durch die Polizei oder andere öffentliche Behörden. Wir behaupten unser Recht auf gleichberechtigten gesetzlichen Schutz.

Gewalt gegen SexarbeiterInnen darf nicht einfach als opferloses Vergehen gesehen werden. Für einE SexarbeirIn ist Vergewaltigung genauso verletzend wie für jedeN andereN BürgerIn, und die Folgeschäden sind ebenso schlimm. Wir fordern, dass die jeweiligen Behörden uns ernst nehmen, wenn wir Opfer von Gewalt werden.

Wir fordern, dass unsere Aussagen sowohl vor Gericht als auch von Vollzugsbehörden ernst genommen werden.

Angriffe gegen Ruf und Werachtung von SexarbeiterInnen in der Öffentlichkeit müssen als Diskriminierung und Aufhetzung zu Hass geahndet werden. Wir fordern, dass das Gesetz SexarbeiterInnen gegen Diskriminierung schützt.

Eine Stimme haben

Wir wollen unser Recht auf Beteiligung an öffentlichen und politischen Diskussionen und Auseinandersetzung geltend machen, denn dort werden unsere Arbeits- und Lebensumstände beurteilt und bestimmt.

Wir fordern, dass unsere Stimmen wahrgenommen und respektiert werden, dass man uns zuhört. Unsere Erfahrungen sind verschieden, doch sind alle wertvoll, und wir verurteilen all diejenigen, die sich da unserer Stimme ermächtigen, und behaupten, wir verfügten nicht über die nötigen Möglichkeiten, Entscheidungen zu treffen oder unseren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen.

Kollektives Handeln

Wir wollen unser Recht geltend machen auf Mitgliedschaft in Gewerkschaften und auf deren Neugründung.

Wir wollen von unserem Demonstrationsrecht in der Öffentlichkeit Gebrauch machen können.
Wir fordern das Recht, sowohl geschäftliche als auch private Beziehungen und Partnerschaften frei eingehen zu können. Wir wollen bei sozialen Projekten mitwirken können.

Recht auf Sexualität

Wir wollen das Recht aller BürgerInnen auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit geltend machen, sowie das Recht aller, einverständliche sexuelle Beziehungen einzugehen, ungeachtet als Gender, der Hautfarbe und der Herkunft der von ihnen gewählten PartnerIn. Dies beinhaltet auch unsere Beziehungen mit LebenspartnerInnen und KundInnen.

Migration und Mobilität

Wir beharren auf dem Recht aller BürgerInnen, sich aus persönlichen oder geschäftlichen Gründen frei zwischen und innerhalb von Ländern bewegen zu können, auch mit dem Ziel der Erwerbstätigkeit, und mit dem Recht, den Wohnort frei wählen zu können.

Bekämpfung von Zwangsarbeit und der Sklaverei ähnlichen Praktiken im Bereich der Sexarbeit

Die derzeitige allgemeine Auseinandersetzung um „Menschenhandel“ verdeckt die Belange von MigrantInnen bzgl. Ihrer Rechte, ihrer Wertachtung, ihrer Stigmatisierung und ihrer Arbeit. Wir stellen sie hier in diesem Dokument zur Diskussion. Eine simplifizierende Herangehensweise an ein solch komplexes Thema hätte noch mehr Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung zur Folge, insbesondere für Frauen in der Migration, für SexarbeiterInnen und vor allem für SexarbeiterInnen in der Migration.

Den Personenverkehr beschränkende Gesetzgebungen und Anti-Prostitutions-Maßnahmen müssen als beteiligte Faktoren gesehen werden, wenn es um die Verletzung der Rechte von MigrantInnen geht.

Die leibliche Erfahrung von Gewalt, Nötigung und Ausbeutung muss im Bezug auf Migration und Sexarbeit verstanden, und als Problem angegangen werden in einem Rahmen, der MigrantInnen wertschätzt und deren Grundrechte anerkennt.

Keine Industrie ist frei von der Möglichkeit, dass in ihr Zwangsarbeit oder der Sklaverei ähnlichen Praktiken vorkommen. Dort jedoch, wo Industrien rechtmäßig funktionieren und die Arbeit der ArbeiterInnen Anerkennung genießt ist es eher möglich, Fälle von Rechtsverletzung zu denunzieren und somit Ausbeutung und Missbrauch vorzubeugen.

Die Entkriminalisierung der Sex-Industrie würde allen SexarbeiterInnen ermöglichen, rechtliches Selbstbewusstsein aufzubauen und die eigenen Rechte einzufordern. SexarbeiterInnen würden eher Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten innerhalb der Sexindustrie melden.

Wir rufen unsere Regierungen auf zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und der Sklaverei ähnliche Praktiken, in welcher Form sich diese auch immer darstellen mögen, ungeachtet davon, wie die Betroffenen in solche Situationen hineingeraten sein mögen.

Wir fordern von unseren Regierungen, dem Schutz der Menschenrechte von Opfern von Zwangsarbeit und der Sklaverei ähnlichen Praktiken Priorität zu gewähren, ungeachtet ihrer Möglichkeit oder Bereitschaft zur Zusammenarbeit bzw. ihrer Aussage bei kriminalrechtlichen Ermittlungen.

Wir rufen unsere Regierungen auf, Asyl denjenigen zu gewähren, die Verletzungen ihres Rechts auf ein Leben ohne Zwangsarbeit und der Sklaverei ähnliche Praktiken erfahren mussten. Wir rufen sie ferner auf, den betroffenen Angehörigen und ihren Liebsten Hilfe zu leisten. Die Nichtbeachtung dessen führt zur Aufrechterhaltung ihrer Ausbeutung und verstößt zudem gegen ihre grundlegenden Menschenrechte.

Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern in der Sexindustrie

Um sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern vorzubeugen, wollen wir die Durchsetzung einer Erziehungspolitik, welche gezielt die Jugendlichen zur sexuellen Selbstbestimmung hinführt.

Wir fordern eine angemessene Unterstützung besonders verletzbarer Jugendlicher, um ihnen eine echte Chance zuteil werden zu lassen, die eine Wahlmöglichkeit mit Alternativen bietet.

Bekämpfung von Menschenhandel, Ausbeutung und Missbrauch in der Sexindustrie

Sexarbeit wird heute vom „abolitionistischen“ Diskurs definiert als „Gewalt gegen Frauen“.
Solche eine simplifizierende Sichtweise zielt darauf ab, unsere Vielfalt und Erfahrung totzuschweigen und aus uns hilflose „Opfer“ zu machen. Es wird damit versucht, unsere Eigenständigkeit und unser Recht auf Selbstbestimmung zu unterminieren.

Entfremdung, Ausbeutung und Missbrauch ereignen sich durchaus in der Sexindustrie, doch spiegelt sich die Sexindustrie nicht darin wieder. Einschränkende Gesetzgebung, Diskriminierung und Stigmatisierung müssen als erschwerende Faktoren erkannt werden in Bezug auf unserer Erfahrung mit Entfremdung, Ausbeutung und Missbrauch in unserem Leben und unserer Arbeit.

Wir fordern von unseren Regierungen sowohl die Entkriminalisierung von Sexarbeit unter einvernehmlichen Erwachsenen, als auch die Streichung von uns diskriminierenden und stigmatisierenden Gesetzen. Erst wenn wir befreit sind von jenem Schatten des Verbrechens, werden wir unsere Rechte einzufordern fähig sein und jene anzeigen können, die uns ausbeuten und missbrauchen.

Wir verlangen von unseren Regierungen, dass das tatsächliche Problem von Ausbeutung und Missbrauch in der Sexindustrie angegangen wird, in dem sichergestellt wird, dass wir gleichberechtigten gesetzlichen Schutz genießen bzgl. des Arbeitsrechts und bzgl. eventueller Übergriffe gegen uns. Dies beinhaltet auch die Gewährung von Schutz für uns und unsere Familien vor denjenigen, die uns bedrohen, weil wir sie bloßgestellt haben.

Wir rufen unsere Regierungen auf, das Entstehen von Stellen zu unterstützen, die im Fall von Übergriffen unsere Klagen und Beschwerden aufnehmen, die dabei aber – in Anbetracht der gesellschaftlichen Stigmatisierung von SexarbeiterInnen – unsere Identitäten schützen.

Unser Leben

EinE SexarbeiterIn zu sein…

Die Gesellschaft zwingt SexarbeiterInnen eine „Identität“ bzw. eine „soziale Rolle“ auf, die über die Erkenntnis hinausgeht, dass wir von unserer Sexualität als einer individuellen wirtschaftlichen Quelle gebrauch machen, um damit Geld zu verdienen. Die uns auferlegte „Identität“ und „soziale Rolle“ definiert uns als vom Wesen her als unwürdig und als Bedrohung für die Moral sowie für die öffentliche und soziale Ordnung. Ob man uns abstempelt als SünderInnen, Kriminelle oder Opfer, stets geht es beim Stigmatisieren darum, uns aus dem Kreis der „guten“ und „anständigen“ BürgerInnen, ja gar vom Rest der Gesellschaft auszuschließen.

Diese Stigmatisierung führt dazu, dass die Leute und nur als „Huren“ wahrnehmen – der Rest unseres Lebens sowie unsere Unterschiede werden dadurch unsichtbar gemacht. Dies zielt darauf ab, uns unseren Platz in der Gesellschaft streitig zu machen. Aus Gründen des Selbstschutzes und der Selbstbehauptung in der Gesellschaft halten die meisten SexarbeiterInnen ihr Verhältnis zur Sexarbeit verborgen. Viele von ihnen verinnerlichen die gesellschaftlichen Stigmata von Scham, Schande und Unwürdigkeit und leben in der Angst, bloßgestellt zu werden. Dies erklärt, warum viele SexarbeiterInnen Übergriffe, die an ihnen verübt werden, stillschweigend über sich ergehen lassen. Die aus den Stigmata resultierende gesellschaftliche Ausgrenzung von SexarbeiterInnen führt dazu, dass ihnen der Zugang verweigert wird in den Bereichen Gesundheit, Wohnen und Anstellung in anderen Wirtschaftszweigen. Sie müssen ggf. die Trennung von ihren Kindern über sich ergehen lassen und sind der sozialen Vereinsamung ausgeliefert.

Gesellschaftliche Sichtweisen drängen der Sexindustrie eine moralisch motivierte Hierarchie auf, die auf folgenden Kriterien beruht: MigrantInnenstatus, Rassenzugehörigkeit, ethnische Herkunft, Gender, sexuelle Orientierung, Drogengebrauch, Arbeitsbereich und Art der Dienstleistungen. Dies also zusätzlich zur Stigmatisierung und zur gesellschaftlichen Ausgrenzung bestimmter Gruppen von SexarbeiterInnen. Auch unter SexarbeiterInnen gibt es Leute, die solchen Sichtweisen beipflichten. Wir wollen durchsetzen, dass alle SexarbeiterInnen und alle Formen von Sexarbeit gleichwertig und gleich wertvoll Geltung finden. Wir verurteilen derartige moralistische und auf Vorurteile gestützte Unterteilungen.

Wir erkennen die Stigmatisierung als das verbindende Element zwischen allen SexarbeiterInnen, und das macht uns zu einer Interessensgemeinschaft – trotz der enormen Vielfalt unserer Lebens- und Arbeits-Realitäten. Wir haben uns zusammengerauft, um der Stigmatisierung und dem daraus resultierenden Unrecht in Konfrontation und Herausforderung zu begegnen.

Wir wollen durchsetzen, dass Sexarbeit als eine sexualwirtschaftliche Erwerbstätigkeit gilt, die nichts zu tun hat mit unserer Identität, unseren Werten oder unseren BürgerInnenpflichten.


Aktive BürgerInnen

SexarbeiterInnen sollten nicht schlicht als hilfsbedürftige Opfer oder wegzusperrende VerbrecherInnen bzw. Zielgruppe für Gesundheitsförderung wahrgenommen werden. Wir sind Menschen mit Bedürfnissen und Zukunftsplänen, und wir verfügen über das Potential, für unsere Gemeinschaften einen wertvollen Beitrag zu leisten.

Wir fordern das repräsentative und konsultative Einbeziehen von SexarbeiterInnen bei derzeit laufenden Angelegenheiten und Körperschaften.

Privatsphäre und Familie

Wir behaupten unser Recht, unser Privat- und Familienleben frei von willkürlichen äußeren Einmischungen zu gestalten, sowie unser Recht zu heiraten bzw. eine Familie zu gründen.

Wir sind fähige Menschen, imstande zu lieben und uns um Andere zu kümmern, wie jeder andere Mensch auch. Unsere Arbeit ermöglicht manchmal sogar mehr materielle Sicherheit und mehr Zeit für die Erziehung oder für eine PartnerInnenbeziehung als manch andere mehr Zeit beanspruchende und schlechter bezahlte Arbeit es sein könnte.

Das Abstempeln unserer PartnerInnen als ZuhälterInnen und AubeuterInnen bzw. MissbraucherInnen, nur weil sie unsere PartnerInnen sind, setzt als erwiesen voraus, wir seien zur Selbstbestimmung unfähig und der Liebe und der Beziehungen unwürdig, um uns ein Privatleben zu verunmöglichen.

Wir beharren auf unserem Recht, persönliche Beziehungen eingehen zu können und zwar selbstbestimmt und ohne Werturteil.

Wir verlangen das Beenden jener diskriminierenden Gesetzgebung, die uns das Zusammensein, das Zusammenleben und/oder Ehe mit der Partnerin oder dem Partner unserer Wahl verweigert. Hinweg mit jener Gesetzgebung , die unsere ParnerInnen und Kinder kriminalisiert, nur weil sie mit uns zusammen und von unseren Einkünften leben.

Die Praktik von Sozialdiensten und Gerichten, uns zu unfähigen Eltern abzustempeln und uns die eigenen Kinder wegzunehmen, nur weil unsere Dienstleistungen sexueller Art sind, ist weder zu rechtfertigen noch zu akzeptieren.

Wir fordern das Beenden solcher Diskriminierung.

Medien und Bildung

Was wir erlebt und zu erzählen haben, wird oft von den Medien manipuliert und man gewährt uns selten eine Richtigstellung, meist werden unsere Beschwerden abgelehnt.

Die Darstellung von SexarbeiterInnen in den Massenmedien verbreitet allzu oft ein stereotypes Bild von SexarbeiterInnen als Unwürdige, als Opfer und/oder als Bedrohung der Moral sowie der öffentlichen und sozialen Ordnung. Erschwerend kommt hinzu die fremdenfeindliche Darstellung von SexarbeiterInnen in der Migration, was für sie umso mehr Stigmatisierung und Verletzbarkeit bedeutet, Solche Darstellungen von SexarbeiterInnen legitimieren diejenigen der Gesellschaft, die uns Schaden zuzuführen und unsere rechte zu verletzen suchen.
Abgesehen von den irreführenden Bildern von SexarbeiterInnen, verbreiten die Medien eine entstellende Darstellung unserer KundInnen als GewalttäterInnen, Perverse oder psychisch Gestörte. Das Zahlen für sexuelle Dienstleistungen ist an sich nicht ein gewalttätiges oder problematisches Verhalten. Solche Stereotypen übertönen nicht nur die geführten Diskussionen über die Realität in der Sexindustrie, sie treiben uns auch noch mehr in die Isolation und lenken ab vom tatsächlichen Gewalt-Problem mit einer kleinen aber bedeutungsvollen Anzahl von KundInnen.

Diskriminierung und Vorurteile gegenüber SexarbeiterInnen durchziehen unsere gesamte Gesellschaft. Um dies zu überwinden, ersuchen wir unsere Regierungen, das uns immer wieder zugefügte Leid sowie den Wert unserer Arbeit anzuerkennen. Wir bitten sie außerdem, uns und unsere KundInnen zu unterstützen bei Aufgaben im Bildungsbereich, nicht nur um die betroffenen Behörden zu informieren, sondern auch ein breites Publikum. Wir wünschen uns von unseren Regierungen, dass sie uns ermöglichen ganzheitlich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Bekämpfung von Gewalt gegen SexarbeiterInnen

SexarbeiterInnen erfahren Gewalt und Verbrechen in unverhältnismäßig hohem Maß. Das Stigmatisieren von SexarbeiterInnen hat dazu geführt, dass Gesellschaft und Behörden über Gewalt und Verbrechen an uns stillschweigend hinwegsehen, da dies als eine Eigentümlichkeit unserer Arbeit gesehen wird.

Wir fordern von unseren Regierungen die Anerkennung von Gewalttaten gegen SexarbeiterInnen als Verbrechen, egal ob sie von unseren KundInnen, unseren ManagerInnen, unseren PartnerInnen, NachbarInnen oder von Behörden verübt werden.

Wir wünschen von unseren Regierungen, sie mögen öffentlich die TäterInnen der tatsächlichen Gewalt gegen uns verurteilen.

Wir fordern von unseren Regenten, dass Maßnahmen getroffen werden zur Bekämpfung der tatsächlich von uns erfahrenen Gewalt und nicht der allgemein wahrgenommenen Gewalt der Prostitution, die von AbolitionistInnen gerne in den Vordergrund gestellt wird mit dem Ziel, alle Formen von Sexarbeit auszumerzen.

- Bisher aufgewendete Zeit und Ressourcen zur Festnahme und Verfolgung von SexarbeiterInnen und nicht gewalttätigen KundInnen könnten nun umorientiert werden zugunsten des Umgangs mit Vergewaltigung und anderen Gewaltdelikten, die an uns verübt werden.
- Projekte müssen entwickelt werden, die SexarbeiterInnen Mut machen und ihnen helfen, ggf. Anzeige zu erstatten. Solche Projekte könnten auch Vorwarnsystem unter SexarbeiterInnen beinhalten bzgl. gewaltbereiter KundInnen.

Gesundheit und Wohlbefinden

Niemand – und am wenigsten eine SexarbeiterIn – leugnet, dass Sexarbeit verbunden ist mit gesundheitlichen Risiken, wenngleich es reiner Mythos ist, der behauptet, wir seinen „dreckig“ bzw. „unsauber“. Tatsächlich haben wir nämlich einen höheren Wissenstand über die eigene sexuelle Gesundheit und praktizieren mehr Safer Sex als die allgemeine Bevölkerung. Außerdem fungieren wir für unsere KundInnen als BeratierInnen für sexuelle Gesundheit.
Wir fordern die Anerkennung unser gesellschaftlichen Rolle als wertvolle Bezugsquelle für sexuelles Wohlbefinden und Gesundheitsförderung.

Stigmatisierung ist noch immer ein wesentliches Hindernis für den Zugang vieler SexarbeiterInnen zu gesundheitlicher Versorgung. Vorurteile und Diskriminierung kommen auch im Gesundheitsbereich vor, wo SexarbeiterInnen u. U. degradierende und erniedrigende Behandlung durch das Gesundheitspersonal erfahren.

Wir fordern, von jeglichem Gesundheitspersonal mit Würde und Respekt behandelt zu werden. Wir wünschen, dass unsere beschwerden über diskriminierenden Umgang ernst genommen werden.

Mit dem Ziel der Förderung von Gesundheit und Wohlempfinden aller SexarbeiterInnen fordern wir von unseren Regierungen:

- Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für alle SexarbeiterInnen in der Migration
- Zugang zu Spritzen-Austausch und Ausstiegsmöglichkeiten für abhängige DrogengebraucherInnen
- Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten für alle, die mit HIV leben, von denen sonst wohl unnötig viele sterben werden
- Zugang zu Übergangs-Behandlungsmöglichkeiten für Transgender-Personen.

Registrierung und obligatorische Tests

Registrierung von SexarbeiterInnen und obligatorische gesundheitliche Tests, denen sie sich zu unterziehen haben, sind für das Ziel der Prävention nutzlos, vor allem, wenn KundInnen von diesen Tests nicht betroffen sind. Dort, wo obligatorische Tests noch immer Praxis sind, zeichnet sich die Konsequenz ab, dass KundInnen SexarbeiterInnen für besonders „gesund“ halten und daher auf den Gebrauch von Kondomen verzichten wollen, da sie sich wohl nicht vorstellen können, ggf. selber eine Bedrohung für SexarbeiterInnen zu sein.

Registrierung und obligatorische Gesundheits- und HIV-Tests bedeuten eine Verletzung von Menschenrechten, die auch SexarbeiterInnen zustehen. Ferner bedeuten sie eine Verschlimmerung der Stigmatisierung von SexarbeiterInnen als Bedrohung für die allgemeine Gesundheit. Und sie bedeuten auch ein Festhalten an der stereotypen Sichtweise, nach welcher Infektion nur von SexarbeiterInnen auf KundInnen übertragen werden.

Wir verlangen ein Ende von Registrierung und obligatorischen Tests.

Reiseberechtigung, Migration, Asyl

Mangelnde Migrationsmöglichkeiten gefährden unsere Integrität und Gesundheit. Wir verlangen, dass SexarbeiterInnen frei zwischen und innerhalb von Ländern reisen und migrieren dürfen, ohne dabei bzgl. ihrer Arbeit diskriminiert zu werden.

Wir fordern das Recht auf Asyl für SexarbeiterInnen in der Migration, die sonst der Gewalt von staatlicher Seite oder von ihren jeweiligen Gemeinschaften ausgesetzt sind.

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle, deren Menschenrechte verletzt wurden aufgrund von Sexarbeit, Gender oder sexueller Orientierung.

Unsere Arbeit

Sexarbeit ist eine individuelle Einkunfstquelle für viele Leute und zwar oft in unterschiedlicher Form. Alle Arten von Sexarbeit sollen gleichberechtigt gelten, ob es sich nun um Tanzen, Strippen, Straßenprostitution, Escort, Telefonsex oder um pornographische Darstellung handeln mag.

Für manche mag bezahlter Sex Teil ihrer Privatsphäre bleiben. Sie tätigen ihre Geschäfte außerhalb vom Arbeitsmarkt.

Viele machen aus Sex ihre Arbeit, wobei einige unabhängig, andere gemeinsam arbeiten, und wieder andere bei Dritten „Anstellung“ finden. Es bedeutet für sie, ein Einkommen zu haben, das Erwerbstätigkeit erzeugt. Dies gilt es, als Arbeit anzuerkennen.

Entfremdung, Ausbeutung, Missbrauch und Nötigung sind in unserer Lebens- und unserer Arbeitsumgebung durchaus gegenwärtig, bezeichnen jedoch weder uns noch die Sexindustrie. Keiner Industrie und keiner Branche bleiben Fälle von Entfremdung, Ausbeutung, Nötigung und Missbrauch erspart. Solchem werden jedoch Grenzen gesetzt, wenn nämlich eine Tätigkeit in einer Industrie offiziell anerkannt, von einer gewissen Breite der Gesellschaft akzeptiert und von Gewerkschaften unterstützt wird. Das Ausbauen von ArbeiterInnenrechten ermöglicht den ArbeiterInnen, sich auf Vorschriften zu berufen, um Missbrauch zu melden und um sich zu organisieren gegen nicht zumutbare Arbeitsbedingungen und exzessive Ausbeutung.

Das Fehlen von Anerkennung der Sexarbeit als Arbeit sowie die Kriminalisierung von Tätigkeiten innerhalb der Sexindustrie und um sie, führ dazu, dass SexarbeiterInnen wie VerbrecherInnen behandelt werden, auch wenn sie gegen kein Gesetz verstoßen. Solches Behandeln entfremdet uns von der restlichen Gesellschaft und reduziert unsere Möglichkeiten, die Kontrolle über unsere Arbeit und unser Leben zu bewahren. Dies heißt, dass die Möglichkeit von unkontrollierter Ausbeutung, von Missbrauch und Nötigung wiederum wächst. Dazu gehören unzumutbare Arbeitszeiten, gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen, ungerechte Verteilung der Gewinne und unsinnige Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Gewisse Gruppen von SexarbeiterInnen, wie z.B. MigrantInnen, sind von unakzeptablen Arbeitsbedingungen unverhältnismäßig stark betroffen.

Wir fordern die Anerkennung unseres Rechts auf gesetzlichen Schutz, der uns gerechte und geeignete Bedingungen garantiert bzgl. Arbeit, Vergütung und Absicherung gegen Arbeitslosigkeit.

Wir fordern, dass Sexarbeit anerkannt wird als Erwerbstätigkeit, dass MigrantInnen sich um Arbeitsstellen und Aufenthaltsgenehmigungen bewerben können, und dass sowohl papierlosen MigrantInnen wie auch solchen mit Ausweis die vollen Arbeitsrechte zuteil werden.

Berufliche und persönliche Entwicklung

Wir wollen unser Recht auf Bildung von Gewerkschaften und Verbänden geltend machen.

Als SexarbeiterInnen streben wir nach gleichen Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung wie andere ArbeiterInnen. Wir fordern das Recht, berufliche Ausbildung und Beratungsdienste entwickeln zu können, die uns auch darin unterstützen, unabhängig zu arbeiten bzw. unser eigenes Geschäft aufzubauen.

Wir beharren auf unserem Recht, in anderen Ländern reisen und arbeiten zu können. Informationen übers Arbeiten in der Sexindustrie und über ihre verschiedenen Bereiche sollten entsprechend angeboten werden.

Wir verlangen, dass im Ausland absolvierte Ausbildungen und Abschlüsse angemessen anerkannt werden.

Wir verlangen die Anwendung von Antidiskriminierungs-Gesetzen sowohl für die Sexindustrie als auch für diejenigen SexarbeiterInnen, die sich auf die Suche nach alternativer Anstellung begeben. SexarbeiterInnen sind infolge Stigmatisierung besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt.

Wir verlangen Unterstützung für SexarbeiterInnen, die ein Studium oder eine Umschulung aufnehmen wollen oder Anstellung in einem anderen Wirtschaftszweig suchen.

Steuern und soziale Unterstützung

Wir anerkennen die Pflicht jedeR BürgerIn, die Gesellschaft finanziell zu unterstützen, in der er oder sie lebt. Doch halten wir diese Pflicht nicht als bindend, solange wir nicht den gleichen Nutzen genießen wie die anderen BürgerInnen und solange wir nicht den gleichen Nutzen genießen wie die anderen BürgerInnen und solange uns das Recht auf gleichen gesetzlichen Schutz verwehrt wird.

Wir verlangen Zugang zu Sozialversicherungen, um bzgl. Renten und gesundheitlicher Fürsorge sowie gegen Arbeitslosigkeit und Krankheit abgesichert zu sein.

SexarbeiterInnen sollten die üblichen Steuern auf gleicher Grundlage wie andere Angestellte oder selbständig Erwerbende bezahlen können und sollten einen gleichwertigen Nutzen daraus ziehen können. Steuererklärungen bzw. Steuerregister sollten nicht als Mittel zur Registrierung von SexarbeiterInnen missbraucht werden. Angelegenheiten, die mit Stigma und Vertraulichkeit zu tun haben, müssen vorrangig behandelt werden.

Auskünfte über Besteuerungen müssen gut zugänglich und verständlich gestaltet sein und für ArbeiterInnen in der Migration in vielen Sprachen erteilt werden können. Steuerbescheide sollten für ArbeiterInnen transparent und leicht verständlich sein, um der Ausbeutung und dem Missbrauch von seiten der ArbeitgeberInnen entgegenzuwirken.

Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz

Unsere Körper sind unser Geschäft. Um unsere Gesundheit zu erhalten, benötigen wir kostenlose bzw. erschwingliche Safer-Sex-Artikel und gesundheitliche Versorgung.

Wir verlangen von unseren Regierungen, das Konfiszieren von Präservativen und anderen Safer-Sex-Artikeln bei SexarbeiterInnen zu verbieten.

Wir verlangen von unseren Regierungen kostenlose oder erschwingliche Versorgung für die sexuelle Gesundheit aller SexarbeiterInnen, dazu gehören auch vorsorgliche Impfungen.

Wir verlangen, dass die gesundheitlichen Bedürfnisse von SexarbeiterInnen bei allen gesundheitlichen Versicherungen Berücksichtigung finden. Wir verlangen, dass Krankengeld bezahlt wird bei Arbeitsbedingter Krankheit, wie bei anderen Beschäftigungen.

An jedem Arbeitsplatz ist Gewalt eine Frage von Gesundheit und Sicherheit. Unsere Arbeitsgeber sind verpflichtet, uns zu schützen gegen Übergriffe derer, die unser Recht auf Sicherheit bei unserer Arbeit verletzen.

Wir verlangen, dass unsere Regierungen unsere Anliegen bzgl. Gesundheit und Sicherheit ernst nehmen und für sichere Arbeitsumgebungen sorgen, wo Gewalt und Missbrauch nicht toleriert werden. Im Hinblick darauf ersuchen wir eindringlich die Regierungen, telefonische Norfall-Beratungen einzurichten, wo SexarbeiterInnen um Rat suchen und erfahrenen Missbrauch anonym melden können.

Arbeitsbedingungen

Die Tatsache, dass Sex zur Arbeit wird, ist kein Grund, uns das Recht abzusprechen auf die Kontrolle darüber, mit wem wir Sex haben oder welche sexuellen Dienstleistungen wir anbieten oder unter welchen Vorraussetzungen wir sie erbringen.

Wir fordern das Recht, KundInnen oder verlangte Dienstleistungen abzulehnen. UnserE MangerIn darf nicht bestimmen können, welche Leistungen unter welchen Bedingungen, wir sie erbringen, ungeachtet dessen, ob wir „Angestellte“ oder „angestellte Selbständige“ sind.

Wir fordern faire Arbeitsbedingungen wie z.B. Anspruch auf Pausen, Mindestmaße für Ruhezeiten und jährlichen Urlaub. Solche Bedingungen müssen auch für „angestellte Selbständige“ an kollektiven Arbeitsplätzen gelten.

Wir fordern das Beenden von nicht akzeptierbaren Praktiken, wie das Verpflichten von SexarbeiterInnen zum Alkohol- bzw. Drogenkonsum während der Arbeit, oder das Erheben von Wucherpreisen für Essen, Getränke und Kleidung am Arbeitsplatz.

Wir fordern, dass Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz als Prioritäten behandelt werden. Damit meinen wir auch die Gewährleistung von Schutz bzgl. Gesundheit und Sicherheit für unabhängig im öffentlichen Raum Arbeitende.

Wir fordern, dass ArbeitgeberInnen die gesetzlichen Bestimmungen des Datenschutzes erfüllen, dass unsere persönlichen Angaben vertraulich behandelt werden, und dass jeglicher Missbrauch unserer Daten von den Behörden ernst genommen wird.

Gesetze sind besonders komplex, wenn sie Arbeitszeiten regeln. Daher ist es wichtig, SexarbeiterInnen mit klaren und genauen Informationen zu versorgen. Am Arbeitsplatz sollten Informationen über Rechte von SexarbeiterInnen gut sichtbar aufgehängt werden. Sie müssen in verschiedenen Sprachen übersetzt sein, damit sie keiner Migrantin und keinem Migranten vorenthalten bleiben.

Um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist es für uns wichtig, uns zu organisieren und für unsere Rechte Einzustehen. Wir verlangen Unterstützung von Gewerkschaften für unsere Selbstorganisierung und unseren Kampf um faire Arbeitsbedingungen.

Bezüglich der Straßenprostitution verlangen wir, dass Arbeitszonen festgelegt und bezeichnet werden, damit diejenigen von uns, die im öffentlichen Raum arbeiten, dies auch sicher tun können. Solche Zonen sollen uns ermöglichen, mehr kollektiv zusammen zu arbeiten, und sie würden zudem eine Erleichterung bringen für unterstützende Dienstleistungen. Die Polizei könnte dabei gut sicherstellen, dass alles ohne Zwischenfälle mit Kriminellen und Unerwünschten abläuft.

Entkriminalisierung von Sexarbeit

Oft wird in unseren Gesellschaften der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen oder die Person, die dieser Arbeit nachgeht, als verbrecherisch bezeichnet, obwohl genau diese Bezeichnung einen verbrecherischen Angriff bedeutet. Heuchlerisch ist an der derzeitigen Gesetzgebung vieler Länder, dass sie gerade diejenigen Tätigkeiten in der Sexindustrie kriminalisiert, die uns kollektives und sicheres Arbeiten ermöglichen. Solche Gesetze – angeblich erlassen, um uns vor der Ausbeutung zu schützen – verschlimmern eigentlich noch die Entfremdung und gewähren der Ausbeutung, dem Missbrauch und der Nötigung in unserer Industrie mehr Spielraum. Solche Gesetze behandeln uns als rechtlich „Minderwertige“, als wären wir nicht fähig, mit Wissen und Gewissen Entscheidungen zu treffen.

Wir fordern das Beenden von Gesetzgebung, die nicht nur uns kriminalisiert, sondern auch unsere KundInnen, Familien und die, welche mit uns arbeiten, oder für die wir arbeiten.

Wir fordern das Beenden von Gesetzgebung, die unseren freien Umgang und unsere Möglichkeiten zur Selbstorganisation einschränkt.

Wir fordern das Beenden von Gesetzgebung, die uns das Recht vorenthält, uns zwischen und innerhalb von Ländern frei zu bewegen.

Wir fordern das Recht, individuell oder kollektiv organisiert arbeiten zu können, entweder als selbstständig arbeitende oder als Angestellte mit der vollen Absicherung der ArbeiterInnenrechte.

Wir fordern das Recht, Räumlichkeiten für unsere Arbeit mieten zu können, Werbung für unsere Dienstleistung machen zu können und Leute bezahlen zu können, die für uns Dienste ausführen.

Wir fordern das Recht, mit unseren Einkünften, die uns Liebsten unterstützen zu können.

Wir fordern, dass Geschäfte der Sexarbeit nach üblichen Verfahren geregelt werden, das heißt nach Verfahren, die sonst andere Geschäfte registrieren – nicht SexarbeiterInnen.

Wir fordern das Recht, uns in öffentlichen Raum aufhalten zu dürfen, und wir unterstützen den Vorschlag für gekennzeichnete öffentliche Zonen für Straßen-Sexarbeit.

Wir verteidigen das Recht von nicht gewalttätigen und nicht missbrauchenden KundInnen, käuflichen Sex haben zu dürfen.

Damit Sexarbeit für alle sicher wird, fordern wir, das Kriminalgesetze verschärft werden, in Bezug auf die in der Sexindustrie auftretenden Fällen von Betrug, Nötigung, Kindesmissbrauch, Kinderarbeit, Gewalt, Vergewaltigung und Mord.
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sixela
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Beitrag von sixela »

Ist ja fast in einer wissenschaftstheoretischen Sprache formuliert (die Sexarbeiterinnen, die das federführend ausgearbeitet haben, würde ich gern mal kennenlernen :002 ), aber der Text beinhaltet tatsächlich alle wichtigen Punkte, die für eine Verbesserung der Situation notwendig wären. Interessant finde ich, dass verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen abgelehnt werden, aber die Begründung ist einleuchtend.

Aber jetzt, liebe @Oberelfe, darf man die Sache nicht verpuffen lassen. Man hat über die Konferenz zumindest hierzulande nichts in den Medien gebracht. Zumindest das Manifest sollte eine weitere Verbreitung finden. Warum schickt ihr es nicht potentiell interessierten Medien, z.B. "diestandard.at" oder auch dem Falter (als Kontrapunkt zur Callgirlring-Geschichte). auch ein Interview oder einen Gastkommentar solltet ihr versuchen unterzubringen.
Die Welt ist umso freier, je weniger Religion und je mehr Sex praktiziert wird

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@sixela

Beitrag von ex-oberelfe »

hallotschi!
also, keine bange, wir sind bereits dabei, an die öffentlichkeit zu gehen.
gerade wird ein artikel für das volkshilfe-blatt verfasst....was für euch wahrscheinlich weniger von interesse ist, da diese zeitschrift leider nicht öffentlich erhältlich ist.
weiterhin habe ich am dienstag eine besprechung bei sophie, um die öffentlichkeitsarbeit besprechen und wir haben auch vor, einen artikel für den falter zu verfassen
und dann läuft hoffentlich alles weitere von selbst, wenn die medien einmal aufmerksam werden.
lg die oberelfe :-)
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der erste artikel über die konferenz

Beitrag von ex-oberelfe »

und den findet ihr auf www.diestandard.at
lg die oberelfe :-)
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Beitrag von Elisabeth »

Hallo Oberelfe!

Hier noch der genaue Link:
http://diestandard.at/?id=2217602

Mir gefällt die Diskussion dazu sehr gut. Sie unterscheidet sich absolut positiv von den bisherigen Diskussionen zu diesem Thema, was mich mit jedem Kommentar, den ich per Mail zugeschickt bekomme, mehr freut.

Ich bin unheimlich stolz auf euch.

Alles Liebe,
Lisa
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ex-oberelfe
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merci

Beitrag von ex-oberelfe »

Mich macht es so unwahrscheinlich glücklich, wenn ich sehe, wie dieses Thema immer heftiger diskutiert wird.
Irgendwie bin ich jetzt auch stolz auf uns alle und ich bin mir sicher, dass wir gerade dabei sind, eine Lawine ins Rollen zu bringen.
Wir kämpfen weiter!
Schönen Feiertag noch
Bussale von der Oberelfe :005
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Tommy
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Beitrag von Tommy »

sixela hat geschrieben:Interessant finde ich, dass verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen abgelehnt werden, aber die Begründung ist einleuchtend.
Das Manifest ist in Form und Ausführung beeindruckend, da kann man sixela nur beipflichten!

Zum Zitat:
Mich überrascht diese Forderung ebenfalls, - und ja, unter den gegebenen legislativen Voraussetzungen ist sie nachvollziehbar.
Aber gerade in jener einleuchtenden Begründung liegt m.E. auch eine nicht zu übersehende Tücke.

Zunächst eine Grundsatzfrage:
Welche Alternative(n) wäre(n) geeignet, die bestehende obligatorische Untersuchung zu ersetzen?

Denn: Ganz ohne medizinische Überwachung wird Sexarbeit als Drehscheibe von STD auch in Hinkunft und ungeachtet der zu erwartenden sozialen Besserstellung der SW schwerlich auskommen können.

Die geforderte Kranken-Pflichtversicherung könnte ein auf den SW-Status maßgeschneidertes Tarifmodell inkludieren, gewiß, aber wie sähe es im konkreten Fall in der Praxis aus?
Gesetzt den Fall, die versicherungsgestützte Untersuchung zeitigte einen positiven Befund (z.B. Infektion mit Gonokokken).
Wer kontrollierte, ob die Probandin auch wirklich brav daheim bleibt, bis sie nach der AB-Therapie und dem (negativen) Test zwei Wochen später wieder "grünes Licht" bekommt?
Und vor allem: Wo und wann???

Eine Schnittstelle zwischen Versicherer und/oder Labor und der Behörde wäre also ebenso unumgänglich wie bisher!

Vertrauen ist im sprichwörtlichen Sinne gut, aber wir wissen von solchen Fällen, dass u.a. finanzielle Engpässe viele Mädels zu kleinen Sünden mit möglicherweise großer (und recht unerfreulicher) Wirkung verleiten. :002

Der Text enhält einen Punkt, dem meine inbrünstige Zustimmung gehört: Sinn und Zweck der Untersuchung sind insoferne ad absurdum geführt, als der Kunde als potentieller Überträger von STD bisher völlig unberücksichtigt bleibt.
Unbegreiflicher Weise wurde daran bisher nicht gerüttelt, und es ist sehr zu hoffen, dass dieser Gedanke Eingang in die europäische Judikatur findet!
Das Anrecht auf weitgehende gesundheitliche Unbedenklichkeit steht jeder SW ganz genauso zu, wie jedem Kunden!

Wie das zu verwirklichen wäre?
Höchst simpel:
Gehst Du zum Weibe, vergiß den HIV-Test nicht!
Frau sollte das behördlich abgesegnete Recht haben, auf das Vorweisen einer Gesundheitsbescheinigung zu bestehen!
Und: Klienten sollten in einschlägigen Etablissements im Rahmen polizeilicher Kontrollen gleichfalls nach dem "Deckel" gefragt werden, - nach besagtem Testergebnis nämlich, das nicht älter als beispielsweise 3 Monate sein sollte (zu häufigeren Untersuchungen wären auch gewohnheitsmäßige Freier wohl kaum zu bewegen).

Keineswegs hielte ich das für eine Zumutung den Gästen gegenüber.
Kaum ein Porno-Starlet hüpft heute noch mit einem Mimen ins Bett, der keinen aktuellen (vertraglich vorgesehenen) HIV-Test vorzuweisen hat, - ganz wurscht, ob "mit" oder "ohne" gebumst wird!
Den ungleich exponierteren SW wird dies nicht zugestanden???

Einzelne SW beanspruchten dieses Recht bereits in der Vergangenheit, und z.T. weisen sie sogar auf deren HPs ausdrücklich darauf hin. Betreffende Damen haben nicht über Besuchermangel zu klagen, wie ich meine, - nicht mehr zumindest, als viele andere auch, bei denen eventuell "ohne" ganz oben am Menüplan steht.

Würde mich interessieren, was unsere Oberelfe selbst zum Thema "Untersuchung" meint, bzw. ob man in Brüssel auch über alternative Modelle laut nachgedacht hat.

LG, Tommy

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zum Thema Untersuchung

Beitrag von ex-oberelfe »

Servus Tommy!
Nun es wurde nicht verlangt, dass es keine Untersuchungen mehr geben soll...aber eine polizeiliche Registrierung sehen viele der Sexworker als Diskriminierung an.
Man muss sich an und abmelden, als währe man auf Bewährung, oder so, das finde ich auch als sehr unangenehm und daher kann ich diesen sehr wichtigen Punkt im Manifest schon nachvollziehen.
Weiterhin bin ich aber sehr wohl dafür, dass Sexworker, die in direktem Zusammenhang mit sexueller Dienstleistung ihrer Arbeit nachgehen, sehr wohl regelmässig zum Arzt gehen sollten.
Da stellt sich mir die Frage, ob es nicht möglich wäre, einem Sexworker es frei zu lassen, ob es zu einem frei gewählten Arzt gehen kann, oder zum Magistrat auf die Neutorgasse z.B.
Aber dass man gesundheitliche Untersuchungen vermeiden sollte, davon war in Brüssel nicht die Rede, es ging jediglich darum, das Menschenrecht zu schützen, nicht als Verbrecher behandelt zu werden, nur weil man eine sexuelle Dienstleistung verkauft.
Aber ich denke, eine freie Arztwahl, wäre doch eine Alternative, oder?
Liebe Grüße
die Oberelfe :-)

p.S.: Es würde mich freuen, wenn wir auf dieses Thema noch verstärkt eingehen könnten!
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Beitrag von sixela »

Lieber Tommy, du weisst aber schon, dass das Business praktisch tot wäre, wenn man verpflichtende HIV-Tests für potentielle Kunden vorschriebe. Vor allem Gelegenheitskunden würden dadurch total abgeschreckt, wenn sie wüssten, dass sie ein paar Tage vorher noch zum Arzt müssen. Die Entscheidung, zur Sexworkerin zu gehen, fällt ja in der Regel sehr spontan.

Nicht dass ich die Ungleichbehandlung gegenüber Sexworkerinnen nicht ungerecht fände (ich bin da, wie immer, total-liberal und würde auch die Untersuchung der Mädchen auf "freiwillig" umstellen). Aber gerade die Ansteckungsgefahr mit HIV lässt sich ja wirklich minimieren durch Kondom und andere sichere Sexpraktiken.
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Tommy
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Beitrag von Tommy »

Natürlich ist mir diese Problematik ebenfalls durch den Kopf gegangen, sixela.
Wie Du sagst, vor allem die Reihen der Gelegenheitskonsumenten würden sich vermutlich ein wenig lichten.
Ich denke aber auch, dass die Ablehnung sich in absehbarer Zeit in Akzeptanz verkehren würde.
- So wie es bei allen "unpopulären" Maßnahmen früher oder später der Fall ist!

Alles was es braucht, ist eine geschickt und breit angelegte Image-Kampagne, um die Bedeutung des AIDS-Tests zurück in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu holen (denn es ist still geworden um das Thema, ..zu still!)

Mit etwas Dampf auf der Emotionsschiene und aufgepeppten Facts lässt sich enorm viel bewegen, wie beispielsweise Immuno-Baxter mit der Popularisierung der Anti-FSME-Vakzine nachhaltig unter Beweis stellte.
Die Kampagne bereitet einem Millionenpublikum jährlich geradezu Gewissensbisse:
"Muss ich eh noch nicht auffrischen gehen???"
"Himmel, ich bin schon zwei Jahre überfällig!"

Oder Beiträge wie "Die Todsünden des Schlafes" (Universum)!
Abertausende besorgten sich nach dieser Ausstrahlung antiallergische bzw. Staubmilben-abweisende Matratzen & Bettwäsche!

Plakat und TV-Spot mit jenem vielsagenden Loch in der Windschutzscheibe hatten einen ähnlichen Impact, - selbst unter notorischen Gurtenmuffeln (NEWS berichtete bekanntlich von Reaktionen der Autofahrer angesichts der Gewista-Galerie an Schlüsselstellen, wie etwa an der Autobahnabfahrt Altmannsdorfer Ast).
Emotional aufbereitete Propaganda lenkt das kollektive Bewusstsein!

Eine gutes Team würde eine vergleichbar griffige Kampagne für den AIDS-Test ganz locker aus dem Ärmel schütteln!
Ist bloss eine Frage der (sehr aufwendigen) Finanzierung..

Erwünschte Nebenwirkung:
Das Gros der "unentwegten" Freier wäre als eine der emotional aufgemischten Zielgruppen mit Sicherheit ganz vorne mit dabei.
Eine gesetzliche Verordnung geriete in weiterer Folge eigentlich nur noch zur Formsache.

Das Projekt wäre also realistisch gesehen machbar, denke ich, - auch ohne die Rotlichtszene zum endgültigen Aus zu verdammen.

Klar, ebenso wie heute bei weitem nicht jeder Waldschrat FSME-geimpft ist, würden sich auch in Zukunft viele Leute weigern, sich gegen HIV testen zu lassen.., aus welchen rationalen oder irrationalen Gründen auch immer.

Es würde aber auch in Hinkunft sicher nicht jede SW diesen Wisch von ihren Gästen verlangen..! :002

Und damit komme ich auf einen ganz wesentlichen Punkt zu sprechen, den Du hier anschneidest:
Das Übertragungrisiko lässt sich durch konsequente Verwendung von Kondomen bzw. Safer Sex minimieren, sicher.
Demgegenüber besteht aber eine ungeheuer große Nachfrage nach "ohne". (Zu sehen, wie erschreckend dumm wir sind, reicht ja ein Blick in gewisse Foren.. :002)
Solange viele Mädchen diesen Service nicht anbieten, werden ebensoviele (oder mehr) Kolleginnen es dem wettbewerblichen Vorteil zuliebe justament tun.
Daran werden weder Verordnungen, noch vorgeschriebene oder freiwillige Tests, noch breite Aufklärungsarbeit etwas ändern können.

Und das Schlimme daran: Mädchen dürfen in diesem Sinne sogar unbehelligt inserieren.
Bekanntlich werden aber sehr viele Mädchen von Managern, Puff- oder Agenturbetreibern und in Bars dazu genötigt.
Vielleicht denke ich nicht ganz so "total-liberal" wie Du, denn ich finde, dass hier der Gesetzgeber gefordert ist!
Wenn es schon nicht überprüfbar ist, ob und wie genau frau es in ihren Gemächern damit hält, so sollte es m.E. keinesfalls gestattet sein, mit "Ohneservice" zu werben.
Steht dies nicht in krassem Widerspruch zu einer verbindlich vorgeschriebenen amtlichen Gesundheitskontrolle???

"Ist ja mein Körper, - und mit dem kann ich tun und lassen was mir beliebt", mögen manche SW entgegen halten, - vordergründig vielleicht nicht ganz unberechtigt.
Wenn Du dann aber Aussagen hörst, wie "das mit AIDS sei ja alles erstunken und erlogen und diene lediglich weltweiter Panikmache", dann tut die Erkenntnis fast schon weh, dass Ladies von ihren Strizzis dermaßen präpariert werden, dass sie solchen Schwachsinn tatsächlich glauben!
Aus dem Mund einer sehr bekannten SW, die seit über 15 Jahren mit dem Slogan "gerne auch ohne - uns beiden zuliebe" mit ungebrochenem Erfolg inseriert, kam dereinst die befremdlich anmutende Begründung: "Weißt', jetzt mach ich das schon soundso lange und wenn's AIDS wirklich gäbe, dann hätt' ich's schon 10x gekriegt. Is alles a Blödsinn!"
Naja, was willst' da noch antworten..?! :rolleyes1

Nein, das ist kein Einzelfall!
Diese Art Gehirnwäsche hat Methode, auch anderswo klingt's ganz ähnlich (z.B. Hetzendorferstr.).

Es scheint mir dringend nötig, erstens die Klientel vor solchen Erscheinungen möglichst zu schützen, vor allem aber die Mädchen vor sich selbst und dem "Umfeld", das sie in rücksichtsloser und gefährlicher Weise manipuliert!

Mein persönliches Fazit:
Es wird auch in Hinkunft nicht ohne straffe behördliche Präsenz in der SW-Szene gehen können.
Solange gewisse Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind, die den Mädchen durchwegs Entscheidungen aus freien Dingen ermöglichen, sind SIE die eigentlichen Schutzbedürftigen!
Dazu wäre erforderlich, dass die Prioritäten der Exekutive sich neu orientierten. Damit spreche ich u.a. die Diskriminierung und negative Voreingenommenheit der Behörden gegenüber SW an.
Und diesbezüglich sind auch in vorliegendem Manifest einzelne Punkte im Detail nicht mit der wünschenswerten Klarheit ausformuliert, wie ich nachträglich bemerkte. Ergänzungen schienen mir angebracht.


@ Oberelfe

Die freie Arztwahl wäre eine denkbare mögliche Alternative.
Nur: Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass jene "Ärzte des Vertrauens" häufig mehr oder minder befangen sind.
Zum Gutteil handelt es sich dabei selbst um Gäste, die den Mädchen den einen oder anderen kleinen Gefallen tun, angefangen von getürkten Befunden, Krankschreibungen, Rezepten, bis hin zur Überlassung gewisser "Medikamente".
Missbrauch wäre meiner Meinung nach auch hier vorprogrammiert.
Deshalb finde ich, dass öffentliche Einrichtungen (Labors) vielleicht geeigneter wären.
Oder: Es hätte eine Liste behördlich autorisierter Ärzte erstellt zu werden, die diese Art der Untersuchung durchzuführen befugt wären(eine Anzahl xy von Ärzten pro Bezirk).
So wäre ein Minimum an Transparenz und Gewährleistung gegeben.

Ich denke auch, dass dieses Thema weiterer Vertiefung bedürfte.

LG, Tommy

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BobbyBrown
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Beitrag von BobbyBrown »

@ Tommy: Das HIV Attest ist vollkommen sinnlos, das HI Virus hat eine Inkubationszeit von 3 Monaten, d.h. es kann im Extremfall drei Monate nach erfolgter Ansteckung mit Tests nicht nachgewiesen werden, in dieser Zeit aber sehr wohl schon weitergegeben werden.

Alleine schon aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass ungeschützter Kontakt immer ein Ansteckungsrisiko birgt und somit kategorisch abzulehnen ist.
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Tommy
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Beitrag von Tommy »

BobbyBrown hat geschrieben:@ Tommy: Das HIV Attest ist vollkommen sinnlos, das HI Virus hat eine Inkubationszeit von 3 Monaten, d.h. es kann im Extremfall drei Monate nach erfolgter Ansteckung mit Tests nicht nachgewiesen werden, in dieser Zeit aber sehr wohl schon weitergegeben werden.
Hi Bobby,

So gesehen erübrigte sich der HIV-Test ja generell, auch bei SW!
Tut er aber deswegen nicht, weil es hierbei schliesslich um Schadensbegrenzung geht.
Ist doch ein beträchtlicher Unterschied, ob in einem beliebigen Zeitraum 3 Ansteckungen erfolgen, oder etwa 30 oder mehr.

Die Nachweisbarkeit des Virus besteht bereits wenige Tage nach der Übertragung.
Es hängt lediglich von Art und Sensitivität der Nachweismethode ab.

Der gängige HIV-Screening-Test (ELISA) ist ein Antikörper-Suchtest.
Da die Immunantwort gegen HIV im Schnitt nach zwei Monaten durch das Auftreten spezifischer Antikörper nachweisbar wird, geht's mit dieser (relativ billigen) Methode eben nicht rascher.
Die Inkubationszeit ist der Zeitraum von der Infektion bis zum Auftreten erster klinisch fassbarer Symptome. Im Falle des AIDS liegt das symptomfreie Intervall der aktiven Virusvermehrung bei einem halben bis mehreren Jahren.
Der direkte Virusnachweis (Western Blot) hingegen, der auch als Bestätigungstest bei positivem ELISA Verwendung findet, ist hoch sensitiv und längstens eine Woche nach erfolgter Übertragung sicher positiv.
Nur ist dieser Test leider recht kostspielig, weswegen er als Routinemethode (Screening) nicht zur Anwendung kommt.

Ungeschützter Kontakt birgt sowieso IMMER das Risiko einer Ansteckung, auch und insbesondere, was die wesentlich häufigeren und ebenso gefährlichen Hepatitis-Viren und die vergleichsweise banalen Geschlechtskrankheiten betrifft.
Die Frage, ob "mit" oder "ohne", sollte sich gar nicht stellen dürfen!
Real schaut's nur leider ganz anders aus...

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BobbyBrown
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Beitrag von BobbyBrown »

Hallo Tommy,

Danke für die Info, aber das Fazit bleibt ident, nur Safer Sex ist sicher, leider.

Zum Manifest: Sehr theoretsiche Angelegenheit, einige Dinge davon muss man sicher genau auf ihre Umsetzbarkeit prüfen.

Ich werde das Stück für Stück machen, beginnen wir beim Steuer- und Sozialversicherungskapitel.

Für das folgende Beispiel nehme ich eine SW an, die in ihren eigenem Studio ihrem Beruf nachgeht, weiters gehe ich davon aus, dass zur Ausübung des Gewerbes kein Gewerbeschein notwendig ist, somit keine Kosten für Kammerumlagen und Einverleibungsgebühren anfallen.

Da es sich in diesem Fall um einen nicht bewilligungspflichtigen Gewerbebetrieb handeln würde, besteht trotzdem eine Versicherungspflicht gemäss GSVG, die Umsätze unterliegen der Umsatzsteuerpflicht und das Einkommen aus diesem Gwerbebetrieb wäre selbstverständlich EKST pflichtig.

Für das Beispiel möchte ich die Oportunitätskosten - Miete, Kosten für Werbung etc. mit netto € 1.000,--/Monat ansetzen, vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber damit befinde ich mich mit der Kostenrechnung auf der sicheren Seite.

Weiters gehe ich von einer 5 Tage Woche aus, 10 Feiertagen im Jahr - es gibt 13 gesetzliche Feiertage, aber ein paar fallen auch auf die Sam- und Sonntage - fünf Wochen Urlaub - 25 Werktage - und 10 Tage Ausfall durch Krankheit usw. , das Kalenderjahr hat brutto 260 Arbeitstage, unter Berücksichtigung der o.a Zahlen bleiben rund 215 Arbeitstage.

Jetzt komme ich zu einem heiklerem Thema, der Umsatzprognose. Angenommen die SW hat im Jahresdurchschnitt einen Tagesumsatz von € 450,-- ( da wird es natürlich eine sehr grosse Schwankungsbreite geben ) ergibt das einen Bruttoumsatz respektive Einnahmen von € 96.750,-- Brutto deswegen, weil in diesem Umsatz noch die Umsatzsteuer beinhaltet ist, diese ist aber an das zuständige Finanzamt abzuführen, im Beispiel wären das € 16.125,--, somit belaufen sich die Nettoeinnahmen auf € 80.625,--

Nach Abzug der Kosten - € 12.000,-- p.a. - bleibt somit ein Nettogewinn von € 68.625,--, dieser ist allerdings vor allen Abgaben.

Nun kommt die SV: Die aktuelle Höchstbemessungsgrundlage ist € 3.100,04 pro Monat, in unserem Fall also € 37.200,48 p.a.

Krankenversicherung GSVG: 9,1% also € 3.385,24
Pensionsversicherung GSVG: 15% also € 5.580,07
Unfallversicherung GSVG: € 7,09 pro Monat, also € 85,08

Somit verbleibt ein zu versteuerndes Einkommen - Absetzbeträge lasse ich bewusst unberücksichtigt, das ist individuell verschieden - € 59.574,61

Jetzt kommt aber noch KHG ins Spiel, das Einkommen unterliegt natürlich der EKST Pflicht, im o.a. Beispiel beträgt die fällige EKST € 21.537,30, somit bleiben der SW netto € 38.073,31

Natürlich ist die ganze Berechnung rein hypothetisch, wenn die Einnahmen wesentlich höher Ausfallen steigt der Verdienst - allerdings durch die Steuerprogression pro € 2 mehr Gewinn um € 1 netto -, bei weniger Umsatz wir die Rechnung vermutlich schlechter ausfallen.

Es stellen sich mehrere Fragen: Wie ist mit der Umsatzsteuer umzugehen, kann eine SW diese auf die aktuellen Preise aufschlagen, dadurch würde sich aber die Dienstleistung um 20% verteuern, sind die Klienten bereit das zu zahlen?

Würden bedingt durch die hohe Abgabenlast alle SW den Weg in die "Legalität" wagen, oder würde der "Pfusch" blühen, und damit wieder die Illegalität überhand nehmen?
Zuletzt geändert von BobbyBrown am 31.10.2005, 13:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von Tommy »

Keine Frage, der "Pfusch" würde weiterhin blühen und gedeihen.
Und zwar nicht nur aus den von Dir (sehr schlüssig) dargelegten Gründen, sondern auch deshalb, weil ebenso unter geänderten Prämissen eine nicht zu knappe Zahl von SW die Anonymität vor soziale Absicherung stellten.

LG, Tommy

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Beitrag von sixela »

Hallo Tommy, ich wollte noch mal auf deine Replik zum Thema "verpflichtende Gesundheitsuntersuchung bzw- HIV-Test" zurückkommen.

Eigentlich wollte ich jetzt eine lange Argumentationskette dazu entwickeln, dass es dem Staat nicht ansteht, den Umgang mit individuellem Risiko zu steuern, also vorzuschreiben, was ich zu tun habe oder nicht, damit ich nicht krank werde oder sterbe. Das steht ihm nämlich nur dort zu, wo auch Mitmenschen de facto keine Möglichkeit haben, einer Gefährdung zu entgehen (demnach sind Rauchverbote in öff. Räumen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Ordnung, Pflichtimpfungen oder auch die Gurtenpflicht nicht; oder ganz radikal: Mord soll strafbar sein, Selbsttötung nicht). Aber du sprachst letztlich nur von Imagekampagnen, das sei unbenommen, an die kann man sich halten oder nicht.

Damit sind wir bei "unserem" Thema: Im Grunde gehen dabei zwei Menschen (in der Regel) - die Sexworkerin und der Kunde - einen Dienstleistungsvertrag ein, der nur die beiden etwas an geht. In welcher Abstufung sie sich dabei der Gefahr von Geschlechtskrankheiten aussetzen, oder ob sie sich gegenseitig durch das Vorweisen von Gesundheitsattesten absichern, ist ausschließlich ihre Sache. Wenn also beide ein höheres Risiko im Austausch gegen einen höheren Geldbetrag eingehen wollen, geht das niemanden etwas an. Selbstverständlich darf keine SW von einem Betreiber zum Anbieten von irgendetwas gezwungen werden, aber soweit ich es bisher mitbekommen habe, sind es eher die Mädchen selbst, die gerne "alles ohne" anbieten wollen, weil sie oft ein Vielfaches verdienen können (ich würde mich freuen, wenn dazu auch SW Stellung nehmen könnten - bitte mich prügeln wenn ich falsch liege!).

Um nicht missverstanden zu werden: auch ich EMPFEHLE den Mädchen und regelmäßigen Kunden regelmäßige einschlägige Arztbesuche (übrigens selbstverständlich beim Arzt des Vertrauens und nicht verpflichtend beim Amtsarzt - gibt keinen Grund, dass der "unbestechlicher" sein sollte), und EMPFEHLE Verkehr "mit Schutz", aber ich würde nie den Satz aussprechen, dass etwas (vielleicht auch noch gesetzlich oder durch Werbebeschränkungen) "abzulehnen" ist, wenn es sich großjährige Menschen untereinander ausmachen.

Zum Thema Sozialversicherung versus Anonymität. Ja, die SW werden die Anonymität wählen, weil (neben dem höheren Verdienst - die Höhe der SV-Beträge ist reine Abzocke) dieser Beruf immer noch so arg beleumundet ist und man sich die Zukunft verbauen kann, wenn man sich dazu bekennt. Deshalb sollten wir alle daran arbeiten, diesen Job endlich endgültig aus der Schmuddelecke zu ziehen, durch Gespräche im persönlichen Umfeld, durch Einflußnahme, wo möglich, auf öffentliche Stellen und Medien oder was jedem sonst noch einfällt.

So long
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Beitrag von Elisabeth »

Hallo Sixela,

ich finde es wundervoll, dass ihr euch so viele Gedanken macht. Danke!

Zwei meiner Gedanken möchte ich loswerden:
Erwachsene Menschen _sollten_ eigenverantwortlich handeln und selbst wissen, ob sie durch HIV oder an Altersschwäche sterben wollen. Aber grade beim Thema Sex fällt bei den meisten in dem Moment, wo sie eigentlich nachdenken sollten, ob sie das wollen, das Gehirn aus, um einen wichtigeren Körperteil zu versorgen. Wie erwachsen und vernünftig sind Menschen in diesem Moment? Wieviel Eigenverantwortung kann man ihnen zutrauen?

Selbsttötung (und im schlimmsten Fall ist ungeschützter Verkehr nichts anderes) zu legalisieren (ich weiß, überzeichnet), weil man damit niemand anderem schadet, halte ich deshalb für falsch, weil keine Tat ohne Einfluss auf andere ist.
Erstens ist ungeschützter Verkehr nicht nur potentielle Selbsttötung, sondern auch potentieller Mord.
Zweitens wird der- oder diejenige wahrscheinlich auch mit anderen Menschen Sex haben, die dann von dem Mitbringsel "profitieren".
Drittens ist kaum jemand alleine auf der Welt. Was ist mit dem Verbrechen, einem Menschen, der einen liebt, das Wertvollste gestohlen zu haben, weil man unverantwortlich gehandelt hat und in diesem einen Moment nur an die Befriedigung seiner eigenen Triebe gedacht hat.

Mein letzter Punkt ist der, dass ich es auch für die einzige Lösung halte, das Image der Sexworker in der Öffentlichkeit zu verbessern. Viele Möglichkeiten bestehen schon jetzt für Sexworker (Sozialversicherung, Pensionsversicherung) die selbstständig arbeiten, aber aus dem einen oder anderen Grund (seien es die Steuern oder die Anonymität) nimmt nur ein sehr kleiner Teil diese Möglichkeiten in Anspruch. Die Meldepflicht wird der Staat nicht so schnell fallen lassen, wahrscheinlich gar nicht. Bei jedem Beruf ist man irgendwo gemeldet (und wenns nur die Sozialversicherungsanstalt ist), aber das stört keinen, schließlich sind mit den meisten anderen Berufen nicht solche Vorurteile verbunden.

Ich wünsche mir von Herzen, dass der Beruf der Sexworker sowohl von Sexworkern selbst, als auch von der Gesellschaft als das anerkannt wird, was er ist: Ein verdammt notwendiger und wichtiger Beruf, der Menschenliebe und soziales Gespür verlangt, der aber -mit der richtigen Einstellung und der nötigen Menschenliebe getan- auch Freude machen kann. Menschliche Nähe, die Erfüllung sexueller Phantasien, das sind elementare Grundbedürfnisse, ohne deren Erfüllung das Leben nur halb so schön wäre. Der einzige Grund, warum Sex und alles damit verbundene nachwievor stigmatisiert ist, ist die jahrhundertelange Öffentlichkeitsarbeit der Kirche, die gut daran tat, ihre Mitglieder frustriert genug zu halten, um sie vom Nachdenken abzuhalten.

Mal eine Frage: Woher kommt eigentlich die Vorschrift, nur zum Zwecke der Fortpflanzung Sex haben zu dürfen?

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Beitrag von BobbyBrown »

So, hier der nächste Teil meiner Gedanken zu diesem Manifest.

Kollektives Handeln

Wir wollen unser Recht geltend machen auf Mitgliedschaft in Gewerkschaften und auf deren Neugründung.

Wir wollen von unserem Demonstrationsrecht in der Öffentlichkeit Gebrauch machen können.
Wir fordern das Recht, sowohl geschäftliche als auch private Beziehungen und Partnerschaften frei eingehen zu können. Wir wollen bei sozialen Projekten mitwirken können.


Zu der Forderung bezüglich Gewerkschaften: Da stellt sich vordergründig die Frage nach der Art wie der Beruf einer/s SexworkerIn ausgeübt wird. Die meisten SW arbeiten auf selbstständiger Basis, rein rechtlich käme auch die Beschäftigung mittels freiem Dienstvertrag oder mittels Werkvertrages in Frage.

Womit wir schon beim "Problem" angelangt sind, alle Arbeitenden, die gemäss der genannten Beschäftigungsformen ihrem Erwerb nachgehen, sind - von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht gewerkschaftlich organisiert, bei Werkverträgen und Selbstständigkeit ist es de facto unmöglich, denn dabei handelt es sich um "Unternehmer", die Gewerkschaften sind aber Interessensverbände der Arbeitnehmer.

Zu den Neugründungen von Gewerkschaften: Das scheidet vermutlich aus den o.a. Gründen aus, denkbar ist die Gründung eines Interessenverbandes, das lässt sich in der Theorie sehr einfach bewerkstelligen, man braucht nur drei Leute, diese Gründen einen Verein, lassen diesen Verein behördlich registrieren, schon gibt es die IV SW. Dabei wird sich allerdings die Frage nach der Finanzierung der Vereinsarbeit stellen, ist unter den SW die Bereitschaft vorhanden die eigene IV zu finanzieren, so wie es Gewerkschaftsmitglieder auch machen?

Zum Demonstrationsrecht: Einfach machen, Demo anmelden und schon können die SW losmarschieren, in Österreich besteht Demonstrationsfreiheit, solange die Grundsätze der Demokratie eingehalten werden kann der Staat auch ihm nicht genehme Demonstrationen nicht unterbinden, das beste Beispiel waren die sogenannten Donnerstagsdemos gegen die schwarz-blaue Regierung.

Soziale Projekte: Theoretsich auch möglich, um allerdings an öffentliche Fördergelder zu gelangen muss es einen Träger dieses Projekts geben, z.B. die noch zu gründenede IV, diese kann bei den potenziellen Geldgebern Projektvorlagen einreichen, die Chancen auf öffentliche Mittel sind möglicherweise gar nicht so schlecht.
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Beitrag von ex-oberelfe »

Hallo liebe Leute!
Toll, wie sich diese Diskussion entwickelt hat, ich bin echt sehr stolz auf Euch, dass ihr Euch darüber so viele Gedanken macht.
Auch wenn ich in letzter Zeit öfters nur mitlese, zwecks Zeitmangel, verfolge ich dieses Thema mit großem Interesse.
Zum Thema Verkehr ohne Schutz!
Da Sixela nach der Meinung eines Sexworkers gefragt hat, hier meine Meinung dazu.
Für mich ist es leider sehr erschreckend, wenn Kunden anrufen und fragen, ob es auch Mädchen gibt, die es ohne machen.
Leute, wir wissen genau, wie viele Männer verheiratet sind und ich finde es wirklich sehr unverantwortlich, nein sogar sehr dumm, wenn man mit einer Frau ohne Gummi schlafen möchte, die am Tag vielleicht 5-10 Freier hat und es mit denen auch ohen Kondom treibt.
Ich schreib jetzt einfach mal so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, hoffe, niemand fühlt sich dadurch angegriffen.
Kondome sind nicht zum Spaß erfunden worden und ich hoffe inständig, dass sich in den Köpfen der Leute noch einiges ändern wird.
Wenn es die Möglichkeit zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten und AIDS gibt, und es ist Tatsache, dass es das gibt, dann frage ich mich natürlich, warum dieses Angebot so wenig genutzt wird.
Eine Aufklärungskampagne für Mädchen und Kunden ist anscheinend so was von nötig, dass es erschreckend ist.
Ich würde für kein Geld der Welt mit einem mir wildfremden Mann ohne Kondom schlafen, habe ich weder privat noch beruflich jemals gemacht.
Und auch Naturfranzöisch beinhaltet so einiges an Gefahren.
Ich weiß schon, ich vertrage keinen Gummi, es ist einfach schöner ohne Gummi, ich krieg keinen hoch mit Gummi, usw.
Leute, das ist reine Kopfsache, wenn ich mir einbilde dass ein Gummi nicht gut ist für mich, dann blockiere ich mit meinem Hirn automatisch die körperliche Funktion und fühle mich durch so ein Sackerl beinträchtigt...ist eigentlich eine logische Sache.
Und gegen Gummiallergiker sind auch schon spezielle Anfertigungen erhältlich, also diese Ausrede fällt auch weg.
Ich finde es wirklich dumm, dass Männer auch von einer Frau verlangen, sich einem wildfremden Mann für ein bisserl Geld (denn so viel ist es ja auch wieder nicht) ohne Kondom hinzugeben und dabei ein riesengroßes gesundheitliches Risiko einzugehen.
Und vor allem, wenn ich mich durch so einen unnötigen Schmarrn anstecke und dann mein Partner vielleicht auch noch betroffen ist, na dann kann ich mir echt gleich die Kugel geben.
Ist es das wirklich wert? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es das nicht ist, also liebe Herren: nutzt die Möglichkeit des Safer-Sex und lebt länger und liebt auch länger!
Ach ja, wie bereits Bobby beschrieben hat, AIDS hat eine Inkubationszeit von 3 Monaten, wenn Du also gestern mit einer Prostituierten ohne Gummi geschlafen hast, und dann morgen nen Aidstest machst, hat der gar nix zu sagen...leider, so is des!
Lg Die Oberelfe :017
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Beitrag von Lovara »

auch ich möchte nach langem wieder meinen senf dazu geben.

aids ist noch immer ein thema, welches von einigen, manderl und weiberl gleicherweise, nur zu oft auf die leichte schulter genommen wird. leider.

es gibt zahlreiche, teilweise junge frauen, die in ihrem service "ohne" anbieten. siehe "krone". denn grund dafür möchte ich jetzt gar nicht näher erläutern. für mich unverständlich, mit sich selbst und anderen, so sorglos um zu gehen.

als betreiber sind einem, bis zu einem gewissen grad, die hände gebunden. mehr als darauf hinweisen kann man die mädchen nicht.
klar wenn man es erfährt ist sie gefeuert, aber dann kann es schon zu spät sein.

zudem und das sollte man auch nicht vergessen, sind ja manche mädchen wie kinder. viele vergessen ihre pille zu nehmen und schauen dann ganz dämmlich wenn sie schwanger sind. auch ned erst einmal passiert.
jetzt kommt dann die frage, nach dem vater.
mir tun dann die kinder leid. es gibt ja genug gründe warum eine frau diesen job macht. der häufigste ist geldnot und da kommt jetzt auch noch ein kind dazu. passt.

und wenn es ganz blöd herkommt dann ist sie schwnger und hat sich noch was eingefangen.
schon passiert, und das hab ich live mitbekommen, bei einer wiener agentur.
lg LOVARA
es gibt nur wenige, die es ehrlich meinen

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Tommy
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Beitrag von Tommy »

Hi all,

Die von Lovara angesprochene weit verbreitete Sorglosigkeit im Umgang mit der eigenen und der Gesundheit anderer ( = Mangel an Verantwortungsbewusstsein) machen institutionalisierte Kontrollen und Reglements unverzichtbar.
Und ich muss sixela hier ein wenig widersprechen, denn, insbesondere solange AIDS nicht heilbar und keine Vakzine verfügbar ist, liegt in Gegenmaßnahmen zur weiteren Verbreitung des HIV ein bedeutendes öffentliches Interesse.
Davon ausgehend müssten alle möglichen Vorkehrungen verbindlich sein, die geeignet sind, eine Ansteckung zu verhindern.
Dazu gehörte selbstredend die obligate Verwendung von Kondomen.

Im Kontext steht auch jener Dienstleistungsvertrag zwischen SW und Klienten im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, denn die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen beschränken sich keineswegs auf beide "Vertragspartner".
Es kann also nicht ausschliesslich deren Sache sein, ob und in welchem Ausmaß sie sich einem Übertragungsrisiko aussetzen!
Der Grundsatz, auf den sixela sich hier beruft, dürfte m.E. lediglich auf die Privatsphäre Anwendung finden, - zumindest auf solche Formen des Privatbereichs, wo geringe Promiskuität vorausgesetzt werden darf (somit auch nicht auf die Swinger-Szene).

Daher:
Selbstbestimmungsrecht, - ja unbedingt!
Wo aber Individuen (bzw. einzelne Bevölkerungs- und Berufsgruppen) fahrlässig nicht nur die eigene, sondern die Sicherheit der Allgemeinheit gefährden, sollte dieses Recht entsprechend eingeschränkt sein.

Zum Thema Besteuerung wäre anzumerken, dass die Bemessungsgrundlage nicht bloß eine fiskalische, sondern durchaus auch ethische Nuss ist, die zu knacken ein widerspruchsgeladenes Problem darstellt:
Solange SW nicht in den vollen Genuss sämtlicher Sozialleistungen gelangen und staatlicherseits stigmatisiert werden, forderte jede Besteuerung von Einkünften der SW die Bezeichnung unseres geschätzten K. H. Grassers als "Zuhälter der Nation"!

Es geht nicht an, dass der Staat die eine Hand bereitwillig ausstreckt und mit der anderen Landesgesetze ausfertigt, die SW mit einem Fuß ins Kriminal stellen und die Rahmenbedingungen für legales Arbeiten verschlechtern!

Natürlich werden unter diesen Voraussetzungen viele SW die Anonymität wählen! No na, blöd wären sie..!

Die Meinungsbildung von der Basis her wird leider nicht taugen, die Prostitution aus der "Schmuddelecke" zu holen.
Die gesellschaftliche Voreingenommenheit und behördlicherseits die stigmatisierende und wenig differenzierende Konjunktion des Gewerbes mit der "Unterwelt" stimmen nur wenig zuversichtlich.
Es ginge bei uns einzig und alleine von "oben" her, in Form eines EU-weiten Diktats von Brüssel, und dahin dürfte vorliegendes Manifest ein ganz wesentlicher Schritt gewesen sein.

LG, Tommy